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Hilfebedürftiges Kind hat Anspruch auf anteiliges Sozialgeld für die Besuche beim Vater - Temporäre Bedarfsgemeinschaft

§§ 2, § 7 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 4 SGB II und 33 SGB II

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Urteil vom 20.01.2011, - L 7 AS 119/08 - , Revision zugelassen

Ein Leistungsanspruch aufgrund einer temporären Bedarfsgemeinschaft besteht auch dann, wenn der Anspruchsinhaber (minderjähriges Kind)als Mitglied einer anderen Bedarfsgemeinschaft Leistungen bereits erhalten hat(Sozialgeld) , die Mutter des HB aber das anteilige Sozialgeld für die Zeit, in der sich der HB bei seinem Vater aufgehalten hat, nicht an ihn ausgezahlt hat.

Dem steht nicht der Umstand entgegen, dass sich der HB nur zeitweise bei seinem Vater aufgehalten hat. Er kann als dem Haushalt angehörendes Kind mit seinem erwerbsfähigen und hilfebedürftigen Vater eine (zeitweise) Bedarfsgemeinschaft im Sinne von § 7 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 4 SGB II bilden. Das BSG hat bereits mit Urteilen vom 07.11.2006, Az.: B 7b AS 14/06 R, Rdn. 27, und vom 02.07.2009, Az.: B 14 AS 75/08 R, Rdn. 15 entschieden, dass die Regelung des § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II nach ihrem Wortlaut ("dem Haushalt angehörend") kein dauerhaftes "Leben" der unverheirateten Kinder im Haushalt des jeweiligen erwerbsfähigen Hilfebedürftigen verlangt, wie es etwa für andere Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft in den Tatbeständen des § 7 Abs. 3 Nrn. 2 und 3 SGB II vorausgesetzt wird. Es genügt vielmehr ein dauerhafter Zustand in der Form, dass die Kinder mit einer gewissen Regelmäßigkeit länger als einen Tag bei einem Elternteil wohnen, also nicht nur sporadische Besuche vorliegen Diese Auslegung des § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II, die ein SGB-II-immanente Lösung des Problems der Umgangskosten sicherstellt, ist angesichts der besonderen Förderungspflicht des Staates nach Art. 6 Abs. 1 GG geboten (BSG, a.a.O.; kritisch Münder, NZS 2008, 617, 621 ff.) Das BSG hat es insoweit als ausreichend erachtet, dass sich das Kind entsprechend der von seinen Eltern getroffenen Umgangsregelung vierzehntägig an den Wochenenden sowie für zwei Wochen während der Sommerferien im Haushalt des umgangsberechtigten Elternteils aufhält.

Es hat eine zeitweise Bedarfsgemeinschaft mit dem umgangsberechtigten Elternteil grundsätzlich für jeden Kalendertag angenommen, an dem sich das Kind überwiegend - in der Regel länger als zwölf Stunden bezogen auf den Kalendertag - dort aufhält (vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20.05.2010, Az.: L 7 AS 5263/08, Rdn. 31).

Die Regelleistungen für den Lebensunterhalt (§§ 28 Abs. 1 Satz 2 und 3, 19 Satz 1, 20 Abs. 1 und 2 SGB II) stehen dem HB auch in voller Höhe zu. Abschläge für Bedarfe, die in der temporären Bedarfsgemeinschaft regelmäßig oder gar typischerweise nicht zu decken sind (Bekleidung, Haushaltsgeräte, usw.) kommen nicht in Betracht. Dies folgt aus dem Gedanken der Pauschalierung der Regelleistung (BSG, Urteil vom 02.07.2009, Az.: B 14 AS 75/08 R, Rdn. 17).

Die Mutter des HB hat das anteilige Sozialgeld für die Zeit, in der sich der HB bei seinem Vater aufgehalten hat, nicht an ihn ausgezahlt. Der HB kann auch nicht auf eine Geltendmachung seines Bedarfs gegenüber seiner Mutter im Rahmen eines Klageverfahrens verwiesen werden. Ein solcher Verweis erscheint schon deswegen ungeeignet, weil nach der Regelung des § 33 Abs. 2 Satz 1 SGB II ein möglicher Unterhaltsanspruch des Empfängers von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach bürgelichem Recht nicht auf den Träger der Leistungen nach dem SGB II übergeht, wenn die unterhaltsberechtigte Person mit dem Verpflichteten in einer Bedarfsgemeinschaft lebt. Insofern tritt das Selbsthilfegebot nach § 2 SGB II hinter die spezielle Regelung des § 33 SGB II zurück (Münder in LPK-SGB II, 3. Auflage, 2009, § 33, Rdn. 34).

Der Anspruchsinhaber hat als Teil der Bedarfsgemeinschaft mit seinem Vater Anspruch auf Sozialgeld in Höhe von 1/30 des maßgeblichen Regelsatzes.

