Direkt zum Hauptbereich

Aufhebungs - und Rückforderungsbescheid ist rechtswidrig, wenn die Ehefrau des Leistungsbeziehers nicht erkennen konnte, dass der Ehemann auch für sie Leistungen beantragt hatte und bezog.

Es entspreche ihrer Herkunft, dass sie sich keine Erfahrung im Umgang mit Behörden angeeignet habe. Dass der Haushalt insgesamt mehr finanzielle Mittel umgesetzt habe als ihr bloßes Einkommen, habe sie auf den Leistungsbezug ihres Ehemannes zurückführen dürfen. Auch sei die Rückforderung nicht gerechtfertigt, weil die Leistungen auf das Konto des Ehemannes gegangen seien und sie davon nichts gewusst habe.

Am Freitag, dem 18.11.2011, hat dass LSG Hamburg bekannt gegeben, dass eine Zurechnung des Verschuldens nach allgemeinen Regeln (§§ 166, 278 BGB) unter volljährigen Mitgliedern einer Bedarfsgemeinschaft  jedenfalls nicht über § 38 SGB II begründet werden kann .

Denn § 38 SGB II ist kein Fall gesetzlicher Vertretung, sondern normiert lediglich die Vermutung des Vorhandenseins einer Vollmacht. Diese Vermutung erfasst nur die Antragstellung und die Entgegennahme der Leistungen; weitergehende Wirkungen entfaltet § 38 SGB II nicht (zuletzt BSG, Urt. v. 7.7.2011 – B 14 AS 144/10 R- ).

Eine Verschuldenszurechnung unter volljährigen Mitgliedern einer Bedarfsgemeinschaft kommt vielmehr nur in den Fällen einer rechtsgeschäftlich erteilten Vollmacht oder – was hier ausscheidet – einer gesetzlichen Vertretung in Betracht (LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 10.8.2011 – L 15 AS 1036/09 - ).

 Die rechtsgeschäftlich erteilte Vollmacht kann ausdrücklich erteilt werden, aber auch konkludent in Form einer sog. Duldungsvollmacht.

Das setzt allerdings voraus, dass das vertretene Mitglied der Bedarfsgemeinschaft Kenntnis vom Verhalten des Vertreters hat und dies stillschweigend duldet (Schoch, in: LPK-SGB II, 4. Aufl. 2011, § 38 Rn. 18; M.Mayer, in: Oestreicher, SGB II, § 38 Rn. 15, Stand Juni 2011).

Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, bleibt dem Leistungserbringer nur der Weg, direkt gegen den als Vertreter Handelnden vorzugehen.

Eine Vollmacht für den Ehemann der Klägerin, in ihrem Namen Leistungen zu beantragen, liegt hier nicht vor, so dass eine Zurechnung des Verschuldens allein aufgrund einer Duldungsvollmacht in Betracht kommt.

Es ist aber nicht nachgewiesen, dass die Klägerin es willentlich hat geschehen lassen, dass ihr Ehemann für sie bei der Beantragung von Leistungen wie ein Vertreter auftrat. Denn sie hat durchgehend und auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat glaubhaft bekundet, dass sie nicht gewusst habe, dass er auch für sie Leistungen bezogen habe.

Das erscheint auch nachvollziehbar, da die Klägerin ausreichendes Einkommen erzielte, um ihren Lebensunterhalt zu decken. Es kann ihr auch nicht vorgehalten werden, dass sie von dem Leistungsbezug ihres Mannes gewusst habe. Denn dass sie über die rechtliche Konstruktion der Bedarfsgemeinschaft auch selbst zur Leistungsbezieherin wurde, konnte sie nach ihren Erkenntnismöglichkeiten nicht wissen .

Landessozialgericht Hamburg Urteil vom 20.10.2011, - L 5 AS 87/08 -

https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=146948&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=


Anmerkung: LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 10.8.2011 – L 15 AS 1036/09


Es gibt keine gesetzliche Vorschrift, nach der sich Partner eines erwerbsfähigen Hilfebedürftigen dessen Verschulden bei Antragstellung zurechnen lassen muss.


http://sozialrechtsexperte.blogspot.com/2011/09/ruckforderungsbescheid-von-alg-ii.html

Der Beitrag wurde erstellt von Willi 2, Mitarbeiter des Sozialrechtsexperten RA Ludwig Zimmermann sowie Autor des wöchentlichen Rechtsprechungstickers von Tacheles .

