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Zur Einkommensanrechnung bei gemischten Bedarfsgemeinschaften (hier Erwerbseinkommen mit unterschiedlichen Freibeträgen nach SGB II und SGB XII)

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vonm 14.06.2012 - L 8 SO 161/09


Die Höhe des notwendigen Bedarfs des Partners und des von ihm einzusetzenden Einkommens richtet sich allein nach den Vorschriften des SGB XII.

Dies ergibt sich schon aus den Worten "nach diesem Buch" in § 43 Abs. 1 SGB XII aF (Coseriu in JurisPK-SGB XII § 19 SGB XII Rdnr. 35f; noch deutlicher in der seit dem 1. Januar 2011 geltenden Fassung des § 43 Abs. 1 SGB XII aufgrund der Verweisung auf § 27a SGB XII).

Besonderheiten bei gemischten Bedarfsgemeinschaften, die sich aus dem Regelungskonzept des SGB II ergeben, ist dabei mit Hilfe von Härteregelungen Rechnung zu tragen (Stölting/Greiser, SGB 2010, 631, 635; zur Berücksichtigung von Vermögen bei gemischten Bedarfsgemeinschaften: Urteil des Senats vom 23. Februar 2012 L 8 SO 159/09 ), weil die Leistungssysteme nur unzulänglich aufeinander abgestimmt sind (Eicher in JurisPK-SGB XII, § 21 SGB XII, Rdnr. 14; Grube in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Auflage 2010, § 19 Rdnr. 28; zu allem: BSG, Urteil vom 9. Juni 2011 B 8 SO 20/09 R ,Rdnr. 20).

Das folgt bereits daraus, dass es sich bei den der Ehefrau gewährten Leistungen nach dem SGB II nicht um anrechenbares Einkommen im Sinne des §§ 43 Abs. 1, 82 SGB XII aF handelt (BSG, Urteil vom 9. Juni 2011 - B 8 SO 20/09 R -,Rdnr. 16).

Die ihr gewährten Leistungen nach dem SGB II sind in entsprechender Anwendung des § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII vielmehr wie die Leistungen nach dem SGB XII zu behandeln und deshalb nicht zu berücksichtigen.

Denn § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II sieht ebenso wie § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB II eine Nichtberücksichtigung von Leistungen nach dem SGB II als Einkommen vor.

Dann aber kann bei der gegenseitigen Berücksichtigung von Einkommen bei Mitgliedern einer gemischten Bedarfsgemeinschaft, in der der eine Teil Alg II und der andere Teil Sozialhilfeleistungen erhält, nichts anderes gelten.

Dies hat der Gesetzgeber übersehen, der die gemischte Bedarfsgemeinschaft nicht im Blick hatte (Schmidt in Juris-PK-SGB XII, § 82 SGB XII, Rdnr. 45; vgl. Urteil des Senats vom 23. Februar 2012 - L 8 SO 159/09 -).

Deshalb kann das an die Ehefrau des Klägers gezahlte Alg II, das nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II grundsätzlich nicht zum Einkommen gehört, auch nicht - die genannte Vorschrift konterkarierend - über §§ 43 Abs. 1, 82 Abs. 1 SGB XII als Einkommen Berücksichtigung finden (BSG aaO, Urteil des Senats vom 23. Februar 2012, aaO).


Anmerkung:

Ohne dass es für den hier zu entscheidenden Fall darauf ankommt, ist darauf hinzuweisen, dass selbst dann, wenn sich ein den eigenen (fiktiven sozialhilferechtlichen) Bedarf übersteigendes Einkommen des Alg II beziehenden Ehepartners einer gemischten Bedarfsgemeinschaft ergäbe, der Grundsatz gilt, dass die Berechung der Sozialhilfeleistung nach Maßgabe des SGB XII nicht dazu führen darf, dass nach der Zielsetzung des SGB II geschontes Einkommen gleichwohl zu Gunsten der dem SGB XII unterworfenen Personen eingesetzt werden muss.

