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Ein Rechtsmittel gegen die Tilgungspflicht eines Mietkautions- Darlehens hat aufschiebende Wirkung gem. § 39 SGB II.

Widerspruch gegen den die Aufrechnung verfügenden Bescheid hat nach § 86a SGG aufschiebende Wirkung
 und  wird nicht vom Hart IV-Sonderrecht des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung des § 39 SGB II
umfasst(Münder, Grundsicherung für Arbeitsuchende, 4. Auflage, § 39 Rdnr. 12).



Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Beschluss vom 27.12.2011, - L 5 AS 473/11 B ER -


Die Entscheidung in dem angefochtenen Bescheid hinsichtlich der Fälligkeit der Einbehaltung eines Teils der Regelleistungen zur Tilgung des Darlehens ist keine Aufhebung gemäß § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X), keine Rücknahme gemäß § 45 SGB X und auch kein Widerruf gemäß § 46 SGB X.

Es handelt sich auch nicht um die Minderung des Auszahlungsanspruchs, der - durch das Wort "und" ersichtlich - Folge einer Pflichtverletzung gemäß § 31a SGB II sein muss. Auch ein Übergang eines Anspruchs gemäß § 33 SGB II liegt nicht vor.

Die Auffassung des Beschwerdegegners eines gesetzlich angeordneten Wegfalls der aufschiebenden Wirkung der Rechtsbehelfe lässt sich auch nicht aus den Gesetzesmaterialien herleiten. Hinsichtlich der Textfassung von § 39 SGB II in der Zeit von 1. Januar 2005 bis 31. September 2008 enthalten die Gesetzesmaterialien keine Begründungen im Einzelnen (vgl. BT-Drucksachen 15/1638 S. 18, 15/1728 S. 189 f., 15/1749 S. 33). Hinsichtlich der Neureglung des § 39 SGB II mit Wirkung vom 1. Januar 2009 - der hinsichtlich der hier maßgeblichen Fallkonstellationen unverändert geblieben ist - hat der Gesetzgeber klargestellt, dass Widersprüche gegen Erstattungsbescheide künftig aufschiebende Wirkung haben sollen, da diese keine Leistungen der Grundsicherung für Arbeit regelten (BT-Drucksache 16/10810, S. 50). Damit sollte der verbreitete Streit zum Anwendungsbereich von § 39 SGB II auf Erstattungsbescheide geklärt werden.


Keinesfalls hat der Gesetzgeber, wie der Beschwerdegegner behauptet, § 39 SGB II auf die Fälle des § 42a SGB II ausgedehnt. Mit der Neufassung des § 39 SGB II zum 1. April 2011 sollte klargestellt werden, dass Widerspruch und Klage gegen einen die Pflichtverletzung und die Minderung des Auszahlungsanspruchs feststellenden Verwaltungsakt nach § 31b Absatz 1 und 31c SGB II keine aufschiebende Wirkung haben (BT-Drucksache 17/3404 S. 114). Vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber in der Neufassung des § 31b Abs. 1 SGB II die Minderung des Auszahlungsanspruchs des Betroffenen bei pflichtwidrigem Verhalten kraft Gesetzes angeordnet hat (BT-Drucksache 17/3404, S. 112), war die Neufassung des § 39 SGB II erforderlich. Denn durch den Sanktionsbescheid soll der Leistungsanspruch weder aufgehoben noch gemindert oder widerrufen werden; lediglich der Auszahlungsbetrag soll sich vermindern.


Weitere Verwaltungsakte, die eine "Minderung des Auszahlungsanspruchs" bewirken, wie etwa eine Aufrechnung, fallen nicht unter § 39 SGB II. Hierzu hätte es aus den genannten Gründen einer ausdrücklichen Regelung bzw. eines gesetzgeberischen Willens bedurft. Denn die Fälligkeit der Tilgung eines Darlehens berührt ebenfalls nicht den sich nach dem Bedarf richtenden Leistungsanspruch an sich, sondern nur den Auszahlungsanspruch. Die Aufrechnung trifft somit keine Entscheidung über Grundsicherungsleistungen.


