So die Rechtsauffassung des Hessischen Landessozialgerichts, Beschluss vom 16.01.2012,- L 6 AS 570/11 B ER -.
Die Vollziehbarkeit entfällt nicht nach § 39 Nr. 1 SGB II. Nach § 39 Nr. 1 SGB II in der seit 1. April 2011 geltenden Fassung haben "Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, 1. der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufhebt, zurücknimmt, widerruft, die Pflichtverletzung und die Minderung des Auszahlungsanspruchs feststellt oder Leistungen zur Eingliederung in Arbeit oder Pflichten erwerbsfähiger Leistungsberechtigter bei der Eingliederung in Arbeit regelt," keine aufschiebende Wirkung.
Bereits nach der seit 2009 geltenden Vorläuferregelung hatte sich die Auffassung weitgehend durchgesetzt, dass Widerspruch und Anfechtungsklage gegen eine Versagung nach § 66 Abs. 1 Satz 1 1.Var. SGB I aufschiebende Wirkung entfalten (vgl. Hessisches LSG, Beschluss vom 27. Dezember 2010 - L 9 AS 612/10 B ER – juris; Beschluss vom 22. Juni 2011 - L 7 AS 700/10 B ER – juris; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 8. April 2010, L 7 AS 304/10 ER-B – juris – m.w.N.; LSG Saarland, Beschluss vom 2. Mai 2011, L 9 AS 9/11 B ER; Groth in: GK-SGB II, § 39 Rn. 25; Hengelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB II, K § 39 Rn. 75; a. A.: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 8. März 2010, L 13 AS 34/10 B ER – juris).
Die Versagung von Leistungen gemäß § 66 SGB I als Folge mangelnder Mitwirkung wird von der Regelung schon dem Wortlaut nach nicht erfasst; die für die Rechtsfolge des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung vorgesehenen Fallvarianten sind enumerativ und abschließend – nicht etwa exemplarisch – aufgezählt (vgl. auch zum Folgenden Hessisches LSG, Beschluss vom 27. Dezember 2010 a.a.O.).
Eine entsprechende und damit den Geltungsbereich ausdehnende Anwendung der Regelung auf den Tatbestand von Widerspruch und Klage gegen die vollständige Versagung von Leistungen wegen Verletzung von Mitwirkungspflichten begegnet schon angesichts des Ausnahmecharakters der Regelung und der gleichzeitig durch den Regelungsgehalt bewirkten Beschneidung von Rechten der eingangs (zumindest formal) berechtigten Leistungsempfänger gravierenden Bedenken. Zudem ist die Versagung nach § 66 SGB I nicht auf die Beseitigung des Anspruchs dem Grunde nach durch Entscheidung über die zugrundeliegenden Anspruchsvoraussetzungen gerichtet.
Der Leistungsanspruch bleibt in seinen begründenden Elementen – im Gegensatz zu Aufhebung, Rücknahme, Widerruf – unberührt, was schon daraus ersichtlich ist, dass die Versagung – wie auch die Entziehung – einer Leistung nicht in Betracht kommt, wenn deren Voraussetzungen trotz fehlender Mitwirkung oder sogar absichtlicher Erschwerung der Aufklärung nachgewiesen sind (vgl. Seewald in: Kasseler Kommentar, § 66 SGB I, Rn. 23) und die versagten oder entzogenen Leistungen gemäß § 67 SGB I bei Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise nachträglich erbracht werden können.
Insbesondere aufgrund der letztgenannten, rechtsdogmatischen Erwägungen zum Charakter von Versagung und Entziehung gilt für die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage gegen eine Entziehung nach § 66 Abs. 1 Satz 1 2. Var. SGB I aufgrund der Neuregelung des § 39 SGB I zum 1. April 2011 nichts anderes (wie hier bereits zur alten Rechtslage: Sächs. LSG, Beschluss vom 20. Januar 2011 - L 7 AS 804/10 B ER – juris m.w.N.; a. A. zur neuen Rechtslage: Aubel in: jurisPK-SGB II, § 39 Rn. 13).
Die Entziehung berührt ebenso wenig wie die Versagung die individuell-konkrete Feststellung der materiell-rechtlichen Rechtslage zum Leistungsanspruch nach dem SGB II und ist daher nicht mit der Aufhebung, der Rücknahme und dem Widerruf vergleichbar. Auch die nunmehr geregelte Feststellung der "Minderung des Auszahlungsanspruches" erfasst die Entziehung nicht.
