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SGB II- Umgangsrecht erhöht Wohnraumbedarf - In Niedersachsen beträgt die angemessene Wohnraumfläche für eine Alleinerziehende mit Kind und einer temporärer im Haushalt lebenden Person, welche sich in der überwiegenden Zeit in einem Internat aufhält, 80 m² .

§ 22a SGB II, § 22b Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 SGB II

Sozialgericht Lüneburg Beschluss vom 26.07.2011, - S 45 AS 282/11 ER -

Im Anschluss an eine neuere Tendenz in der Rechtsprechung ist allerdings davon aus-zugehen, dass die Antragsteller sich nicht auf die Angemessenheitswerte eines Zwei-Personen-Haushalts verweisen lassen müssen.


Denn in der Wohnung der Antragstellerin hält sich zeitweilig neben dem Antragsteller zu 2. auch der Antragsteller zu 3. auf, und zwar überschlägig an jedem zweiten Wochenende sowie während der Schulferien, also insgesamt in etwa an einem Drittel der Tage im Jahresverlauf. Es ist daher vom Be-stehen einer sogenannten temporären Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 4 SGB II auszugehen (vgl. zu einer vergleichbaren Konstellation SG Dort-mund, Beschl. v. 28.12.2010 - S 22 AS 5857/10 ER - unter Verweis auf BSG, Urt. v. 07.11.2006 - B 7b AS 14/06 R -).

Der Annahme einer temporären Bedarfsgemeinschaft steht nicht entgegen, dass sich der Antragsteller zu 3. nur zeitweise in der Wohnung der Antragstellerin zu 1. aufhält. Es genügt nach der einschlägigen Rechtsprechung ein dau-erhafter Zustand in der Form, dass Kinder mit einer gewissen Regelmäßigkeit länger als einen Tag bei einem Elternteil wohnen, also nicht nur sporadische Besuche vorliegen (BSG, Urt. v. 02.07.2009 - B 14 AS 75/08 R -).


 Sind diese Voraussetzungen - wie hier - erfüllt, kann es auch keinen Unterschied machen, ob mehrere Kinder regelmäßig länger als einen Tag bei dem Elternteil wohnen oder ob es sich - wie hier - lediglich um ein Kind handelt. 19a) Der Annahme einer temporären Bedarfsgemeinschaft steht auch nicht ent-gegen, dass sich der Antragsteller zu 3. in der überwiegenden Zeit in einem Internat in Tauberbischofsheim aufhält. Zwar wurde diese Rechtsfigur vom Bundessozialgericht im Hinblick auf die Ausübung des Umgangsrecht getrennt lebender Eltern entwickelt. Doch diese Situation unterscheidet sich qualitativ nicht maßgeblich von dem vorliegenden Fall, in dem der Antragsteller zu 3. den überwiegenden Teil des Jahres in einem Internat ver-bringt, sich die übrige Zeit dagegen im Haushalt seiner Mutter aufhält. Es kommt lediglich darauf an, dass sich ein Kind nicht dauerhaft bei seinem im Leistungsbezug nach dem SGB II stehenden Elternteil aufhält und keinerlei anderweitige Leistungen zur Sicherung seines Lebensunterhalts erhält.


Wo sich das Kind dagegen in der restlichen Zeit befindet - ob bei dem anderen Elternteil, einer Schule oder einer sonstigen Einrichtung -, ist für die Frage nach dem Vorliegen einer zeitweisen Bedarfsgemeinschaft irrelevant. Eine hiervon abweichende Auslegung des § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II wäre mit der besonderen Förder-pflicht des Staates nach Artikel 6 Abs. 1 Grundgesetz nicht vereinbar (vgl. BSG, Urt. v. 02.07.2009 - B 14 AS 75/08 R -).

Dies hat inzwischen auch der Gesetzgeber erkannt und auf die neuere Rechtsprechung zum erhöhten Unterkunftsbedarf im Falle temporärer Bedarfsgemeinschaften reagiert. Dazu hat er in § 22b Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 SGB II nun-mehr bestimmt, dass eine Satzung nach § 22a SGB II den erhöhten Raumbedarf wegen der Ausübung des Umgangsrechts im Wege einer Sonderregelung berücksichtigen muss.

Es ist damit zu entscheiden, wie die angemessene Wohnungsgröße für eine temporäre Bedarfsgemeinschaft aus zwei dauerhaft im Haushalt lebenden Personen und einer tem-porärer im Haushalt lebenden Person rechnerisch zu bestimmen ist. Insofern kommt zum Einen in Betracht, die angemessene Wohnungsgröße danach zu ermitteln, wie häufig sich das Kind in der Wohnung aufhält, und den Bedarf entsprechend dem Verhältnis der monatlichen Anwesenheitstage des Kindes zu den Monatstagen zu erhöhen. Art. 6 Abs. 1 GG verlangt jedoch in den Fällen, in denen die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Elternteil und seinen Kindern durch regelmäßige Aufenthalte der Kinder bei diesem Elternteil aufrechterhalten werden, dass auch ein entsprechender Wohn- und Lebensraum zur Verfügung steht, innerhalb dessen dies möglich ist.
Es kann dann zur Ermittlung eines solchen Mindestmaßes an Wohn- und Lebensraum aber nicht darauf ankommen, an wie vielen Tagen im Monat ein Kind sich bei dem getrennt lebenden El-ternteil aufhält.