Revision zugelassen, denn zu der Frage, ob ein Leistungsanspruch aufgrund einer temporären Bedarfsgemeinschaft auch dann bestehen kann, wenn der Anspruchsinhaber als Mitglied einer anderen Bedarfsgemeinschaft für den streitgegenständlichen Zeitraum Leistungen bereits erhalten hat, bislang keine höchstrichterliche Entscheidung vorliegt.



https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=140200&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=
Der Beitrag wurde erstellt von Willi 2, Mitarbeiter des Sozialrechtsexperten RA Ludwig Zimmermann sowie Autor des wöchentlichen Rechtsprechungstickers von Tacheles unter der Führung des Sozialreferenten Harald Thome.

Kommentare

  1. hallo ich habe bereits einen einnstweilige Anordnung bei der Sozialgericht Dortmund und wurde es abgelehnt.
    Ich bekomme zurzeit leistung nach sgb xii das Gericht teilte mir mit,dass bei sgb xii wird einen temporäre Bedarfgemeinschaft nicht erkannt.
    können sie mir weiter helfen?

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  2. Nach dem Beschluss des Sozialgericht Dortmund Az: S 32 AS 3/13 ER vom 18.01.2013 und S 32 AS 9/13 ER vom 18.01.2013 wurde wie folgt entschieden:
    Dass bei der Bedarfsberechnung der Antragsteller zu 2.) und 3.) durch die Antragsgegnerin ein um € 54,38 beziehungsweise € 47,45 reduzierte Berücksichtigung der Regelleistung gemäß § 20 SGB II stadtfindet, beruht darauf, dass diese Beträge den Antragsteller zu 2.) und 3.) mit an ihrem Vater gerichtetem Bescheid vom 23.11.2012 im Rahmen der mit diesem bestehenden " temporären Bedarfsgemein-schaft " gewährt werden. Diese Vorgehensweise trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die Antragsteller zu 2.)und 3.) nach dem Stand der Akte an zwei Wochenenden im Monat beim Vater aufhalten.
    Aufgrund des verringerten Bedarfs errechnet sich bei den Antragsteller zu 2.) und 3.) ein Einkommenüberschuss. Dass das den Bedarf der Antragsteller zu 2.) und 3.) übersteigende Kindergeld der Antragstellerin zu 1.) die Mutter als Einkommen angerechnet wird, ist zur Überzeugung des Gerichts nicht zu beanstanden.

    Die Kinder erhalten in der temporären Bedarfsgemeinschaft ihres Vaters Sozialgeld. Damit werden sie zu Sozialhilfe-empfänger da das überschüssige Kindergeld für den Unterhalt ihrer Mutter verbraucht wurde.

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  3. Aktualisierung vom 12.06.2013


    BSG, Urteil vom 12.06.2013 - B 14 AS 50/12 R



    Für jeden Tag, an dem er mehr als 12 Stunden bei seinem Vater war und mit diesem eine sog temporäre Bedarfsgemeinschaft bildete, besteht ein Anspruch auf ein Dreißigstel seiner monatlichen Regelleistung.



    Dies folgt schon aus der bisherigen Rechtsprechung des BSG (Urteile vom 7.11.2006 ‑ B 7b AS 14/06 R ‑ BSGE 97, 242 = SozR 4‑4200 § 20 Nr 1 und vom 2.7.2009 ‑ B 14 AS 75/08 R ‑ SozR 4-4200 § 7 Nr 13).




    Diesem Anspruch steht nicht entgegen, dass der Kläger in der übrigen Zeit in einer Bedarfsgemeinschaft mit seiner Mutter lebte, der von dem für diese Bedarfsgemeinschaft zuständigen Jobcenter für den Kläger schon jeweils die Regelleistungen für einen vollen Monat bewilligt und gezahlt wurden.

    Da die Bedarfsgemeinschaften im Falle des umgangsbedingten Wechsels des Aufenthalts eines Kindes aber nicht personenidentisch sind, handelt es sich um zwei Ansprüche, die unterschiedlich hoch sein können und sich in zeitlicher Hinsicht ausschließen.


    MfG Detlef Brock- Sozialberater

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  4. Guten Tag, ich habe dazu eine grundsätzliche Frage. Ich lebe seit 2012 von inzwischen meinem Ex-Mann getrennt. Er ist seit ca. 2 Jahren Frührentner und stockt mit Grundsicherung/Sozialhilfe seinen Bedarf auf. Laut einer SGB II-Novelle 2011/453 ist meine Unterschrift zur Gewährung des Mehrbedarfes bezüglich der Umgangskontakte in den Ferienzeiten beim Vater nicht mehr erforderlich. Mein Ex-Mann und dessen Anwältin bestehen aber darauf. Was ist nun richtig? Vielen Dank für Ihre Antwort.

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