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Im Dickicht der Formulare - Beratung durch Behörde mangelhaft

Berliner Arbeitslosenzentrum bilanziert »Jobcenter-Tour«. Beratung durch Behörde mangelhaft

Von Daniel Bratanovic


Behördendrangsal ist eine nach wie vor verallgemeinerbare Alltagserfahrung vieler Erwerbsloser in ihrer Begegnung mit den Jobcentern.

1. Einer Mutter, die an Niereninsuffizienz leidet, und deren Sohn, der an einer Glutenunverträglichkeit und an Multipler Sklerose erkrankt ist, wurde der Mehrbedarf für eine spezielle und daher kostenaufwendigere Ernährung verweigert.

2. Ein junger Mann erhielt vom Jobcenter ein Stellenangebot als Lagerarbeiter, das sich als Tätigkeit mit Atemschutzmaske in der Kunststoffproduktion herausstellte. Der Mann lehnte die Arbeit aufgrund einer Asthmaerkrankung, die er sich ärztlich attestieren ließ, ab. Dennoch bestrafte das Jobcenter die Ablehnung mit der Einstellung der kompletten Hartz-IV-Bezüge für die Dauer von drei Monaten.

Diese Einzelfälle, die den Umgang der Behörden mit ihren »Kunden« schlaglichtartig illustrieren, listet das Berliner Arbeitslosenzentrums der evangelischen Kirche (BALZ) auf.

Anmerkung vom Sozialberater Willi 2,freier Mitarbeiter des RA Ludwig Zimmermann:

Zu1. Nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins  kommt ernährungsbedingt ein Mehrbedarf regelmäßig (nur noch) bei verzehrenden Erkrankungen mit erheblichen körperlichen Auswirkungen wie z.B. fortschreitendem/fortgeschrittenem Krebsleiden, HIV/Aids, multipler Sklerose sowie schweren Verläufen entzündlicher Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Collitis ulcerosa, Glutenunverträglichkeit und Niereninsuffizienz, die eiweißdefinierte Kost oder Dialyse erforderlich machen, in Betracht (4.2 folgende der neuen Empfehlungen),(LSG NRW ,Beschlüsse vom 12.03.2009,-  L 19 B 54/09 AS und L 19 B 31/09 AS ER ).

Beim Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung liegt ein Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz vor, wenn nicht alle Ermittlungsmöglichkeiten ausgeschöpft wurden,wie zum Bsp.- die Befragung der behandelnden Ärzte(BSG,Urteil v. 22.11.2011, B 4 AS 138/10 R) oder medizinische
Sachverständigengutachten eingeholt wurden (vgl BSG Urteil vom 10.5.2011 - B 4 AS 100/10 R).


Ansprüche auf Krankenkostzulagen bedürfen zur ihrer Begründung der Vorlage eines ärztlichen Attestes, in der Regel des behandelnden Arztes, der unter genauer Bezeichnung des Gesundheitsschadens die Notwendigkeit einer Krankenkost darlegen muss (6.0 der neuen Empfehlungen,LSG NRW ,Beschlüsse vom 12.03.2009,-  L 19 B 54/09 AS und L 19 B 31/09 AS ER ).

Zu2. Wichtige Gründe im Sinne des § 31 SGB II können alle Umstände des Einzelfalls sein, die unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Hilfebedürftigen in Abwägung mit etwa entgegenstehenden Belangen der Allgemeinheit das Verhalten des Hilfebedürftigen rechtfertigen (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 09. November 2010, B 4 AS 27/10 R).

Ob dies der Fall ist, unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff ohne einen Beurteilungsspielraum des Leistungsträgers in vollem Umfang von Amts wegen der gerichtlichen Kontrolle.

Bei der Kasuistik wichtiger Grund im Vordergrund stehen persönliche, insbesondere gesundheitliche und familiäre Gründe.

Die neu eingeführte Darlegungslast hebt in Bezug auf erkennbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines wichtigen Grundes die Pflicht zur Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhaltes von Amts wegen nicht auf. Die Anforderungen an die Darlegung, die Amtsermittlungspflichten auszulösen geeignet sind, dürfen nicht überspannt werden (Berlit in LPK-SGB II, 4. Aufl., § 31 Rdnr. 70).

Eine psychische Erkrankung mit entsprechender medizinischer Vorgeschichte vermag einen wichtigen Grund im Sinne von § 31 Abs 1 S 2 SGB 2aF. darzustellen(vgl. SG Berlin, Beschluss vom 28.03.2008,-  S 26 AS 8021/08 ER).

Kommentare

  1. Zitat: "Diese Einzelfälle,..."

    Wie immer "bedauerliche Einzelfälle" !?

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