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Sozialgericht Berlin widerspricht der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Anrechnung von einmaligem Einkommen vor dem 01.04.2011.

Wird im Monat des Geldzuflusses aus einem Bausparvertrag des verstorbenen Vaters - einmalige Einnahme - die Hilfebedürftigkeit des Leistungsbeziehers beendet, ist mit Beginn eines neuen Stammrechts auf SGB II - Leistungen der Geldzufluss  als Vermögen zu behandeln.

So urteilte das Sozialgericht Berlin mit Urteil vom 21.09.2011, - S 55 AS 39346/09 - .

Die Ermächtigungsnorm des § 13 Abs 1 Nr 1 SGB 2 deckt die Regelung des § 2 Abs 4 Satz 3 AlgIIV (Fassung bis 31.03.2011) nicht, weil im Verteilzeitraum nach dem Zuflussmonat durch die verteilte Anrechnung der einmaligen Einnahme Einkommen unzulässig fingiert wird. Dabei handelt es sich nicht um eine reine Berechnungsregel.


Einmalige Einnahmen (vor dem 01.04.2011), die im Zuflussmonat den Leistungsanspruch beenden, sind mit Beginn eines neuen Stammrechts auf Grundsicherungsleistungen als Vermögen zu behandeln.


Anmerkung: Für Mai 2009 entfiel wegen der Höhe des Zuflusses der Leistungsanspruch der Klägerin vollständig. Als Freibetrag kommt nur die Versicherungspauschale von 30 EUR in Betracht, weil es sich nicht um Erwerbseinkommen handelte. Auch abzüglich dieses Freibetrages überstieg der Betrag des Zuflusses den Bedarf der monatlichen Grundsicherung der Klägerin und der mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Tochter beträchtlich. Damit waren beide nicht mehr hilfebedürftig. Die Klägerin war deshalb nicht mehr gemäß § 19 SGB II leistungsberechtigt.

Die Leistungsbewilligung wäre deshalb nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X verschuldensunabhängig und ohne Berücksichtigung eines Vertrauensschutzes aufzuheben gewesen.

Eine Berücksichtigung des Zuflusses erst im Folgemonat hatte nicht zu erfolgen. § 2 Abs 4 Satz 2 AlgII-VO (in der Fassung bis 31.03.2011 – aF) räumt der Behörde insofern kein Ermessen ein.

Die Möglichkeit ("ist zulässig") einer Anrechnung im Folgemonat ist im Rahmen gebundener Verwaltung nach Maßgabe von § 2 Abs 2 SGB I unter dem Gesichtspunkt der Sachgerechtigkeit (Angemessenheit) zu realisieren und daher gerichtlich voll nachprüfbar.

Der Zufluss erfolgte bereits zu Beginn des Monats Mai. Eine Berücksichtigung erst für Juni scheidet aus, weil auch die Junileistung bereits ausgezahlt war und auch für diesen Monat die Aufhebungsentscheidung nur rückwirkend erfolgte, also weder unter dem Gesichtspunkt des § 2 Abs 2 SGB I noch unter verwaltungspraktischen oder anderen Gesichtspunkten eine Verschiebung des normativen Zuflusses angemessen und sachgerecht war.

Mit dem Wegfall des Anspruches auf Grundsicherungsleistungen im Monat Mai 2009 endete das gesetzlich begründete Stammrecht (zum grundsicherungsrechtlichen Stammrecht: Link in Eicher/Spellbrink: SGB II, 2. Aufl, § 37 RdNr 17; Luik, SGb 2009, 677, 679 – Anm zu BSG Urt. v. 30.09.2008).

Die Aufrechterhaltung des Stammrechts wegen der Fortwirkung des nunmehr rechtswidrigen bewilligenden Verwaltungsaktes für Mai 2009 ist insbesondere von Bedeutung für das Behaltendürfen der ausgezahlten Leistungen und die Möglichkeiten zur Aufhebung dieses Verwaltungsaktes. Eine Verlängerung des Bestandes des Stammrechts über den Zeitraum des Beginns eines neuen Stammrechts hinaus, vermag die rechtswidrige Bewilligung nicht zu vermitteln. Sie kann allenfalls im Rahmen von Ermessensentscheidungen auch für die Folgezeiträume eine Rolle spielen. Für die materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Bewertung des Aufhebungsbescheides für die Folgezeiträume (Juni bis Oktober 2009) ist sie indes unbeachtlich.

