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745 Euro Miete - zu viel für einen Münchener Hartz-IV-Empfänger? - Welcher Wohnraum ist einem Leistungsempfänger nach dem SGB II als Alternative nicht zumutbar?

Hat eine Hartz-IV-Empfängerin Anspruch auf eine 48-Quadratmeter-Wohnung für 745 Euro? Nein, sagt das Bayerische Landessozialgericht - und erklärt eine niedrigere Mietobergrenze des Münchner Jobcenters für angemessen.

Und doch könnte die Entscheidung des Gerichts für die Stadt teure Folgen haben.

Die vom Jobcenter gezogene Mietobergrenze war nach dem Urteil des Gerichts im konkreten Fall zwar angemessen, aber das war nach Einschätzung der Vorsitzenden Richterin wohl ein Zufallstreffer. Das Landessozialgericht machte deutlich, dass das Jobcenter kein schlüssiges, nachvollziehbares Konzept dafür hat, wie die Mietobergrenzen für Hartz-IV-Haushalte zu ermitteln sind.

In der Grundsatzentscheidung zeigt das Gericht nun einen neuen Weg dazu auf.

Denn das Bundessozialgericht stellt nach jüngster Rechtsprechung sehr hohe Anforderungen an ein solches Konzept, die in der Praxis von den Jobcentern nicht gerade einfach zu erfüllen sind. Einem Hartz-IV-Haushalt muss es möglich sein, eine Wohnung einfachen Standards im unteren Marktsegment anzumieten, er muss also Zugang zu mindestens 20 Prozent der Wohnungen haben. Außerdem muss dieses Wohnungsangebot einigermaßen gleichmäßig über das Stadtgebiet verteilt sein, damit die Mietobergrenze nicht zu einer Gettobildung führt.

http://www.sueddeutsche.de/muenchen/gerichtsentscheidung-in-muenchen-wie-hartz-iv-empfaenger-wohnen-duerfen-1.1410309


Pressemitteilung des Bayrischen LSG vom 13.07.2012


Anmerkung von Willi 2,freier Mitarbeiter des RA Ludwig Zimmermann:

Bayerisches Landessozialgericht,Urteil vom 11.07.2012,- L 16 AS 127/10 - ,Revision zugelassen

Münchener Jobcenter  verfügt über kein Konzept, das den Anforderungen der BSG-Rechtsprechung an Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit genügt.

Folgender Wohnraum ist nicht mietspiegelrelevant und wäre auch für die Bestimmung der Angemessenheitsgrenze nach § 22 SGB II nicht zu berücksichtigen, weil derartiger Wohnraum einem Leistungsempfänger nach dem SGB II als Alternative nicht zumutbar ist:

- Wohnraum zum vorübergehenden Gebrauch von bis zu 6 Monaten (siehe BSGE 104, 192 Rdnr. 22),
- vom Vermieter möblierter Wohnraum, der Teil der von ihm selbst bewohnten Wohnung ist,
- Studenten- und Jugendwohnheime,
- Wohnraum in Anstalten, Heimen oder Wohnheimen, bei denen die Mietzahlung auch Serviceleistungen abdeckt,
- Einzelzimmer,
- Wohnungen, deren Küche, Bad und Toilette von zwei oder mehr Hauptmieterparteien gemeinsam genutzt werden.
- Wohnungen in einfacher Wohnlage,
- Wohnungen ohne einen vorgesehenen Raum für eine Küche,
- Wohnungen ohne Toilette,
- Wohnungen, die nur ein Bad besitzen, das von anderen mitbenutzt wird,
- Wohnungen, die nur eine Toilette besitzen, die von anderen mitbenutzt wird, und
- Wohnungen nur im Untergeschoss.

Durch den Ausschluss dieser Wohnungen wird der BSG-Rechtsprechung Rechnung getragen, wonach Wohnungen mit nicht nur unterem, sondern unterstem Ausstattungsgrad nicht in die Datenbasis einbezogen werden dürfen (BSG, Urteil vom 19.10.2010 Az. B 14 AS 65/09 R Rdnr. 31 und BSG, Urteil vom 13.04.2011 Az. B 14 AS 85/09 R Rdnr. 23).

Nach der neueren Rechtsprechung des BSG sind die kalten Betriebskosten (ohne Heiz- und Warmwasserkosten) abstrakt zu bestimmen und als Faktor in das zur Berechnung der Referenzmiete zu bildende Produkt einzubeziehen (BSG, Urteil vom 19.10.2010 Az. B 14 AS 65/09 R Rdnr. 36).

Es ist also eine einheitliche Referenzmiete bezogen auf die Bruttokaltmiete zu bilden, die die Obergrenze für die Summe aus Nettokaltmiete und kalte Betriebskosten bildet, so dass es dem Leistungsempfänger freisteht, beispielsweise eine zu hohe Nettokaltmiete durch besonders niedrige Betriebskosten zu kompensieren oder zu hohe Betriebskosten durch eine niedrigere Nettokaltmiete.

Nicht zulässig wäre es, sowohl die Nettokaltmiete als auch die kalten Betriebskosten jeweils für sich auf ihre Angemessenheit hin zu überprüfen und bei Überschreiten der jeweiligen Obergrenze zu kappen, ohne eine Kompensation durch ein Unterschreiten der Obergrenze des anderen Wertes zuzulassen.

