Direkt zum Hauptbereich

Anmerkung von RiSG Berlin Udo Geiger in info also 260-262 zu LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 20.07.2011 - L 3 AL 236/11 - Keine Unwirksamkeit der persönlichen Arbeitslosmeldung bei Vorsprache des Arbeitslosen ohne Ausweis

§ 122 Abs. 1 S. 1  SGB III;  §§ 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 66 Abs. 1, 67 SGB I
Keine  Unwirksamkeit der persönlichen Arbeitslosmeldung bei Vorsprache des Arbeitslosen ohne Ausweis
LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 20.07.2011 - L 3 AL 236/11

Leitsatz (des Gerichts):

Die Vorlage des Personalausweises kann für die Personen­identifikation erforderlich sein, sie ist jedoch keine Vo­raussetzung für die Wirksamkeit der Arbeitslosmeldung.


Anmerkung von RiSG Berlin Udo Geiger in info also 260-262


Anmerkung:

In einer Presseinformation der BA von März 2011 (Presse Info 012/2011 vom 08.03.2011) heißt es:

»Tipp: Gültigen Personalausweis bereithalten Wer sich persönlich arbeitslos meldet und Leistungen bei der Agentur für Arbeit oder den Jobcentern bean­tragt, braucht einen gültigen Personalausweis - ausländi­sche Mitbürger einen Pass und eine aktuelle Meldebe­scheinigung, damit Identität und Wohnort festgestellt werden können. Immer häufiger kommt es vor, dass Ausweise und Pässe vorgelegt werden, deren Gültigkeit abgelaufen ist. Dann sind Ersatzdokumente notwendig und es kann zu Verzögerungen kommen.«

Dagegen ist im Grundsatz nichts einzuwenden. Aber was ist mit Arbeitslosmeldungen, die ohne oder mit abgelaufenen Personalpapieren erfolgen?

Wie man es nicht machen darf, zeigt die vorstehende Ent­scheidung.

Die persönliche Arbeitslosmeldung bei der Arbeitsagentur

Arbeitslosengeld (Alg) nach §§ 117 ff. SGB III gibt es erst auf eine persönliche Arbeitslosmeldung bei der Arbeits­agentur (AA). Die persönliche Arbeitslosmeldung wirkt nach § 122 Abs. 3 SGB III nur zurück, wenn die AA am Tag des Eintritts der Arbeitslosigkeit nicht dienstbereit war. Für den Anspruch auf Alg kommt es somit darauf an, dass der Tag der persönlichen Arbeitslosmeldung rechtssicher doku­mentiert wird.

Die persönliche Arbeitslosmeldung stellt eine Tatsachener­klärung dar. Mit ihr wird der AA die Tatsache des Eintritts der Arbeitslosigkeit angezeigt. Die Arbeitslosmeldung dient dazu, die AA zeitnah und tatsächlich in die Lage zu verset­zen, mit ihren Vermittlungsbemühungen zu beginnen, um die Arbeitslosigkeit und damit die Leistungspflicht mög­lichst rasch zu beenden (ständige Rechtsprechung, z.B. BSG vom 07.09.2000 - B 7 AL 2/00 R).

Dies kann die AA tun, sobald der Arbeitslose in der AA erscheint und sinngemäß zum Ausdruck bringt, er sei ar­beitslos oder in nächster Zeit von Arbeitslosigkeit bedroht, d.h., ein Vermittlungsfall angezeigt wird (BSG vom 14.12.1995 - 11 RAr 75/95 und vom 07.10.2004 - B 11 AL 23/04 R). Der Vorlage eines gültigen Ausweisdokuments bedarf es dazu nicht.

Zweifel an der Personenidentität oder der angegebenen Wohnanschrift kann die AA auch später ausräumen. Um festzustellen, ob die arbeitslos gemeldete Person mit der sich später ausweisenden Person identisch ist, genügt es, anläss­lich der erstmaligen persönlichen Meldung ein anderes Do­kument mit Lichtbild (Führerschein, Bibliotheksausweis etc.) als Kopie zur Akte zu nehmen, um es dann mit dem Personalausweis oder Pass abzugleichen. Denkbar ist auch, dass ein Handy-Foto gemacht und im PC bis zum Abgleich gespeichert wird.

