Die Hartz-IV-Sätze wurden zu Jahresbeginn geringfügig erhöht. An der Misere der Arbeitslosen ändert das nichts.
von Norma Spindler
Pünktlich zum Jahreswechsel teilte die Bundesagentur für Arbeit (BA) mit, dass sich die Regelsätze für ALG-II-Empfänger erhöhen: Alleinstehende Hilfebedürftige erhalten seit dem 1. Januar 374 Euro, für Leistungsberechtigte ohne eigenen Haushalt sind 299 Euro vorgesehen, und Kindern bzw. Jugendlichen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, stehen nun – je nach Alter – zwischen 219 und 287 Euro zu.
Eingespart wird das Geld, und das ist die schlechte Nachricht, beim Gründungszuschuss für Menschen, die sich aus der Arbeitslosigkeit heraus selbständig machen wollen. Bereits seit Ende Dezember gilt, dass für eine Bezuschussung am Tag der Gründung noch ein Restanspruch auf ALG I von 150 Tagen bestehen muss und nicht wie zuvor von 90 Tagen. Außerdem verringert sich die Bezugsdauer des Gründungszuschusses um drei Monate.
Eine Verbesserung hat also nicht stattgefunden, doch die Nachricht bietet Anlass, einen kritischen (Rück-)Blick auf die Arbeit der Bundesagentur zu werfen. Im Berliner Bezirk Neukölln gehörten in den vergangenen Jahren zum Beispiel Männergruppen auf der Suche nach abgestelltem Müll oder illegal entsorgten Kühlschränken zum Straßenbild. Sie waren einheitlich gekleidet, und für den der die Hintergründe kannte, waren sie in der Öffentlichkeit als ALG-II-Bezieher kenntlich gemacht. Diese ebenso demütigende wie nutzlose MAE-Maßnahme (Mehraufwandsentschädigungsmaßnahme) hatten sich die Jobcenter der Berliner Bezirke Tempelhof-Schöneberg und Friedrichshain-Kreuzberg gemeinsam mit dem Kreuzberger Bildungs- und Beschäftigungsträger Kombi Consult ausgedacht.
»Die Maßnahme«, wird auf der Homepage von Kombi Consult verkündet, »dient der Sensibilisierung der Bevölkerung für Sauberkeit im Bezirk«. Weiter heißt es: »Innerhalb der Maßnahme wurden Straßen im Bezirk nach vorgegebenen Straßenlisten abgelaufen, die Dreckecken nach einer ausgearbeiteten Liste notiert (Art/Ort). Im Projekt wurden die Ergebnisse zusammengefasst. Im Kontakt zum Ordnungsamt wurden die Dreckecken weitergegeben.«
Eigentlich sieht es in Neukölln aus wie immer. Einige Arbeitslose wurden öffentlich gedemütigt, doch für Kombi Consult, wo die Maßnahme unter dem Motto »Dreck weg« geführt wurde, dürfte es sich gelohnt haben. Von daher überrascht es kaum, dass hierzulande immer mehr Bildungs- und Beschäftigungsträger sowie Unternehmer sich um die fast drei Millionen Langzeitarbeitslosen, die 2011 statistisch erfasst wurden, kümmern möchten.
Natürlich dürften es wesentlich mehr sein, denn wer für Kombi Consult Straßen reinigt, taucht in der Statistik nicht auf, wohingegen andere, die als Arbeitslose in die Statistik aufgenommen werden, arbeiten: beispielsweise diejenigen, die in einem Neuköllner Bioladen beschäftigt sind. Über den Laden »Biosphäre« wurde 2011 über Monate hinweg begeistert in der Presse berichtet. Im August erläuterte Stefan Strauss in der Berliner Zeitung, dass es sich bei »Biosphäre« nicht um einen Laden handelt, sondern um die Simulation eines solchen. »Biosphäre« ist eine Übungsfirma, in der Langzeitarbeitslose »stabilisiert« werden sollen. »Mittlerweile arbeiten neben den beiden Inhaberinnen zehn Leute im Laden, freiwillig ohne Lohn«, heißt es in dem Artikel.