Somit gilt hier der Grundsatz der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs (so auch: Münder, Grundsicherung für Arbeitsuchende, 4. Auflage, § 39 Rdnr. 12; Kommentar Beckonline, Buchstabe B. zu § 39 SGB II; Hauck/Noftz-Hengelhaupt, § 39 SGB II, Rdnr. 72 zur Rechtslage ab dem 1. Januar 2009 hinsichtlich Aufrechnungs-Verwaltungsakten gemäß § 23 Absatz 1 Satz 3 SGB II a.F.).


Für die Frage der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs ist auch entgegen der Auffassung des Beschwerdegegners nicht von Bedeutung, ob die Festlegung von Tilgungsraten gesetzlich vorgeschrieben oder im Ermessen steht.


Ebenso wenig ist die Rechtsnatur der Rückzahlungsverpflichtung von Belang. Der Verweis des Beschwerdegegners auf Kommentarstellen zur § 43 SGB II a.F. führt ebenfalls nicht weiter, da dort ein anderer Sachverhalt geregelt ist. Im Übrigen sind die Überlegungen des Sozialgerichts Berlin zur Unzulässigkeit der Kürzung des Regelbedarfs über einen längeren Zeitraum hier nicht von Bedeutung; aufgrund der gesetzlichen Regelung hat keine Güterabwägung hinsichtlich der Anordnung der aufschiebenden Wirkung stattzufinden.


Der Beschwerdegegner war im Rahmen der Vollzugsfolgenbeseitigung entsprechend § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG zu verpflichten, die seit Juni 2011 einbehaltenen Beträge auszubezahlen. Es handelt sich bei einem Betrag von 10% der Regelleistung der Bedarfsgemeinschaft nicht um einen Bagatellbetrag. Dieser wird vom Senat im Regelfall bei 5% der Regelleistung angenommen. Diese Grenze ist hier weit überschritten, zumal es sich nicht um eine einmalige Einbehaltung der dem Existenzminimum dienenden Grundsicherungsleistungen handelt.


https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=148510&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=


Der Beitrag wurde erstellt von Willi 2, Mitarbeiter des Sozialrechtsexperten RA Ludwig Zimmermann sowie Autor des wöchentlichen Rechtsprechungstickers von Tacheles

Kommentare

  1. Willli schreibt:

    "...nicht vom Hart IV-Sonderrecht des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung des § 39 SGB II".
    Zumindest der Anzahl der Fälle nach wird durch diese Regelung aber die Ausnahme zur Regel gemacht. - Ob das noch verfassungsgemäß ist? Immerhin handelt es sich um existenzsichernde Leistungen, um Leistungen, die Ausdruck des Sozialstaatsprinzips sind, die Menschenwürde direkt sichern sollen, und die nach einem System vorenthalten werden, welches im Vergleich mit dem Straf- oder Ordnungswidrigkeitenrecht rechtsstaatlich zweifelhaft ist.

    Das Gericht schreibt:
    "Denn durch den Sanktionsbescheid soll der Leistungsanspruch weder aufgehoben noch gemindert oder widerrufen werden; lediglich der Auszahlungsbetrag soll sich vermindern."

    Aha, das war mir neu. Das Abstraktionsprinzip im Sozialrecht. Man hat also einen Anspruch auf 100 Prozent Leistungen. Der bleibt nach dieser Lesart auf alle Fälle bestehen, selbst wenn der Hatz-Delinquent irgendein schreckliches Verbrechen begeht (Nicht- oder Falschbewerbung, Nichterscheinen nach Vorladung, etc.). Es bleibt für ihn weiterhin bei einem Leistungsanspruch von 100 Prozent. - Schön, nicht?

    Falsch: Denn vor den Erhalt der 100 Prozent Leistungen haben superschlaue vermeintlich Rechtsgelehrte noch einen Auszahlungsanspruch herbeifabuliert. Das bedeutet also in der Arithmetik des Teufels: 100 Prozent Leistungsanspruch minus 30 Prozent Auszahlungsanspruch sind 70 Prozent Auszahlung.

    Leute, ich könnte mit meiner Ko%&e ganze Mülltonnen füllen, so schlecht wird mir von so etwas.

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