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Nicht jede Unterdeckung des Bedarfs führt grundsätzlich zu einer Existenzbedrohung und damit zum Vorliegen eines Anordnungsgrundes. Erforderlich ist eine existentielle Notlage. Diese besteht regelmäßig dann nicht, wenn im Wege des Eilrechtsschutzes Bagatellbeträge geltend gemacht werden.

Sozialzialgericht Sachsen-Anhalt Beschluss vom 23.06.2011, - L 5 AS 129/11 B ER -


Nach der Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 30. März 2009, Az.: L 5 B 121/08 AS ER- ) löst jedenfalls ein monatlicher Fehlbetrag von bis zu fünf Prozent der Regelleistung (im vorliegenden Fall beliefe sich der entsprechende Gesamtbetrag für die Antragsteller auf 65,05 EUR; je 16,40 EUR für die Antragsteller zu 1 und zu 2 sowie je 10,75 EUR für die Antragsteller zu 3 bis 5) noch keine existentielle, d.h. akute wirtschaftliche Notlage aus, der mit Mitteln des gerichtlichen Eilrechtsschutzes begegnet werden müsste; es sei denn, es gebe gravierende individuelle Besonderheiten – wie etwa ein glaubhaft gemachter erheblicher Nachholbedarf. In der Regel berührt das vorübergehende Fehlen von Leistungen in der vorgenannten Höhe die Existenz der Leistungsberechtigten noch nicht unmittelbar und es ist ihnen zuzumuten, fehlende Defizite durch Umschichtungen zu kompensieren bzw. vorübergehend – das heißt für die voraussichtliche Dauer eines Hauptsacheverfahrens – auf Anteile der Regelleistung zu verzichten.

https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=143896&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=



Anmerkung : Vgl. dazu den Beitrag vom Sozialrechtsexperten RA Ludwig Zimmermann im Fachforum von Nomos:


Das Bundesverfassungsgericht hat die Bagatellrechtsprechung des Landessozialgerichtes Berlin-Brandenburg gekippt.
Mit Beschluss des BVerfG vom 24.03.2011 - 1 BvR 2493/10 wurde eine Entscheidung des 10. Senates des LSG Berlin-BRB vom 11.01.2010 aufgehoben. vgl Hierzu LSG Berlin Brb 11.03.2011 L 10 SF 295/10 B PKH juris mit weiteren Nachweisen.
Die Entscheidung in Kürze:
„Ob in einem sozialgerichtlichen Verfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen ist, hängt in erster Linie davon ab, ob die Beiordnung eines Rechtsanwaltes notwendig ist. Dies ist der Fall, wenn eine unbemittelte Person in der gleichen Lage einen Rechtsanwalt einschaltet. Dabei kommt in erster Linie nicht, wie das LSG meint, auf die Kosten des Rechtsanwaltes, sondern in erster Linie auf die Ungleichheit von Kläger und Behörde hinsichtlich ihrer Kenntnisse und ihrer Prozesserfahrung an. Es sei auch nicht fern liegend, dass ein Bemittelter auch verhältnismäßig hohe Rechtsanwaltskosten nicht scheut, wenn er mit einem Obsiegen und der Erstattung seiner Aufwendungen rechnet.“
Es ging um Kosten der Heizung iHv 7 EUR monatlich und 42 EUR in einem halben Jahr.


Anmerkung hierzu: Vergleiche auch den Aufsatz von Udo Geiger "Keine Prozesskostenhilfe in Bagatellverfahren?"
info also 2009, 105-107


http://www.existenzsicherung.de/forum/viewtopic.php?f=3&t=40


Anmerkung : BVerfG vom 24.03.2011, - 1 BvR 1737/10-

Anhand des Streitwertes kann nicht darauf geschlossen werden , ob die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich ist oder nicht.

„Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung vom 24.03.2011 – 1 BvR 1737/10, einer Verfassungsbeschwerde gegen einen ablehnenden PKH-Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 04.03.2010 – S 39 AS 21029/09, sowie gegen den zurückweisenden Beschwerdebeschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 10.06.2010 – L 5 AS 610/10 B PKH, stattgegeben.