Mit dem "Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch" vom 24. März 2011 wurde § 39 SGB II bereits zum zweiten Mal präzisiert und die Formulierung stärker an den Fachbegriffen ("termini technici") des Allgemeinen Verwaltungsrechts bzw. der besonderen Institute des Sozialrechts ausgerichtet.
Mit der Neuregelung sollte klargestellt werden, dass "auch Widerspruch und Klage gegen einen die Pflichtverletzung und die Minderung des Auszahlungsanspruchs feststellenden Verwaltungsakt nach § 31b Absatz 1 und § 31c keine aufschiebende Wirkung haben" (BT-Drs. 17/3404, S. 114).
Es kann wegen der ausdrücklichen Bezugnahme auf die §§ 31b Abs. 1 und 31c SGB II und der immer präziser an der rechtswissenschaftlichen Terminologie orientierten Novellierung ausgeschlossen werden, dass unter "Minderung" auch die Variante des § 66 Abs. 1 Satz 1 2. Var. SGB I fallen sollte.
Gegen eine erweiternde Auslegung oder analoge Anwendung dieser Tatbestandsvariante spricht in systematischer Hinsicht, dass ausdrückliche Regelungen über die sofortige Vollziehbarkeit von Entziehungsbescheiden in § 336a Satz 2 SGB III und § 86a Abs. 2 Nr. 2 SGG als notwendig erachtet wurden.
Bei der wiederholten Novellierung des § 39 SGB II handelt es sich nach Entstehungsgeschichte und Systematik mithin um ein "beredtes Schweigen" des Gesetzgebers, das nicht wegen mit Blick auf die Rechtslage im Sozialversicherungsrecht allerdings nachvollziehbaren – verwaltungspraktischen Zweckmäßigkeitserwägungen ignoriert werden darf.
https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=149426&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=
Anmerkung : Anderer Auffassung Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 21.12.2011, - L 5 AS 182/11 B ER -.
Gemäß § 39 Nr. 1 SGB II haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet, keine aufschiebende Wirkung. Zu diesen Verwaltungsakten gehören auch Entscheidungen über die Versagung oder Entziehung von bereits bewilligten Leistungen gemäß § 66 SGB I.
http://sozialrechtsexperte.blogspot.com/2012/01/gema-39-nr-1-sgb-ii-haben-widerspruch.html
Der Beitrag wurde erstellt von Willi 2, Mitarbeiter des Sozialrechtsexperten RA Ludwig Zimmermann sowie Autor des wöchentlichen Rechtsprechungstickers von Tacheles
Die Vollziehbarkeit entfällt nicht nach § 39 Nr. 1 SGB II. Nach § 39 Nr. 1 SGB II in der seit 1. April 2011 geltenden Fassung haben "Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, 1. der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufhebt, zurücknimmt, widerruft, die Pflichtverletzung und die Minderung des Auszahlungsanspruchs feststellt oder Leistungen zur Eingliederung in Arbeit oder Pflichten erwerbsfähiger Leistungsberechtigter bei der Eingliederung in Arbeit regelt," keine aufschiebende Wirkung.
Bereits nach der seit 2009 geltenden Vorläuferregelung hatte sich die Auffassung weitgehend durchgesetzt, dass Widerspruch und Anfechtungsklage gegen eine Versagung nach § 66 Abs. 1 Satz 1 1.Var. SGB I aufschiebende Wirkung entfalten (vgl. Hessisches LSG, Beschluss vom 27. Dezember 2010 - L 9 AS 612/10 B ER – juris; Beschluss vom 22. Juni 2011 - L 7 AS 700/10 B ER – juris; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 8. April 2010, L 7 AS 304/10 ER-B – juris – m.w.N.; LSG Saarland, Beschluss vom 2. Mai 2011, L 9 AS 9/11 B ER; Groth in: GK-SGB II, § 39 Rn. 25; Hengelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB II, K § 39 Rn. 75; a. A.: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 8. März 2010, L 13 AS 34/10 B ER – juris).
Die Versagung von Leistungen gemäß § 66 SGB I als Folge mangelnder Mitwirkung wird von der Regelung schon dem Wortlaut nach nicht erfasst; die für die Rechtsfolge des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung vorgesehenen Fallvarianten sind enumerativ und abschließend – nicht etwa exemplarisch – aufgezählt (vgl. auch zum Folgenden Hessisches LSG, Beschluss vom 27. Dezember 2010 a.a.O.).
