Freitag, 13. Januar 2012

Ostfriesenwitz oder doch war? Gericht stärkt Position von Hausbesitzern - Eltern müssen Objekte nach Auszug der Kinder nicht verkaufen

Ein Beitrag von Von MARTINA RICKEN

Nicht als Darlehen, sondern als Zuschuss zur Grundsicherung müssen die Jobcenter der Landkreise Leer und Aurich zwei Ehepaaren Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch, allgemein besser bekannt als Hartz IV, gewähren, obwohl sie ein Eigenheim besitzen, das den gesetzlich festgelegten Wohnflächenbedarf für zwei Personen überschreitet. Dies entschied das Sozialgericht Aurich.

Geklagt hatten zwei Hausbesitzer aus Südbrookmerland und Neukamperfehn.


Die Familie aus Südbrookmerland hatte das Haus in den 90er Jahren mit öffentlichen Wohnungsbaufördermitteln gebaut. Die Wohnfläche beträgt 143 Quadratmeter – eine angemessene Größe angesichts der vier Kinder, die damals untergebracht werden mussten. Seit 2005 bezog die Familie Hartz-IV-Leistungen. In der Zeit von 2006 bis 2008 zogen drei der vier Kinder aus. Damit sei die Wohnfläche nicht mehr angemessen, kurz gesagt für drei Personen viel zu groß. Die überschüssige Fläche sei als verwertbares Vermögen zu betrachten. Diese Ansicht vertrat das Jobcenter des Landkreises Aurich.


Ähnlich argumentierte auch der Landkreis Leer im zweiten Fall. Nachdem das Haus der Hartz-IV-Bezieher geschätzt worden war, hielt das Jobcenter das Paar für nicht mehr hilfebedürftig. Auch hier war die Größe des 1977 gebauten Hauses mit 121 Quadratmeter Wohnfläche ursprünglich angemessen, denn zwei Kinder wurden dort großgezogen. Aus den Kindern wurden Leute, die einen Beruf lernten, bei den Eltern auszogen und auf eigenen Beinen standen.


Die Jobcenter vertraten die Auffassung, dass die Eigentümer ihre Häuser nach dem Auszug der Kinder verkaufen und von dem Erlös leben müssten, also keinen Anspruch mehr auf einen Zuschuss zur Grundsicherung hätten.

Doch das Sozialgericht Aurich folgte dieser Argumentation nicht, sondern sah sie als sehr problematisch an. „Man kann doch seinen Lebensmittelpunkt nicht verlieren, weil man Kinder großgezogen hat“, stellte Sozialgerichtsdirektor Wilhelm Frank klar.

Das Sozialgericht bezog sich dabei auf das Grundgesetz, das Ehe und Familie und damit den Lebensmittelpunkt unter besonderen Schutz stellt. Auch nach dem Auszug der Kinder, so urteilte das Sozialgericht, ändere sich nichts an der Angemessenheit der Wohnfläche, die ursprünglich auf die Anzahl der kompletten Familie ausgerichtet war und den gesetzlichen Vorgaben entsprach.


Wegen der Bedeutsamkeit dieser Entscheidungen wurde vom Auricher Sozialgericht die Sprungrevision zum Bundessozialgericht zugelassen.


http://harlinger.de/nachrichten.aspx?ArtikelNr=2746

Anmerkung: Gemäß § 12 Abs. 1 SGB II sind als Vermögen grundsätzlich alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen. Hiervon ausgenommen ist nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II ein selbst genutztes Hausgrundstück von angemessener Größe oder eine entsprechende Eigentumswohnung.


Bei dem Begriff der Angemessenheit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Nach dem Wortlaut des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II bezieht sich die Angemessenheit nur auf die Größe des Hausgrundstücks bzw. der Eigentumswohnung (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2002 - Az.: B 7 AL 126/01 R).


Für die Frage der angemessenen Größe wurde im Recht der Arbeitslosenhilfe stets auf die Wohnflächengrenzen der sozialen Wohnraumförderung abgestellt. Nach dem Außerkrafttreten des zweiten Wohnungsbaugesetzes (2. WoBauG) regelt nunmehr das Wohnraumförderungsgesetz (WoFG) die soziale Wohnraumförderung. Auf der Grundlage des WoFG haben die Länder insbesondere Bestimmungen über Voraussetzungen der Förderung und deren Durchführung zu treffen mit der Folge, dass in den einzelnen Bundesländern unterschiedliche Grenzwerte im Hinblick auf die angemessene Wohnfläche gelten. Aus diesem Grund ist im Rahmen der Prüfung der Angemessenheit von selbst genutztem Wohneigentum bei SGB Il-Leistungen weiterhin auf die im 2. WoBauG enthaltenen Grenzwerte trotz des Außerkrafttretens dieses Gesetzes abzustellen.


