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Wer sich weigert, an einer vom Grundsicherungsträger zur Feststellung seiner Leistungsfähigkeit angeordneten ärztlichen Untersuchung teilzunehmen, verletzt die ihm gem § 59 SGB II iVm § 309 SGB III obliegende Mitwirkungspflicht

§§ 31, 31 a SGB II, §§ 62, 66 SGB I

LSG Saarbrücken Beschluß vom 2.5.2011, L 9 AS 9/11 B ER

Wer sich weigert, an einer vom Grundsicherungsträger zur Feststellung seiner Leistungsfähigkeit angeordneten ärztlichen Untersuchung teilzunehmen, verletzt die ihm gem § 59 SGB II iVm § 309 SGB III obliegende Mitwirkungspflicht.


Eine Verletzung dieser Mitwirkungspflicht kann der Grundsicherungsträger nur gem §§ 31, 31 a SGB II sanktionieren; eine Anwendung von §§ 62, 66 SGB I ist in derartigen Fällen ausgeschlossen.


Die in den §§ 60 bis 67 SGB I niedergelegten Mitwirkungsobliegenheiten sind nämlich nur und ausschließlich dann (ergänzend) heranzuziehen, solange und soweit nicht Regelungen über besondere Mitwirkungsobliegenheiten existieren, die den Lebenssachverhalt ausdrücklich oder stillschweigend abweichend und/oder abschließend regeln (vgl. BSG-Urteil vom 19.09.2008 ,Az.: B 14 AS 45/07 R = BSGE 101, 260 = SozR 4-1200 § 60 Nr. 2).

Eine Umdeutung eines auf §§ 62, 66 SGB I gestützten Versagungsbescheides in einen Sanktionsbescheid nach §§ 31, 31 a SGB I ist nicht möglich. Eine gg die auf §§ 62, 66 SGB I gestützte (teilweise) Versagung von Alg II gerichtete Anfechtungsklage ist nicht gem. § 39 Nr. 1 SGB II (Fassung ab 01.01.09) sofort vollziehbar.

Beachtet der Grundsicherungsträger die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage nicht, kann der Betroffene beim Sozialgericht beantragen, dass in entsprechender Anwendung von § 86b I SGG die aufschiebende Wirkung der Klage ausdrücklich festgestellt wird; ausnahmsweise kommt darüber hinaus auch der Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86 II 2 SGG in Betracht, wenn die Leistungsversagung von dem Grundsicherungsträger ausschließlich auf §§ 62, 66 SGB I gestützt worden ist.

Denn durch die Neufassung des § 39 SGB II mit Wirkung zum 01.01.2009 ist eine Änderung dahingehend eingetreten, dass angesichts des eindeutigen Wortlauts der Norm die auf § 66 SGB I gestützte Versagung der Leistung im Falle der Anfechtung nicht mehr von der in § 39 SGB II geregelten sofortigen Vollziehbarkeit erfasst wird(so auch Beschluss des LSG Baden-Württemberg vom 08.04.2010, Az.: L 7 AS 304/10 ER-B m.w.N.).

http://www.rechtsprechung.saarland.de/cgi-bin/rechtsprechung/list.py?Gericht=sl&Art=en&sid=b9bb448928ddb4611514d11e472b99a4



Anmerkung : Vgl. dazu auch Sozialgericht Bremen Beschluss vom 01.10.2010 , - S 18 AS 1928/10 ER -,

Die Verletzung einer in § 59 SGB II i.V.m. § 309 SGB III ausdrücklich normierten Mitwirkungspflicht (hier Pflicht zur ärztlichen Untersuchung) erlaubt die Anwendung der in § 31 Abs. 2 SGB II vorgesehenen Sanktionen. Die Regelungen des § 31 SGB II stellen spezielle Regelungen dar. Dort werden gestaffelte Sanktionierungen geregelt. Die vollständige Entziehung der Regelleistung über einen Rückgriff auf die Bestimmungen der §§ 62, 66 SGB I kommt daneben nicht in Betracht. Das SGB II enthält insoweit ein geschlossenes Regelungsgefüge.



Anmerkung : Vgl. dazu auch LSG Halle (Saale) 5. Senat, Beschluss vom 20.02.2009 - L 5 B 376/08 AS ER -, Anmerkung von Dr. Christiane Padé, Ri'inSG , Fundstelle: jurisPR-SozR 20/2009 Anm. 1 , Erscheinungsdatum: 01.10.2009 .


Verhältnis von § 31 SGB II zu § 66 SGB I


Leitsätze


1. Die Verletzung einer in § 59 SGB II i.V.m. § 309 SGB III ausdrücklich normierten Mitwirkungspflicht erlaubt die Anwendung der in § 31 Abs. 2 SGB II vorgesehenen Sanktionen. Ein Rückgriff auf die subsidiären Regelungen der §§ 62, 66 SGB I ist unzulässig, da das SGB II insoweit ein geschlossenes Regelungsgefüge enthält.


2. Die Umdeutung eines Leistungsentziehungsbescheids nach § 66 SGB I in einen Sanktionsbescheid nach § 31 SGB II kommt wegen des unterschiedlichen Charakters der Regelungen nicht in Betracht(Leitsätze des Autors)



Anmerkung : Anderer Auffassung Sozialgericht Düsseldorf Beschluss vom 06.12.2010 , - S 7 AS 4509/10E R -


Bestehen Zweifel an der Erwerbsfähigkeit des Hilfebedürftigen , kann das Fernbleiben von einer angeordneten Untersuchung eine Versagenentscheidung nach den §§ 60, 62 und 66 SGB I rechtfertigen


 Der Beitrag wurde erstellt von Willi 2

Kommentare

  1. Der Entscheidung des LSG Saarbrücken ist zu folgen, denn §§ 59 SGB II, 309 III gehen der Regelung der §§ 59 SGB I ff. als speziellere Regelungen vor (vgl. BSG, 19.09.2008 – B 14 AS 45/07 R Rn. 15).
    Eine Versagung der Leistung kommt daher nicht in Betracht, weil hier nur eine Sanktion verhängt werden kann (§ 31 SGB II).
    Das LSG Saarland hat auch richtig entschieden, dass ein Versagungsbescheid nicht in einen Sanktionsbescheid umgedeutet werden kann, denn er hat sowohl unterschiedliche Tatbestandvoraussetzungen als auch unterschiedliche Rechtsfolgen.

    Übrigen besteht auch nach § 59 SGB II in Verbindung mit § 309 Abs.1 S.1 SGB III eine eigene Pflicht des Leistungsberechtigten sich untersuchen zu lassen. Aus § 309 Abs.2 SGB III ergeben sich nur die Meldegründe, die zusätzlich vorliegen müssen, der Leistungsträger kann daher eine Untersuchung Z. B. zur Klärung der Frage anordnen, ob der Leistungsberechtigte erwerbsfähig ist und in welche Beschäftigung er vermittelt werden kann (§ 309 Abs. 2 S. 3, 4, 5 SGB III).

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  2. Ich habe ein paar Artikel darüber gelesen, aber das gab mir zu denken. Der Autor ist in der Lage, große Ideen für Ihr Blog zu übertragen.

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