Direkt zum Hauptbereich

Kohl-Zitate bleiben im Wesentlichen verboten




 
Das OLG Köln hat im Rechtsstreit um das Buch "Vermächtnis: Die Kohl-Protokolle" entschieden, dass die vom verstorbenen Altbundeskanzler beziehungsweise dessen Erbin angegriffenen Textstellen im Wesentlichen verboten bleiben.
In dem Verfahren ging es um Kohl-Zitate aus dem Buch "Vermächtnis – die Kohl-Protokolle" von Kohls Ex-Biograf Heribert Schwan und dessen Mitautor Tilman Jens, das 2014 im zur Random-House-Gruppe gehörenden Heyne-Verlag erschien. Heribert Schwan hatte den Inhalt von Tonbandmitschnitten mit teils pikanten Äußerungen über andere Politiker unerlaubt veröffentlicht. Die beanstandeten Aussagen stammen aus Gesprächen, die Kohl 2001 und 2002 mit Schwan geführt hatte, damit der Journalist als Ghostwriter die Biografie des Altkanzlers verfassen konnte. Schwan hatte die Gespräche auf Kassette aufgenommen. Helmut Kohl sieht sich durch die Veröffentlichung der Zitate in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt.
Das OLG Köln hat in weiten Teilen die vom LG Köln gegenüber den Buchautoren und dem Verlag ausgesprochene Verpflichtung, einzeln bezeichnete Textstellen nicht zu veröffentlichen, bestätigt. Der Co-Autor und der Verlag dürfen wörtliche Zitate, die in 115 angegriffenen Textstellen enthalten sind, nicht weiterverbreiten. Insoweit wurde das landgerichtliche Urteil in geringem Umfang zu Gunsten der Beklagten abgeändert.
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts ist bei der Unterlassungsverpflichtung im rechtlichen Ansatzpunkt zwischen dem Hauptautor des Buches auf der einen Seite und dem Co-Autor und dem Verlag auf der anderen Seite zu unterscheiden. Der Hauptautor darf alle 116 angegriffenen Textstellen nicht weiterverbreiten. Das hatte bereits das Landgericht so entschieden. Der Hauptautor sei als "Ghostwriter" des Altbundeskanzlers aus einem Rechtsverhältnis ähnlich dem Auftragsrecht umfassend zur Verschwiegenheit verpflichtet. Grundlage der mehrjährigen vertrauensvollen Zusammenarbeit sei gewesen, dass dem Verstorbenen ein Letztentscheidungsrecht über etwaige Veröffentlichungen zugestanden habe. Nur vor diesem Hintergrund habe er sich gegenüber dem Hauptautor geöffnet und diesem Zugang zu geschützten Unterlagen wie z.B. seiner Stasi-Akte ermöglicht. Das Letztentscheidungsrecht des Verstorbenen sei bei den ersten – in einem anderen Verlag einvernehmlich veröffentlichten – Bänden der Memoiren auch so gelebt worden. Im Kern habe dies auch der Hauptautor so gesehen, wenn er sich selbst als "schreibender Untertan" bezeichnet habe. Spätestens mit Kündigung der Zusammenarbeit durch den Altbundeskanzler im Jahr 2009 sei klar gewesen, dass dieser nicht mit der Veröffentlichung seiner aufgenommenen Äußerungen einverstanden gewesen sei. Die Verschwiegenheitspflicht ende auch nicht mit dem Tod des Erblassers.
Der Co-Autor und der Verlag seien  mit dem Altbundeskanzler nicht wie der Hauptautor durch eine Vereinbarung verbunden gewesen. Sie treffe aber eine Unterlassungspflicht, weil die angegriffenen Zitate das postmortale Persönlichkeitsrecht des Verstorbenen verletzten. Acht Zitate seien schon deshalb verboten, weil der Altbundeskanzler ausweislich der Tonbandaufnahmen bzw. der dazu existierenden Transkripte schon während des Gesprächs gesagt habe, dass die entsprechenden Aussagen nicht veröffentlicht werden sollten ("Sperrvermerkszitate"). Hierzu gehören beispielsweise im Buch wiedergegebene Aussagen zu Lady Diana, bei denen der Verstorbene unmittelbar vor dem Zitat gesagt habe "Darüber schreiben wir nichts".