Nur so kann eine in den verschiedenen Bundesländern unterschiedliche Gewährung von Grundsicherungsleistungen aufgrund sachfremder Faktoren, die - anders als beispielsweise die Berücksichtigung von örtlich unterschiedlich hohen Mietspiegeln für die Höhe der im konkreten Fall angemessenen Unterkunftskosten - nichts mit den einem Hilfebedürftigen entstehenden Kosten zu tun haben, verhindert werden (BSG, Urteil vom 07.11.2006- Az.: B 7b AS 2/05 R).

Die im 2. WoBauG enthaltenen Wohnflächengrenzen bedürfen jedoch bei Haushalten mit weniger als vier Personen einer Anpassung. Zum einen ist es nicht gerechtfertigt, Haushalte mit beispielsweise zwei Personen genauso viel Wohnfläche als angemessen zuzusprechen wie einem Haushalt mit vier Personen. Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz) gebietet es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. zuletzt BVerfG, Beschluss vom 21.06.2006 - Az.: 2 BvL 2/99). Dem muss auch bei der Bewertung der angemessenen Größe von selbstgenutztem Wohneigentum Rechnung getragen werden.


Aus diesem Grund ist bei Haushalten mit weniger als vier Personen ein angemessener Abschlag von der auf einen Vier-Personen-Haushalt abgestimmten Grundflächenzahl (120 m² bei Eigentumswohnungen und 130 m² bei Einfamilienhäusern) vorzunehmen. Entsprechend der in § 82 Abs. 3 Satz 1 2. WoBauG in Bezug genommenen Größe von 20 m² ist daher bei weniger als vier Personen ein Abschlag von 20 m² pro Person vorzunehmen. Bei einem aus 2 Personen bestehenden Haushalt ist mithin von einer angemessenen Wohnfläche von 90,00 qm auszugehen (vgl. statt vieler: LSG NRW, Urteil vom 21.07.2010 - Az.: L 12 AS 4/09).


Es muss erkennbar sein, dass die Verwertung des Hausgrundstückes durch Verkauf, Beleihung oder Vermietung einzelner Wohnräume (siehe zu Verwertungsmöglichkeiten eines Hausgrundstückes: BSG Urteil vom 16.05.2007 - Az.: B 11b As 37/06 R - Rn 31) für die Kläger offensichtlich unwirtschaftlich (vgl. zum Begriff der Unwirtschaftlichkeit: BSG Urteil vom 06.05.2010 - Az.: B 14 AS 2/09 R - Rn 22 m.w.N.) oder unzumutbar i.S.v. § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II (vgl. zum Begriff der besonderen Härte: BSG Urteil vom 06.05.2010 - Az.: B 14 AS 2/09 R - Rn 25f m.w.N.) ist.


Dass die Verwertung für die Ast. eine besondere Härte im Sinne des § 12 Abs. 3 Nr. 6 SGB II bedeuten würde, muss glaubhaft vorgetragen werden.



Wann von einer besonderen Härte auszugehen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, wobei maßgebend nur außergewöhnliche Umstände sein können, die nicht durch die ausdrücklichen Fragestellungen über das Schonvermögen (§ 12 Abs. 3 Satz 1 SGB II, § 4 Abs. 1 Alg II-V) und die Absetzungsbeträge nach § 12 Abs. 2 SGB II erfasst werden (vgl. Mücke, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 12 Rdnr. 87 f.; Geiger, in: LPK-SGB II, 4. Aufl., § 12 Rdnr. 63 f.).


Die Prüfung des Vorliegens einer besonderen Härte ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen (BSG, Urteil vom 16.05.2007, – B 11b AS 37/05 R –, Rdnr. 31).




Der Beitrag wurde erstellt von Willi 2, Mitarbeiter des Sozialrechtsexperten RA Ludwig Zimmermann sowie Autor des wöchentlichen Rechtsprechungstickers von Tacheles

Donnerstag, 12. Januar 2012

Gemäß § 39 Nr. 1 SGB II haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet, keine aufschiebende Wirkung. Zu diesen Verwaltungsakten gehören auch Entscheidungen über die Versagung oder Entziehung von bereits bewilligten Leistungen gemäß § 66 SGB I.

So die Rechtsauffassung des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 21.12.2011, - L 5 AS 182/11 B ER - .


Nach § 39 Nr. 1 SGB II in der ab 1. Januar 2009 gültigen Fassung haben der Widerspruch und die Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der Leistungen der Grundsicherung aufhebt, zurücknimmt, widerruft oder herabsetzt, keine aufschiebende Wirkung. Die zum 1. April 2011 erfolgte weitere Änderung der Norm betrifft nicht die vorliegende Tatbestandsalternative, so dass sich insoweit die Rechtslage nicht geändert hat.


Die Neuregelung präzisierte die bisherige Fassung des Gesetzes. Nach der früheren Nr. 1 der Vorschrift waren auch die Bescheide auf der Grundlage von § 66 SGB I sofort vollziehbar (vgl. Conradis in: LPK-SGB II, 3. Auflage 2009, § 39 Rdnr. 1; Hengelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB II, § 39 Rdn 76; a.A.: Coseriu/Holzhey in: Linhart/Adolph, SGB II, § 39 Rdnr. 10).


