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BSG 14.Senat aktuell:Alleinerziehende haben keinen Anspruch auf einen Wohnflächenmehrbedarf von zehn Quadratmetern - Wann ist ein Umzug für eine alleinerziehende ALG II- Empfängerin unzumutbar?

BSG, Urteil vom 22.08.2012 - B 14 AS 13/12 R


Das BSG hat bereits mehrfach entschieden, dass Regelungen in Wohnraumförderbestimmungen, die weitergehend differenzierend auf die Raumzahl abstellen, für die Auslegung des § 22 Abs 1 SGB II unbeachtlich sind (vgl für Bayern BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2, RdNr 24).

Aber auch wohnraumförderungsrechtliche Sonderregelungen, die (entsprechend den Vorgaben des § 10 Abs 1 Nr 2 WoFG) auf persönliche Lebensverhältnisse Bezug nehmen, sind bei Bestimmung der Wohnflächen für die abstrakte Angemessenheitsprüfung nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II nicht zu berücksichtigen.

Unbeachtlich ist deshalb, dass nach den Regelungen in Schleswig-Holstein für Alleinerziehende die Vergabe von Wohnungen in Betracht kommt, die bis zu 70 qm groß sind).

Persönliche Lebensumstände sind im SGB II bei der Prüfung der Angemessenheit der Kosten (auch soweit sie in einem bestimmten Raumbedarf Ausdruck finden) nicht unbeachtlich, schon weil § 22 Abs 1 SGB II die Umstände des Einzelfalls ausdrücklich in Bezug nimmt.

Solche Umstände lassen sich aber nicht abstrakt erfassen. Sie sind nach der dargestellten Systematik des § 22 Abs 1 Satz 1 und 3 SGB II bei der Frage zu prüfen, ob dem Leistungsberechtigten, dessen individuelle Kosten im Einzelfall die abstrakten Angemessenheitsgrenzen überschreiten, ein Umzug in eine kostenangemessene Wohnung konkret möglich und zumutbar ist.

Persönliche Umstände wie etwa das (nähere) soziale und schulische Umfeld minderjähriger schulpflichtiger Kinder, Alleinerziehender oder behinderter oder pflegebedürftiger Menschen bzw der sie betreuenden Familienangehörigen können Gründe darstellen , die zu Einschränkungen der Obliegenheit zur Senkung unangemessener Kosten der Unterkunft im Sinne subjektiver Unzumutbarkeit führen.

Eine abweichende Bestimmung des maßgeblichen Vergleichsraumes schon bei Bestimmung der abstrakt angemessenen Kosten ist aber nicht vorzunehmen.

Es kommen nicht nur gesundheitliche Gründe in Betracht, wenn es um die Gründe für die "Unzumutbarkeit" von Kostensenkungsmaßnahmen (insbesondere durch Umzug) geht.

Es können auch die besonderen Belange von Eltern und Kindern (vor dem Hintergrund des Art6 Grundgesetz) solche beachtenswerte Gründe darstellen.

Es ist auf das soziale und schulische Umfeld minderjähriger schulpflichtiger Kinder Rücksicht zu nehmen.

Ebenso ist die Situation von Alleinerziehenden dahin zu überprüfen, ob sie zur Betreuung ihrer Kinder auf eine besondere Infrastruktur angewiesen sind, die bei einem Wohnungswechsel in entferntere Ortsteile möglicherweise verlorenginge und im neuen Wohnumfeld nicht ersetzt werden könnte (BSG Urteil vom 19.2.2009 - B 4 AS 30/08 R - BSGE 102, 263 = SozR 4-4200 § 22 Nr 19 RdNr 35).

Auch Angehörige unterer Einkommensschichten, die nicht auf Transferleistungen angewiesen sind, werden sich bei der Frage nach Kosteneinsparungen von diesen Gedanken leiten lassen.

Aus solchen Umständen folgt allerdings im Regelfall kein Schutz der kostenunangemessenen Wohnung als solcher.

Entsprechende Umstände schränken allenfalls die Obliegenheiten der Leistungsempfänger, die Kosten der Unterkunft zu senken, auf Bemühungen im näheren örtlichen Umfeld ein.

Die Frage, ob einem Kind ein Schulwechsel zugemutet werden kann, lässt sich dabei nicht schematisch beantworten. Vor allem der im Einzelfall nach einem Umzug zumutbare Schulweg orientiert sich daran, was das Kind schon von der bisherigen Wohnung aus bewältigen musste, ob es etwa mit der Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln bereits vertraut ist bzw bereits einen Schulweg in bestimmter Länge zu Fuß (oder in fortgeschrittenem Alter mit dem Fahrrad) zurücklegen muss.

Ähnliches gilt für die Lebensumstände Alleinerziehender.

So kann insbesondere eine regelmäßige Nachmittagsbetreuung von Schulkindern an das nähere Umfeld geknüpft sein.

Ist dagegen eine solche Betreuung nicht vorhanden, wird Fremdbetreuung nur gelegentlich wahrgenommen oder ist eine entsprechende Betreuungsstruktur über den gesamten Vergleichsraum vorhanden und zugänglich, besteht eine schützenswerte Bindung an das nähere Wohnumfeld nicht (vgl bereits BSG Urteil vom 13.4.2011 - B 14 AS 85/09 R - juris RdNr 31).

Auch wenn die Wohnflächen für Alleinerziehende mit Kindern nicht grundsätzlich zu erhöhen sind, kommt schließlich der Verweis auf Wohnungen, die die abstrakt angemessene Wohnfläche wesentlich unterschreiten, nicht in Betracht.

Es braucht im derzeitigen Verfahrensstand nicht abschließend entschieden werden, ob jedem schulpflichtigen Kind ein eigenes Zimmer zuzubilligen ist und von daher nur Wohnungen mit einer bestimmten Raumzahl konkret zumutbar sind.

Jedenfalls müssen Größe und Zuschnitt einer Wohnung einen gewissen Rückzugsraum für das Schulkind wie für den erwachsenen Elternteil ermöglichen.


Anmerkung: BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R

Die in den Wohnraumfördervorschriften der Länder vorgesehenen Erhöhungen der Wohnungsgröße wegen personenbezogener Merkmale fließen nicht in die Bestimmung des abstrakt angemessenen Mietzinsesein(hier Alleinerziehendenzuschlag;Fortführung der Entscheidung des 14. Senat des BSG vom 22.8.2012 - B 14 AS 13/12 R).

Derartige Merkmale sind ausschließlich bei der konkreten Angemessenheit - im Rahmen der Kostensenkungsobliegenheit - zu berücksichtigen.

Der Beitrag wurde erstellt von Detlef Brock.
 

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