Wegen der Außerachtlassung des Alg II als Einkommen wäre diese Konstellation vor allem im Hinblick auf höhere Freibeträge nach § 30 SGB II (seit 1. April 2011: § 11b SGB II) denkbar.

Ein nach dem SGB II, nicht aber nach dem SGB XII geschütztes Einkommen kann auch dann nicht ohne Weiteres zur Deckung des Bedarfs des SGB-XII-Leistungsberechtigten herangezogen werden (LSG NSB, Urteil vom 23. Februar 2012 - L 8 SO 159/09).

Besonderheiten des SGB II können dann zur Vermeidung einer anderenfalls bestehenden Ungleichbehandlung von so genannten gemischten Bedarfsgemeinschaften aus Partnern, die verschiedenen Leistungssystemen (SGB II/SGB XII) unterfallen, mit reinen Bedarfsgemeinschaften durch Härtefallregelungen bei Einkommen § 82 Abs. 3 Satz 3 SGB XII, bei Vermögen § 90 Abs. 3 SGB XII berücksichtigt werden.


Rechtstipp: S.a.Sozialrechtsexperte:

In einer gemischten Bedarfsgemeinschaft nach SGB 2 ist das Arbeitslosengeld II der Ehefrau nicht leistungsmindernd bei einem Leistungsbezieher der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu berücksichtigen, denn Arbeitslosengeld II ist kein Einkommen iS der Regelungen des SGB XII zur Anrechnung von Einkommen.

Der Beitrag wurde erstellt von Detlef Brock 

Kommentare

  1. Zum Thema ein lesenswerter Aufsatz des Vorsitzenden Richters a.D. Prof. Dr. Volker Wahrendorf, Mühlheim in der Sozaialrecht aktuell, 2012, 50 mit dem Titel: Die gemischte "Bedarfsgemeinschaft" im Sozialhilferecht.

    Er schreibt als Schlussbemerkung:
    Vieles bleibt bei der Bewältigung der Probleme der gemischten Bedarfsgemeinschaft dem „common sense“ überlassen und hin­terlässt für die Arbeit in der Entscheidungspraxis der Sozialverwaltung Unsicherheiten. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn sich der Gesetzgeber im März des Jahres 2011 bei der vom BVerfG veranlassten „Reform“ des SGB II und des SGB XII auch der Probleme der gemischten Bedarfsgemeinschaften ange­nommen hätte.


    S. a.:

    "Zur Bedürftigkeitsprüfung in sog. Mischhaushalten - Anmerkung zum Urteil des BSG vom 09.06.2011"
    von Christine Haberstumpf-Münchow und Jürgen Kruse in info also 2012, 108.
    (BSG, Urt. v. 09.06.2011 - B 8 SO 20/09 R)

    Die Autoren schreiben als Ausblick:
    "Für die Momentaufnahme beim Zusammentreffen ver­schiedener Leistungsberechtigungen hat das BSG nun eine Lösung angeboten, die zu gerechten Ergebnissen führt. In einem weiteren Schritt wäre zu wünschen, dass das Gericht bald Gelegenheit erhält, den Wechsel einer Person vom einen System (SGB II) in das andere (SGB XII) daraufhin zu untersuchen, ob Gesichtspunkte auch hier für den Ein­satz von Härtefallregelungen sprechen. Es ist nämlich schwer zu vermitteln, warum Vermögen, das bis zum Tag vor dem Erreichen der Altersgrenze nach § 7a SGB II schonenswert erschien und auch geschont wurde, am nächs­ten Tag auf einen geringen Teil abzuschmelzen sein soll. Der erwarteten schnell wachsenden Zahl von Personen, die aus dem »Hartz IV«-Bezug in die Altersarmut wechseln, wird nur schwer zu vermitteln sein, warum sie gerade im Alter auf die Reserven eines Sparbuches o.ä. nicht mehr sollen zurückgreifen können. Womöglich wird es auch in diesem Punkt Aufgabe der Rechtsprechung sein, die gröbs­ten Unbilligkeiten »abzuschleifen« und dazu auf die Rechtsgrundlagen der Härtefallregelungen zurückzugreifen."

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