41 Zitate seien unzulässig, weil das Zitat unrichtig oder im Buch der Kontext verfälscht worden sei ("Kontextverfälschungen"). Hierzu zähle beispielsweise ein Zitat, wonach Margaret Thatcher auf Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs "gern eingeschlafen" sei. Im Kontext des Buches solle das Zitat belegen, dass der Altbundeskanzler die ehemalige britische Regierungschefin als "sonderbares Exemplar" vorgeführt habe. Aus dem Kontext der Tonbandaufnahmen ergebe sich dagegen, dass der Altbundeskanzler ein konkretes Erlebnis geschildert habe, bei dem es durchaus Grund für Müdigkeit gegeben habe und das Verhalten der englischen Premierministerin eher beiläufig erwähnt habe. Auch ein Zitat betreffend die Tischmanieren der amtierenden Bundeskanzlerin sei in einem verfälschten Kontext dargestellt worden. Während die Einbindung des Zitats im Buch nahelege, der Altbundeskanzler wolle die frühere politische Weggefährtin im Rahmen einer Generalabrechnung abqualifizieren ("King Lear aus der Pfalz hält Gerichtstag über seine missratene Brut"), ergebe sich aus dem Gesamtkontext des Transkriptes – Tonbandaufnahmen hierzu wurden nicht vorgelegt –, dass sich die Aussage auf die elementaren Veränderungen bezog, die die Menschen in den neuen Bundesländern gerade und auch im Hinblick auf die Veränderung der Gesellschafts- und Konfessionsstruktur bewältigen mussten. Die Aussage enthalte in der Zielrichtung keinen Vorwurf gegen die amtierende Bundeskanzlerin, sondern vielmehr gegen die Bevölkerung der alten Bundesländer, die für diese Bewältigung der Veränderungen kein Verständnis aufgebracht hätten.
Weitere 18 Zitate seien unzulässig, weil verschiedene Äußerungen des Altbundeskanzlers, die in unterschiedlichen Kontexten geäußert worden waren, im Buch so aneinandergereiht wurden, dass der unzutreffende Eindruck eines durchgängigen Redeflusses des Verstorbenen entstehe ("Kombizitate"). Beispielsweise seien im Buch zwei nicht zusammenhängende Äußerungen betreffend den ehemaligen CDU-Ministerpräsidenten aus Nordrhein-Westfalen innerhalb eines längeren Textes willkürlich kombiniert, ohne dass dies für den Leser erkennbar sei.
Auch die weiteren wörtlichen Zitate seien unzulässig, weil an deren wörtlicher Offenbarung kein überwiegendes Interesse bestanden habe. Dem Co-Autor und dem Verlag sei bekannt gewesen, dass der Hauptautor durch die ungenehmigte Weitergabe der Tonbandaufzeichnungen die ihn treffende Verschwiegenheitsverpflichtung gebrochen habe. Sie hätten die Umstände gekannt, unter denen die Aufzeichnungen entstanden waren und gewusst, dass sie als reine Stoffsammlung für die Lebenserinnerungen des Altbundeskanzlers dienen sollten. Über die schützenswerten Belange des Altbundeskanzlers hätten sich der Co-Autor und der Verlag indes rücksichtslos hinweggesetzt, ohne dass dies durch ein überwiegendes öffentliches Informationsinteresse gerechtfertigt gewesen wäre. Der im Vorwort des Buches formulierte Wunsch, zu verhindern, dass die zweite Ehefrau des Altbundeskanzlers die von ihr vermeintlich beanspruchte Deutungshoheit über dessen Leben und politisches Wirken erhalte, rechtfertige nicht, dessen wörtliche Äußerungen gegen seinen ausdrücklichen Willen an die Öffentlichkeit zu bringen.
Das Oberlandesgericht führt weiter aus, dass das Landgericht zum damaligen Zeitpunkt – zu Lebzeiten des Altbundeskanzlers – zu Recht die angegriffenen Äußerungen vollumfänglich untersagt habe. Im Berufungsverfahren habe sich die Rechtslage insoweit geändert, als durch den Tod des Altbundeskanzlers dieser in Gestalt des sog. postmortalen Persönlichkeitsrechts nur noch einen schwächeren Schutz genieße als der lebende Mensch. Daher blieben bei 115 der angegriffenen Textstellen nur noch die darin enthaltenen wörtlichen Äußerungen verboten. Zitate seien eine besonders scharfe Waffe im politischen und gesellschaftlichen Meinungskampf, da der Zitierte als Zeuge gegen sich selbst ins Feld geführt werde. Dies sei auch bei einem Verstorbenen der Fall, weil dessen Lebensbild ohne eine ausreichende Möglichkeit der Gegenwehr den entsprechenden Aus-wirkungen in der öffentlichen Meinungsbildung ausgesetzt sei. Eine der Textstellen enthalte kein wörtliches Zitat und sei daher nicht zu untersagen.
Das Oberlandesgericht hat die Revision für den Co-Autor und den Verlag zugelassen, da die Reichweite des postmortalen Persönlichkeitsschutzes bei ungenehmigter Veröffentlichung wörtlicher Zitate von Tonbandaufzeichnungen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bisher noch nicht geklärt sei. Hinsichtlich der Verurteilung des Hauptautors ist die Revision nicht zugelassen worden, da es sich um eine Frage der Vertragsauslegung im Einzelfall ohne grundsätzliche Bedeutung handelt.


