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Böckler Impuls Ausgabe 19/2012 - Sozialpolitik: Bedarfsgemeinschaft unzeitgemäß

Aktuelles Heft - Hans-Böckler-Stiftung

Sozialpolitik: Bedarfsgemeinschaft unzeitgemäß

Das deutsche Sozialmodell entwickelt sich widersprüchlich: Zwar sollen nun Männer und Frauen erwerbstätig sein. Die sozialrechtliche Konstruktion der Bedarfsgemeinschaft geht jedoch weiterhin von einem traditionellen Familienbild aus - zum Leidwesen der meisten Paare.
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Zitat:

Mehrheitlich abgelehnt: Anrechnung von Partnereinkommen auf Hartz-IV-Leistungen. Anhand von Beispielfällen sollten die Befragten die Regelungen bewerten, nach denen Jobcenter Grundsicherungsleistungen mit dem Hinweis verweigern können, der Partner des Langzeitarbeitslosen verdiene genug, um beide zu versorgen.

Rund 75 Prozent stimmten der Aussage zu, der Staat solle gar nicht verlangen, dass jemand mit einem mittleren Einkommen den arbeitslosen Partner versorgen muss.

Lediglich im Falle hoher Einkommen und bei Verheirateten stieß die sozialrechtliche Praxis auf eine gewisse Zustimmung. Gegen eine Anrechnung von Ersparnissen auf Hartz-Leistungen des Partners waren mehr als 80 Prozent.

Weitere Befragungsergebnisse zeigten, dass "die Unterstellung einer generellen gemeinschaftlichen Geldverwaltung nicht gerechtfertigt" sei.

Denn lediglich 38 Prozent aller Paare legen der Untersuchung zufolge alles Geld zusammen.

Das betrifft vor allem Paare, die schon lange, oft zwanzig Jahre und mehr, zusammenleben, verheiratet sind und Kinder haben. Besonders jüngere Paare neigen hingegen zu getrennten Kassen.

Insgesamt 22 Prozent wirtschaften vollkommen getrennt; die übrigen praktizieren Mischformen und zahlen beispielsweise Teile ihrer Einkommen in eine gemeinsame Haushaltskasse.


Anmerkung: Unter Zusammenleben in einer Wohnung ist mehr als nur ein bloßes "Zusammenwohnen", wie es bei Wohngemeinschaften der Regelfall ist, zu verstehen.

Andererseits ist es für die Annahme einer Bedarfsgemeinschaft unter nicht ehelich verbundenen Partnern zwingend, dass sie in "einer Wohnung" zusammenleben.

Zusätzlich bedarf es zum zweiten des gemeinsamen Wirtschaftens.

Die Anforderungen an das gemeinsame Wirtschaften gehen dabei über die gemeinsame Nutzung von Bad, Küche und ggf Gemeinschaftsräumen hinaus.

Auch der in Wohngemeinschaften häufig anzutreffende gemeinsame Einkauf von Grundnahrungsmitteln, Reinigungs- und Sanitärartikeln aus einer von allen Mitbewohnern zu gleichen Teilen gespeisten Gemeinschaftskasse begründet noch keine Wirtschaftsgemeinschaft.

Entscheidend insoweit ist, dass der Haushalt von beiden Partnern geführt wird, wobei die Beteiligung an der Haushaltsführung von der jeweiligen wirtschaftlichen und körperlichen Leistungsfähigkeit der Partner abhängig ist.

Die Haushaltsführung an sich und das Bestreiten der Kosten des Haushalts muss gemeinschaftlich durch beide Partner erfolgen, was allerdings nicht bedeutet, dass der finanzielle Anteil der Beteiligung am Haushalt oder der Wert der Haushaltsführung selbst gleichwertig sein müssen.

Ausreichend ist eine Absprache zwischen den Partnern, wie sie die Haushaltsführung zum Wohle des partnerschaftlichen Zusammenlebens untereinander aufteilen.

Der Beitrag wurde erstellt von D. Brock

Kommentare

  1. "Bedarfsgemeinschaft unzeitgemäß" heißt es oben. - Wirklich?
    Nicht daß ich von Rechtstheorie und -philosophie viel verstünde, aber dennoch einige Gedanken hierzu.