Aus dem Willen des Gesetzgebers ergibt sich eindeutig, dass hinsichtlich der Bewertung von Versagungsbescheiden nach § 66 SGB I eine Änderung der Rechtslage nicht erfolgen sollte. Der Gesetzgeber wollte lediglich klarstellen, dass Aufhebungs- und Erstattungsbescheide von § 39 Nr. 1 SGB II nicht erfasst sind. Es war lediglich eine Erweiterung und Präzisierung der Norm beabsichtigt (vgl. BT-Drs. 16/10810, S. 50 zu Nr. 14). Daher gilt für auch Versagungsbescheide nach § 66 SGB I die bisherige Regelung fort (Beschluss des Senats vom 24. September 2010, B 5 AS 36/10 B ER; so auch: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 8. März 2010, L 13 AS 34/10 B ER; vgl. Conradis in: LPK-SGB II, 4. Auflage 2011, § 39 Rdnr. 15; Hengelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB II, § 39 Rdn 76).


Die abweichende Auffassung, welche sich am Wortlaut des neugefassten § 39 Abs. 1 SGB II orientiert (LSG Hessen, Beschluss vom 27. Dezember 2010, L 9 AS 612/10 B ER; LSG Hessen, 22. Juni 2011, L 7 AS 700/10 B ER; LSG Saarland, Beschluss vom 2. Mai 2011, L 9 AS 9/11 B ER; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 8. April 2010, L 7 AS 304/10 ER-B; Groth in GK-SGB II, § 39 Rn. 25), berücksichtigt die gesetzgeberische Intention und die Entstehungsgeschichte der Norm nicht hinreichend und führte zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Differenzierung innerhalb des § 66 SGB I.



 Denn es kann in dessen Anwendungsfällen für die aufschiebende Wirkung nicht darauf ankommen, ob wegen mangelnder Mitwirkung eine schon erfolgte Leistungsbewilligung entzogen oder ob eine beantragte Leistung von vornherein versagt wird.



Das Gebot des effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG macht es auch bei der Versagung von Leistungen nach dem SGB II wegen mangelnder Mitwirkung nach § 66 SGB I erforderlich, bei Vorliegen eines entsprechenden Leistungsanspruchs eine einstweilige Anordnung gem. § 86b Abs. 2 S. 2 SGG zu erlassen (LSG Saarland, Beschluss vom 2. Mai 2011, L 9 AS 9/11 B ER; LSG Baden- Württemberg, Beschluss vom 8. April 2010, L 7 AS 304/10 ER-B).


Denn allein damit ist für den Antragsteller die Möglichkeit eröffnet, vor einer Entscheidung in der Hauptsache über die Anfechtungsklagen gegen die Versagungsbescheide auch hinsichtlich des dahinter stehenden Leistungsbegehrens selbst einstweiligen Rechtsschutz zu erreichen.


https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=148352&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=




Anmerkung: Anderer Auffassung: Hessisches Landessozialgericht,Beschluss vom 20.07.2011, - L 7 AS 52/11 B ER -

Der Widerspruch gegen einen Versagungsbescheid hat nach inzwischen einhelliger Auffassung nach § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG aufschiebende Wirkung.

http://sozialrechtsexperte.blogspot.com/2011/11/der-widerspruch-gegen-einen.html
Der Beitrag wurde erstellt von Willi 2, Mitarbeiter des Sozialrechtsexperten RA Ludwig Zimmermann sowie Autor des wöchentlichen Rechtsprechungstickers von Tacheles

Mittwoch, 11. Januar 2012

Hartz-IV-Klagewelle in Berlin geht weiter - Hauptgrund - Rechtswidrige Gewährung der Kosten und Unterkunft anhand einer Tabelle

Berlin (dpa/bb) - Die Hartz-IV-Klagewelle in Berlin geht nahezu ungebremst weiter. Sieben Jahre nach der Arbeitsmarktreform gingen 2011 knapp 31 000 Klagen an Deutschlands größtem Sozialgericht ein, sagte Gerichtspräsidentin Sabine Schudoma am Mittwoch in Berlin.

Dies seien zwar rund drei Prozent weniger als im Vorjahr. «Für unsere Arbeit bedeutet das aber keine Trendwende. Noch in diesem Monat wird am Sozialgericht Berlin die 150 000. Hartz-IV-Klage eingehen.»

Vor allem wegen konkreter Alltagsanliegen wendeten sich die Menschen an das Gericht. Mehr als die Hälfte der Klagen seien zumindest teilweise berechtigt.

Vor allem Verfahren zu den Kosten der Unterkunft beschäftigte das Gericht. Dies sei nicht verwunderlich, sagte Schudoma.

Die Berliner Jobcenter entschieden anhand einer Tabelle über Unterkunftskosten, die das Bundessozialgericht als rechtswidrig erklärt hatte.


http://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/regioline_nt/berlinbrandenburg_nt/article13809510/Hartz-IV-Klagewelle-geht-weiter.html



Anmerkung: Es ist Aufgabe des Grundsicherungsträgers, bereits im Verwaltungsverfahren ein schlüssiges Konzept zur Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten zu entwickeln.



