Direkt zum Hauptbereich

RAin Sabine Jorns zum Eilverfahren bei Mietrückständen (LSG NRW, Beschl. v. 20.03.2012 - L 12 AS 352/12 B ER)

S.a.: sozialrechtsexperte: Jobcenter übernimmt keine Mietschulden, wenn es an einer Räumungsklage fehlt

Zum Eilverfahren bei Mietrückständen

von Sabine Jorns, Rechtsanwältin aus Oldenburg

Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat am 22. 3. 2012 (L 12 AS 352/12 B ER) entschieden, dass ein Eilverfahren wegen Übernahme von Mietschulden durch das Jobcenter erst ab Räumungsklage erfolgreich durchgeführt werden kann. Nach Auffassung des Gerichts reicht die bloße Ankündigung einer Räumungsklage nicht aus.

Zunächst ein Exkurs ins Bürgerliche Gesetzbuch (BGB):

Gem. § 543 BGB kann ein Mietverhältnis über Wohnraum ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Für einen Vermieter ist ein wichtiger Grund insbesondere dann gegeben, wenn der Mieter für zwei aufeinander folgende Termine mit der Entrichtung der Miete oder eines nicht unerheblichen Teils der Miete in Verzug ist oder in einem Zeitraum, der sich über mehr als zwei Termine erstreckt, mit der Entrichtung der Miete in Höhe eines Betrages in Verzug ist, der die Miete für zwei Monate erreicht.

Das LSG ist der Auffassung, dass eine (bloße) Kündigung oder auch Klageandrohung nicht ausreicht, da in der Regel noch nicht hinreichend klar sei, ob der Vermieter tatsächlich zur Räumung als letztem Mittel greifen würde oder ob die Kündigung ausreichend sei, den Mieter zur Einhaltung seiner Pflichten, sprich Zahlung der rückständigen Miete, zu bewegen.

Nur: wie soll der Mietrückstand ausgeglichen werden, wenn das Amt nicht freiwillig zahlt?

Es liegt auf der Hand, dass dies nicht funktionieren kann! Damit nimmt das Verfahren seinen Lauf – der Vermieter wird eine Räumungklage beim Amtsgericht einreichen. Nach Auffassung des LSG ist damit dann zwar der Weg zur Einleitung eines Eilverfahrens zur Übernahme der Mietschulden frei.

Allerdings entstehen bereits mit der Einreichung der Räumungklage Kosten. Zunächst sind dies Gerichtskosten. In der Regel wird der entstehen dann bereits mit der Einreichung der Räumungklage. Hat nun das Eilverfahren vor dem Sozialgericht Erfolg, muss das Jobcenter die Mietschulden übernehmen. Geschieht dies innerhalb von zwei Monaten – und das sollte trotz Überlastung der Sozialgerichte in der Regel klappen – wird die Kündigung hinfällig.

Denn: gem. § 569 BGB wird die Kündigung unwirksam, wenn der Vermieter spätestens bis zum Ablauf von zwei Monaten nach Eintritt der Rechtshängigkeit (= Zustellung der Klage an den Mieter) hinsichtlich der fälligen Miete vollständig befriedigt wird oder sich eine öffentliche Stelle zur Befriedigung verpflichtet.

Allerdings hat dann der Mieter dem Vermieter die bis dahin schon entstandenen Gerichts- und Anwaltskosten zu erstatten.

Mit der Kostenfrage eines bereits eingeleiteten Räumungsprozesses hat sich auch das LSG befasst. Es meint aber, dass es sich bei den Kosten, die durch eine Räumungsklage entstehen, nicht um Nachteile handelt, die sich nicht im Hauptsacheverfahren wieder gut machen ließen. Habe nämlich der Leistungsträger die Zahlung der ausstehenden Miete rechtswidrig verweigert, müsse der Leistungsträger dem Leistungsempfänger auch die durch die Leistungsverweigerung entstandenen weiteren Kosten, d. h. die Kosten des zivilgerichtlichen Räumungsverfahrens, erstatten.

Dies sieht die Verfasserin anders. Dem Leistungsempfänger können sehr wohl Nachteile entstehen, die im Hauptsacheverfahren nicht wieder gut zu machen sind. Bis nämlich eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren ergangen ist, können bei der bekannten Überlastung der Sozialgerichte durchaus zwei Jahre ins Land gehen. Sollte das Jobcenter Rechtsmittel einlegen, dauert es sogar noch länger.

Der Vermieter aber wird mit der Erstattung seiner Kosten nicht so lange warten, bis eine rechtskräftige Entscheidung über die Übernahme der Mietschulden vorliegt. Er wird also wegen seiner Kosten die Zwangsvollstreckung betreiben, die dann sehr schnell zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung (Offenbarungseid) führen kann. Und damit werden dem Leistungsempfänger weitere Steine in den Weg
gelegt.

Es handelt sich bei der Entscheidung des LSG um eine unsägliche Entscheidung, und es bleibt nur zu hoffen, dass sich andere Sozialgerichte dieser Rechtsprechung nicht anschließen.


