I. Einleitung
„Das
Elterngeld Plus kommt. Behalten Sie den Überblick!“ Diese
Verlagswerbung für einen BEEG-Kommentar trifft die Sache. Ohne
ausführliche Erläuterungen lässt sich kein Pfad durch das im Gewächshaus
des Gesetzgebers herangezüchtete verästelte Dickicht von
Basiselterngeld, Elterngeld Plus, Partnerschaftsbonusmonaten,
Partnermonaten und einer Kombination all dieser Leistungsformen
schlagen. Die gesetzliche Komplexität hat damit einen Grad erreicht, der
eine Anwendung durch die Betroffenen selbst nahezu unmöglich macht
(Richter, DStR 2015, 366, 368; vgl. auch Winkel, SozSich 2014, 410,
412). Die Bundesregierung schätzt gleichwohl, nur jeder fünfte
Berechtigte werde zusätzlich zu beraten sein und dafür reichten pro Fall
zehn Minuten (BT-Drs. 18/2583,
S. 20 f.). Dabei werden betroffene Eltern bereits Mühe haben, das
aktuell geltende Recht zu ermitteln. Das „Gesetz zur Einführung des
Elterngeld Plus mit Partnerschaftsbonus und einer flexibleren Elternzeit
im Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz“ vom 18.12.2014 (BGBl I 2014,
2325) ist zwar nach seinem Art. 5 am 01.01.2015 in Kraft getreten und
wenig später in der seit diesem Datum „geltenden Fassung“ neu bekannt
gemacht worden (BGBl I 2015, 33). Erst der Übergangsvorschrift in § 27
Abs. 1 Satz 2 BEEG aber lässt sich entnehmen, dass der einhellig
gerühmte Fortschritt noch auf sich warten lässt. Bis zum 30.06.2015
bleibt – nahezu – alles beim Alten; Elterngeld Plus gibt es erst für
nach diesem Tag geborene Kinder.
II. Motive und Zwecke
In
der noch jungen Geschichte des BEEG ist von Beginn an und wiederholt
das Thema „doppelter Anspruchsverbrauch bei parallelem Elterngeldbezug
und Teilzeiterwerbstätigkeit“ diskutiert worden. Stets herrschte
Einigkeit, Eltern, die beide Teilzeit arbeiten und zugleich Elterngeld
beziehen, nicht länger einen doppelten, längstens siebenmonatigen
Anspruchsverbrauch aufzuzwingen, sondern eine solche gesellschafts- und
familienpolitisch außerordentlich erwünschte gemeinsame Kinderbetreuung
durch Elterngeld für beide Partner über die volle Bezugszeit bis zu 14
Monaten zu unterstützen. Ein ausformulierter Gesetzesvorschlag zur
kostenneutralen Lösung lag seit Jahren vor (vgl. BT-Ausschuss-Drs.
16(13)81e, S. 4; Fuchsloch/Scheiwe, Leitfaden Elterngeld, 2007, 119 Fn.
38; Dau, jurisPR-SozR 20/2012 Anm. 1). Zuletzt wurde eine Änderung trotz
Übereinstimmung in der Sache dennoch mehrheitlich mit dem Argument
abgelehnt, es gehe beim „Gesetz zur Vereinfachung des
Elterngeldvollzugs“ um Verwaltungspraktikabilität und
verfahrenstechnische Regelungen (BT-Drs. 17/9841,
S. 15, 16). Was damals – erneut – hinausgeschoben wurde, wird jetzt
realisiert: Elterngeld Plus mit einem Partnerschaftsbonus soll
Teilzeiterwerbstätigkeit für Väter und Mütter im Elterngeldbezug als
Individuen und als Paar lohnender machen und die Partnerschaftlichkeit
stärken (BT-Drs. 18/2583,
S. 1). Es braucht nicht länger ein Elternteil (voll-)erwerbstätig zu
sein, während der andere auf Erwerbsarbeit verzichtet, um das Kind zu
betreuen. Beide sollen neben Kinderbetreuung (teilzeit-)erwerbstätig
sein und gleichzeitig Elterngeld beziehen können. Damit fördert das
Gesetz abseits möglicher philanthropischer und emanzipatorischer Motive
aber auch wirtschaftspolitische Ziele. So lässt sich das
Arbeitskräftepotential besser ausschöpfen und durch nur kurze
Unterbrechungen des Erwerbslebens berufliche Dequalifizierung vor allem
von Müttern verhindern (vgl. Forst, DB 2015, 68, 70; Winkel, SozSich
2014, 410, 413). Das Elterngeld Plus setzt danach verstärkte finanzielle
Anreize für Eltern, sich zu dem vom Gesetz privilegierten
Familienmodell zu entscheiden. Inwieweit sich dies mit Art. 6 Abs. 1 GG
und Art. 3 Abs. 1 GG verträgt, wird erneut diskutiert werden (vgl.