Dies dient der Umsetzung des für den unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit der Unterkunftskosten entwickelten Kriterien. Das Gericht hat anhand der von ihm gelieferten Daten bzw der zusätzlich im Rahmen der Amtsermittlungspflicht von ihm angeforderten und zur Verfügung zu stellenden Daten und Unterlagen zu verifizieren, ob die angenommene Mietobergrenze angemessen ist( BSG, Urteil vom 20.11.2011, - B 4 AS 19/11 R-).


Die vom Grundsicherungsträger herangezogenen Ausführungsvorschriften (AV-Wohnen) zur Bestimmung eines angemessenen Quadratmeterpreises innerhalb des örtlichen Vergleichsmaßstabs (des gesamten Stadtgebiets von Berlin) sind nicht geeignet zur Ermittlung der angemessenen Kosten der Unterkunft,denn sie beruhen nicht auf einem schlüssigen Konzept, das eine hinreichende Gewähr dafür bietet, dass es die aktuellen Verhältnisse des örtlichen Wohnungsmarktes wiedergibt (BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 42 RdNr 26).



Hinweis: Nutzen Sie die Erfahrung von Menschen, die sich mit dem SGB 2 Tag täglich beschäftigen und die Gerichte in Atem halten.



RA Ludwig Zimmermann und sein Mitarbeiter Willi 2


http://sozialrechtsexperte.blogspot.com/p/die-mandantenseite-bundesweite.html




 Der Beitrag wurde erstellt von Willi 2, Mitarbeiter des Sozialrechtsexperten RA Ludwig Zimmermann sowie Autor des wöchentlichen Rechtsprechungstickers von Tacheles

Hartz IV - Gestiegene Betriebskosten sind kein Umzugsgrund - Niemand darf wegen gestiegener Betriebskosten zum Umzug gezwungen werden, nur wenn den Mietern unwirtschaftliches Verhalten nachgewiesen werden kann, drohen Konsequenzen.

Weil ihre Mieten zu hoch sind, müssen immer mehr Empfänger von Hartz-IV umziehen. Günstigen Wohnraum gibt es im Kiez zu wenig, dafür aber lange Wartelisten für die günstigen Sozialwohnungen.

Ein Beitrag von Kristin Freyer


Immer mehr Pankower Hartz-IV-Empfänger müssen umziehen, da ihre Miete zu hoch ist. Das geht aus einer kleinen Anfrage der Piratenfraktion an das Bezirksamt von Anfang Dezember hervor. Nach Angaben von Lioba Zürn-Kasztantowicz (SPD), Bezirksstadträtin für Soziales, wurden zwischen Januar und November des vergangenen Jahres in mehr als 10.700 Fällen sogenannte Richtwertüberschreitungen festgestellt. Das heißt, dass die Höhe der Warmmiete den vom Jobcenter festgelegten Richtwert übersteigt. In Berlin liegt dieser Wert bei einem Ein-Personenhaushalt bei 378 Euro, bei einem Zwei-Personen-Haushalt bei 444 Euro und einem Haushalt mit drei Personen bei 542 Euro.


 In knapp 3.000 Fällen mussten die Betroffenen die Kosten ihrer Wohnung senken, beispielsweise durch Umzüge. Zum Vergleich: 2009 wurden rund 1.600 Überschreitungen festgestellt, in knapp 350 Fällen wurde reagiert. Damit mussten 2011 fast neunmal so viele Hartz-IV-Empfänger die Kosten ihrer Wohnung senken wie zwei Jahre zuvor.

Rund 18.800 Pankower Hartz-IV-Empfänger erhielten laut Zürn-Kasztantowicz im dritten Quartal 2011 die sogenannten Kosten der Unterkunft (KdU), um Miete und Nebenkosten bezahlen zu können. Die Höhe der Zahlung ist unter anderem abhängig von der Zahl der Familienangehörigen und deren Alter sowie der durchschnittlichen Höhe der örtlichen Mieten. Damit wohnen mehr als die Hälfte der Pankower Hartz-IV-Empfänger in Wohnungen, die eigentlich zu teuer sind.


Gestiegene Betriebskosten sind kein Umzugsgrund


Jedoch zieht nicht jede Überschreitung zwangsläufig einen Unzug nach sich, da in jedem Fall individuell überprüft und entschieden wird. Schwangere, Alleinerziehende oder auch Menschen, die voraussichtlich in absehbarer Zeit Arbeit finden, dürfen den Richtwert beispielsweise um bis zu zehn Prozent übersteigen. Auch wenn die Heizkosten aus gesundheitlichen oder altersbedingten Gründen höher liegen, besteht kein Grund zur Sorge. Insgesamt gilt: Niemand darf wegen gestiegener Betriebskosten zum Umzug gezwungen werden. Nur wenn den Mietern unwirtschaftliches Verhalten nachgewiesen werden kann, drohen Konsequenzen.


