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Gegen den Beschluss ist keine Beschwerde möglich, wenn der Beschwerdewert nicht erreicht wird.Auch nach der Neufassung des § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG zum 11. August 2010 ist daran festzuhalten, dass die Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe bei Nichterreichen des Berufungswertes unzulässig ist.

Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Beschluss vom 06.05.2011, - L 5 AS 100/11 B -

Der Kläger hat u.a. unter Bezug auf die Rechtsprechung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (Beschluss vom 19. Januar 2011, L 7 AS 4623/10 B) ergänzend ausgeführt:


Gerade mit der Neufassung des § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG habe der Gesetzgeber inhaltlich klargestellt, dass der Beschwerdeausschluss wegen Nichtüberschreitens des Beschwerdewertes nur für Entscheidungen über einen Prozesskostenhilfeantrag im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens gelte, nicht jedoch im Rahmen von Klageverfahren. Etwas Anderes könne der Gesetzgeber auch im Hinblick auf die Rechtssicherheit nicht gewollt haben. Nach anderer Auffassung wäre der Leistungsempfänger nach dem SGB II, der richtigerweise auf den Rechtsweg zum Sozialgericht verwiesen werde, erheblich benachteiligt und in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz verletzt, da sich die Streitwerte in diesen Verfahren regelmäßig unterhalb der Berufungsgrenze bewegten. Wenn wegen der Höhe des fiktiven Streitwertes eine Überprüfung der Entscheidung im Prozesskostenhilfeverfahren nicht möglich sei, würde dem Leistungsempfänger faktisch die Möglichkeit zur Überprüfung seines Leistungsanspruches genommen. Eine Überprüfung einer ablehnenden Prozesskostenhilfeentscheidung könne nur dann abgelehnt werden, wenn streitgegenständlich nur ein einstelliger Eurobetrag für die Dauer von längstens sechs Monaten sei. Dies ergebe sich aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), wonach bei einem Streit um Grundsicherungsleistungen regelmäßig von einer überdurchschnittlichen Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger auszugehen sei (BSG, Urteil vom 1. Juli 2009, B 4 AS 21/09 R).

Nach der bis zum 31. März 2008 geltenden Rechtslage war gemäß § 73a SGG i. V. m. § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO die Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe grundsätzlich statthaft, es sei denn, der maßgebliche Beschwerdewert wurde nicht überschritten. Ausnahmsweise war die Beschwerde aber in diesem Fall doch zulässig, wenn ausschließlich die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint wurden. Mit Wirkung zum 1. April 2008 ist mit der Einführung von § 172 Abs. 3 Ziffer 2 SGG die Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe - unabhängig vom Wert des Beschwerdewerts - nunmehr "zusätzlich" und damit immer ausgeschlossen worden, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen verneint (so auch: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. Juli 2008, L 12 B 18/07 AL, Rn. 25).


Daher ist seit dem 1. April 2008 die Beschwerde bei einem Wert des Beschwerdegegenstandes über 750,00 EUR nur noch zulässig, wenn Prozesskostenhilfe (auch) wegen mangelnder Erfolgsaussicht abgelehnt worden ist. Dies folgt aus § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 2 Satz 2 erster Halbsatz ZPO. Das gleiche gilt, wenn wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr im Sinne von § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG im Streit sind. Die Beschwerde ist hingegen ausgeschlossen, wenn das Gericht in diesen Fällen ausschließlich die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen verneint (vgl. zur Begründung ausführlich den Beschluss des erkennenden Senats vom 20. Februar 2009, L 5 B 305/08 AS und L 5 B 304/08 AS).