Zusammenfassung:

Angemessenheitsgrenze (Referenzmiete) nach § 22 SGB II für Ein-Personen-Haushalte in München 2007 und 2008 - Berechnung anhand des aufbereiteten Datenmaterials des Mietspiegels unter Heranziehung eines Sachverständigen für Statistik

1. Die vom Grundsicherungsträger zur Begrenzung der angemessenen Kosten der Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II gezogene Mietobergrenze ist jedenfalls dann ausreichend, wenn sich aus dem repräsentativ gewonnenen Datenmaterial eines qualifizierten Mietspiegels nach anerkannten statischen Methoden

- auf einem hinreichend hohen Konfidenzniveau errechnen lässt, dass mindestens ein Fünftel der Wohnungen im Bereich der für die Haushaltsgröße nach der Produkttheorie maßgeblichen Wohnungsgröße die Mietobergrenze nicht überschreitet, und

- weitere Daten und Auswertungen sicherstellen, dass sich die von der Mietobergrenze abgedeckten Wohnungen in zumutbarer Weise über den gesamten Vergleichsraum verteilen.

2. Das Jobcenter München (vormals: ARGE München) war berechtigt, die für einen Ein-Personen-Haushalt im Gebiet der Landeshauptstadt München nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu übernehmenden angemessenen Kosten für Unterkunft

- im Jahr 2007 auf eine Bruttokaltmiete in Höhe von 496,45 EUR (Nettokaltmiete von 441,45 EUR + kalte Betriebskosten von 55 EUR) und

- im Jahr 2008 auf eine Bruttokaltmiete von 504,21 EUR (Nettokaltmiete von 449,21 EUR + kalte Betriebskosten von 55 EUR)
zu beschränken.

Kommentare

  1. Da ja heutzutage viele Sozialrichter in positivistischer Art dem reinen Gesetzeswortlaut folgen, liegt die Lösung doch auf der Hand:

    Gesetzentwurf, § 22d SGB II oder § 22a Abs 3 SGB II:

    Angemessenheit des Wohnraums ist vor allem anzunehmen bei:
    1. Wohnraum zum vorübergehenden Gebrauch von bis zu 6 Monaten
    2. Möbliertem Wohnraum im Untermietverhältnis
    3. Wohnheimen
    4. Wohnraum in Anstalten, Heimen oder Wohnheimen in Einzelzimmern. Eine Unterbringung in Mehrbettzimmern ist vorzuziehen, da hiermit gleichzeitig Spareffekte in Hinsicht auf Erziehungsmaßnahmen zwecks Beibringung von Gruppengefügigkeit (EEJ etc.) erzielt werden können
    5. Wohnungen, deren Küche, Bad und Toilette von zwei oder mehr Hauptmieterparteien gemeinsam genutzt werden. Diese sind aus den unter Punkt 4 genannten Gründen gleichfalls vorzuziehen
    6. Wohnungen in einfacher und einfachster Wohnlage. Dies betrifft vor allem durch Lage und Ausstattung schwer vermietbaren kommunalen Wohnraum
    7. Wohnungen ohne Küche, Bad oder Toilette. Hierbei ist ein kumulatives Fehlen mehrerer Merkmale der Wohnungsausstattung für das Merkmal der Angemessenheit nicht schädlich
    8. Wohnungen, die eine Küche, ein Bad oder eine Toilette besitzen, welche von anderen mitbenutzt werden

    Damit wäre der Gerichtsbarkeit, den kommunalen Kassen und den Schergen der "Jobcenter" sehr geholfen.

    - Was höre ich ich von da hinten? "Ghettobildung?" - Alles Quatsch, das gibt es nur in Südamerika oder Asien, aber doch nicht bei uns!
    "Grundgesetz?" - Hä??
    "Menschenrechte" - Damit haben wir doch keine Probleme, sonst hätte das bei der UN doch schon längst jemand reklamiert.

    Also - alles bestens!!

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  2. Köstlich!

    Zu den Punkten 3 & 4 möchte ich noch ergänzend hinzufügen, daß bei Massenunterkünften generell vom Vorliegen einer Einstands- und Bedarfsgemeinschaft auszugehen ist.

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    1. Daran hatte ich garnicht gedacht. Ist ja prima, dann erhält jeder Bewohner nur die Posten aus der Bedarfsberechung ausgezahlt, die für den persönlichen Bedarf gedacht sind, also Zigaretten (ach, gibt's ja nicht mehr), Abendbierchen (gibt es ja auch nicht mehr), oder Seife und Zahnbürste.

      Mooment! Es wäre doch viel billiger, wenn man Hygienebedarf, Kleidung, Schuhe, Möbel, (Gemeinschafts-)Kühlschränke, GEZ-Gebühren, übertragbare Monatskarten und so weiter in solchen Unterkünften generell zentral beziehen würde. Toilettenpapier europaweit ausgeschrieben und palettenweise aus China importiert, da könnte man doch eine Menge Geld sparen.

      Und den Insass- äh, ich wollte sagen Bewohnern ginge dabei ja überhaupt nichts ab... Erstens hätten sie alles, was sie brauchen. Andereseits kann man gemäß der gängigen Lesart deutscher Gerichte auch sagen, daß ihnen durch eine solche Verfahrensweise keine Ansprüche gekürzt würden, denn d e m G r u n d e nach würden sie Ihre Ansprüche ja behalten. (So wird von vielen Gerichten bei "Sanktionen" argumentiert - es handele sich nicht um eine Leistungskürzung, und dem Betroffenen stehe sein Anspruch dem Grunde nach weiterhin zu. Ich habe das mal als die Einführung des Abstraktionsprinzips (bekannt aus dem bürgerlichen Recht) in das Sozialrecht genannt).

      Also: die Zeichen von "Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit in der öffentlichen Verwaltung" stehen eindeutig in Richtung Arbeitslosenknast. - Nur daß der nicht so heißen wird, denn im derzeitigen SGB gibt es ja auch keine Geldstrafen sondern "Sanktionen".

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