Das Gericht schließt sich demgegenüber - jedenfalls in der vorliegenden Konstellation eines Eilverfahrens - den Teilen der neuen Rechtsprechung an, die im Falle einer temporären Bedarfsgemeinschaft die für jedes temporär der Bedarfsgemeinschaft zuzurechnende Kind die Hälfte der Wohnfläche zu Grunde legt, die für ein weiteres Voll-mitglied der Bedarfsgemeinschaft anzusetzen wäre (vgl. SG Fulda, Urt. v. 27.01.2010 -S 10 AS 53/09 -; SG Kassel, Beschl. v. 23.06.2010 - S 6 AS 144/10 ER -, bestätigt durch Hessisches LSG, Beschl. v. 01.11.2010 - L 6 AS 441/10 B ER -).

Diese Vorgehensweise trägt dem berechtigten Einwand Rechnung, dass nicht in jedem Fall des Vorliegens einer temporären Bedarfsgemeinschaft für jedes Kind der volle zusätzliche Wohnflächenbedarf angesetzt werden kann, da dies im Vergleich zu sonstigen Hilfebedürftigen mit Kindern zu unbilligen Ergebnissen führen könnte. Sie berücksichtigt zugleich, dass bei einem hälf-tigen Aufenthalt der Kinder bei jedem Elternteil die Grenze dafür erreicht sein muss, bei-den Elternteilen den Wohnflächenbedarf für die gesamte temporäre Bedarfsgemeinschaft zuzusprechen, um eine trennungsbedingte Benachteiligung der Mitglieder der jeweiligen gemeinsamen Bedarfsgemeinschaft zu vermeiden. Darüber hinaus spricht für diesen Ansatz, dass er entgegen einer auf jeden Einzelfall abstellenden, tageweisen Betrach-tung für die Verwaltung praktikabel bleibt und am ehesten einer abstrakt-generellen Re-gelung in einer Satzung nach § 22a SGB II zugänglich ist.

Gemäß Ziffer 11.4 der WFB 2003 erhöht sich die angemessene Wohnfläche jedoch für Alleinerziehende und für jeden schwerbehinderten Menschen um jeweils weitere 10 m². Dies entspricht im Bereich oberhalb eines Zwei-Personen-Haushalts der Berücksichti-gung eines weiteren Haushaltsmitglieds, so dass zur Ermittlung der angemessenen Wohnfläche und der angemessenen Miete rechnerisch auf einen Dreieinhalb-Personen-Haushalt abzustellen ist, also 80 m² als angemessen zu betrachten sind.

Eine Begrün-dung für eine größere Wohnfläche bei Alleinerziehung ist, dass hier - anders als bei er-wachsenen Partnern - neben Räumlichkeiten für den Schlafbereich und den gemeinsa-men Wohnbereich auch ein zusätzliches Kinderzimmer vorhanden sein muss. Bis zu ei-ner geänderten höchstrichterlichen Rechtssprechung stützt sich die erkennende Kammer weiter auf Wohnraumförderungsbestimmungen, so dass für die Bedarfsgemeinschaft der Antragsteller 80 m² als angemessen anzusehen sind.

Nur dieses Verständnis ist im Übrigen mit der bereits erwähnten Neuregelung in § 22b Abs. 3 SGB II zu vereinbaren. Zu den dort geregelten Mehrbedar-fen, die eine Satzung nach § 22a SGB II zukünftig zu berücksichtigen haben wird, zählt nach der Gesetzesbegründung gerade auch der Bedarf wegen Alleinerziehung, der aus "allgemeinen sozialen Gründen vom typischen Bedarf abweicht" (BT-Drs. 17/3404, S. 102).

Der Beitrag wurde erstellt von Willi 2, Mitarbeiter des Sozialrechtsexperten RA Ludwig Zimmermann sowie Autor des wöchentlichen Rechtsprechungstickers von Tacheles unter der Führung des Sozialreferenten Harald Thome.

Kommentare

  1. Jede Kommune legt den § 22b Abs. 3 leider anders aus. Einige haben in den KDU´s einen Mehrraumbedarf bereits berücksichtigt, andere argumentieren, dass dieses nicht möglich ist solange keine Satzungsermächtigung im Bundesland gemacht wurde. Ohne Satzung kein Mehrbedarf heißt es bei uns im Landkreis. Also bleibt wieder nur der Klageweg.

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  2. Hab das Thema grad mit einer Kommune in Rheinland Pfalz. Das dort zuständige Familiengericht fordert ein eigenes Kinderzimmer als Vorraussetzung, um einer Übernachtung des Kindes in der Wohnung des umgangsberechtigten Elternteils zuzustimmen. Das zuständige Jobcenter hingegen verweigert den Mehrbedarf bei den KdU. Werde dagegen klagen.

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