Neben der Berechnung der Angemessenheit der Ausgaben werde die aktuelle, zu hohe Miete mit den bei einem Umzug unvermeidbaren Kosten für Mietkaution, Umzugskosten sowie Mietzahlungen für zwei Wohnungen gegenübergestellt, erklärt Zürn-Kasztantowicz. Erst dann werde entschieden, ob der Mieter die Kosten für die Wohnung wirklich senken müsse.


Mieter, die in das Visier der Behörde geraten sind, haben in aller Regel ein halbes Jahr Zeit, zu reagieren. Sei es, indem sie eine neue Wohnung oder einen Mitbewohner finden, die zu hohen Kosten selbst übernehmen oder ihren Vermieter zu einer Mietsenkung überreden. Gerade Letzteres dürfte aber schwierig werden.


Lange Wartezeiten bei Wohnungen mit Belegungsrecht


weiter hier lesen http://prenzlauerberg-nachrichten.de/politik/_/immer-mehr-hartz-iv-empfanger-mussen-umziehen-17606.html




Anmerkung: In den angemessenen Quadratmeterpreis sind im Sinne der Produkttheorie neben der Nettokaltmiete schon nach dem Wortlaut des § 22 Abs 1 SGB II auch die sog kalten Betriebskosten einzubeziehen; diese sind nicht - wie die Heizkosten - gesondert auf ihre Angemessenheit zu prüfen. Für die Angemessenheitskontrolle erscheint es sachgerecht, auf örtliche Übersichten und insoweit auf die sich daraus ergebenden Durchschnittswerte aller nach der Betriebskostenverordnung zugrundeliegenden Kostenarten zurückzugreifen. Kalte Betriebskosten bestimmen sich vor allem nach den regionalen Besonderheiten. Dagegen erscheint es nicht erforderlich, im Hinblick auf die kalten Betriebskosten weitergehend nach einfacher Wohnlage zu differenzieren, weil die Höhe der Betriebskosten weitgehend unabhängig von der Wohnlage ist. Erst wenn keine regionalen Übersichten vorliegen, kann auf den Betriebskostenspiegel des Deutschen Mieterbundes zurückgegriffen werden(vgl. dazu BSG, Urteil vom 19.10.2010 , - B 14 AS 50/10 R - ).


Zur Ermittlung der abstrakt angemessenen Unterkunftskosten sind neben der Nettokaltmiete die kalten Betriebskosten, allerdings unter Rückgriff auf lokale Übersichten, einzubeziehen(vgl. dazu BSG, Urteil vom 20.11.2011, - B 4 AS 19/11 R-).



Der Beitrag wurde erstellt von Willi 2, Mitarbeiter des Sozialrechtsexperten RA Ludwig Zimmermann sowie Autor des wöchentlichen Rechtsprechungstickers von Tacheles

Dienstag, 10. Januar 2012

Für einen Ein-Personen-Haushalt in Nordrhein- Westfalen (hier für Duisburg) ist eine Wohnfläche von 50 m² angemessen.

So die Rechtsauffassung des Sozialgericht Duisburg Urteil vom 08.03.2011, - S 45 AS 3893/10 -


Die Kammer hält es in Übereinstimmung mit dem Bundessozialgericht für zutreffend, von einer angemessenen Wohnungsgröße bis zu 50 qm auszugehen.

Der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts folgend ist bei der Bestimmung der angemessenen Wohnfläche auf die für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau anerkannten Wohnungsgrößen abzustellen (vgl. BSG Urteil vom 07.11.2006, Az. B 7b AS 18/06 R, BSG Urteil vom 17.12.2009, Az. B 4 27/09 R).


Entsprechend § 18 Abs. 2 des Gesetzes zur Förderung und Nutzung von Wohnraum für das Land Nordrhein-Westfalen vom 08.12.2009 (WFNG NRW) i.V.m. Punkt 8.2 der Wohnnutzungsbestimmungen (WNB, RdErl. d. Ministeriums für Bauen und Verkehr – IV. 5-619-1665/09 vom 12.12.2009) ist eine Wohnungsgröße von 50 qm für eine allein stehende Person als angemessen zugrunde zu legen.

Soweit das Landessozialgericht Nordrhein - Westfalen in seinem Urteil vom 29.04.2010 (Az. L 9 AS 58/08) anders als die hier entscheidende Kammer die Anwendung der aktuellen landesrechtlichen Regelungen ablehnt, vermag die Kammer dieser Auffassung nicht zu folgen.


Die vom Bundessozialgericht herangezogenen Bestimmungen für angemessene Wohnflächen im sozialen Mietwohnungsbau gewährleisten, dass die Auslegung des Begriffs der "Angemessenheit" im Sinne des § 22 SGB II im Gleichklang zu den landes- rechtlichen Bestimmungen des sozialen Wohnungsbaus stehen.

