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Rückwirkende Leistungen der Sozialhilfe sind nur bei vorsätzlich falschen Angaben ausgeschlossen, bei einem unverständlichem Formular und falschen Angaben des Antragstellers können Leistungen rückwirkend erbracht werden. -Behinderter erhält mehr Sozialhilfe – auch für zurückliegende Jahre.

Hessisches Landessozialgericht Urteil vom 20.05.2011, - L 7 SO 92/10 -


Sozialhilfeleistungen für einen zurückliegenden Zeitraum sind nach § 44 SGB X nur zu erbringen, wenn die Notlage im Zeitpunkt der beanspruchten Hilfe noch besteht; dies setzt aktuelle Bedürftigkeit des Hilfesuchenden voraus (BSG v. 29.09.2009, B 8 SO 16/08 R).


Vorsätzlich falsche Angaben des Betroffenen liegen nicht bereits dann vor, wenn er die Fehlerhaftigkeit der Angaben zu vertreten hat. Er muss wissen, dass seine Angaben falsch oder unvollständig sind oder dies zumindest billigend in Kauf nehmen.


Im Falle vorsätzlich falscher Angaben hat die Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu entschieden, ob und inwieweit sie trotz fehlerhafter Angaben den rechtswidrigen Bescheid für die Vergangenheit zurücknimmt.


Anmerkung: Die in § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB X vorgesehene Folge der zwingenden Aufhebung des rechtswidrigen Verwaltungsaktes für die Vergangenheit ist nicht ausnahmsweise gemäß Satz 2 ausgeschlossen, denn die rechtswidrigen Verwaltungsakte beruhen nicht auf Angaben, die der Vater des Klägers vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.


Die rechtswidrigen Verwaltungsakte beruhen zwar auf den fehlerhaften Angaben des Vaters des Klägers.

Denn es ist davon auszugehen, dass der Beklagte bei Kenntnis der zwischenzeitlich bekannt gewordenen Tatsachen die Bescheide rechtmäßig erlassen hätte. Dabei ist dem Kläger das Handeln bzw. Unterlassen seines Vaters als Betreuer und gesetzlicher Vertreter zuzurechnen (§§ 1902, 278 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)). Rechtlich beachtlich sind danach zunächst alle Angaben, die von dem Betroffenen aktiv fehlerhaft gemacht worden sind, wie es vorliegend für die Anrechnung des Kindergeldes der Fall ist. Nicht erfasst werden dagegen Fälle des vorsätzlichen Schweigens, weil der Ausnahmetatbestand des Abs. 1 Satz 2 nicht als Sanktionsgrundlage für die unzureichende Mitwirkung von Beteiligten angesehen werden kann, (vgl. Urteil des BSG vom 31.05.1988, Az.: 2/9b RU 8/87, v. Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010 § 44 Rn. 19; Waschull in Dierins/Timme/Waschull, LPK-SGB X, 3. Aufl. 2010 § 44 Rn. 47; Pickel/Marschner, SGB X, Std. 02/11, § 44 Rn. 32; a.A. Vogelsang in Hauck/Noftz, Std. Dez. 2010, § 44 Rn. 21 der den Fall aktiven Verschweigens gleichsetzt, wenn beide Verhaltensformen ihrem sozialen Sinngehalt nach vergleichbar sind).



Vorliegend kommt es auf die Unterscheidung zwischen aktivem Tun und Schweigen aber nicht an, denn die unrichtigen und unvollständigen bzw. unterlassenen Angaben sind nicht vorsätzlich erfolgt. Voraussetzung nach § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB X ist jedoch, dass die unrichtigen oder unvollständigen Angaben vorsätzlich erfolgt sind. Ein grob fahrlässiges Verhalten ist unschädlich. Es genügt demnach nicht, wenn der Betroffene die Fehlerhaftigkeit zu vertreten hat, sondern er muss wissen, dass seine Angaben falsch oder unvollständig sind oder dies zumindest billigend in Kauf nehmen (Vogelsang in Hauck/Noftz, Std. Dez. 2010, § 44 Rn. 20.; Waschull in Dierins/Timme/Waschull, LPK SGB X, 3. Aufl. 2010 § 44 Rn. 46; Pickel/Marschner, SGB X, Std. 02/11, § 44 Rn. 31). Ein Irrtum schließt Vorsatz aus (Palandt, BGB, 68. Aufl. 2009, § 276 Rn. 10 und 11). Dabei muss sich der Vorsatz des Betroffenen nur auf die Unrichtigkeit der Angaben beziehen und nicht die daraus folgende Rechtswidrigkeit mit einschließen (Pickel/Marschner, SGB X, Std. 02/11, § 44 Rn. 31, Waschull in Dierins/Timme/Waschull, LPK-SGB X, 3. Aufl. 2010 § 44 Rn. 46).



Der Beitrag wurde erstellt von Willi 2, Mitarbeiter des Sozialrechtsexperten RA Ludwig Zimmermann sowie Autor des wöchentlichen Rechtsprechungstickers von Tacheles unter der Führung des Sozialreferenten Harald Thome.

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