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Wann sind Mietschulden bei Hartz IV - Empfängern zu übernehmen ?

Ob Schulden im Sinne des § 22 Abs. 8 SGB II oder tatsächliche Aufwendungen für Un-terkunft und Heizung im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II vorliegen, ist ausgehend von dem Zweck der Leistungen nach dem SGB II zu beurteilen, einen tatsächlich eingetretenen und bisher noch nicht von dem SGB II-Träger gedeckten Bedarf aufzufangen, so die Rechtsauffassung des Sozialgerichts Stade, Beschluss vom 30.08.2011, - S 28 AS 489/11  ER - .

Bezieht sich die geltend gemachte Nachforderung auf einen während der Hilfebedürftigkeit des SGB II-Leistungsberechtigten eingetretenen und bisher noch nicht gedeckten Bedarf, handelt es sich jedenfalls um vom SGB II-Träger zu übernehmende tatsächliche Aufwen-dungen nach § 22 Abs. 1 SGB II.

Hat der Grundsicherungsträger dem Leistungsberech-tigten bereits die monatlich an den Vermieter zu zahlenden Abschlagsbeträge zur Verfü-gung gestellt, den aktuellen Bedarf in der Vergangenheit also bereits gedeckt, und beruht die Nachforderung auf der Nichtzahlung der als Vorauszahlung vom Vermieter geforder-ten Abschläge, handelt es sich dagegen um Schulden (vgl. BSG, Urteil vom 22.03.2010 - B 4 AS 62/09 R -; BSG, Urteil vom 17.06.2010 - B 14 AS 58/09 R - ; BSG, Urteil vom 02.07.2009 - B 14 AS 36/08 R - ).

Nach § 22 Abs. 8 SGB II können Schulden übernommen werden, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden und dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist (Satz 1). Sie sollen übernom-men werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht (Satz 2). Die Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.


Die Anwendung des § 22 Abs. 8 SGB II hat sich nach dem Ziel dieser Vorschrift zu rich-ten, nämlich dem Eintritt von Wohnungslosigkeit vorzubeugen. Die Regelung beruht auf dem Gedanken, dass die Sicherung der Wohnungsversorgung aus der Sicht des SGB II - Trägers günstiger ist als die Beseitigung bereits eingetretener Wohnungslosigkeit, die zusätzlich ein Hindernis für weitergehende Hilfestellungen darstellt.


Die Folgekosten von Obdachlosigkeit sowie die negativen Auswirkungen im Hinblick auf eine baldige Wieder-eingliederung in den Arbeitsmarkt bedeuten aber nicht, dass Mietschulden ohne Prüfung des Einzelfalls übernommen werden müssen. Vielmehr verlangt der Gesetzgeber in § 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II, dass die Schuldenübernahme gerechtfertigt und notwendig sein muss, um drohende Wohnungslosigkeit zu vermeiden.

Daher ist ein Normverständnis, nach dem die Ursachen der aktuellen Notlage, das Verhalten des Antragstellers in der Vergangenheit sowie sein Selbsthilfebestreben für die Zukunft ohne Bedeutung seien, mit dem Gesetzeswortlaut nicht vereinbar.

Eine Leistungserbringung nur dann als ausge-schlossen anzusehen, wenn die Hilfe suchende Person sich auf andere Weise, insbe-sondere unter Einsatz seines Schonvermögens helfen kann, wird dem Wortlaut und der gesetzgeberischen Intention nicht gerecht (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 21.02.2007 - L 7 AS 22/07 ER - ).


Sind Mietrückstände durch die rechtswidrige Ablehnung der Leistungsgewährung des Grundsicherungsträgers entstanden und ist bereits eine Räumungsklage anhängig, so ist die Übernahme von Mietschulden gerechtfertigt; im Rahmen des § 22 Abs. 8 SGB II ist dann von einer Ermessensreduzierung auf Null auszugehen (vgl. LSG Hamburg, Be-schluss vom 24.01.2008 - L 5 B 504/07 ER AS - ).

Vorliegend sind die Mietrückstände nicht durch die rechtswidrige Ablehnung der Leistungsgewährung des Antragsgegners entstanden.


Die Übernahme der Mietrückstände ist auch nicht aus sonstigen Gründen gerechtfertigt.


Die Übernahme von Mietschulden ist grundsätzlich nur dann gerechtfertigt, wenn die Kosten für die konkret bewohnte Unterkunft abstrakt angemessen sind (vgl. BSG, Urteil vom 17.06.2010 - B 14 AS 58/09 R -). Die Übernahme von Mietrückstän-den ist gemäß § 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II grundsätzlich nicht gerechtfertigt, um eine un-angemessen teuere Unterkunft zu sichern.

Eine Übernahme in diesen Fällen liefe auf eine Aushöhlung der Grundnorm des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II hinaus, wonach nur an-gemessene Kosten zu übernehmen sind, und würde letztendlich als Ergebnis haben, dass die (unangemessenen) tatsächlichen Unterkunftskosten zu berücksichtigen wären (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 21.02.2007 - L 7 AS 22/07 ER -).

Vorliegend sind die Kosten für die von dem Antragsteller und Frau XX  be-wohnte Unterkunft nicht angemessen , so dass die Übernahme der Mietrückstände insoweit nicht gerechtfertigt ist.


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Der Beitrag wurde erstellt von Willi 2, Mitarbeiter des Sozialrechtsexperten RA Ludwig Zimmermann sowie Autor des wöchentlichen Rechtsprechungstickers von Tacheles

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