Kommentare

  1. Aktualisierung:24.05.2013


    1. Ein Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid muss den Zeitraum und das Ausmaß der Rücknahme oder Aufhebung nicht bloß durch Benennung eines nach Anfang und Ende bezeichneten Zeitraumes und eines insgesamt zu Unrecht gewährten Geldbetrages bestimmen, sondern auch die jeweils betroffenen Bewilligungsbescheide nach ihrem Datum bezeichnen (Bestimmtheit).

    2. Eine Zurechnung des Verschuldens nach allgemeinen Regeln (§§ 166, 278 BGB) unter volljährigen Mitgliedern einer Bedarfsgemeinschaft kann jedenfalls nicht über § 38 SGB II begründet werden; sie kommt vielmehr nur in den Fällen einer rechtsgeschäftlich erteilten Vollmacht oder einer gesetzlichen Vertretung in Betracht. Die rechtsgeschäftlich erteilte Vollmacht kann ausdrücklich erteilt werden, aber auch konkludent in Form einer sog. Duldungsvollmacht.

    Landessozialgericht Hamburg 5. Senat, Urteil vom 20.10.2011, L 5 AS 87/08

    Anmerkung: Ebenso im Ergebnis- LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 10.8.2011 – L 15 AS 1036/09


    Es gibt keine gesetzliche Vorschrift, nach der sich Partner eines erwerbsfähigen Hilfebedürftigen dessen Verschulden bei Antragstellung zurechnen lassen muss.



    MfG Detlef Brock- Freier Sozialberater

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Beliebte Posts aus diesem Blog

Die Versicherungspauschale von 30 EUR nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-VO kann von einem einzelnen Einkommen einer Bedarfsgemeinschaft nur einmal abgezogen werden.

§ 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-VO Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil vom 06.06.2011, - L 1 AS 4393/10 - Die Versicherungspauschale von 30 EUR nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-VO kann von einem einzelnen Einkommen einer Bedarfsgemeinschaft nur einmal abgezogen werden(BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 51/09 R-; Rdnr. 4). Eine erneute Berücksichtigung scheidet auch dann aus, wenn eine sog. gemischte Bedarfsgemeinschaft vorliegt und Einkommen eines nichtbedürftigen Mitglieds einem bedürftigen Mitglied der Bedarfsgemeinschaft zugerechnet wird. https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=144213&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive = Anmerkung: 1. Vom Einkommen volljähriger Hilfebedürftiger ist ein Betrag in Höhe von 30 Euro monatlich für die Beiträge zu privaten Versicherungen, die nach Grund und Höhe angemessen sind, gemäß § 11 Abs 2 Nr 3 SGB II als Pauschbetrag abzusetzen (§ 6 Abs 1 Nr 1 Alg II-V ). Diese Pauschale in Höhe von 30 Euro ist

Kann ein Leistungsbezieher nach dem SGB II für seinen unangemessenen Stromverbrauch keine Gründe benennen, muss das Jobcenter seine Stromschulden nicht übernehmen.

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 22 Abs. 8 des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch (SGB II). Danach können Schulden übernommen werden, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden und soweit die Schuldübernahme zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertig und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Vermögen nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II ist vorrangig einzusetzen. Geldleistungen sollen als Darlehen gewährt werden.  Die Rechtfertigung der Schuldenübernahme ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, in den auch Billigkeitserwägungen einfließen (Beschluss des erkennenden Senats vom 2. Juni 2009 – L 14 AS 618/09 B ER). Mit rechtskräftigem Beschluss vom 23.09.2011 hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg , - L 14 AS 1533/11 B ER - geurteilt, dass Gründe für einen "unangemessenen" Stromverbrauch in einem einstwe

Ausgestaltung des Widerrufsrechts bei Fernabsatzverträgen

Das AG München hat entschieden, dass es bei einem Fernabsatzvertrag nach Ausübung des Widerrufsrechts keiner weiteren Bestätigung bedarf. Eine Münchnerin buchte bei einem großen Münchner Unternehmen am 20.04.2012 über dessen Internetseite online einen Schwimmkurs "Kraulen", der noch am gleichen Tag bestätigt wurde. Kurz darauf, noch am gleichen Tag, stornierte die Münchnerin die Buchung, indem sie das online zur Verfügung gestellte Stornierungsformular des Unternehmens ausfüllte und abschickte. Das Unternehmen hat die Stornierung erhalten, aber nicht gegenüber der Münchnerin bestätigt. In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Unternehmens steht: "Bei online-Anmeldungen ist die Stornierung zusätzlich über die Webseite 'Kursbuchung/Stornierung eines Kurses' unter Angabe der Buchungsnummer und der bei der Anmeldung angegebenen Emailadresse möglich." Sobald der Kunde das Stornierungsformular abschickt, erhält er eine neue E