Besteht die AA darauf, dass die persönliche Arbeitslosmel­dung nur mit Vorlage eines (gültigen) Personalausweises erfasst wird, muss sichergestellt sein, dass der Arbeitslose dies noch am gleichen Tag bewerkstelligen kann. Geht das wegen der Öffnungszeiten der AA oder anderweitiger Ver­pflichtungen des Arbeitslosen nicht, muss der oben aufge­zeigte Weg beschritten werden, um einen Anspruchsverlust auszuschließen.

Wird dies verweigert, sollte der Arbeitslose darauf bestehen, dass der Vorgang in einem Computervermerk festgehalten wird. Denn der Arbeitslose ist im Zweifel für den Nachweis der persönlichen Arbeitslosmeldung am Tag, ab dem ein Alg-Anspruch geltend gemacht wird, beweispflichtig (s. dazu LSG NRW vom 09.12.2009 - L 12 AL 51/08).

Wurde der Arbeitslose wegen fehlender Ausweisdokumente weggeschickt, ist das aus den vom LSG Baden-Württem­berg aufgezeigten Gründen rechtswidrig bzw. für den Be­ginn des Alg-Anspruchs unerheblich, wenn an der Tatsache der persönlichen Vorsprache auf der AA keine Zweifel be­stehen; erst recht gilt das für eine rechtswidrige Nichterfassung der persönlichen Arbeitslosmeldung, weil der Pass abgelaufen war.

Wer gar keinen Pass hat, kann sich gleichwohl wirksam arbeitslos melden, indem er sich mit einem Foto oder einem sonstigen Foto-Dokument meldet und den Ersatzausweis zum Identitätsabgleich nachreicht.

Unverzichtbar für eine wirksame persönliche Arbeitslos­meldung nach § 122 SGB III sind wahrheitsgemäße Anga­ben zum Versicherungsfall der Beschäftigungslosigkeit. Wer (noch) in einem mehr als kurzzeitigen Arbeitsverhältnis beschäftigt ist und dies nicht mitteilt, kann sich nicht wirk­sam persönlich arbeitslos melden. Böse Konsequenzen hat das bei Aufnahme einer nicht unverzüglich der AA gemel­deten Arbeit, was zum Erlöschen der früheren persönlichen Arbeitslosmeldung führt (§ 122 Abs. 2 Nr. 2 SGB III). Alg gibt es dann erst auf eine neue persönliche Arbeitslosmel­dung, auch wenn die Beschäftigung schon lange vorher beendet wurde (BSG vom 14.12.1995 -11 RAr 75/95).

Ob aus der Wahrheitspflicht zum Versicherungsfall der Schluss gezogen werden kann, dass eine persönliche Ar­beitslosmeldung unter falschem Namen bei »echter« Be­schäftigungslosigkeit unwirksam ist (so LSG Bayern vom 12.12.2000 - L 10 AL 45/00), hat das BSG vom 03.05.2001 -B 11 AL 25/01 B offengelassen. Im Ergebnis kam es darauf nicht an, weil der Betreffende aus anderen Gründen (fehlen­de Arbeitserlaubnis) nicht verfügbar war.

Dasselbe gilt für eine persönliche Arbeitslosmeldung unter einer falschen Adresse; selbst wenn die Arbeitslosmeldung wirksam ist, entsteht wegen der fehlenden Erreichbarkeit unter der angegebenen Anschrift (Verfügbarkeit nach § 119 SGB III) kein Alg-Anspruch.

