Ein längerer Aufenthalt eines Hilfebedürftigen in einem Krankenhaus rechtfertigt für sich allein nicht eine abweichende Festlegung des Regelsatzes gem. 28 Abs. 1 S. 2 SGB XII a.F (jetzt § 27a Abs. 4 S. 1 SGB XII) .
So entschieden vom Sozialgericht Nürnberg mit Urteil vom 30.06.2011, - S 20 SO 54/10 - .
Nach Auffassung des SG Nürnberg ist hierbei zunächst festzustellen, dass zwischen dem SGB XII und dem SGB II kein Unterschied dergestalt besteht, dass im SGB XII der Individualisierungsgrundsatz gelten würde und im SGB II der Pauschalierungsgrundsatz.
Vielmehr ist durch das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27. Dezember 2003, infolgedessen das BSHG (Bundessozialhilfegesetz) durch das SGB XII abgelöst wurde, eine Neustrukturierung der Bedarfe und eine Neubemessung der Regelsätze erfolgt. Durch die Pauschalierung der meisten einmaligen Leistungen an Sozialhilfeempfänger, über die die Sozialhilfeverwaltung in der Vergangenheit im Einzelfall zu entscheiden hatte, und ihre Einbeziehung in die Regelsätze kam der Gesetzgeber Forderungen aus der Praxis, insbesondere der Sozialhilfeträger nach. Dadurch sollten zum einen detaillierte Bedarfsprüfungen und Einzelfallentscheidungen überflüssig gemacht werden und damit Auseinandersetzungen zwischen den Ämtern und den Leistungsberechtigten sowie Widerspruchs- und Gerichtsverfahren vermieden werden (vgl. u.a. BT-Drucks. 15/1514, S. 53).
Zum anderen sollte die Selbstverantwortung der Leistungsberechtigten gestärkt werden. Insbesondere obliegt es nunmehr den Leistungsberechtigten, einen Teil der monatlichen Leistungen anzusparen, um bei entstehendem Bedarf auch größere Anschaffungen zu tätigen (a.a.O, u.a. S. 50, 53). Infolge der Pauschalierung der Leistungsgewährung ist der Leistungsberechtigte nicht mehr im Einzelfall auf eine positive Entscheidung des Sozialhilfeträgers über einen geltend gemachten Bedarf angewiesen. Vielmehr kann und hat er nunmehr selbstverantwortlich zu bestimmen, welche Prioritäten er setzt, zur Deckung welcher Bedürfnisse er somit die pauschalierte finanzielle Unterstützung der staatlichen Gemeinschaft einsetzen möchte. Es ist ihm dadurch möglich, durch geschicktes und sparsames Haushalten oder Verzicht auf die Deckung bestimmter Bedürfnisse mehr Geld für andere Bedürfnisse zu haben.
Die Bemessung der Regelsätze erfolgt entsprechend § 29 SGB XII und orientiert sich an den Verbrauchsausgaben von Haushalten unterer Einkommensgruppen. Die ermittelten Regelsätze sollen nach Maßgabe des Gesetzes den durchschnittlichen Bedarf eines Leistungsberechtigten nach dem SGB XII, also den durchschnittlich notwendigen Lebensunterhalt abdecken. Somit geht das SGB XII, soweit es die Sicherstellung des laufenden Lebensunterhalts der Leistungsberechtigten (ohne Mehrbedarfe und Kosten für Unterkunft und Heizung) betrifft, - ebenso wie das SGB II und anders als das BSHG - grundsätzlich von einer Leistungsgewährung in pauschalierter Form (für das SGB XII siehe dazu u.a. Scheider in Schellhorn, SGB XII, § 28 Rn. 6 ff.) aus, und zwar in Form des Regebedarfes (vgl. § 20 SGB II (früher Regelleistung) und § 27a SGB XII (vormals § 28 SGB XII a.F.)).
