Direkt zum Hauptbereich

Verstößt die Neuregelung der Anrechnung von Elterngeld als Einkommen bei BezieherInnen von SGB II- und SGB XII-Leistungen gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG und das Sozialstaatsprinzip

Folgender Rechtsstreit wurde dem SG Marburg von den Klägern vorgelegt:

Die Kläger sind der Ansicht, dass der Bescheid rechtswidrig sei, weil in dem Bescheid das Elterngeld als Einkommen nach § 11 SGB II angerechnet werde.

Dies sei nicht richtig. Nach § 10 Abs. 1 BEEG sei das Elterngeld auf andere Sozialleistungen, die einkommensabhängig sind, nicht anzurechnen. Selbst bei Ermessensleistungen dürfe das Elterngeld nach § 10 Abs. 2 BEEG nicht berücksichtigt werden. Ausgenommen hiervon seien seit dem 01.01.2011 nur die BezieherInnen von Leistungen nach dem SGB II, dem SGB XII und dem Kinderzuschlag nach § 6a BKGG (§ 10 Abs. 5 Satz 1 BEEG). Die BezieherInnen von SGB II- und SGB XII-Leistungen seien also, wenn sie wegen der Kinderbetreuung nach § 1 BEEG Kindergeld erhalten, ohne vor der Geburt erwerbstätig gewesen zu sein, schlechter gestellt, als die BezieherInnen einer anderen einkommensabhängigen Sozialleistung, wie z.B. BAföG-Bezieher.

Die Neuregelung verstieße damit gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG und das Sozialstaatsprinzip. Der Gesetzgeber differenziere bei der Familienleistung Elterngeld zwischen den Eltern, und schließt die ärmsten Eltern und deren Kindern für die Förderung aus, ohne dass ein rechtfertigender Grund hierfür ersichtlich sei.

Mit Urteil vom 12.08.2011, - S 8 AS 169/11 -  hat das SG Marburg fest gestellt, dass der Rechtsstreit nicht nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen ist, da die Regelung des § 10 Abs. 5 BEEG nicht verfassungswidrig ist .


Denn das Elterngeld stellt  keine zweckbestimmte Einnahme im Sinne des § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II dar, da das Elterngeld nicht allein für die Unkosten der Betreuung des Kindes geleistet wird. Vielmehr hat das Elterngeld den Zweck, die Lebensgrundlage von Eltern und Kind zu decken.

Elterngeld unterfällt keinen der in § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II genannten Ausnahmen, ist somit anrechenbares Einkommen.

Zwar ist den Klägern zuzubilligen, dass die Anrechnung des Elterngeldes als Einkommen lediglich bei den in § 10 Abs. 5 S. 1 BEEG genannten Leistungsempfängern erfolgt und somit nicht bei allen einkommensabhängigen Sozialleistungen angerechnet wird. Eine Anrechnung des Elterngeldes erfolgt nicht bei z.B. BAföG-Empfängern und Wohngeldempfängern. Dies folgt aus § 21 Abs. 3 Nr. 4 BAföG in Verbindung mit § 1 Nr. 1f Rechtsverordnung zu § 21 BAföG, wenn ein Betrag von 300,00 EUR nicht überschritten wird. Die Nichtanrechnung des Elterngeldes im Rahmen der Wohngeldberechnung folgt aus § 14 Abs. 2 Nr. 6 WoGG.

Die Kläger sind der Ansicht, dass die Regelung des § 10 Abs. 5 S. 1 BEEG verfassungswidrig sei, da eine Ungleichbehandlung der in § 10 Abs. 5 BEEG genannten Leistungsempfänger zum Beispiel gegenüber BAföG-Empfängern und Wohngeldempfängern vorliege.

Nach Meinung des Gerichts steht die vom Gesetzgeber in § 10 Abs. 5 S. 1 BEEG getroffene Regelung mit Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG in Einklang . Die unterschiedliche Behandlung von zum Beispiel Arbeitslosengeld I-, BAföG, und Wohngeldempfängern und des in § 10 Abs. 5 S.1 BEEG genannten Personenkreises liegt zum einen in der Art der bezogenen Sozialleistung und zum anderen in der Nähe zur Berufstätigkeit.

Hinsichtlich der unterschiedlichen Behandlung von Empfängern von Arbeitslosengeld I und den Empfängern von Leistungen nach dem SGB II, dem SGB XII und § 6a des Bundeskindergeldgesetzes ist zu berücksichtigen, dass es sich bei den in § 10 Abs. 5 S. 1 BEEG um steuerfinanzierte Leistungen handelt, während das Arbeitslosengeld I eine Versicherungsleistung darstellt.

Ebenfalls keine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG kann die Kammer darin erblicken, dass im Rahmen der Wohngeldberechnung das Elterngeld bis zu einer Höhe von 300,00 EUR nicht berücksichtigt wird. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Wohngeldempfänger über eigenes Einkommen verfügen, was aber nicht zur Deckung des Lebensunterhaltes ausreicht, weshalb Leistungen zur Deckung der Kosten der Unterkunft gewährt werden. Es ist zu beachten, dass die Einkommens- und Vermögensanrechnung der Leistungsgewährung nach dem WoGG und nach dem SGB II unterschiedlich ist (vgl.§§ 15 ff WoGG und §§ 11 -11 b SGB II).