Der Begriff »freiwillig« wird vom Verfasser nicht hinterfragt, dafür wird eine der Inhaberinnen zitiert, die selbstverständlich ein Gehalt bezieht und zwar »über ein Förderprogramm von Bund und EU«, also aus Steuergeldern: »Niemand soll hier ewig bleiben, wir wollen nur ein Sprungbrett sein«, sagte Marion Ziehrer der Berliner Zeitung. Dass die Mitarbeiter keinen Lohn erhalten, sei keine Ausbeutung, meinte sie. »Wir bieten den Menschen moralisch-psychologische Hilfe, wir trainieren sie für den ersten Arbeitsmarkt. Wir kümmern uns um sie.«
Jemandem »eine Chance geben«, für »den Arbeitsmarkt fit machen« oder »wieder auf den Weg ins Leben zurückbringen« – das sind die Euphemismen, mit denen sich Vereine, die MAE-Kräfte rekrutieren, die Mitarbeiter von Beschäftigungs- bzw. Übungsfirmen und all diejenigen, die für Bildungsträger arbeiten, in den vergangenen Jahren legitimierten. Das klingt besser, als sich einzugestehen, dass man Zwang ausübt auf Menschen, von denen man nicht weiß, ob sie diese Art der »Chance« oder der moralisch-psychologischen »Unterstützung« auch wünschen. Denn wer darauf angewiesen ist, seinen Lebensunterhalt vom Jobcenter zu beziehen, erhält Angebote, die er nicht ablehnen kann.
Die Kundschaft der Jobcenter kann mit einigem rechnen, aber nicht mit Jobs.
weiter hier: http://jungle-world.com/artikel/2012/01/44608.html
von Norma Spindler
Pünktlich zum Jahreswechsel teilte die Bundesagentur für Arbeit (BA) mit, dass sich die Regelsätze für ALG-II-Empfänger erhöhen: Alleinstehende Hilfebedürftige erhalten seit dem 1. Januar 374 Euro, für Leistungsberechtigte ohne eigenen Haushalt sind 299 Euro vorgesehen, und Kindern bzw. Jugendlichen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, stehen nun – je nach Alter – zwischen 219 und 287 Euro zu.
Eingespart wird das Geld, und das ist die schlechte Nachricht, beim Gründungszuschuss für Menschen, die sich aus der Arbeitslosigkeit heraus selbständig machen wollen. Bereits seit Ende Dezember gilt, dass für eine Bezuschussung am Tag der Gründung noch ein Restanspruch auf ALG I von 150 Tagen bestehen muss und nicht wie zuvor von 90 Tagen. Außerdem verringert sich die Bezugsdauer des Gründungszuschusses um drei Monate.
Eine Verbesserung hat also nicht stattgefunden, doch die Nachricht bietet Anlass, einen kritischen (Rück-)Blick auf die Arbeit der Bundesagentur zu werfen. Im Berliner Bezirk Neukölln gehörten in den vergangenen Jahren zum Beispiel Männergruppen auf der Suche nach abgestelltem Müll oder illegal entsorgten Kühlschränken zum Straßenbild. Sie waren einheitlich gekleidet, und für den der die Hintergründe kannte, waren sie in der Öffentlichkeit als ALG-II-Bezieher kenntlich gemacht. Diese ebenso demütigende wie nutzlose MAE-Maßnahme (Mehraufwandsentschädigungsmaßnahme) hatten sich die Jobcenter der Berliner Bezirke Tempelhof-Schöneberg und Friedrichshain-Kreuzberg gemeinsam mit dem Kreuzberger Bildungs- und Beschäftigungsträger Kombi Consult ausgedacht.