Allerdings kann aufgrund von Besonderheiten im Einzelfall eine abweichende Bemessung des Regelsatzes erforderlich sein, um in verfassungskonformer Weise das menschenwürdige Existenzminimum zu gewährleisten und den notwendigen Lebensunterhalt des Leistungsberechtigten sicherzustellen und andererseits dem Individualisierungsgebot des § 9 Abs. 1 SGB XII Rechnung zu tragen. Hierzu dient die Öffnungsklausel des § 28 Abs. 1 S. 2 SGB XII, die eine Ausnahmeregelung zu S. 1 darstellt. Für den Bereich des SGB II hat der Gesetzgeber aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 mittlerweile in § 21 Abs. 6 SGB II eine § 28 Abs. 1 S. 2 SGB XII ähnelnde Härtefallregelung geschaffen, ohne allerdings wie im SGB XII eine Möglichkeit zur Absenkung des Regelbedarfs vorzusehen (siehe dazu Kalhorn in Hauck/Noftz, SGB II, § 21 Rn. 71). Damit hat er die Leistungssysteme SGB II und SGB XII noch stärker aneinander angeglichen.
Ausgehend von der beschriebenen gesetzgeberischen Konzeption ist allein der Umstand, dass sich ein Leistungsberechtigter nach dem SGB XII (vorübergehend) in einem Krankenhaus aufhält, nicht geeignet, eine abweichende Festsetzung des (pauschalen) Regelsatzes nach § 28 Abs. 1 S. 2 SGB XII a.F. (jetzt § 27a Abs. 4 S. 1 SGB XII) zu begründen. Denn wie ausgeführt orientiert sich die Bemessung des Regelsatzes am durchschnittlichen monatlichen Bedarf eines Leistungsempfängers nach dem SGB XII.
Eine Anwendung des § 28 Abs. 1 S. 2 SGB XII a.F. kommt somit nur in Betracht, wenn ein Sachverhalt vorliegt, demzufolge der durchschnittliche (individuelle) Bedarf des Leistungsempfängers nachweisbar vom durchschnittlichen Bedarf, der dem Regelsatz zu Grunde liegt, abweicht.
Inwieweit § 28 Abs. 1 S. 2 SGB XII a.F. grundsätzlich Fälle erfassen kann, in denen der Leistungsberechtigte von Dritten unentgeltlich Essen erhält (vgl. BT-Drucks. 15/1514, S. 59), lässt das Gericht dahingestellt.
Eine Anwendbarkeit des § 28 Abs. 1 S. 2 SGB XII a.F. könnte aber z.B. in Betracht kommen, wenn dem Leistungsberechtigten ein Leibgedinge mit freier Kost eingeräumt ist. Allerdings ist zu beachten, dass der Gesetzgeber an anderer Stelle (vgl. § 2 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 der Verordnung zur Durchführung des § 82 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch) die Gewährung von Kost als Einnahme, die nicht in Geld besteht, klassifiziert hat. Insofern fehlt es an einem klaren gesetzgeberischen Konzept, in welchem Umfang und gegebenenfalls nach welcher Vorschrift des SGB XII von Dritten zur Verfügung gestellte Sachleistungen, insbesondere Essen, als leistungsmindernd erfasst werden sollen (siehe dazu Bundessozialgericht vom 23. März 2010 - B 8 SO 17/09 R).
Im Übrigen kam eine abweichende Festsetzung des Regelsatzes auch deshalb nicht in Betracht, weil die (mutmaßliche) anderweitige Bedarfsdeckung (Gewährung von Verpflegung im Krankenhaus) nicht von einem Träger der Sozialhilfe als Leistung nach dem SGB XII erbracht wurde. Gemäß der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (a.a.O.) ist in diesem Fall § 28 Abs. 1 S. 2 SGB XII a.F. nicht einschlägig.
Zum einen erscheint es widersprüchlich, wenn sich die Beklagte bei der Kürzung des Regelsatzes des Leistungsempfängers auf den Individualisierungsgrundsatz beruft, gleichzeitig aber eine pauschale Kürzung vornimmt. Hier wäre vielmehr im einzelnen zu ermitteln, in welchem Umfang während des Krankenhausaufenthalts ein anderer, individueller Bedarf des Leistungsempfängers vorliegt, insbesondere in welchem Umfang möglichen Einsparungen (z.B. wegen kostenloser Verpflegung) zusätzliche Aufwendungen (höhere Preise für den Erwerb von Gegenständen des täglichen Bedarfs, also etwa Nahrungsmittel, Genussmittel, Kosmetika, Bücher und Zeitungen vor Ort, zusätzliche Kosten für Telefon o.ä.) gegenüberstehen (siehe dazu SG Detmold, Gerichtsbescheid v. 01.06.2010 - S 2 SO 74/10). Nur auf diese Weise könnte im Ergebnis ein abweichender individueller Regelsatz festgelegt werden.
