Jobcenter muss einer alleinerziehenden Mutter, welche völlig mittellos bis vor kurzem noch in einer Notunterkunft untergebracht war, die Mietkaution als Zuschussleistung zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Bedarfsunterdeckung erbringen
So die Rechtsauffassung des Sozialgericht Berlin, Urteil vom 22.02.2013 - S 37 AS 25006/12
1. Durch die "Soll"-Formulierung in § 22 Abs 6 SGB 2 ist den Jobcentern die Befugnis eingeräumt, für außergewöhnliche Sachverhalte (atypische Fallgestaltungen) die vom Vermieter geforderte Mietsicherheit auch auf andere Weise als durch ein Mietkautionsdarlehen - etwa durch einen Zuschuss mit Rückerstattungsverpflichtung und Abtretungserklärung - an den Leistungsberechtigten zu erbringen.
2. Die Kürzung des Regelbedarfs um 10 v.H. gemäß § 42a Abs 2 S 1 SGB 2 über einen nicht nur vorübergehenden Zeitraum hinweg setzt den Empfänger eines Mietkautionsdarlehens nach § 22 Abs 6 SGB 2, der eine Wohnung aus dem Zustand völliger Mittellosigkeit bei Unterbringung in einem Notquartier bezogen hat und weder über Zusatzeinkommen noch zukunftsnahe Erwerbschancen verfügt, einer Situation aus, die das Bundesverfassungsericht (BVerfG) bewogen hatte, einen Sonderbedarf als unabdingbare Zusatzleistung zum Regelbedarf vorzusehen (vgl BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua = BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12); es ist daher nicht verfassungsgemäß, einen Leistungsempfänger über 27 Monate hinweg auf ein Leistungsniveau zu drücken, das Ansparungen vom oder Ausgleiche im Regelbedarf ausschließt.
Hinweis: Einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht bedarf es im vorliegenden Fall nach alldem nicht.
Rechtstipp:
1. SG Berlin, Beschl. v. 30.09.2011 - S 37 AS 24431/11 ER
Eine zehnprozentige Kürzung des Regelbedarfs über einen längeren Zeitraum (hier 23 Monate) zur Tilgung eines Mietkautionsdarlehens ist unzuässig.
Die Soll-Vorschrift des § 22 Abs. 6 Satz 3 SGB II lässt für atypische Fälle eine Abweichung vom Regelfall der darlehensweisen Gewährung der Mietkaution zu.
Einen solchen Fall bejaht das Gericht hier, da von vornherein nicht erkennbar war, dass die Leistungsberechtigte in einem angemessenen Zeitraum die Möglichkeit der Darlehensrückzahlung ohne Gefährdung ihres Existenzminimums haben würde.
2. SG Berlin, 169. Kammer, Beschl. v. 08.06.2012 - S 169 AS 12851/12 ER, unveröffentlicht
Einstweilige Sperre der Mietkautionsverrechnung im Eilverfahren
Dazu RA Göbe in Nomos Fachforum zur Existenzsicherung :
"Nach § 22 Abs. 6 S. 3 SGB II soll eine Mietkaution zwar als Darlehen erbracht werden (Gesetzgeber hat mithin für den Regelfall eine darlehensweise Gewährung vorgeschrieben), so dass gs. keine Ermessenserwägungen anzustellen sind, wenn der gesetzlichen Regelung gefolgt wird. Ausnahmsweise bedarf es jedoch auch bei Sollbestimmung ausdrücklicher Ermessenserwägungen, wenn offensichtlich bes. Umstände vorliegen die Ausnahme v.d. gesetzl. Regelvorgabe begründen könnten.
So liegt der Fall hier: Denn die alleinerziehende AS hat sich bis vor Kurzem noch in einer bes. Notlage befunden (Notunterkunft). Es spricht daher manches dafür, dass sie zur Ordnung ihrer Verhältnisse und beruflichen Reintegration für sich und ihren 4 jährigen Sohn einen größeren finanziellen Spielraum benötigt als andere ALG II Bezieher und daher möglicherweise (noch) nicht dauerhaft mit einer um 10% gekürzten Regelleistung belastet werden kann.
Mit diesen bes. Umständen hat sich der AG bei seiner Darlehensentscheidung nicht auseinander gesetzt, so dass der Bescheid unter einem Ermessensdefizit leidet.
Der Anordnungsgrund ergibt sich desweiteren aus dem Umstand, dass die AS Leistungen zur Existenzsicherung begehren und aus den o.g. Gründen nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie derzeit eine dauerhafte Kürzung von 10 % durch Einsparungen an anderer Stelle ausgleichen können".
Hat ihnen der Grundsicherungsträger keine Metkaution gewährt? Handelt es sich wo möglich bei ihnen um einen atypischen Fall, welcher dazu führen könnte, dass die Mietkaution als Zuschussleistung zu gewähren wäre?
Wenden Sie sich vertrauensvoll an das Team des Sozialrechtsexperten - Hast Du Kummer oder Sorgen, so schreib gleich morgen, an den Rechtsanwalt Ludwig Zimmermann, den Mann mit der großen, schwarzen Brille.