Eine entsprechende und damit den Geltungsbereich ausdehnende Anwendung der Regelung auf den Tatbestand von Widerspruch und Klage gegen die vollständige Versagung von Leistungen wegen Verletzung von Mitwirkungspflichten begegnet schon angesichts des Ausnahmecharakters der Regelung und der gleichzeitig durch den Regelungsgehalt bewirkten Beschneidung von Rechten der eingangs (zumindest formal) berechtigten Leistungsempfänger gravierenden Bedenken. Zudem ist die Versagung nach § 66 SGB I nicht auf die Beseitigung des Anspruchs dem Grunde nach durch Entscheidung über die zugrundeliegenden Anspruchsvoraussetzungen gerichtet.
Der Leistungsanspruch bleibt in seinen begründenden Elementen – im Gegensatz zu Aufhebung, Rücknahme, Widerruf – unberührt, was schon daraus ersichtlich ist, dass die Versagung – wie auch die Entziehung – einer Leistung nicht in Betracht kommt, wenn deren Voraussetzungen trotz fehlender Mitwirkung oder sogar absichtlicher Erschwerung der Aufklärung nachgewiesen sind (vgl. Seewald in: Kasseler Kommentar, § 66 SGB I, Rn. 23) und die versagten oder entzogenen Leistungen gemäß § 67 SGB I bei Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise nachträglich erbracht werden können.
Insbesondere aufgrund der letztgenannten, rechtsdogmatischen Erwägungen zum Charakter von Versagung und Entziehung gilt für die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage gegen eine Entziehung nach § 66 Abs. 1 Satz 1 2. Var. SGB I aufgrund der Neuregelung des § 39 SGB I zum 1. April 2011 nichts anderes (wie hier bereits zur alten Rechtslage: Sächs. LSG, Beschluss vom 20. Januar 2011 - L 7 AS 804/10 B ER – juris m.w.N.; a. A. zur neuen Rechtslage: Aubel in: jurisPK-SGB II, § 39 Rn. 13).
Die Entziehung berührt ebenso wenig wie die Versagung die individuell-konkrete Feststellung der materiell-rechtlichen Rechtslage zum Leistungsanspruch nach dem SGB II und ist daher nicht mit der Aufhebung, der Rücknahme und dem Widerruf vergleichbar. Auch die nunmehr geregelte Feststellung der "Minderung des Auszahlungsanspruches" erfasst die Entziehung nicht.
Mit dem "Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch" vom 24. März 2011 wurde § 39 SGB II bereits zum zweiten Mal präzisiert und die Formulierung stärker an den Fachbegriffen ("termini technici") des Allgemeinen Verwaltungsrechts bzw. der besonderen Institute des Sozialrechts ausgerichtet.
Mit der Neuregelung sollte klargestellt werden, dass "auch Widerspruch und Klage gegen einen die Pflichtverletzung und die Minderung des Auszahlungsanspruchs feststellenden Verwaltungsakt nach § 31b Absatz 1 und § 31c keine aufschiebende Wirkung haben" (BT-Drs. 17/3404, S. 114).
Es kann wegen der ausdrücklichen Bezugnahme auf die §§ 31b Abs. 1 und 31c SGB II und der immer präziser an der rechtswissenschaftlichen Terminologie orientierten Novellierung ausgeschlossen werden, dass unter "Minderung" auch die Variante des § 66 Abs. 1 Satz 1 2. Var. SGB I fallen sollte.
Gegen eine erweiternde Auslegung oder analoge Anwendung dieser Tatbestandsvariante spricht in systematischer Hinsicht, dass ausdrückliche Regelungen über die sofortige Vollziehbarkeit von Entziehungsbescheiden in § 336a Satz 2 SGB III und § 86a Abs. 2 Nr. 2 SGG als notwendig erachtet wurden.
Bei der wiederholten Novellierung des § 39 SGB II handelt es sich nach Entstehungsgeschichte und Systematik mithin um ein "beredtes Schweigen" des Gesetzgebers, das nicht wegen mit Blick auf die Rechtslage im Sozialversicherungsrecht allerdings nachvollziehbaren – verwaltungspraktischen Zweckmäßigkeitserwägungen ignoriert werden darf.
https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=149426&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=
Anmerkung : Anderer Auffassung Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 21.12.2011, - L 5 AS 182/11 B ER -.
Gemäß § 39 Nr. 1 SGB II haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet, keine aufschiebende Wirkung. Zu diesen Verwaltungsakten gehören auch Entscheidungen über die Versagung oder Entziehung von bereits bewilligten Leistungen gemäß § 66 SGB I.
http://sozialrechtsexperte.blogspot.com/2012/01/gema-39-nr-1-sgb-ii-haben-widerspruch.html
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