Die Verpflegung im Krankenhaus war auch nicht leistungsmindernd als Einkommen (in Form des Sachbezuges) gemäß § 82 SGB XII zu berücksichtigen.
Anmerkung: 1. Sozialgericht Osnabrück Urteil vom 02.12.2010, - S 5 SO 177/09 -, Berufung zugelassen
Kein Einkommeneinsatz und keine abweichende Festlegung des Regelbedarfs wegen kostenlosem Mittagessen im Krankenhaus
2. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Urteil vom 23.02.2011, - L 12 SO 485/10 -
Vorinstanz: Sozialgericht Detmold, Gerichtsbescheid vom 01.06.2010, - S 2 SO 74/10 -,
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 12 SO 321/10 NZB, Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt am 28.06.2010, veröffentlicht im Rechtsprechungsticker von Tacheles 29/2010.
Regelsatzkürzung bei Sozialhilfeempfänger aufgrund von Krankenhausverpflegung ist rechtswidrig, wenn der Sozialhilfeträger keine individuellen Ermittlungen geführt hat , welche Aufwendungen tatsächlich durch den Krankenhausaufenthalt erspart worden sind (vgl. dazu BSG, Urteil vom 11.12.2007, B 8/9b SO 21/06 R).
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat mit Urteil vom 23.02.2011, - L 12 SO 485/10 - der Berufung statt gegeben und hat den Rechtsstreit gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 3 SGG an das Sozialgericht zurückverwiesen, um den Beteiligten keine Instanz zu nehmen.
Zitat: "Der Bedarf von Hilfesuchenden wird nach § 28 Abs. 1 Satz 1 nach Regelsätzen erbracht. Dieser Regelsatz betrug im Januar 2010 für eine Einzelperson 359,00 EUR im Monat. Nach § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII werden die Bedarfe abweichend festgelegt, wenn im Einzelfall ein Bedarf ganz oder teilweise anderweitig gedeckt ist. Dies könnte hier der Fall sein. Ob dies so ist und in welcher Höhe, wird vom Sozialgericht noch zu ermitteln sein.
Der Senat hält es für denkbar, dass bei einem Krankenhausaufenthalt von einem vollen Kalendermonat Einsparungen bis zu dem Betrag möglich sind, der im Regelsatz für Ernährung enthalten ist. Dies kann der von der Beklagten ermittelte Betrag von 125,65 EUR sein."
Dazu ein Beitrag vom Sozialrechtsexperten RA Ludwig Zimmermann im Nomos-Fachforum für Existenzsicherung
(…)In dem Urteil wird meines Erachtens nicht hinreichend diskutiert welche Art der Leistung die Krankhausverpflegung ist. Handelt es sich um Einkommen oder um eine anderweitige Deckung des Bedarfes und wie sind die beiden Formen der "Minderung" voneinander abzugrenzen? Das Landessozialgericht geht hier wohl davon aus, dass auch Einkommen welches in Natur geleistet wird unmittelbar zur Minderung des Regelbedarfes führen kann.
Ausgangpunkt ist die Regelung des § 28 Abs.1 S.2 SGB XII der zwei Tatbestandsalternativen aufweist:
1. wenn im Einzelfall ein Bedarf ganz oder teilweise anderweitig gedeckt ist oder
2. wenn er unabweisbar erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht, .
Hier kommt nur die erste Variante in Betracht (vgl, BSG, 11.12.2007 - B 8/9b SO 21/06 R Rn. 18).
Jegliches Einkommen kann den Bedarf mindern. Leistungen der Sozialhilfe werden nicht als Einkommen berücksichtigt (§ 82 Abs.1 SGB XII). Daher kann mit der Minderung des Bedarfes im Sinne der anderweitigen Deckung nur gemeint sein, dass es sich bei der anderweitigen Deckung des Bedarfes um eine Leistung der Sozialhilfe handeln muss (so m.E. richtig das BSG aaO Rn. 19).
http://www.existenzsicherung.de/forum/viewtopic.php?f=4&t=90
Der Beitrag wurde erstellt von Willi 2, Mitarbeiter des Sozialrechtsexperten RA Ludwig Zimmermann sowie Autor des wöchentlichen Rechtsprechungstickers von Tacheles unter der Führung des Sozialreferenten Harald Thome.