Zwei verschiedene Angemessenheitsgrenzen, eine nach dem SGB II und einen nach dem WFNG, wären kaum zu rechtfertigen. Auslegung – insbesondere die Auslegung des von der Allgemeinheit zu tragenden, für einen Hilfebedürftigen angemessenen Wohnraums - steht immer im Kontext gesellschaftlicher und politischer Wertungen. Die Ankoppelung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 SGB II an die Bestimmungen des sozialen Wohnungsbaus gewährleistet, dass Veränderungen in der gesellschaftlichen und politischen Vorstellung, sobald diese in den landesrechtlichen Vorschriften zum Ausdruck gebracht werden, auch in die Auslegung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 SGB II einfließen.

Ein statisches Verständnis des Begriffs der Angemessenheit und damit eine Abkoppelung des Angemessenheitsbegriffs von den sich verändernden landesrechtlichen Vorschriften ist weder von Seiten des Bundessozialgerichts gewollt noch überzeugend zu begründen.


Vorliegend hält es die Kammer für sachgerecht, das Gebiet der Stadt Essen in den kommunalverfassungsrechtlichen Grenzen als räumlichen Vergleichsmaßstab zur Ermittlung des abstrakt angemessenen Quadratmeterpreises heranzuziehen.


Dieses Vorgehen wurde für die Stadt Essen bereits vom Bundessozialgericht bestätigt (vgl. Urteil vom 17.12.2009, Az. B 4 AS 27/09 R). Nach der Rechtsprechung des Bundes-sozialgerichts muss es sich bei dem Vergleichsraum um einen ausreichend großen Raum der Wohnbebauung handeln, der auf Grund seiner räumlichen Nähe, seiner Infrastruktur und insbesondere seiner verkehrstechnischen Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnraum bildet (BSG Urteil vom 19.02.2009, Az. B 4 AS 30/08 R).


Zu Recht hat das Landessozialgericht hierzu unter anderem festgestellt, dass der öffentliche Nahverkehr in Essen auf die Erreichbarkeit des Stadtkerns von allen Stadtteilen, auch solchen in Randlagen, ausgerichtet ist (vgl. LSG NW Urteil vom 16.02.2009, Az. L 19 AS 62/08). Trotz des relativ großen Vergleichsgebietes würde der Klägerin kein Umzug unter Aufgabe ihres sozialen Umfeldes zugemutet, denn durch das öffentliche Verkehrsnetz ist es möglich und zumutbar soziale Kontakte auch nach einem Umzug in ein relativ weit entferntes Stadtgebiet weiterhin aufrechtzuerhalten (LSG NRW Urteil vom 16.02.2009, L 19 AS 62/08).


https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=148244&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=


Anmerkung: Hartz IV - Für einen Ein-Personen-Haushalt in Nordrhein- Westfalen (hier für das Stadtgebiet der Gemeinde Viersen/Grefrath) ist eine Wohnfläche von 50 m² angemessen.


http://sozialrechtsexperte.blogspot.com/2011/12/hartz-iv-fur-einen-ein-personen.html


Der Beitrag wurde erstellt von Willi 2, Mitarbeiter des Sozialrechtsexperten RA Ludwig Zimmermann sowie Autor des wöchentlichen Rechtsprechungstickers von Tacheles

Montag, 9. Januar 2012

Kein Mehrbedarfszuschlag wegen Alters bei Nichtvorliegen eines Schwerbehindertenausweises mit dem Merkzeichen G - rückwirkende Zuerkennung des Merkzeichens G

BSG Urteil vom 10.11.2011, - B 8 SO 16/09 R -

Der Mehrbedarf bei voller Erwerbsminderung und Zuerkennung des Merkzeichens G kann frühestens ab dem Besitz des entsprechenden Schwerbehindertenausweises gewährt werden; dies gilt auch im Falle einer rückwirkenden Zuerkennung des Merkzeichens G.

Nach § 3 Abs 1 Nr 4 GSiG und § 30 Abs 1 Nr 2 SGB XII (in der bis zum 6.12.2006 geltenden Fassung) ist der Besitz eines Schwerbehindertenausweises mit dem Merkzeichen "G" für den pauschalierten Mehrbedarf Anspruchsvoraussetzung.

 Da nach § 40 Abs 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - (SGB I) Ansprüche auf Sozialleistungen erst entstehen, wenn ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen erfüllt sind, scheidet ein pauschalierter Mehrbedarf für zurückliegende Zeiten ab Feststellung des Merkzeichens "G" aus.

Von diesem Verständnis geht auch der Gesetzgeber aus; dies zeigt die Gesetzesbegründung zur Änderung des § 30 Abs 1 Nr 2 SGB XII, wonach die bis zum 6.12.2006 geltende Rechtslage zur Folge habe, dass der Mehrbedarf erst ab dem Zeitpunkt der Ausstellung des Schwerbehindertenausweises und damit regelmäßig erst mehrere Wochen nach Bekanntgabe des Feststellungsbescheides in Anspruch genommen werden könne.

http://juris.bundessozialgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bsg&Art=en&Datum=2011&Seite=0&nr=12293&pos=0&anz=216


Der Beitrag wurde erstellt von Willi 2, Mitarbeiter des Sozialrechtsexperten RA Ludwig Zimmermann sowie Autor des wöchentlichen Rechtsprechungstickers von Tacheles

Sonntag, 8. Januar 2012

Die als grundsätzlich und klärungsbedürftig angesehene Frage, ob die Kosten für den zum Betrieb einer Heizungsanlage benötigten Strom zu den Kosten der Unterkunft und Heizung gehören, ist für Zeiträume vor dem 01.01.2011 durch Rechtsprechung des Bundessozialgerichts geklärt

So die Rechtsauffassung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16.12.2011, - L 19 AS 1261/11 NZB - .