Soweit der Kläger auf die Rechtsmeinung des LSG Baden-Württemberg (L 7 AS 4623/10 B) Bezug nimmt, folgt der Senat dieser nicht. Sein Schluss, der Gesetzgeber habe durch die Neufassung des § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG inhaltlich klargestellt, dass der Beschwerdeausschluss wegen Nichtüberschreitens der Beschwerdewertgrenze nur für Entscheidungen des einstweiligen Rechtsschutzes gelten soll, nicht dagegen für Klageverfahren, überzeugt nicht. Zur Begründung beruft sich der Kläger mit dem LSG Baden-Württemberg auf eine Anregung des Bundesrates, zur Vorbeugung von Missverständnissen den Ausschluss der Beschwerde gegen die Ablehnung eines Antrags auf Prozesskostenhilfe in § 172 Absatz 3 Nummer 1 SGG – wie vorgeschlagen in Anlehnung an § 127 Absatz 2 Satz 2 ZPO – zu präzisieren. Der Bundesrat führte zur Begründung wörtlich aus:

"§ 172 Absatz 3 Nummer 1 SGG-E bestimmt, dass die Beschwerde ausgeschlossen ist "in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, wenn in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre; dies gilt auch für Entscheidungen über einen Prozesskostenhilfeantrag im Rahmen dieser Verfahren". Diese Regelung ist missverständlich, denn in Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob die Beschwerde auch dann ausgeschlossen ist, wenn die Berufung in der Hauptsache nicht kraft Gesetzes ohne Weiteres zulässig wäre, sondern erst noch der Zulassung bedürfte (so der 8. Senat des LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 29. September 2008 – L 8 SO 80/08 ER –, Juris = Nds. Rpfl. 2009, S. 74), oder ob bei der Prüfung des Beschwerdeausschlusses neben dem Wert des Beschwerdegegenstandes auch die Zulassungsgründe des § 144 Absatz 2 SGG heranzuziehen sind (so der 6. Senat des LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 21. Oktober 2008 – L 6 AS 458/08 ER –, Juris = Nds. Rpfl. 2009, S. 32).

Mit der Beschränkung auf "im Rahmen dieser Verfahren" gilt der Ausschluss der Beschwerde gegen die Ablehnung eines Antrags auf Prozesskostenhilfe zudem nur in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, wenn in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre; in dem Klageverfahren dürfte gegen die Ablehnung eines Antrags auf Prozesskostenhilfe die Beschwerde nach § 172 Absatz 3 Nummer 1 SGG jedoch nicht unzulässig sein. Diese Frage ist in der Rechtsprechung bislang ebenfalls heftig umstritten (vgl. zum Meinungsstand: Bayerisches LSG, Beschluss vom 10. Dezember 2009 – L 7 AS 563/ 09 B PKH –, Juris Rn. 6 ff.; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 6. Januar 2010 – L 2 R 527/09 B –, Juris Rn. 17 m. w. N.; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 29. März 2010 – L 6 AS 122/10 B –, Juris Rn. 12 ff.; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 73a Rn. 12b). Mit der Neuregelung bliebe das Pro-blem bestehen, dass in Hauptsacheverfahren ge- gen die Ablehnung eines Antrags auf Prozesskostenhilfe weitergehende Rechtsschutzmöglichkeiten bestehen als in dem Klageverfahren selbst."

Es ist richtig, dass die Bundesregierung eine Prüfung des Einwandes zusagte, das Gesetz aber entsprechend des Entwurfs ohne Änderungen in Kraft trat. Allein daraus lässt sich jedoch nicht schließen, dass der Gesetzgeber die Prozesskostenhilfebeschwerde in Klageverfahren unterhalb des Beschwerdewerts von 750,00 EUR (weiterhin) für zulässig gehalten hätte (so auch: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Dezember 2010, L 34 AS 2182/10 B PKH; Beschluss vom 29. Oktober 2010, L 25 B 2246/08 AS PKH; Beschluss vom 27. September 2010, L 20 AS 1602/10 B PKH; Sächsisches LSG, Beschluss vom 6. Dezember 2010, L 1 AL 212/09 B PKH; Hessisches LSG, Beschluss vom 4. Oktober 2010, L 7 AS 436/10 B; Bayerisches LSG, Beschluss vom 27. September 2010, L 9 AL 133/10 B PKH; Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 3. September 2010, L 11 AS 146 und 152/10, alle recherchiert über juris). Angesichts der von den Landessozialgerichten vor der Gesetzesänderung überwiegend vertretenen Auffassung hätte es dann vielmehr nahegelegen, anlässlich der Gesetzesänderung eine ausdrückliche Regelung dahin gehend aufzunehmen, dass die Beschwerde in Klageverfahren ausdrücklich zugelassen ist. Dies ist aber nicht erfolgt.