Nach Auffassung des SG Nürnberg ist hierbei zunächst festzustellen, dass zwischen dem SGB XII und dem SGB II kein Unterschied dergestalt besteht, dass im SGB XII der Individualisierungsgrundsatz gelten würde und im SGB II der Pauschalierungsgrundsatz.
Vielmehr ist durch das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27. Dezember 2003, infolgedessen das BSHG (Bundessozialhilfegesetz) durch das SGB XII abgelöst wurde, eine Neustrukturierung der Bedarfe und eine Neubemessung der Regelsätze erfolgt. Durch die Pauschalierung der meisten einmaligen Leistungen an Sozialhilfeempfänger, über die die Sozialhilfeverwaltung in der Vergangenheit im Einzelfall zu entscheiden hatte, und ihre Einbeziehung in die Regelsätze kam der Gesetzgeber Forderungen aus der Praxis, insbesondere der Sozialhilfeträger nach. Dadurch sollten zum einen detaillierte Bedarfsprüfungen und Einzelfallentscheidungen überflüssig gemacht werden und damit Auseinandersetzungen zwischen den Ämtern und den Leistungsberechtigten sowie Widerspruchs- und Gerichtsverfahren vermieden werden (vgl. u.a. BT-Drucks. 15/1514, S. 53).
Zum anderen sollte die Selbstverantwortung der Leistungsberechtigten gestärkt werden. Insbesondere obliegt es nunmehr den Leistungsberechtigten, einen Teil der monatlichen Leistungen anzusparen, um bei entstehendem Bedarf auch größere Anschaffungen zu tätigen (a.a.O, u.a. S. 50, 53). Infolge der Pauschalierung der Leistungsgewährung ist der Leistungsberechtigte nicht mehr im Einzelfall auf eine positive Entscheidung des Sozialhilfeträgers über einen geltend gemachten Bedarf angewiesen. Vielmehr kann und hat er nunmehr selbstverantwortlich zu bestimmen, welche Prioritäten er setzt, zur Deckung welcher Bedürfnisse er somit die pauschalierte finanzielle Unterstützung der staatlichen Gemeinschaft einsetzen möchte. Es ist ihm dadurch möglich, durch geschicktes und sparsames Haushalten oder Verzicht auf die Deckung bestimmter Bedürfnisse mehr Geld für andere Bedürfnisse zu haben.
Die Bemessung der Regelsätze erfolgt entsprechend § 29 SGB XII und orientiert sich an den Verbrauchsausgaben von Haushalten unterer Einkommensgruppen. Die ermittelten Regelsätze sollen nach Maßgabe des Gesetzes den durchschnittlichen Bedarf eines Leistungsberechtigten nach dem SGB XII, also den durchschnittlich notwendigen Lebensunterhalt abdecken. Somit geht das SGB XII, soweit es die Sicherstellung des laufenden Lebensunterhalts der Leistungsberechtigten (ohne Mehrbedarfe und Kosten für Unterkunft und Heizung) betrifft, - ebenso wie das SGB II und anders als das BSHG - grundsätzlich von einer Leistungsgewährung in pauschalierter Form (für das SGB XII siehe dazu u.a. Scheider in Schellhorn, SGB XII, § 28 Rn. 6 ff.) aus, und zwar in Form des Regebedarfes (vgl. § 20 SGB II (früher Regelleistung) und § 27a SGB XII (vormals § 28 SGB XII a.F.)).
Allerdings kann aufgrund von Besonderheiten im Einzelfall eine abweichende Bemessung des Regelsatzes erforderlich sein, um in verfassungskonformer Weise das menschenwürdige Existenzminimum zu gewährleisten und den notwendigen Lebensunterhalt des Leistungsberechtigten sicherzustellen und andererseits dem Individualisierungsgebot des § 9 Abs. 1 SGB XII Rechnung zu tragen. Hierzu dient die Öffnungsklausel des § 28 Abs. 1 S. 2 SGB XII, die eine Ausnahmeregelung zu S. 1 darstellt. Für den Bereich des SGB II hat der Gesetzgeber aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 mittlerweile in § 21 Abs. 6 SGB II eine § 28 Abs. 1 S. 2 SGB XII ähnelnde Härtefallregelung geschaffen, ohne allerdings wie im SGB XII eine Möglichkeit zur Absenkung des Regelbedarfs vorzusehen (siehe dazu Kalhorn in Hauck/Noftz, SGB II, § 21 Rn. 71). Damit hat er die Leistungssysteme SGB II und SGB XII noch stärker aneinander angeglichen.