»Die Maßnahme«, wird auf der Homepage von Kombi Consult verkündet, »dient der Sensibilisierung der Bevölkerung für Sauberkeit im Bezirk«. Weiter heißt es: »Innerhalb der Maßnahme wurden Straßen im Bezirk nach vorgegebenen Straßenlisten abgelaufen, die Dreckecken nach einer ausgearbeiteten Liste notiert (Art/Ort). Im Projekt wurden die Ergebnisse zusammengefasst. Im Kontakt zum Ordnungsamt wurden die Dreckecken weitergegeben.«
Eigentlich sieht es in Neukölln aus wie immer. Einige Arbeitslose wurden öffentlich gedemütigt, doch für Kombi Consult, wo die Maßnahme unter dem Motto »Dreck weg« geführt wurde, dürfte es sich gelohnt haben. Von daher überrascht es kaum, dass hierzulande immer mehr Bildungs- und Beschäftigungsträger sowie Unternehmer sich um die fast drei Millionen Langzeitarbeitslosen, die 2011 statistisch erfasst wurden, kümmern möchten.
Natürlich dürften es wesentlich mehr sein, denn wer für Kombi Consult Straßen reinigt, taucht in der Statistik nicht auf, wohingegen andere, die als Arbeitslose in die Statistik aufgenommen werden, arbeiten: beispielsweise diejenigen, die in einem Neuköllner Bioladen beschäftigt sind. Über den Laden »Biosphäre« wurde 2011 über Monate hinweg begeistert in der Presse berichtet. Im August erläuterte Stefan Strauss in der Berliner Zeitung, dass es sich bei »Biosphäre« nicht um einen Laden handelt, sondern um die Simulation eines solchen. »Biosphäre« ist eine Übungsfirma, in der Langzeitarbeitslose »stabilisiert« werden sollen. »Mittlerweile arbeiten neben den beiden Inhaberinnen zehn Leute im Laden, freiwillig ohne Lohn«, heißt es in dem Artikel.
Der Begriff »freiwillig« wird vom Verfasser nicht hinterfragt, dafür wird eine der Inhaberinnen zitiert, die selbstverständlich ein Gehalt bezieht und zwar »über ein Förderprogramm von Bund und EU«, also aus Steuergeldern: »Niemand soll hier ewig bleiben, wir wollen nur ein Sprungbrett sein«, sagte Marion Ziehrer der Berliner Zeitung. Dass die Mitarbeiter keinen Lohn erhalten, sei keine Ausbeutung, meinte sie. »Wir bieten den Menschen moralisch-psychologische Hilfe, wir trainieren sie für den ersten Arbeitsmarkt. Wir kümmern uns um sie.«
Jemandem »eine Chance geben«, für »den Arbeitsmarkt fit machen« oder »wieder auf den Weg ins Leben zurückbringen« – das sind die Euphemismen, mit denen sich Vereine, die MAE-Kräfte rekrutieren, die Mitarbeiter von Beschäftigungs- bzw. Übungsfirmen und all diejenigen, die für Bildungsträger arbeiten, in den vergangenen Jahren legitimierten. Das klingt besser, als sich einzugestehen, dass man Zwang ausübt auf Menschen, von denen man nicht weiß, ob sie diese Art der »Chance« oder der moralisch-psychologischen »Unterstützung« auch wünschen. Denn wer darauf angewiesen ist, seinen Lebensunterhalt vom Jobcenter zu beziehen, erhält Angebote, die er nicht ablehnen kann.
Die Kundschaft der Jobcenter kann mit einigem rechnen, aber nicht mit Jobs.
weiter hier: http://jungle-world.com/artikel/2012/01/44608.html
die Förderung für Existenzgründer war ohnehin verrufen, weil die meisten Existenzgründer nicht lange überleben.
AntwortenLöschenÖffentliche Demütigung kann ich nicht erkennen. Sonst würden ja auch unsere Müllwerker, Bauhofsmitarbeiter oder Straßenbauer wegen öffentlicher Zurschaustellung gedemütigt werden.
Die "Übungsstelle" müsste natürlich geprüft werden, ob her nicht Missbrauch betrieben wird. Aber wie heißt es so schön: In dubio pro reo !
Ja, der Neusprech (mal in Wikipedia gucken) der Arbeitslosenverwaltung: "Eine Chance geben", etcetera.
AntwortenLöschenMein Urteil ist kurz: bessere (perfidere) Propaganda hätte auch ein Herr Goebbels nicht erfinden können.