Im Sonderfall der Nahtlosregelung nach § 125 SGB III kann die persönliche Arbeitslosmeldung nach § 125 Abs. 1 Satz 3 SGB III durch einen Vertreter vorgenommen werden, wenn der Arbeitslose wegen seiner Erkrankung nicht selber vorsprechen kann. Höchstrichterlich noch ungeklärt ist, ob der Vertreter persönlich vorsprechen muss (so SG Düssel­dorf vom 11.06.2007 - S 13 (20) AL 58/06) oder ein Brief oder Fax eines Vertreters genügt (so SG Hamburg vom 14.09.2010 - S 17 AL 418/07; s. auch LSG NRW vom 28.02.2007 - L 1 B 6/07 AL). Vorsorglich sollte der Vertreter persönlich vorsprechen.



Die AA kann verlangen, dass er sich mit einer Vollmacht des Arbeitslosen legitimiert (§ 13 Abs. 1 Satz 2 SGB X). Die vertretungsweise vorgenommene Arbeitslosmeldung ist aber auch ohne Vollmacht wirksam, wenn die Vollmacht nachgereicht wird.

Die Arbeitssuchmeldung kann nach § 38 Abs. 1 Satz 2 SGB III auch telefonisch oder schriftlich unter Bekanntgabe der persönlichen Daten erfolgen, wenn die persönliche Vor­sprache nach terminlicher Vereinbarung mit der AA nach­geholt wird. Unterbleibt trotz Nachfrage oder erkennbarem Bedarf eine Beratung über die Erforderlichkeit einer persön­lichen Arbeitslosmeldung zur Begründung eines Alg-An­spruchs, ist fraglich, ob die BSG-Rechtsprechung zur Nicht-Fingierbarkeit der persönlichen Arbeitslosmeldung im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs anwendbar ist.


Denn die telefonische oder schriftliche Arbeitssuchmeldung soll ja bereits die Vermittlung in eine Anschlussbeschäfti­gung ermöglichen. Wenn die zur effektiven Arbeitsvermitt­lung erforderlichen Daten schon bei der Arbeitssuchmel­dung abgefragt und gegeben werden, ist nicht erkennbar, welche Zusatzinformation die persönliche Arbeitslosmel­dung noch bringen soll. Die vom BSG gegen die Anwen­dung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs auf die Arbeitslosmeldung nach § 122 SGB III vorgebrachten Ar­gumente greifen dann nicht.

Jedenfalls kann eine persönliche Arbeitssuchmeldung nach § 38 SGB III als persönliche Arbeitslosmeldung nach § 122 SGB III gewertet werden, wenn ein Hinweis der AA auf die zusätzlich benötigte Arbeitslosmeldung unterbleibt (LSG Rheinland-Pfalz vom 28.02.2008 - L 1 AL 59/07).


Die persönliche Arbeitslosmeldung beim Jobcenter


Alg II kann auch schriftlich oder per Fax beantragt werden. Für den Beginn der Leistung genügt der Eingang des Briefes/Faxes beim Jobcenter. Vor Auszahlung der Leistung ist das Jobcenter aber berechtigt, durch Vorlage gültiger Do­kumente die Identität und Wohnanschrift des Antragstellers zu prüfen.

Wird Alg II persönlich beantragt, ist eine Zurückweisung wegen fehlender Personalpapiere unzulässig. Das Jobcenter muss den Antrag entgegennehmen und Alg II ab Antragstel­lung bzw. Beginn des Monats, in dem der Antrag gestellt wird (§ 37 Abs. 2 Satz 2 SGB II) auszahlen, wenn Identität und Aufenthaltsort geklärt sind.

Besteht (auch) ein Anspruch auf Alg nach §§ 117 ff. SGB III, kann nur die persönliche Vorsprache auf dem Jobcenter als ausreichende Arbeitslosmeldung nach § 122 SGB III für einen Anspruch auf Alg gegenüber der AA ge­wertet werden.

