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Hartz IV - Empfängerin sitzt seit dem 12. Mai 2011 im Dunkeln - Stromsperre - Keine Übernahme der Stromschulden

Nach Rechtsauffassung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg,  Beschluss vom 08.08.2011, - L 5 AS 1097/11 B ER -  hat hinsichtlich des Antrages auf vorläufigen Rechtsschutz die Antragstellerin, die laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bezieht und deren Stromversorgung wegen der bestehenden Stromschulden bereits seit dem 12. Mai 2011 gesperrt ist, einen Anordnungsanspruch mit der für die Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit nicht glaubhaft gemacht (§§ 86b Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG], 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung

Nach § 22 Abs. 8 SGB II können auch Schulden übernommen werden, sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird und soweit die Schuldenübernahme zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist.

Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Vermögen nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II ist vorrangig einzusetzen. Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden.

Die Regelung des § 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II, der bei Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen vorsieht, dass die Schuldenübernahme erfolgen "soll", also nur in atypischen Fällen versagt werden darf, ist im vorliegenden Verfahren nicht anwendbar.

Ein Fall der drohenden Wohnungslosigkeit im Sinne der genannten Vorschrift liegt nicht vor, da das Mietverhältnis durch die Unterbrechung der Stromversorgung nicht beeinträchtigt wird.

Vielmehr liegt darin eine mit der Sicherung der Unterkunft vergleichbare Notlage im Sinne des § 22 Abs. 8 Satz 1 SGB II (vgl. Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 27. Dezember 2010, L 3 AS 557/10 B ER; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. Juli 2009, L 34 AS 1090/09 B ER; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28.05.2009, L 7 AS 546/09 B ER, Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12.12.2008, L 7 B 384/08 AS).

Es kann offen bleiben, ob die begehrte Schuldenübernahme bereits daran scheitert, dass sie nicht gerechtfertigt ist.

Jedenfalls ist das durch § 22 Abs. 8 Satz 1 SGB II eröffnete Ermessen nicht dahingehend auf Null reduziert, dass eine Schuldenübernahme vorgenommen werden muss.

 Die Antragstellerin muss sich entgegenhalten lassen, dass sie ihre Lage zumin-dest mitverschuldet und nicht alle Selbsthilfemöglichkeiten ausgeschöpft hat (vgl. Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 2. Mai 2011, L 6 AS 241/10 B ER; Lan-dessozialgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 27. Dezember 2010, L 3 AS 557/10 B ER; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 4. September 2009, L 13 AS 252/09 B ER).

Soweit sich die Antragstellerin auch insoweit auf das bereits erwähnte Attest vom 7. Juli 2011 stützt, als daraus hervorgeht, dass wegen der fehlenden Stromversorgung eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu erwarten sei, führt auch das nicht zu einer Ermessenreduzierung auf Null.

Abgesehen davon, dass die Auswirkungen der möglichen Verschlechterung unklar sind, gehört es in Fällen wie dem vorliegenden, in denen gesundheitliche Auswirkungen einer Stromsperre behauptet werden, auch zur Selbsthilfepflicht, dass sich der Hilfesuchende bei dem Stromversorger unter Bezug-nahme auf § 19 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Elektrizität aus dem Niederspannungsnetz (Stromgrundversorgungsverordnung) vom 26. Oktober 2006 (BGBl. I S. 2391, 2395) um eine Aufhebung der Stromsperre bemüht, und zwar notfalls auch unter Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes bei dem zuständigen Zivilgericht (Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 2. Mai 2011, L 6 AS 241/10 B ER), was die Antragstellerin jedoch bisher unterlassen hat.


Anmerkung: Zum Anspruch auf Übernahme von Energieschulden nach § 34 Abs. 1 SGB XII a.F. und § 22 Abs. 5 SGB II a. F. jetzt § 22 Abs. 8 SGB II und § 36 SGB XII

Dirk Berendes*Der Verfasser ist Richter am Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen.
 Quelle: info also 4/2008, S. 151-154

Zivilrechtlicher Eilrechtsschutz

Hierzu wird vertreten, der Leistungsberechtigte habe alle rechtlichen Möglichkeiten zu ergreifen, um eine drohende oder verhängte Energiesperre zu vermeiden oder aufzuheben. Lägen die Voraussetzungen zur Verhängung einer Liefersperre nicht vor, könne sich der Leistungsberechtigte selbst (zivil)gerichtlich erfolgreich gegen eine solche Sperre wehren. Eine Übernahme von Energiekostenrückständen scheide dann wegen vorrangiger Selbsthilfemöglichkeiten aus.23

Soweit hiergegen vorgebracht wird, ein solches Vorgehen des Leistungsberechtigten gegen seinen Versorgungsträger sei deshalb nicht erforderlich, weil er ansonsten für einen unvertretbar langen Zeitraum auf die Energielieferung verzichten müsse,24 überzeugt dies wegen der Möglichkeit, zivilrechtlichen Eilrechtsschutz in Anspruch zu nehmen, nicht. Vielmehr sind als bereite Mittel zur Selbsthilfe im Sinne des § 2 Abs. 1 SGB XII auch solche Ansprüche berücksichtigungsfähig, deren gerichtliche Durchsetzung insbesondere im Wege der einstweiligen Verfügung im Zivilrechtsweg alsbald durchsetzbar, also zeitnah realisierbar ist.25