Für das Klageverfahren hatte der Gesetzgeber durch die Neufassung des § 127 Abs. 2 ZPO den Konvergenzgedanken bereits manifestiert. Er hat in seiner Begründung ausgeführt (BT-Drs. 14/163, S. 14):

"In Rechtsprechung und Literatur ist seit langem umstritten, ob die Zulässigkeit einer Beschwerde in Fällen sachlicher Nebenentscheidungen nach § 91a Abs. 2, § 99 Abs. 2 und § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO davon abhängt, daß in der Hauptsache ein Rechtsmittel zulässig wäre. Ein Teil der Rechtsprechung wendet in diesen Fällen den Konvergenzgedanken an und hält deshalb eine Beschwerde nur für zulässig, wenn nicht nur der Beschwerdewert erreicht ist, sondern auch die fiktive Rechtsmittelgrenze gemäß § 511a Abs. 1 ZPO überschritten würde. Ob eine derartige Zulassungsbeschränkung von Rechtsmitteln im Wege der Interpretation möglich ist, ist im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Prozeßkostenhilfe im Asylverfahrensrecht fraglich (vgl. BVerfGE 78, 88). Der Konvergenzgedanke sollte deshalb in den genannten Fällen gesetzlich geregelt werden, um den Rechtsmittelausschluß auf eine sichere Grundlage zu stellen.

Aus Sachgründen ist der Rechtsmittelausschluß angezeigt. Stellt der Gesetzgeber nämlich für die Hauptsacheentscheidung nur eine Instanz zur Verfügung, so besteht kein Grund für die wirtschaftlich weniger bedeutsame Nebenentscheidung, die im Regelfall im Zusammenhang mit der Hauptsacheentscheidung getroffen wird, einen weitergehenden Instanzenzug zu eröffnen. Bei PKH-Sachen greift die Beschränkung des Beschwerderechtszuges nur für die Frage der Beurteilung der Erfolgsaussichten."


Die Anwendung dieses Gedankens auch für sozialrechtliche Klageverfahren hatte der Gesetzgeber bereits sichergestellt durch die Verweisungsvorschrift des § 73a SGG. Für andere als Klageverfahren hat die Zivilgerichtsbarkeit den Konvergenzgedanken des § 127 Abs. 2 ZPO analog angewendet. So hat der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 23. Februar 2005 (Az.: XII ZB 1/03, Juris) entschieden, eine Beschwerde gegen eine PKH-Entscheidung sei nicht zulässig in Verfahren (dort einstweilige Anordnungen nach §§ 620, 620c, 644 ZPO (nunmehr §§ 49, 57 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit [FamFG])), in denen die Entscheidung in der Hauptsache nicht anfechtbar ist. Eine ausdrückliche Regelung für die Behandlung von Prozesskostenhilfeverfahren in Verfahren der rechtswegbeschränkten einstweiligen Anordnung fehlte sowohl in der ZPO als auch bis zum 11. August 2010 im SGG.

 Die Verweisung des § 73a SGG auf § 127 ZPO führte mithin nicht zum vom Gesetzgeber geäußerten Willen, die Konvergenz auch in sozialgerichtlichen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sicherzustellen. Es bedurfte insoweit einer gesetzlichen Regelung, zumal in der Rechtsprechung und Literatur diese Rechtsfrage umstritten war.

https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=143897&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=


Der Beitrag wurde erstellt von Willi 2, Mitarbeiter des Sozialrechtsexperten RA Ludwig Zimmermann sowie Autor des wöchentlichen Rechtsprechungstickers von Tacheles unter der Führung des Sozialreferenten Harald Thome.

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