Quelle: (quer 3/2012, S. 27)


Anmerkung vom Sozialberater Willi 2,freier Mitarbeiter des RA Ludwig Zimmermann:

1. Eine erhobene Räumungsklage ist nach der ständigen Rechtsprechung des LSG NRW Voraussetzung für die Annahme eines Anordnungsgrundes in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, welche auf Gewährung von Kosten für Unterkunft und Heizung gerichtet sind (zuletzt LSG NRW, Beschluss vom 20.09.2012, Az. L 9 SO 333/12 B ER; Beschluss vom 25.07.2012, Az.  L 12 AS 1137/12 B ER).

2. Anderer Auffassung - Ein Anordnungsgrund ist stets dann anzunehmen , wenn der Hilfebedürftige nicht die vollen Unterkunftskosten erhält (SG Lüneburg, Beschluss vom 16.05.2011) bzw. er den Differenzbetrag nicht aus seinem Vermögen oder anderweitigem Einkommen bestreiten kann (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.02.2011, L 14 AS 205/11 B ER).


3.
Kosten der Unterkunft - wann wird von den Gerichten ein Anordnungsgrund gesehen?



Kommentare

  1. Na, da hat das LSG ja den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) "Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen." ganz ernst genommen.

    Wirklich eine Spitzenleistung, eine wahre Sternstunde deutscher Sozialrechtsrechtsprechung.

    Mein Tip: Lernt lesen!

    Das Aktenzeichen des aneführten Urteils des BVerfG: 1 BvR 569/05 vom 12.5.2005

    Fundstelle: http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20050512_1bvr056905.html

    AntwortenLöschen
  2. Was ist denn mit der Sozialklausel für Mietverhältnisse entsprechend dem Gerichtsbeschluss des Bundesgerichtshofs vom Dezember 2009?

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Beliebte Posts aus diesem Blog

Zu: SG Nürnberg - Sind die Einladungen der Jobcenter nichtig? Folgeeinladungen der Jobcenter wegen einem Meldeversäumnis sind nichtig und unwirksam

sozialrechtsexperte: Nürnberg: Sind die Einladungen der Jobcenter nichtig? Hier der Ausgang, wie er nicht anders zu erwarten war: Ausgang des Verfahrens S 10 AS 679/10 wegen Nichtigkeit von Meldeaufforderungen « Kritische Standpunkte Dazu Anmerkungen von Detlef Brock, Teammitglied des Sozialrechtsexperten: SG Nürnberg v. 14.03.2013 - S 10 AS 679/10 Eigener Leitsatz 1. Folgeeinladungen des Jobcenters wegen einem Meldeversäumnis sind - nichtig und unwirksam, weil  § 309 SGB III keine Rechtsgrundlage dafür ist, Hilfeempfänger die Pflicht zum Erscheinen zu einer Anhörung zu Tatbeständen einer beabsichtigen Sanktion aufzuerlegen. 2. Eine Folgeeinladung ist zu unbestimmt, weil der genannte Inhalt der Meldeaufforderung nicht als gesetzlicher Meldezweck im Sinne des Katalogs des § 309 Abs. 2 SGB III ausgelegt werden kann.

Kann ein Leistungsbezieher nach dem SGB II für seinen unangemessenen Stromverbrauch keine Gründe benennen, muss das Jobcenter seine Stromschulden nicht übernehmen.

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 22 Abs. 8 des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch (SGB II). Danach können Schulden übernommen werden, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden und soweit die Schuldübernahme zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertig und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Vermögen nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II ist vorrangig einzusetzen. Geldleistungen sollen als Darlehen gewährt werden.  Die Rechtfertigung der Schuldenübernahme ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, in den auch Billigkeitserwägungen einfließen (Beschluss des erkennenden Senats vom 2. Juni 2009 – L 14 AS 618/09 B ER). Mit rechtskräftigem Beschluss vom 23.09.2011 hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg , - L 14 AS 1533/11 B ER - geurteilt, dass Gründe für einen "unangemessenen" Stromverbrauch in einem einstwe

Die Versicherungspauschale von 30 EUR nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-VO kann von einem einzelnen Einkommen einer Bedarfsgemeinschaft nur einmal abgezogen werden.

§ 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-VO Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil vom 06.06.2011, - L 1 AS 4393/10 - Die Versicherungspauschale von 30 EUR nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-VO kann von einem einzelnen Einkommen einer Bedarfsgemeinschaft nur einmal abgezogen werden(BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 51/09 R-; Rdnr. 4). Eine erneute Berücksichtigung scheidet auch dann aus, wenn eine sog. gemischte Bedarfsgemeinschaft vorliegt und Einkommen eines nichtbedürftigen Mitglieds einem bedürftigen Mitglied der Bedarfsgemeinschaft zugerechnet wird. https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=144213&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive = Anmerkung: 1. Vom Einkommen volljähriger Hilfebedürftiger ist ein Betrag in Höhe von 30 Euro monatlich für die Beiträge zu privaten Versicherungen, die nach Grund und Höhe angemessen sind, gemäß § 11 Abs 2 Nr 3 SGB II als Pauschbetrag abzusetzen (§ 6 Abs 1 Nr 1 Alg II-V ). Diese Pauschale in Höhe von 30 Euro ist