Ausgehend von der beschriebenen gesetzgeberischen Konzeption ist allein der Umstand, dass sich ein Leistungsberechtigter nach dem SGB XII (vorübergehend) in einem Krankenhaus aufhält, nicht geeignet, eine abweichende Festsetzung des (pauschalen) Regelsatzes nach § 28 Abs. 1 S. 2 SGB XII a.F. (jetzt § 27a Abs. 4 S. 1 SGB XII) zu begründen. Denn wie ausgeführt orientiert sich die Bemessung des Regelsatzes am durchschnittlichen monatlichen Bedarf eines Leistungsempfängers nach dem SGB XII.
Eine Anwendung des § 28 Abs. 1 S. 2 SGB XII a.F. kommt somit nur in Betracht, wenn ein Sachverhalt vorliegt, demzufolge der durchschnittliche (individuelle) Bedarf des Leistungsempfängers nachweisbar vom durchschnittlichen Bedarf, der dem Regelsatz zu Grunde liegt, abweicht.
Inwieweit § 28 Abs. 1 S. 2 SGB XII a.F. grundsätzlich Fälle erfassen kann, in denen der Leistungsberechtigte von Dritten unentgeltlich Essen erhält (vgl. BT-Drucks. 15/1514, S. 59), lässt das Gericht dahingestellt.
Eine Anwendbarkeit des § 28 Abs. 1 S. 2 SGB XII a.F. könnte aber z.B. in Betracht kommen, wenn dem Leistungsberechtigten ein Leibgedinge mit freier Kost eingeräumt ist. Allerdings ist zu beachten, dass der Gesetzgeber an anderer Stelle (vgl. § 2 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 der Verordnung zur Durchführung des § 82 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch) die Gewährung von Kost als Einnahme, die nicht in Geld besteht, klassifiziert hat. Insofern fehlt es an einem klaren gesetzgeberischen Konzept, in welchem Umfang und gegebenenfalls nach welcher Vorschrift des SGB XII von Dritten zur Verfügung gestellte Sachleistungen, insbesondere Essen, als leistungsmindernd erfasst werden sollen (siehe dazu Bundessozialgericht vom 23. März 2010 - B 8 SO 17/09 R).
Im Übrigen kam eine abweichende Festsetzung des Regelsatzes auch deshalb nicht in Betracht, weil die (mutmaßliche) anderweitige Bedarfsdeckung (Gewährung von Verpflegung im Krankenhaus) nicht von einem Träger der Sozialhilfe als Leistung nach dem SGB XII erbracht wurde. Gemäß der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (a.a.O.) ist in diesem Fall § 28 Abs. 1 S. 2 SGB XII a.F. nicht einschlägig.
Zum einen erscheint es widersprüchlich, wenn sich die Beklagte bei der Kürzung des Regelsatzes des Leistungsempfängers auf den Individualisierungsgrundsatz beruft, gleichzeitig aber eine pauschale Kürzung vornimmt. Hier wäre vielmehr im einzelnen zu ermitteln, in welchem Umfang während des Krankenhausaufenthalts ein anderer, individueller Bedarf des Leistungsempfängers vorliegt, insbesondere in welchem Umfang möglichen Einsparungen (z.B. wegen kostenloser Verpflegung) zusätzliche Aufwendungen (höhere Preise für den Erwerb von Gegenständen des täglichen Bedarfs, also etwa Nahrungsmittel, Genussmittel, Kosmetika, Bücher und Zeitungen vor Ort, zusätzliche Kosten für Telefon o.ä.) gegenüberstehen (siehe dazu SG Detmold, Gerichtsbescheid v. 01.06.2010 - S 2 SO 74/10). Nur auf diese Weise könnte im Ergebnis ein abweichender individueller Regelsatz festgelegt werden.