Die als grundsätzlich und klärungsbedürftig angesehene Frage, ob die Kosten für den zum Betrieb einer Heizungsanlage benötigten Strom zu den Kosten der Unterkunft und Heizung gehören, ist für Zeiträume vor dem 01.01.2011 durch Rechtsprechung des Bun-dessozialgerichts (Beschluss vom 26.05.2010 - B 4 AS 7/10 B -, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 51/10 R) geklärt und dies - soweit ersichtlich - unumstritten (vgl. z.B. die Kommen-tierung von Berlit in LPK SGB II, 4. Aufl., § 22 Rn. 94 m.w.N.).


Der Beschluss des BSG vom 26.05.2010 - B 4 AS 7/10 - ist zwischen den auch hier Beteiligten ergangen. Das Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 51/10 R - wurde im vorliegenden Verfahren übermittelt. Von einer Wiedergabe der Gründe wird daher abgesehen.


Die Klärung der hieran angeschlossenen und gleichfalls als grundsätzlich und klärungsbedürftig angesehene Frage, ob der für den Betrieb der Heizungsanlage benötigte Strom mit den Regelleistungen abgegolten ist, ergibt sich für vor dem 01.01.2011 liegende Zeiträume ebenso aus der vorzitierten Rechtsprechung in Verbindung mit dem Umstand, dass das SGB selbst zwischen den Regelleistungen nach § 20 SGB II und den Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II differenziert.

Für Zeiträume ab dem 01.01.2011 ergibt sich die Beantwortung der gestellten Frage aus der Neufassung von § 20 Abs. 1 S. 1 SGB II durch das Gesetz vom 24.03.2011, BGBl I 453.

Die Vorschrift lautet nun: "Der Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasst insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf die Heizung und Erzeugung von Warmwasser entfallenden Anteile sowie persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens."

Die Regelung zu den auf die Warmwasserbereitung entfallenden Anteilen der Haushaltsenergie stellt vor dem Hintergrund der bisherigen Rechtslage (vgl. zusammenfassend BSG im Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 52/09 R -) eine Rechtsänderung, die zu den für die Heizung aufgewendeten Anteilen der Haushaltsenergie eine Klarstellung dar (Lenze in LPK-SGB II § 20 Rn. 2).

Der vorliegende Rechtsstreit wirft danach keine klärungsbedürftigen Rechtsfragen auf und hat deshalb keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des Zulassungsgrundes nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG.

Eine Divergenz i.S.d. Zulassungsgrundes nach § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG ist weder vom Kläger gerügt worden noch ersichtlich.


Die Berufung ist auch nicht nach § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG deswegen zuzulassen, weil ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Die Rüge des Klägers, das Sozialgericht habe von ihm aufgezeigte Anhaltspunkte für einen höheren als den selbst geschätzten Stromkostenaufwand für den Betrieb der Gastherme übergangen, ist als Rüge der Verletzung seines rechtlichen Gehöres zu werten.

Eine Verletzung des rechtlichen Gehöres des Klägers liegt jedoch nicht vor, weil das Sozialgericht ausweislich der Begründung des Urteils vom 11.05.2011 insbesondere den Hinweis des Klägers auf eine Internetdatei bezüglich Unterkunftskosten im Bereich F aufgegriffen und begründet hat, warum es dennoch an seiner Schätzung festhalte, dass der Stromkostenaufwand des Klägers für den Heizungsbetrieb seiner Gastherme unter 6,22 EUR gelegen habe. Eine Gehörsverletzung liegt daher nicht vor.

In der Rüge, das Sozialgericht habe es unterlassen, ein Sachverständigengutachten einzuholen, liegt die Rüge einer Verletzung der Pflicht zur Ermittlung von Amts wegen nach § 103 SGG. Auch dieser Verfahrensfehler liegt jedoch nicht vor, weil die vom Sozialgericht vorgenommene Schätzung unter Anschluss an die Schätzung des LSG NW in seinem gleichfalls in Sachen des Klägers ergangenen Urteil vom 12.11.2009 - L 7 AS 92/07 - der vorzitierten Rechtsprechung des BSG im Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 51/10 R - entspricht.