    Erstens muß man mal davon ausgehen, daß das Recht in erster Linie dem Interessenausgleich der Beteiligten dient. Der Durchsetzung von Macht und Interessen dienen Rechtsnormen natürlich auch, aber eben nur unter anderem, zum Beispiel im Strafrecht, wo der Strafanspruch des Staates durchgesetzt wird, um zu vermeiden, daß Konflikte mittels des Faustrechts gelöst werden.

    Wenn das Recht nun Interessenausgleich betreibt, gehört dazu auch, daß das Recht sich an der Lebenswirklichkeit orientiert. Wenn zum Beispiel eine Regelung aus der Frühzeit der Kraftdroschken vorschreibt, daß jemand dem Fahrzeug vorauszugehen habe, um die anderen Straßenbenutzer zu warnen, so verliert eine Regelung spätestens dann ihren Sinn, wenn Automobile allgegenwärtig sind.

    Wenn die Gesellschaft zum Schluß kommt, Mann und Frau sollten gleichberechtigt sein (siehe Art. 3 II GG), so sind die gesetzlichen Normen, die das Verhältnis der Geschlechter regeln, anzupassen, wenn sie diesem Grundsatz zuwiderlaufen. Werden sie nicht angepaßt, so kommt es vor, daß sich früher oder später jemand dagegen wendet, und das Bundesverfassungsgericht eine Neuregelung verlangt. - Das ist jetzt nur eine sehr grobe Darstellung, die Wirklichkeit ist komplizierter, aber für hier soll es mal genügen.

    Jedenfalls richten sich Rechtsnormen einerseits nach den tatsächlichen Verhältnissen und andererseits nach, verallgemeinert gesagt, anderen Rechtsnormen. Sowohl nach der Verfassung, als auch nach den Regeln in anderen Gesetzen, denn es kann nicht sein, daß derselbe Lebenssachverhalt in einem Rechsgebiet (z.B. Steuerrecht) so und in einem anderen Rechtsgebiet (z.B. Familienrecht) ganz anders behandelt wird.

    Dies vorausgesetzt - was fällt uns nun auf, wenn wir auf das Konstrukt der "Bedarfsgemeinschaft" blicken? - Richtig, es widerspricht erstens dem Rechtsgefühl und den Vorstellungen der potentiell Betroffenen, der Mehrheit der Bürger.

    Zweitens widerspricht es der Lebenswirklichkeit, die da lautet, daß die wenigsten Paare aus einem Topf wirtschaften.

    Und drittens, das kann man daraus schon beinahe zwingend ableiten, ist diese Hirngeschwulst der "Bedarfsgemeinschaft" verfassungswidrig. Sie steht den Regeln im Unterhalts- und Eherecht entgegen, sie verstößt gegen den Schutz des Eigentums und gegen den Gedanken, daß Sippenhaftung unserem Rechtssystem fremd ist, und und und.

    Der einzige Grund, so etwas zu erfinden, liegt im fiskalischen Gesichtspunkt: Es soll gespart werden. Da sind dem Gesetzgeber Recht und Gesetz und die Grundrechte doch egal.

    Ach ja, wie heißt es so schön in Art. 20 III GG? - So: "Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden."

    AntwortenLöschen
  2. Ich empfinde Bedarfsgemeinschaften allgemein als unfair und rechtlich haltlos.

    Denn wie kann es sein, dass ich dadurch fast alle Pflichten einer Ehe habe, aber keine Vorteile dadurch erhalte?

    Und bei den meisten sogenannten Bedarfsgemeinschaften könnten die Partner, selbst wenn sie es denn wollten, gar nicht für den Partner gerade stehen, da sie finanziell gar nicht dazu in der Lage wären.

    Aber der Staat darf ja "fast" alles...

    MfG

    Peter P.

    Ps. Ich möchte mich hiermit auch für die vielen Informationen bedanken, die mich fast täglich per eMail erreichen. Vielen Dank Herr Zimmermann und weiter so....

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  3. Weitere Infos: Bremer Forschungsprojekt untermauert Kritik an zentralem Konzept in der Grundsicherung

    http://www.uni-bremen.de/universitaet/presseinfos/pressemitteilungen/einzelanzeige/article/im-vermittlungsausschuss-muss-die-konstruktion-der-bedarfsgemeinschaft-auf-den-tisch.html?cHash=653480d4574da53491576919dc06fd0a

    Gruß D. Brock

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