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Entgegen der Behauptung der Arbeitsamtes - drängte - sich eine Beratung gegenüber dem Arbeitslosen förmlich auf - Verletzung der Beratungspflicht

Das Arbeitsamt  ist gegenüber dem Arbeitslosen gem. § 14 SGB I rechtlich verpflichtet, bei Vorliegen eines konkreten Anlasses auf klar zu Tage tretende Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen, deren Wahrnehmung offensichtlich so zweckmäßig ist, dass ein verständiger Versicherter sie mutmaßlich nutzen würde.

So die Rechtsauffassung des Sozialgerichts Karlsruhe, Urteil vom 31.10.2012, - S 16 AL 726/12.

Ist aufgrund von Arbeitsbescheinigungen offensichtlich, dass der Arbeitslose bei Verlängerung der Kündigungsfrist im laufenden arbeitsgerichtlichen Verfahren nach arbeitsrechtlicher Beendigung einen deutlich höheren Anspruch auf Arbeitslosengeld hätte, hat die Agentur für Arbeit diesen auf die leistungsrechtlichen Folgen einer Gleichwohlgewährung und das Dispositionsrecht nach § 118 Abs. 2 SGB III a.F. (= § 137 Abs. 2 SGB III n.F.) hinzuweisen.

Das Arbeitsamt war im vorliegenden Fall verpflichtet, den Arbeitslosen über die Rechts-folgen der Gleichwohlgewährung und die insoweit bestehenden Gestaltungsmöglichkeiten aufzuklären.

Hierbei ist zu berücksichtigen, dass eine Kenntnis der juristischen Konstruktion der Gleichwohlgewährung, insbesondere der Unterscheidung zwischen dem leistungsrechtlichen und dem beitrags- und arbeitsrechtlichen Begriff der Arbeitslosigkeit, vom Arbeitslosen nicht ohne Weiteres erwartet werden kann.

Bei der Gleichwohlgewährung von Arbeitslosengeld besteht daher schon bereits deswegen ein hoher Beratungsbedarf (vgl. hierzu auch Mönch-Kalina, in: jurisPK SGB I, 2. Aufl. 2011, § 14 Rdnr. 37 m.w.N.).

Die Beratungspflichten erstrecken sich auch und gerade auf die gesetzlichen Möglichkeiten, die Dauer des Arbeitslosengeldanspruchs durch entsprechende Dispositionen zu beeinflussen (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 05.09.2006 – B 7a AL 70/05 R, Rdnr. 18; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29.01.2007 – L 1 AL 62/06, Rdnr. 18).

Entgegen der Ausführungen der Agentur für Arbeit  drängte sich eine Beratung des Arbeitslosen hier auf.

Denn sie konnte aus den Antragsunterlagen ohne Weiteres ersehen, dass eine Ausübung des Bestimmungsrechts dahingehend, dass das Stammrecht zu einem späteren Zeitpunkt entstehen soll, für ihn vorteilhaft sein könnte (vgl. hierzu auch Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 24.01.2012 – L 13 AL 4098/10).

Auch ein ggf. längerer ohne Arbeitslosengeld zu überbrückender Zeitraum entbindet die Agentur für Arbeit  nicht von ihrer Beratungspflicht, sofern die Ausübung des Gestaltungsrechts im konkreten Fall nicht völlig fernliegend ist.

In diesem Fall bestehen im Gegenteil vielmehr gesteigerte Anforderungen an die Beratung, da dem Versicherten die möglichen Nachteile einer Verschiebung des Arbeitslosengeldbezugs z. B. hinsichtlich Krankenversicherungsschutz und Rentenversicherungsbeiträgen, sorgfältig erläutert werden müssen (vgl. Bundessozialgericht , Urteil vom 05.09.2006 – B 7a AL 70/05 R, Rdnr. 19; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen , Urteil vom 29.01.2007 – L 1 AL 62/06, Rdnr. 20).

Rechtsfolge des Herstellungsanspruchs ist, dass der Arbeitslose so zu stellen ist, als ob er sein Bestimmungsrecht ausgeübt und auf die Gleichwohlgewährung von Arbeitslosengeld verzichtet hätte.