Grundsätzlich ist es damit denkbar, den Leistungsberechtigten vor der Übernahme von Energieschulden darauf zu verweisen, zivilrechtlich gegen die Energiesperre vorzugehen. Dies erscheint allerdings dem Leistungsberechtigten auch vor dem Hintergrund des in der Zivilgerichtsbarkeit bestehenden Kostenrisikos bei Unterliegen nur dann zumutbar, wenn er mit überwiegender Erfolgswahrscheinlichkeit vor dem Amtsgericht gegen die (drohende) Energiesperre vorgehen kann. Insoweit ist schon zweifelhaft, dass eine verhängte Energiesperre überhaupt in vielen Fällen rechtswidrig ist.26 Denn bereits die zivilgerichtliche Praxis zeigt, dass von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Obsiegens des säumigen Kunden in einem Prozess gegen seinen Energieversorger betreffend eine Energiesperre kaum auszugehen ist.27

Überdies dürfte es einem nach SGB XII oder SGB II Leistungsberechtigten angesichts der komplexen energierechtlichen Regelungen28 kaum möglich sein, die Erfolgsaussichten der Inanspruchnahme zivilrechtlichen Eilrechtsschutzes gegen eine Stromsperre abzuschätzen. Im Hinblick auf die deshalb jedenfalls aus Sicht des Leistungsberechtigten ungewisse Erfolgsaussicht zivilrechtlichen Rechtsschutzes ist ihm deshalb auch im Hinblick auf das damit verbundene Prozesskostenrisiko die vorrangige Inanspruchnahme derartigen Eilrechtsschutzes gegen die (angedrohte) Stromsperre nicht zumutbar.

Anmerkung: LSG NRW L 7 B 251/07 AS ER vom 02.04.2008 , Beschluß rechtskräftig

Der Auffassung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 02.04.2008 - L 7 B 251/07 AS ER, folgend, kann ein Bezieher von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende bei drohender Stromsperre nicht ausnahmslos vorrangig auf die Inanspruchnahme zivilrechtlichen Rechtsschutzes verwiesen werden. Im Mittelpunkt des Handels des Leistungsträgers müsse vielmehr die Abwendung des drohenden Verlustes der Energieversorgung stehen.

Eine Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitsuchenden entbindet den Grundsicherungsträger nicht von seiner durch § 17 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) begründeten prozeduralen Förderungspflicht. Denn gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB I hat ein Leistungsträger darauf hinzuwirken, dass jeder Berechtigte die ihm zustehenden Leistungen insbesondere umfassend und zügig erhält.

 Der Grundsicherungsträger darf den Arbeitsuchenden somit nicht pauschal darauf verweisen, er möge hinsichtlich rückständiger Energiekosten in eigener Verantwortung zivilgerichtlichen Eilrechtsschutz in Anspruch nehmen. Der Grundsicherungsträger muss vielmehr - durch flankierende Beratung o.ä. - dafür Sorge tragen, dass dem Arbeitsuchenden nur ein solches Maß an Mitwirkung abverlangt wird, das objektiv und subjektiv zumutbar ist. Dem entspricht es nicht, einen Arbeitsuchenden, dem es regelmäßig an Erfahrungen auf dem Gebiet des zivilgerichtlichen Eilrechtsschutz fehlt, pauschal und ohne das Angebot von (ggf. auch rechtsanwaltlicher) Beratung und Hilfestellung auf diese besondere Form des gerichtlichen Rechtsschutzes zu verweisen. Im Übrigen muss sichergestellt sein, dass der zivilgerichtliche Rechtsschutz auch aus zeitlicher Sicht geeignet ist, den drohenden Verlust der Energieversorgung in der eigenen Wohnung abzuwenden.


Der Beitrag wurde erstellt von Willi 2, Mitarbeiter des Sozialrechtsexperten RA Ludwig Zimmermann sowie Autor des wöchentlichen Rechtsprechungstickers von Tacheles unter der Führung des Sozialreferenten Harald Thome.

Kommentare

  1. Nur das der Energieversorger verpflichtet ist, Strom zu liefern, hat das Sozialgericht nicht bedacht. Es ist schon ein Graus, dass Richter zwischen dem Unterschied der Pflicht zur Lieferung und der Pflicht zur Zahlung nicht unterscheiden können.

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  2. Wenn man die Entscheidung ließt, fragt man sich, warum sich da keiner darum richtig kümmert. Die Frau leidet seit Oktober 2010 an einer mittelschweren Depression. Hat denn keiner der Richter einmal nachgeprüft, ob die Frau überhaupt noch in der Lage ist, ihre Angelegenheiten sachgerecht zu lösen. Die enge Auslegung des § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II scheint mir auch nicht geboten zu sein. Hat die Frau einen Kohleherd auf dem sie kocht?

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  3. "ob die Frau überhaupt noch in der Lage ist, ihre Angelegenheiten sachgerecht zu lösen" - Sie meinen einen Hinweis an das Betreuungsgericht, damit dieses die Einsetzung eines Betreuers prüft, der dann das Vermögen (also das eingehende AlG II) der Frau verwaltet?

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  4. Das Depressionen und deren Auswirkungen von Sozialgerichten weitgehend ignoriert werden, obwohl es sich dabei um keineswegs seltene und unbekannte Problematiken handelt, ist ein Skandal an sich. So verwundern mich derartige Entscheidungen nicht mehr. Es wird gerne den Betroffenen zugemutet Problematiken selbst zu lösen, die selbst gesunde Menschen ohne ausreichende juristische Erfahrungen vor Probleme stellen.

    Hier wird vor allem eines auch vergessen: Die vom BVerfG schon vor Jahren eingeforderte Pflicht der Sozialgerichtsbarkeit sich schützend vor die Leistungsbezieher zu stellen.

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