Gericht/Institution:OLG Köln
Erscheinungsdatum:29.05.2018
Entscheidungsdatum:29.05.2018
Aktenzeichen:15 U 65/17
Vorinstanz
LG Köln, Urt. v. 27.04.2017 - 14 O 261/16
Quelle: Pressemitteilung des OLG Köln Nr. 21/2018 v. 29.05.2018 - juris

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Zu: SG Nürnberg - Sind die Einladungen der Jobcenter nichtig? Folgeeinladungen der Jobcenter wegen einem Meldeversäumnis sind nichtig und unwirksam

sozialrechtsexperte: Nürnberg: Sind die Einladungen der Jobcenter nichtig? Hier der Ausgang, wie er nicht anders zu erwarten war: Ausgang des Verfahrens S 10 AS 679/10 wegen Nichtigkeit von Meldeaufforderungen « Kritische Standpunkte Dazu Anmerkungen von Detlef Brock, Teammitglied des Sozialrechtsexperten: SG Nürnberg v. 14.03.2013 - S 10 AS 679/10 Eigener Leitsatz 1. Folgeeinladungen des Jobcenters wegen einem Meldeversäumnis sind - nichtig und unwirksam, weil  § 309 SGB III keine Rechtsgrundlage dafür ist, Hilfeempfänger die Pflicht zum Erscheinen zu einer Anhörung zu Tatbeständen einer beabsichtigen Sanktion aufzuerlegen. 2. Eine Folgeeinladung ist zu unbestimmt, weil der genannte Inhalt der Meldeaufforderung nicht als gesetzlicher Meldezweck im Sinne des Katalogs des § 309 Abs. 2 SGB III ausgelegt werden kann.

Kann ein Leistungsbezieher nach dem SGB II für seinen unangemessenen Stromverbrauch keine Gründe benennen, muss das Jobcenter seine Stromschulden nicht übernehmen.

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 22 Abs. 8 des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch (SGB II). Danach können Schulden übernommen werden, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden und soweit die Schuldübernahme zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertig und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Vermögen nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II ist vorrangig einzusetzen. Geldleistungen sollen als Darlehen gewährt werden.  Die Rechtfertigung der Schuldenübernahme ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, in den auch Billigkeitserwägungen einfließen (Beschluss des erkennenden Senats vom 2. Juni 2009 – L 14 AS 618/09 B ER). Mit rechtskräftigem Beschluss vom 23.09.2011 hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg , - L 14 AS 1533/11 B ER - geurteilt, dass Gründe für einen "unangemessenen" Stromverbrauch in einem einstwe

Die Versicherungspauschale von 30 EUR nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-VO kann von einem einzelnen Einkommen einer Bedarfsgemeinschaft nur einmal abgezogen werden.

§ 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-VO Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil vom 06.06.2011, - L 1 AS 4393/10 - Die Versicherungspauschale von 30 EUR nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-VO kann von einem einzelnen Einkommen einer Bedarfsgemeinschaft nur einmal abgezogen werden(BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 51/09 R-; Rdnr. 4). Eine erneute Berücksichtigung scheidet auch dann aus, wenn eine sog. gemischte Bedarfsgemeinschaft vorliegt und Einkommen eines nichtbedürftigen Mitglieds einem bedürftigen Mitglied der Bedarfsgemeinschaft zugerechnet wird. https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=144213&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive = Anmerkung: 1. Vom Einkommen volljähriger Hilfebedürftiger ist ein Betrag in Höhe von 30 Euro monatlich für die Beiträge zu privaten Versicherungen, die nach Grund und Höhe angemessen sind, gemäß § 11 Abs 2 Nr 3 SGB II als Pauschbetrag abzusetzen (§ 6 Abs 1 Nr 1 Alg II-V ). Diese Pauschale in Höhe von 30 Euro ist