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Hartz IV kennt kein fiktives Einkommen - Denn dies widerspricht dem Grundsatz, dass fiktives, tatsächlich jedoch überhaupt nicht erzieltes Einkommen bei der Bedarfsberechnung nicht berücksichtigt werden darf - Rechtsprechung .

1. Bayerisches Landessozialgericht Beschluss vom 12.08.2010, - L 11 AS 381/10 B ER - fiktives Einkommen- Mieteinnahmen

Die Berücksichtigung fiktiven Einkommens ist im Regelfall ausgeschlossen, eine Ausnahme gelte aber bei tatsächlich bestehenden, zumutbaren und kurzfristig realisierbaren, aber ungenutzten Selbsthilfemöglichkeiten. Auf eine solche bestehende Möglichkeit habe die HB durch den Abschluss eines Aufhebungsvertrags und die unentgeltliche Überlassung der bisher vermieteten Räume an Dritte verzichtet.


Nach § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht (1) durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, (2) aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Als zu berücksichtigendes Einkommen zählen nach § 11 Abs. 1 SGB II grundsätzlich alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert.
Fiktives Einkommen ist dem Hilfebedürftigen regelmäßig nicht zuzurechnen (allg. Meinung, lediglich beispielshaft Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 11 Rdnr. 13 mwN).


Etwas anderes gilt jedoch bei tatsächlich bestehenden, zumutbaren und kurzfristig realisierbaren, aber ungenutzten Selbsthilfemöglichkeiten des Hilfebedürftigen. Zwar verlangt das Faktizitäts- oder Tatsächlichkeitsprinzip nicht nach den Ursachen einer tatsächlich vorhandenen Notlage zu fragen und auch bei selbstverschuldeten Notlagen voll zu leisten. Dennoch schließt das Subsidiaritätsprinzip des § 3 Abs. 3 SGB II bzw. § 9 Abs. 1 S. 1 SGB II einen Leistungsanspruch grundsätzlich aus, wenn die Nutzung tatsächlich bestehender Möglichkeiten zur kurzfristigen Selbsthilfe unterbleibt (vgl. Mecke aaO, § 11 Rdnr. 14 mwN).

2. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen  Beschluss vom 03.02.2010, - L 15 AS 1081/09 B -

Hat die Leistungsbezieherin(LB) die Steuerrückerstattung direkt an ihre Schwester überwiesen und somit nier erhalten, lag der Überweisung als Rechtsgrund die Abtretung vom  zugrunde, so dass die LB gegenüber der Finanzverwaltung auch keinen Anspruch auf Rückabwicklung gehabt hat.

Somit – hat das Jobcenter einen lediglich in der Vergangenheit gegenüber der Finanzverwaltung bestehenden Anspruch und damit fiktive Einnahmen als Einkommen angerechnet- Rechtswidrig!!

Denn dies widerspricht dem Grundsatz, dass fiktives, tatsächlich jedoch überhaupt nicht erzieltes Einkommen bei der Bedarfsberechnung nicht berücksichtigt werden darf (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 21. August 2008 - L 6 AS 734/07 ER; vgl. auch BSG, Urteil vom 2. Juli 2009 - B 14 AS 75/08 R [Rn 20], wonach die fiktive Berücksichtigung tatsächlich nicht vorhandenen Einkommens dem grundsicherungsrechtlichen Faktizitätsgedanken zuwiderläuft, sowie BSG, Urteil vom 13. November 2008 - B 14 AS 2/08 R, NZS 2009, 580 [Rn 32] zur Nichtberücksichtigung von nicht zur Verfügung stehendem Einkommen).

Berücksichtigt werden dürfen nur die tatsächlich zugeflossenen Einnahmen sowie tatsächlich bestehende und ohne weiteres sofort realisierbare Ansprüche gegenüber Dritten, die bislang ohne hinreichenden Grund nicht geltend gemacht worden sind (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 24. Februar 2009 - L 5 AS 34/09 B ER; Mecke in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, Rn 13; Spellbrink in: Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 2009, § 11 SGB II Rn 4; Söhngen in: jurisPK-SGB II § 11 SGB II Rn 40; Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Auflage 2008, § 11 SGB II Rn 4 - tatsächliche Verfügbarkeit; Hänlein in: Gagel SGB III, § 11 SGB II Rn 17 ff.; Brühl in: LPK SGB II, 3. Auflage 2009, § 11 Rn 24; Hengelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB II, § 11 Rn 40 und 86f.).


Auch nach der Rechtsprechung des BVerfG kommt es ausschließlich auf die tatsächlichen Gegebenheiten und nicht auf etwaige fiktive Umstände an ("Gegenwärtigkeitsprinzip", vgl. Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05, Breithaupt 2005, 803).


Der Beitrag wurde erstellt von Willi 2, Mitarbeiter des Sozialrechtsexperten RA Ludwig Zimmermann sowie Autor des wöchentlichen Rechtsprechungstickers von Tacheles unter der Führung des Sozialreferenten Harald Thome.

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