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Unionsbürger,welche ausschließlich zur Arbeitssuche in die Bundesrepublik eingereist sind, haben Anspruch auf Hartz IV -Leistungen

Sozialgericht Berlin, Urteil vom 19.12.2012 - S 55 AS 18011/12 , Revision zugelassen


1. Ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 SGB 2 besteht für nach Art 2, 3, 4, 70 EGV 883/2004 Berechtigte nicht, weil das Gleichbehandlungsgebot des Art 4 EGV 883/2004 wegen § 30 Abs 2 SGB 1 unmittelbar rechtswirksam ist. Ansprüche auf Arbeitslosengeld II nach §§ 19 Abs 1 S 1 und 3, 20 Abs 1, 2 und 5, 7 Abs 1 S 1 und 22 Abs 1 SGB 2 werden als besondere beitragsunabhängige Geldleistungen von Art 70 EGV 883/2004 erfasst.

2. Der persönliche Anwendungsbereich der EU-VO 883/2004 ist über deren Art 2 und 3 stets für Unionsbürger eröffnet, weil sie als Arbeitssuchende Anspruch auf die Vermittlungsleistungen der Bundesagentur für Arbeit haben. Auch auf Unionsbürger, die Kindergeld (Familienleistung im Sinne von Art 3 Abs 1 lit j EU-VO 883/2004) beziehen, ist die EU-VO 883/2004 anzuwenden.

3. Für den durch die Geschäftsanweisung SGB 2 Nr 8 vom 23.2.2012 der Bundesagentur für Arbeit mitgeteilten durch die Bundesregierung gem Art 16 Buchst b EuFürsAbk erklärten Vorbehalt zur Anwendbarkeit des EuFürsAbk fehlt eine hinreichende Ermächtigung durch Parlamentsgesetz. Das EuFürsAbk bleibt daher als Spezialvorschrift vor § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB 2 anwendbar.



Anmerkung:

Die ständige Rechtsprechung des BVerfG verlangt, dass wesentliche Regelungen, insbesondere solche mit Grundrechtsrelevanz, durch den parlamentarischen Gesetzgeber selbst getroffen werden. Dies hat das BVerfG auch in seinem Urteil vom 9. Februar 2010 für den Bereich der existenzsichernden Leistungen betont (RdNr 136, Mogwitz in ZFSH/SGB 2011, 323, 329).

Mit dem Vorbehalt sollen bestehende existenzsichernde Ansprüche, die dem aus Art 1 und 20 Abs 1 GG abzuleitenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums entspringen, entzogen bzw künftige Ansprüche versagt werden.

Der vorliegende Fall einer Leistungsentziehung macht dies deutlich.

Das Grundrecht ist ausweislich seiner Genese kein Grundrecht, das auf deutsche Staatsbürger beschränkt wäre.

Die Würde des Menschen kommt auch Ausländern zu (BVerfG Urteil vom 18.07.2012, 1 BvL 10/10 u.a. - AsylBewLG). Auch das (wie Art 1 Abs 1 GG) unter dem Ewigkeitsgebot des Art 79 Abs 3 GG stehende Sozialstaatsgebot ist seinem das bundesdeutsche Staatswesen konstituierenden Charakter nach mit seinem besonderen Blick auf die soziale Gerechtigkeit nicht auf Mitbewohner "deutschen Bluts" beschränkt.

Der Entzug gesetzlich auszugestaltender Grundrechtspositionen im Bereich der Existenzsicherung hat deshalb durch Parlamentsgesetz zu erfolgen, sofern dies mit dem Kerngehalt des Grundrechts noch vereinbar ist.

Dies ist nicht geschehen. Eine parlamentsgesetzliche Ermächtigung der Bundesregierung zur Erklärung des Vorbehalts findet sich weder im Zustimmungsgesetz vom 15. Mai 1956 zum EuFürsAbk (BGBl II 1956 S. 563) noch im SGB II oder in einem anderen Gesetz. Art. 16 lit b EuFürsAbk stellt eine hinreichende Ermächtigung nicht dar.

Mangels gesetzlichen Charakters und gesetzlicher Grundlage des erklärten Vorbehalts besteht keine Bindung für das erkennende Gericht an diesen Vorbehalt (Art
20 Abs 3 und 97 Abs 1 GG).


Er gilt deswegen auch nicht für die Verwaltung, die wegen Art 20 Abs 3 GG ebenfalls auf das Grundgesetz und die geltenden Gesetze, wozu auch Art 1 EuFürsAbk zählt, verpflichtet ist.

Die Geschäftsanweisung SGB II Nr. 8 vom 23.02.2012 der Bundesagentur für Arbeit ist aufzuheben.

Der Beitrag wurde erstellt von Detlef Brock.

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