Der Beitrag wurde erstellt von Detlef Brock- Teammitglied des Sozialrechtsexperten.
1. Durch die "Soll"-Formulierung in § 22 Abs 6 SGB 2 ist den Jobcentern die Befugnis eingeräumt, für außergewöhnliche Sachverhalte (atypische Fallgestaltungen) die vom Vermieter geforderte Mietsicherheit auch auf andere Weise als durch ein Mietkautionsdarlehen - etwa durch einen Zuschuss mit Rückerstattungsverpflichtung und Abtretungserklärung - an den Leistungsberechtigten zu erbringen.
2. Die Kürzung des Regelbedarfs um 10 v.H. gemäß § 42a Abs 2 S 1 SGB 2 über einen nicht nur vorübergehenden Zeitraum hinweg setzt den Empfänger eines Mietkautionsdarlehens nach § 22 Abs 6 SGB 2, der eine Wohnung aus dem Zustand völliger Mittellosigkeit bei Unterbringung in einem Notquartier bezogen hat und weder über Zusatzeinkommen noch zukunftsnahe Erwerbschancen verfügt, einer Situation aus, die das Bundesverfassungsericht (BVerfG) bewogen hatte, einen Sonderbedarf als unabdingbare Zusatzleistung zum Regelbedarf vorzusehen (vgl BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua = BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12); es ist daher nicht verfassungsgemäß, einen Leistungsempfänger über 27 Monate hinweg auf ein Leistungsniveau zu drücken, das Ansparungen vom oder Ausgleiche im Regelbedarf ausschließt.
Hinweis: Einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht bedarf es im vorliegenden Fall nach alldem nicht.
Rechtstipp:
1. SG Berlin, Beschl. v. 30.09.2011 - S 37 AS 24431/11 ER
Eine zehnprozentige Kürzung des Regelbedarfs über einen längeren Zeitraum (hier 23 Monate) zur Tilgung eines Mietkautionsdarlehens ist unzuässig.
Die Soll-Vorschrift des § 22 Abs. 6 Satz 3 SGB II lässt für atypische Fälle eine Abweichung vom Regelfall der darlehensweisen Gewährung der Mietkaution zu.
Einen solchen Fall bejaht das Gericht hier, da von vornherein nicht erkennbar war, dass die Leistungsberechtigte in einem angemessenen Zeitraum die Möglichkeit der Darlehensrückzahlung ohne Gefährdung ihres Existenzminimums haben würde.
2. SG Berlin, 169. Kammer, Beschl. v. 08.06.2012 - S 169 AS 12851/12 ER, unveröffentlicht
Einstweilige Sperre der Mietkautionsverrechnung im Eilverfahren
Dazu RA Göbe in Nomos Fachforum zur Existenzsicherung :
"Nach § 22 Abs. 6 S. 3 SGB II soll eine Mietkaution zwar als Darlehen erbracht werden (Gesetzgeber hat mithin für den Regelfall eine darlehensweise Gewährung vorgeschrieben), so dass gs. keine Ermessenserwägungen anzustellen sind, wenn der gesetzlichen Regelung gefolgt wird. Ausnahmsweise bedarf es jedoch auch bei Sollbestimmung ausdrücklicher Ermessenserwägungen, wenn offensichtlich bes. Umstände vorliegen die Ausnahme v.d. gesetzl. Regelvorgabe begründen könnten.
So liegt der Fall hier: Denn die alleinerziehende AS hat sich bis vor Kurzem noch in einer bes. Notlage befunden (Notunterkunft). Es spricht daher manches dafür, dass sie zur Ordnung ihrer Verhältnisse und beruflichen Reintegration für sich und ihren 4 jährigen Sohn einen größeren finanziellen Spielraum benötigt als andere ALG II Bezieher und daher möglicherweise (noch) nicht dauerhaft mit einer um 10% gekürzten Regelleistung belastet werden kann.
Mit diesen bes. Umständen hat sich der AG bei seiner Darlehensentscheidung nicht auseinander gesetzt, so dass der Bescheid unter einem Ermessensdefizit leidet.
Der Anordnungsgrund ergibt sich desweiteren aus dem Umstand, dass die AS Leistungen zur Existenzsicherung begehren und aus den o.g. Gründen nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie derzeit eine dauerhafte Kürzung von 10 % durch Einsparungen an anderer Stelle ausgleichen können".
Hat ihnen der Grundsicherungsträger keine Metkaution gewährt? Handelt es sich wo möglich bei ihnen um einen atypischen Fall, welcher dazu führen könnte, dass die Mietkaution als Zuschussleistung zu gewähren wäre?
Wenden Sie sich vertrauensvoll an das Team des Sozialrechtsexperten - Hast Du Kummer oder Sorgen, so schreib gleich morgen, an den Rechtsanwalt Ludwig Zimmermann, den Mann mit der großen, schwarzen Brille.
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