Pernice-Warneke, FamRZ 2014, 1237, 1240).
III. Die wesentlichen Neuregelungen
1. Verlängerung der Bezugszeit
Die
grundlegende Neuerung findet sich in § 4 Abs. 3 Satz 1 BEEG: Statt für
einen Monat die herkömmliche, nunmehr als „Basiselterngeld“ bezeichnete
Leistung zu beanspruchen, kann ein Berechtigter sich entscheiden,
jeweils zwei Monate lang „Elterngeld Plus“ zu beziehen. Mit der
Verdoppelung der Anspruchsdauer geht eine Halbierung der Leistung
einher. Der monatliche Elterngeld Plus Betrag ist auf höchstens die
Hälfte des Basiselterngeldes bei vollständigem Einkommenswegfall
begrenzt; ebenso halbieren sich der Mindestbetrag von 300 Euro nach § 2
Abs. 4 BEEG, der Mindestgeschwisterbonus von 75 Euro nach § 2a Abs. 1
Satz 1 BEEG, der Mehrlingszuschlag von 300 Euro nach § 2a Abs. 4 BEEG,
der von Anrechnung ausgenommene Betrag nach § 3 Abs. 2 BEEG und die
Freibeträge in § 10 Abs. 3 und 5 BEEG. Nach den Materialien soll
Elterngeld Plus die bisherige Verlängerungsoption des § 6 Sätze 2 und 3
BEEG a.F. „ersetzen“. Das trifft nicht ganz zu. Nach der weggefallenen
Regelung verdoppelten halbierte Monatsbeträge den Auszahlungszeitraum
auf maximal 28 Monate. Damit ließen sich steuerliche Vorteile erzielen
(vgl. Fuchsloch/Scheiwe, Leitfaden Elterngeld, 123), ohne dass die
Leistungsvoraussetzungen (z.B. keine volle Erwerbstätigkeit) in der
zweiten Hälfte des Auszahlungszeitraums vorzuliegen brauchten. Anders
beim Elterngeld Plus: Es handelt sich nicht um ratenweise gestreckte
Auszahlung der Leistung, sondern um eine Verlängerung der Anspruchsdauer
auf bis zu 28 Monate. Diese Spanne verkürzt sich allerdings um
mindestens zwei Monate für Elternteile, denen Mutterschaftsgeld zusteht
und ebenso um die Dauer eines Anspruches auf weitere in § 3 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 bis 3 BEEG genannte Leistungen. Denn nach § 4 Abs. 5 Satz 3 BEEG
bleibt es für diese Lebensmonate des Kindes beim fiktiven
Elterngeldbezug und zwar zwingend von Basiselterngeld. Mit dem Wechsel
von bloß gestreckter Auszahlung zum verlängerten Bezug der Leistung
bestehen auch keine Zweifel mehr, dass für diese Zeit die
Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung erhalten
bleibt (vgl. Baierl in: jurisPK-SGB V, § 203 Rn. 27; vgl. auch § 192
Abs. 1 Nr. 2 und § 224 Abs. 1 SGB V).
2. Partnermonate
Wie
bislang erhöht sich der gemeinsame Anspruch der Eltern auf zwölf
Monatsbeträge (Basis-)Elterngeld um zwei weitere, jetzt ausdrücklich als
„Partnermonate“ bezeichnete Anspruchsmonate, wenn Einkommen aus
Erwerbstätigkeit für zwei Monate gemindert ist (§ 4 Abs. 4 Satz 2 BEEG).