Insbesondere hat die vom BSG a.a.O. geforderte Ermittlung von Bezugspunkten für eine realitätsnahe Schätzung des Energieanteiles, der auf die Heizung entfällt, im Falle des Klägers stattgefunden, indem das LSG NW eine Vermieteranfrage durchgeführt und zum Stromverbrauch der vom Kläger im streitigen Zeitraum verwendeten Therme ermittelt hat. Selbst wollte man eine defizitäre Ermittlung der Schätzungsgrundlagen darin sehen, dass weder der 7. Senat des LSG im angegebenen Urteil noch das Sozialgericht im vorliegenden Verfahren den Stromverbrauch des verwendeten Thermostats "Vaillant VRT-QZA" in Ansatz gebracht hat, wäre nicht anzunehmen, dass das Urteil i.S.d. Zulassungsgrundes nach § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG hierauf beruhen könnte.

Nach der im Internet zugänglichen Bedienungsanleitung für dieses Gerät (www.vaillant.de/service/bedienungsanleitungen/rau mtemperaturregler.vrt-qza.pdf) hat dieses Gerät eine Stromaufnahme von 10 mA, was bei einer maximalen Betriebsspannung von 24 Volt einer Leistungsaufnahme von 0,24 Watt entspricht (0,01 Ampere x 24 Volt = 0,24 Watt).


Dies entspricht bei den vom Kläger angenommenen 3.600 Betriebsstunden jährlich einem Stromverbrauch von 0,864 kWh, selbst bei ganztägigem Betrieb während einer 240 Tage umfassenden Heizperiode entsprechend den Maximalangaben des Klägers einem Stromverbrauch von 1,3824 kWh (0,24 Watt x 24 h x 240 Tage).


Unter Zugrundelegung des vom Kläger im Jahre 2006 zu entrichtenden Preises für eine Kilowattstunde i.H.v. 0,21599 EUR ergibt sich daher bei 3.600 Betriebsstunden ein jährlicher Finanzbedarf für den Betrieb des Thermostats von 0,1866153 EUR (0,864 x 0,21599 EUR) bzw. von 0,2985845 EUR bei ganztägigem Betrieb während einer 240 Tage umfassenden Heizperiode (1,3824 x 0,21599 EUR).

Diesen Werten entsprechen Ansätze von 1,5 bzw. maximal 2,5 Cent monatlich für den Betrieb des Thermostats, die sowohl der 7. Senat des LSG NW als auch das Sozialgericht im vorliegenden Fall wegen Nichtberücksichtigung des Thermostats im Rahmen der jeweiligen Schätzung vernachlässigt haben könnten.

Die geringe Dimension des unberücksichtigt gebliebenen Stromverbrauches für den Be-trieb des Thermostats, ggf. auch weitere Minimalansätze für den Betrieb einer Kontrolllampe o.ä. stellen die Richtigkeit des Schätzungsansatzes an sich ebenso wenig in Frage wie das Ergebnis der Schätzung selbst, dass nämlich der heizungsbezogene Stromverbrauch für den Betrieb der Therme des Klägers (deutlich) unter 6,22 EUR liegt.


Die vom Sozialgericht zugrunde gelegte Schätzung des 7. Senates des LSG NW im angegebenen Urteil ist zur Überzeugung des Senats zudem bereits hinsichtlich der eingesetzten Heiztage großzügig.


Da sich ferner aus dem Vorhandensein einer Thermostatregelung ergibt, dass die Hei-zungspumpe keinesfalls - wie bislang zugrundegelegt - während der gesamten Heizzeit mit Maximalleistung, sondern je nach Absinken der Raumtemperatur in Intervallen oder mit abgesenkter Drehzahl und damit auch abgesenkter Leistungsaufnahme betrieben wurde, steht fest, dass die bisherige Schätzung deutlich überhöht, jedenfalls aber so großzügig gewesen ist, dass die Klageabweisung nicht i.S.d. Zulassungsgrundes nach § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG auf der gerügten fehlerhaften Ermittlung der Schätzungsgrundla-gen beruht haben könnte.


Soweit der Kläger darauf hinweist, er sei nicht mit der Rechtsprechung einverstanden, wonach bislang nicht anerkannte Heizkostenanteile nicht zur Auszahlung kommen, wenn sie unterhalb der bislang nicht in Abzug gebrachten Energiekosten für die Bereitung von Warmwasser gelegen haben, ist dies kein Vortrag eines Zulassungsgrundes. Der Kläger ist aus diesem Anlass darauf hinzuweisen, dass im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde die (verfahrensrechtliche) Rechtmäßigkeit des Zustandekommens eines Urteils, nicht aber dessen Richtigkeit im Ergebnis oder gar die Richtigkeit höchstrichterlicher Rechtsprechung geprüft wird.

https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=148099&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=


Der Beitrag wurde erstellt von Willi 2, Mitarbeiter des Sozialrechtsexperten RA Ludwig Zimmermann sowie Autor des wöchentlichen Rechtsprechungstickers von Tacheles

Kostenübernahme von Medizinal-Cannabis nur bei "Mindestevidenz"

Das SG Nürnberg hat entschieden, dass ein Patient nicht allein deswegen einen Anspruch auf Versorgung mit Medizinal-Cannabis ha...