War in Unkenntnis eines Alg-Anspruchs zunächst Alg II nur schriftlich beantragt worden, hilft weder § 28 SGB X noch der Herstellungsanspruch, um den Beginn des Alg-An­spruchs  auf den Tag  des  Eingangs  des  Alg II-Antragsschreibens zu verlegen. Dazu fehlt es an der persönlichen Arbeitslosmeldung nach § 122 SGB III. Kommt ein An­spruch auf Alg nach §§ 117 ff. SGB III in Betracht (sei es wegen ausreichender Versicherungszeiten, sei es wegen eines noch unverbrauchten Restanspruchs), sollte daher zum Alg II-Antrag vorsorglich eine persönliche Arbeits­losmeldung auf der AA erfolgen.


Quelle: Info also 2011

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Zu: SG Nürnberg - Sind die Einladungen der Jobcenter nichtig? Folgeeinladungen der Jobcenter wegen einem Meldeversäumnis sind nichtig und unwirksam

sozialrechtsexperte: Nürnberg: Sind die Einladungen der Jobcenter nichtig? Hier der Ausgang, wie er nicht anders zu erwarten war: Ausgang des Verfahrens S 10 AS 679/10 wegen Nichtigkeit von Meldeaufforderungen « Kritische Standpunkte Dazu Anmerkungen von Detlef Brock, Teammitglied des Sozialrechtsexperten: SG Nürnberg v. 14.03.2013 - S 10 AS 679/10 Eigener Leitsatz 1. Folgeeinladungen des Jobcenters wegen einem Meldeversäumnis sind - nichtig und unwirksam, weil  § 309 SGB III keine Rechtsgrundlage dafür ist, Hilfeempfänger die Pflicht zum Erscheinen zu einer Anhörung zu Tatbeständen einer beabsichtigen Sanktion aufzuerlegen. 2. Eine Folgeeinladung ist zu unbestimmt, weil der genannte Inhalt der Meldeaufforderung nicht als gesetzlicher Meldezweck im Sinne des Katalogs des § 309 Abs. 2 SGB III ausgelegt werden kann.

Kann ein Leistungsbezieher nach dem SGB II für seinen unangemessenen Stromverbrauch keine Gründe benennen, muss das Jobcenter seine Stromschulden nicht übernehmen.

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 22 Abs. 8 des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch (SGB II). Danach können Schulden übernommen werden, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden und soweit die Schuldübernahme zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertig und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Vermögen nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II ist vorrangig einzusetzen. Geldleistungen sollen als Darlehen gewährt werden.  Die Rechtfertigung der Schuldenübernahme ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, in den auch Billigkeitserwägungen einfließen (Beschluss des erkennenden Senats vom 2. Juni 2009 – L 14 AS 618/09 B ER). Mit rechtskräftigem Beschluss vom 23.09.2011 hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg , - L 14 AS 1533/11 B ER - geurteilt, dass Gründe für einen "unangemessenen" Stromverbrauch in einem einstwe

Die Versicherungspauschale von 30 EUR nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-VO kann von einem einzelnen Einkommen einer Bedarfsgemeinschaft nur einmal abgezogen werden.

§ 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-VO Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil vom 06.06.2011, - L 1 AS 4393/10 - Die Versicherungspauschale von 30 EUR nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-VO kann von einem einzelnen Einkommen einer Bedarfsgemeinschaft nur einmal abgezogen werden(BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 51/09 R-; Rdnr. 4). Eine erneute Berücksichtigung scheidet auch dann aus, wenn eine sog. gemischte Bedarfsgemeinschaft vorliegt und Einkommen eines nichtbedürftigen Mitglieds einem bedürftigen Mitglied der Bedarfsgemeinschaft zugerechnet wird. https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=144213&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive = Anmerkung: 1. Vom Einkommen volljähriger Hilfebedürftiger ist ein Betrag in Höhe von 30 Euro monatlich für die Beiträge zu privaten Versicherungen, die nach Grund und Höhe angemessen sind, gemäß § 11 Abs 2 Nr 3 SGB II als Pauschbetrag abzusetzen (§ 6 Abs 1 Nr 1 Alg II-V ). Diese Pauschale in Höhe von 30 Euro ist