Deshalb waren die Teile des aus dem Zufluss im Mai 2009 stammenden Wertes, sofern sie bis Ende Mai 2009 nicht verbraucht waren, nur bis zum Ablauf des vorherigen Stammrechts als Einkommen und zu Beginn des neuen Stammrechts ab Juni 2009 als Vermögen zu qualifizieren. Der Vermögensfreibetrag nach § 12 Abs 2 Nr 1 SGB II für die im Juni 2009 37-jährige Klägerin (5.550 EUR) war nicht überschritten. Weiteres Einkommen oder Vermögen ist für den gesamten Zeitraum von Juni bis Oktober 2009 nicht festzustellen


https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=146254&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=


Unser Tipp: Betroffene Leistungsbezieher sollten einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X stellen, bei Ablehnung ist das Widerspruchs- und Klageverfahren eröffnet.



Betroffen können solche Leistungsbezieher sein, welche durch Zufluss ihrer - Einmaligen Einnahme - wie Erbschaft, Urlaubsgeld oder Weihnachtsgeld ihre Bedürftigkeit im Monat des Geldzuflusses hätten vollständig beenden können.



Die Erfolgsaussichten für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für diese Frage, ob einmalige Einnahmen (vor dem 01.04.2011), die im Zuflussmonat den Leistungsanspruch beendet haben, und mit Beginn eines neuen Stammrechts auf Grundsicherungsleistungen als Vermögen zu behandeln sind, sind offen, denn die Revision  wurde zugelassen.


Allerdings hat der 5. Senat des LSG Berlin in diesem Jahr zu diesem Thema schon einmal positiv wie folgt entschieden:


 Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Urteil vom 24.03.2011, - L 5 AS 1547/09 -


Kein Anspruch auf Verteilung der einmaliger Einnahme- Urlaubsgeld - auf künftige Zeiträume, wenn durch die Berücksichtigung einer einmaligen Einnahme die Bedürftigkeit des Hilfebedürftigen und die Leistungspflicht des Grundsicherungsträgers im Zuflussmonat nicht in vollem Umfang entfällt (Urteil vom 18. Januar 2011, B 4 AS 90/10 R; Urteil vom 19. Mai 2009, B 8 SO 35/07 R- ).


Noch eine Anmerkung zu dem Urteil des SG Berlin ao.:


Zudem ist zu beachten, dass die Fiktion von Einkommen bislang dem Recht der Grundsicherung fremd war, weil es gerade um die Existenzsicherung in der aktuellen Situation ging (erst durch die Neuregelung des § 11 Abs 3 SGB II ab 01.04.2011 kennt das Gesetz durch Verteilung von Einkommen auf mehrere Monate fiktives Einkommen).

Gerade im Hinblick auf die besonderen Anforderungen an die gesetzgeberische Tätigkeit im Bereich der Existenzsicherung wegen deren besonderen Grundrechtscharakters muss ein solch gravierender Umstand wie die Einführung der Anrechnung fiktiven Einkommens als so wesentlich angesehen werden, dass dazu ausschließlich der parlamentarische Gesetzgeber berufen ist, jedenfalls eine Verordnungsermächtigung erheblich klarer und mit deutlichen Vorgaben zu gestalten wäre.

Unter diesen Umständen kann der Vorschrift des § 13 Abs 1 Nr 1, 2. Alt SGB II kein normativer Gehalt entnommen werden, der zur Einführung der Berücksichtigung fiktiven Einkommens durch Verteilung von einmal zugeflossenem Einkommen auf mehrere Monate ermächtigen würde.

Dies lässt sich weder Wortlaut noch systematischen oder teleologischen Aspekten der Vorschrift entnehmen. Die nunmehr erfolgte ausdrückliche Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber in § 11 Abs 3 SGB II bestätigt dies.

Die Regelung des § 2 Abs 3 Satz 3 Alg II-VO aF ist daher keine geeignete Grundlage, den Zufluss im Monat Mai 2009 im Aufhebungszeitraum Juni bis Oktober 2009 auf den Bedarf der Klägerin anzurechnen.

Der Beitrag wurde erstellt von Willi 2, Mitarbeiter des Sozialrechtsexperten RA Ludwig Zimmermann sowie Autor des wöchentlichen Rechtsprechungstickers von Tacheles

Kommentare

  1. Zu Stammrecht, Wahlrecht, Aufklärungspflicht und Herstellungsanspruch siehe auch

    http://www.rechtslupe.de/sozialrecht/verschiebung-des-stammrechts-auf-arbeitslosengeld-325531

    Warum fiel sowas nur nicht eher auf?

    AntwortenLöschen
  2. [Warum fiel sowas nur nicht eher auf?]

    Weil -zumindest- ich juristischer Laie bin; ich von heute auf morgen in den SGB-II-Bezug "geschubst" und von RAe im Stich gelassen wurde. Obwohl ich - oder gerade deswegen? - krank und AU Widerspruch und Klage erhoben habe. Mit den Möglichkeiten, die mir zur Verfügung stehen.

    Deshalb "Danke" für das Einstellen dieses Urteils! Möge es mir behilflich sein!

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