Das Sozialgericht hatte im Rahmen eines Alg II-Klageverfahrens die beantragte Prozesskostenhilfe und anwaltliche Beiordnung abgelehnt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass ein nichtbedürftiger Kläger für eine Klageforderung in Höhe von hier 42 € keinen Anwalt beauftragt hätte. Die hiergegen erhobene Beschwerde wies das Landessozialgericht mit der Begründung zurück, dass eine anwaltliche Hilfe nicht notwendig sei. Insbesondere sei das sozialgerichtliche Verfahren kostenfrei und es handele sich nur um eine Streitigkeit im Bagatellbereich. Es sei keine angemessene Relation zwischen Streitwert (42 €) und Kostenrisiko (bis 460 €) erkennbar.


Nach der jetzigen Entscheidung des BVerfG wurden die ablehnenden Beschlüsse wegen Verletzung des Grundrechts auf Rechtsschutzgleichheit aufgehoben und die Sache an das SG zur Entscheidung zurückverwiesen. Das BVerfG hat u.a. ausgeführt, dass anhand des Streitwertes nicht darauf geschlossen werden kann, ob die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich ist oder nicht. Dies richtet sich vielmehr danach, ob zwischen den Parteien eine Waffengleichheit besteht. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass dem Rechtssuchenden prozesserfahrene und rechtskundige Behördenvertreter gegenüberstehen. Ein vernünftiger Rechtssuchender wird daher regelmäßig einen Rechtsanwalt einschalten, wenn er nicht ausnahmsweise selbst über ausreichende rechtliche Kenntnisnisse und Fähigkeiten verfügt.“


„(Mitgeteilt von RAin Neubacher, Kanzlei Püschel & Kollegen, Mahlow)“

Anmerkung: Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Beschluss vom 08.11.2010 , - L 2 AS 325/10 B ER -


Für Hilfebedürftige nach dem SGB II kann es zumutbar sein, das Unterkunftskostendefizit durch Umschichtungen bei den Regelleistungen zu kompensieren und auf Anteile der Regelleistung vorübergehend – d.h. für die voraussichtliche Dauer eines Hauptsacheverfahrens – zu verzichten, ohne dass aufgrund des Fehlbetrags eine akute Notlage entsteht, für die einstweiliger Rechtschutz gewährt werden muss.


Denn insbesondere bei Bagatellbeträgen ist das Vorliegen eines Anordnungsgrundes ohne weiteres zu verneinen, weil dem Hilfesuchenden das Abwarten der Hauptsacheentscheidung zuzumuten ist (vgl. Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 29.01.2008, Az. L 9 AS 421/07 ER, NDV-RD 2008/104 m. w. Nachw.).

Bei Beträgen unterhalb von 10 EUR dürfte im Regelfall das Abwarten bis zur Hauptsacheentscheidung zumutbar sein (vgl. Entscheidung des Senates vom 23. März 2009 – L 2 B 95/08 AS ER).

Anmerkung:  Vgl. dazu Sozialgericht Berlin Beschluss vom 15.07.2010, - S 128 AS 11433/09 -

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts ist zu versagen, wenn der Rechtsstreit eine wirtschaftliche Bedeutung nur im Bagatellbereich hat.

Dabei gibt es keine einheitliche Rechtsprechung dazu, bei welchem streitigen Betrag von einem Bagatellbetrag gesprochen werden kann (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. Juni 2010 - L 5 AS 610/10 B ER - (Bagatelle bei einem streitigen Betrag von 42,- EUR); Beschluss vom 30. März 2009 - L 25 B 2135/08 AS PKH - (keine Bagatelle bei einem streitigen Betrag von mehr als 50,- EUR); Beschluss vom 10. Februar 2009 - L 5 B 1956/08 AS PKH - (Bagatelle bei einem streitigen Betrag von 85,44 EUR); Beschluss vom 6. November 2008 - L 29 B 1644/08 AS PKH - (Bagatelle bei einem streitigen Betrag von 27,- EUR); Beschluss vom 10. Oktober 2008 - L 29 B 1244/08 AS PKH - (Bagatelle bei einem streitigen Betrag von 37,50 EUR); Beschluss vom 14. Mai 2007 - L 10 B 217/07 AS PKH - (zweifelnd für einen Betrag von 67,50 EUR).

Der Beitrag wurde erstellt von Willi 2, Mitarbeiter des Sozialrechtsexperten RA Ludwig Zimmermann sowie Autor des wöchentlichen Rechtsprechungstickers von Tacheles unter der Führung des Sozialreferenten Harald Thome.

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