Es entsprach bereits vor Inkrafttreten des SGB III der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, dass eine Korrektur der Antragstellung in Form einer Verschiebung des Antrags und damit der Entstehung des Arbeitslosengeldanspruchs im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs erreicht werden kann (vgl. Bundessozialgericht , Urteil vom 05.09.2006 – B 7a AL 70/05 R, Rdnr. 14 m.w.N.).

Unter Geltung des SGB III ist seine Rechtsposition insoweit sogar gestärkt worden, als § 118 Abs. 2 SGB III dem Arbeitslosen ausdrücklich ein Dispositionsrecht hinsichtlich der Entstehung des Arbeitslosengeldanspruchs einräumt.

Die auf einer fehlerhaften Beratung beruhende Nichtausübung des Dispositionsrecht kann somit im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs korrigiert werden (vgl. Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 26.02.2009 – L 1 AL 81/07, Rdnr. 32; Landessozialge-richt Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29.01.2007 – L 1 AL 62/06, Rdnrn. 17 ff).

Anmerkung vom Sozialberater D. Brock zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch:

Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch setzt voraus (vgl ua BSG Urteil vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 63/06 R, SozR 4-1200 § 14 Nr 10 RdNr 13; s auch Urteil vom 18.1.2011 - B 4 AS 99/10 R, SozR 4-4200 § 37 Nr 5 RdNr 24), dass der Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund des Gesetzes oder eines Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Beratung und Auskunft (§§ 14, 15 SGB I), verletzt hat.

Ferner ist erforderlich, dass zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang besteht.

Schließlich muss der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden können.

Die Korrektur durch den Herstellungsanspruch darf dem jeweiligen Gesetzeszweck nicht widersprechen (vgl zum Lohnsteuerklassenwechsel: BSG Urteil vom 1.4.2004 - B 7 AL 52/03 R, BSGE 92, 267, 279 = SozR 4-4300 § 137 Nr 1 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

Eine sich aus dem speziellen Sozialrechtsverhältnis des SGB II ergebende Pflicht des Grundsicherungsträgers kann es sein, den Hilfebedürftigen vor dem Ablauf des letzten Bewilligungszeitraums über das Erfordernis eines Fortzahlungsantrags zu beraten (s hierzu Entscheidung des 4. Senats des BSG  vom 18.1.2011 - B 4 AS 29/10 R, SozR 4-1200 § 14 Nr 15).

Rechtsgrundlage für die Beratungspflicht in Form einer Hinweispflicht sind §§ 14, 15 SGB I.

Eine umfassende Beratungspflicht des Sozialversicherungsträgers bzw des Sozialleistungsträgers besteht zunächst regelmäßig bei einem entsprechenden Beratungs- und Auskunftsbegehren des Leistungsberechtigten (vgl BSG Urteil vom 17.8.2000 - B 13 RJ 87/98 R; BSG Urteil vom 14.11.2002 - B 13 RJ 39/01 R, SozR 3-2600 § 115 Nr 9).

Ausnahmsweise besteht nach ständiger Rechtsprechung des BSG auch dann eine Hinweis- und Beratungspflicht des Leistungsträgers, wenn anlässlich einer konkreten Sachbearbeitung in einem Sozialrechtsverhältnis dem jeweiligen Mitarbeiter eine naheliegende Gestaltungsmöglichkeit ersichtlich ist, die ein verständiger Versicherter/Leistungsberechtigter wahrnehmen würde, wenn sie ihm bekannt wäre (vgl. BSG, Urteil vom 18.1.2011 - B 4 AS 29/10 R).

Dabei ist die Frage, ob eine Gestaltungsmöglichkeit klar zu Tage liegt, allein nach objektiven Merkmalen zu beurteilen vgl. BSG, Urteil vom 18.1.2011 - B 4 AS 29/10 R; BSG Urteil vom 26.10.1994 - 11 RAr 5/94, SozR 3-1200 § 14 Nr 16).

Gleichwohl besteht kein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch, wenn es bereits an einer Pflichtverletzung des Grundsicherungsträgers mangelt, denn
auf das Erfordernis der Antragstellung für die Weiterbewilligung ist die Leistungsbezieherin schriftlich vom Grundsicherungsträger  hingewiesen worden (Antrag auf Zustimmung zur Ortsabwesenheit umfasst nicht Antrag auf Leistungen nach SGB 2 für neuen Bewilligungszeitraum (vgl. BSG, Urteil vom 16.5.2012 - B 4 AS 166/11 R, Rdnr. 27).


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