Die Verpflegung im Krankenhaus war auch nicht leistungsmindernd als Einkommen (in Form des Sachbezuges) gemäß § 82 SGB XII zu berücksichtigen.
Anmerkung: 1. Sozialgericht Osnabrück Urteil vom 02.12.2010, - S 5 SO 177/09 -, Berufung zugelassen
Kein Einkommeneinsatz und keine abweichende Festlegung des Regelbedarfs wegen kostenlosem Mittagessen im Krankenhaus
2. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Urteil vom 23.02.2011, - L 12 SO 485/10 -
Vorinstanz: Sozialgericht Detmold, Gerichtsbescheid vom 01.06.2010, - S 2 SO 74/10 -,
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 12 SO 321/10 NZB, Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt am 28.06.2010, veröffentlicht im Rechtsprechungsticker von Tacheles 29/2010.
Regelsatzkürzung bei Sozialhilfeempfänger aufgrund von Krankenhausverpflegung ist rechtswidrig, wenn der Sozialhilfeträger keine individuellen Ermittlungen geführt hat , welche Aufwendungen tatsächlich durch den Krankenhausaufenthalt erspart worden sind (vgl. dazu BSG, Urteil vom 11.12.2007, B 8/9b SO 21/06 R).
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat mit Urteil vom 23.02.2011, - L 12 SO 485/10 - der Berufung statt gegeben und hat den Rechtsstreit gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 3 SGG an das Sozialgericht zurückverwiesen, um den Beteiligten keine Instanz zu nehmen.
Zitat: "Der Bedarf von Hilfesuchenden wird nach § 28 Abs. 1 Satz 1 nach Regelsätzen erbracht. Dieser Regelsatz betrug im Januar 2010 für eine Einzelperson 359,00 EUR im Monat. Nach § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII werden die Bedarfe abweichend festgelegt, wenn im Einzelfall ein Bedarf ganz oder teilweise anderweitig gedeckt ist. Dies könnte hier der Fall sein. Ob dies so ist und in welcher Höhe, wird vom Sozialgericht noch zu ermitteln sein.
Der Senat hält es für denkbar, dass bei einem Krankenhausaufenthalt von einem vollen Kalendermonat Einsparungen bis zu dem Betrag möglich sind, der im Regelsatz für Ernährung enthalten ist. Dies kann der von der Beklagten ermittelte Betrag von 125,65 EUR sein."
Dazu ein Beitrag vom Sozialrechtsexperten RA Ludwig Zimmermann im Nomos-Fachforum für Existenzsicherung
(…)In dem Urteil wird meines Erachtens nicht hinreichend diskutiert welche Art der Leistung die Krankhausverpflegung ist. Handelt es sich um Einkommen oder um eine anderweitige Deckung des Bedarfes und wie sind die beiden Formen der "Minderung" voneinander abzugrenzen? Das Landessozialgericht geht hier wohl davon aus, dass auch Einkommen welches in Natur geleistet wird unmittelbar zur Minderung des Regelbedarfes führen kann.
Ausgangpunkt ist die Regelung des § 28 Abs.1 S.2 SGB XII der zwei Tatbestandsalternativen aufweist:
1. wenn im Einzelfall ein Bedarf ganz oder teilweise anderweitig gedeckt ist oder
2. wenn er unabweisbar erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht, .
Hier kommt nur die erste Variante in Betracht (vgl, BSG, 11.12.2007 - B 8/9b SO 21/06 R Rn. 18).
Jegliches Einkommen kann den Bedarf mindern. Leistungen der Sozialhilfe werden nicht als Einkommen berücksichtigt (§ 82 Abs.1 SGB XII). Daher kann mit der Minderung des Bedarfes im Sinne der anderweitigen Deckung nur gemeint sein, dass es sich bei der anderweitigen Deckung des Bedarfes um eine Leistung der Sozialhilfe handeln muss (so m.E. richtig das BSG aaO Rn. 19).
http://www.existenzsicherung.de/forum/viewtopic.php?f=4&t=90
Der Beitrag wurde erstellt von Willi 2, Mitarbeiter des Sozialrechtsexperten RA Ludwig Zimmermann sowie Autor des wöchentlichen Rechtsprechungstickers von Tacheles unter der Führung des Sozialreferenten Harald Thome.
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