Problematisch ist die Regelung des § 10 Abs. 5 BEEG für die Personengruppe, die einer Erwerbstätigkeit nachgeht bzw. Arbeitslosengeld I erhält, und die aus vielfältigen Gründen (wie Höhe des Entgeltes/ Sozialleistung, Größe der Bedarfsgemeinschaft, Höhe der Kosten der Unterkunft) den bestehenden Bedarf nicht aus dem Erwerbseinkommen oder der Sozialleistung decken kann. Bei Bezug von Arbeitslosengeld I und Wohngeld würde eine Anrechnung nach § 10 Abs. 1 BEEG i.V.m. § 14 Abs. 2 Nr. 6 WoGG nicht erfolgen. Im Fall einer Erwerbstätigkeit und einem bestehenden ergänzenden Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II würde das Elterngeld jedoch Anrechnung finden.

Die Kammer teilt ebenfalls nicht die Ansicht der Kläger, dass die Anrechnung des Elterngeldes als Einkommen Art. 6 Abs. 1 GG verletzt. Art. 6 Abs. 1 GG bestimmt, dass Ehe und Familie unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung stehen. Art. 6 Abs. 1 GG begründet eine Schutz- und Förderungspflicht des Staates gegenüber Ehe und Familie (Leibholz/ Rinck, Grundgesetz-Kommentar, Band 1, Art. 6 Rn. 71 ff.).

Der Beitrag wurde erstellt von Willi 2, Mitarbeiter des Sozialrechtsexperten RA Ludwig Zimmermann sowie Autor des wöchentlichen Rechtsprechungstickers von Tacheles unter der Führung des Sozialreferenten Harald Thome.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Zu: SG Nürnberg - Sind die Einladungen der Jobcenter nichtig? Folgeeinladungen der Jobcenter wegen einem Meldeversäumnis sind nichtig und unwirksam

sozialrechtsexperte: Nürnberg: Sind die Einladungen der Jobcenter nichtig? Hier der Ausgang, wie er nicht anders zu erwarten war: Ausgang des Verfahrens S 10 AS 679/10 wegen Nichtigkeit von Meldeaufforderungen « Kritische Standpunkte Dazu Anmerkungen von Detlef Brock, Teammitglied des Sozialrechtsexperten: SG Nürnberg v. 14.03.2013 - S 10 AS 679/10 Eigener Leitsatz 1. Folgeeinladungen des Jobcenters wegen einem Meldeversäumnis sind - nichtig und unwirksam, weil  § 309 SGB III keine Rechtsgrundlage dafür ist, Hilfeempfänger die Pflicht zum Erscheinen zu einer Anhörung zu Tatbeständen einer beabsichtigen Sanktion aufzuerlegen. 2. Eine Folgeeinladung ist zu unbestimmt, weil der genannte Inhalt der Meldeaufforderung nicht als gesetzlicher Meldezweck im Sinne des Katalogs des § 309 Abs. 2 SGB III ausgelegt werden kann.

Kann ein Leistungsbezieher nach dem SGB II für seinen unangemessenen Stromverbrauch keine Gründe benennen, muss das Jobcenter seine Stromschulden nicht übernehmen.

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 22 Abs. 8 des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch (SGB II). Danach können Schulden übernommen werden, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden und soweit die Schuldübernahme zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertig und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Vermögen nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II ist vorrangig einzusetzen. Geldleistungen sollen als Darlehen gewährt werden.  Die Rechtfertigung der Schuldenübernahme ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, in den auch Billigkeitserwägungen einfließen (Beschluss des erkennenden Senats vom 2. Juni 2009 – L 14 AS 618/09 B ER). Mit rechtskräftigem Beschluss vom 23.09.2011 hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg , - L 14 AS 1533/11 B ER - geurteilt, dass Gründe für einen "unangemessenen" Stromverbrauch in einem einstwe

Zur Frage, wer für die Kosten der Entrümpelung, Grundreinigung und Renovierung der Wohnung eines Messie zuständig ist

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 08.03.2012, - L 13 AS 22/12 B ER - 1. Der Bedarf eines Hilfesuchenden, der aus einem Fehlgebrauch der Wohnung herrührt (Messie), gehört nicht zum Bedarf für Unterkunft und Heizung iSd § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. 2. Ebenso ist eine notwendige Grundreinigung und Renovierung einer Messie - Wohnung eher nicht auf der Grundlage von §§ 24 Abs. 1 Satz 1, 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II zu regeln. 3. Als Anspruchsgrundlage für das Aufräumen einer Messie-Wohnung kommt § 67 SGB XII i.V.m. § 4 der Verordnung zu § 69 SGB XII in Betracht, wobei die Entscheidung über Art und Maß der Hilfeleistung im pflichtgemäßen Ermessen des Leistungsträgers steht. http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml;jsessionid=445EF403A69158C8FFF6888A88310D59.jp84?doc.id=JURE120006139&st=null&showdoccase=1&paramfromHL=true#focuspoint