Auch Alleinerziehenden können Partnermonate zustehen. Für sie
verlängert sich die individuelle Höchstbezugszeit um diese beiden Monate
aber – wie bisher – nur unter zusätzlichen Voraussetzungen: entweder
Unmöglichkeit der Betreuung durch den anderen Elternteil oder damit
verbundene Gefährdung des Kindeswohls. Für die dritte Möglichkeit
fordert das Gesetz nicht länger Alleinsorge- bzw. alleiniges
Aufenthaltsbestimmungsrecht des alleinerziehenden Elternteils. Nach § 4
Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 BEEG genügt es künftig, dass bei ihm die
Voraussetzungen für den Entlastungsbetrag nach § 24 Abs. 2 und 3 EStG
vorliegen und der andere Elternteil weder mit dem Alleinerziehenden noch
mit dem Kind in einer Wohnung lebt. Damit hat der Gesetzgeber eine
bereits vor langer Zeit erhobene Forderung erfüllt, die Vorschrift am
Leitbild möglichst gemeinsamen Sorgerechts auch getrennt lebender oder
nicht miteinander verheirateter Eltern auszurichten, statt Anreize in
die Gegenrichtung zu setzen (Müller-Magdeburg, FuR 2008, 416; Dau,
jurisPR-SozR 15/2013 Anm. 3).
3. Partnerschaftsbonus
Jeder
Elternteil kann für sich nach § 4 Abs. 3 Satz 2 BEEG Anspruch auf vier
zusätzliche als „Partnerschaftsbonus“ bezeichnete Monate Elterngeld Plus
erwerben. Dafür müssen beide Elternteile in diesen vier Lebensmonaten
des Kindes fortlaufend und gleichzeitig in Teilzeit zwischen 25 und 30
Wochenstunden im Monatsdurchschnitt erwerbstätig sein. Außerdem müssen
in dieser Zeit beide durchgehend die Voraussetzungen des § 1 BEEG
erfüllen, vor allem also mit dem Kind in einem Haushalt leben.
Elterngeld Plus wird für diese vier aufeinander folgenden Monate
vorläufig gezahlt (§ 8 Abs. 3 Nr. 4 BEEG). Erfüllt auch nur ein
Elternteil die besonderen Voraussetzungen des Partnerschaftsbonus im
Laufe der vier Monate zeitweise nicht (etwa durch Über- oder
Unterschreiten des Teilzeitkorridors), werden vorläufige
Bewilligungsentscheidungen beider Elternteile aufgehoben und sämtliche
bereits gezahlten Partnerschaftsbonus-Beträge zurückgefordert (vgl. BT-Drs. 18/2583, S. 30).
Für
Arbeitnehmer könnte es schwierig werden, beim Arbeitgeber das Verlangen
nach Teilzeit von genau nicht weniger als 25, aber nicht mehr als 30
Wochenstunden durchzusetzen (vgl. Winkel, SozSich 2014, 410, 412). Hier
sind Selbstständige und besonders selbstständige Paare im Vorteil, weil
sie jederzeit selbst bestimmen können, ob und in welchem Umfang sie
erwerbstätig sind. Sie erklären der Verwaltung die
(elterngeldunschädliche) Dauer ihrer Arbeitszeit selbst, haben das
allerdings glaubhaft zu machen (vgl. BMFSFJ, Richtlinien zum BEEG,
Nr. 1.6.1.3. und zu den damit eröffneten Missbrauchsmöglichkeiten LSG
Essen, Urt. v. 12.04.2011 - L 13 EG 16/10 Rn. 34). Danach werden
Selbstständige in der Praxis leichteren, weil von der Verwaltung nur
schwer kontrollierbaren Zugang zum Partnerschaftsbonus haben.
Alleinerziehende
werden nach § 4 Abs. 6 Satz 2 BEEG durch eine vergleichbare
Bonusregelung begünstigt. Erfüllen sie die Voraussetzungen des Satzes 1
Nr. 1 bis 3 zum Erwerb (zweier) individueller Partnermonate, so stehen
ihnen vier weitere Monatsbeträge Elterngeld Plus zu, wenn sie in vier
aufeinander folgenden Lebensmonaten nicht weniger als 25 und nicht mehr
als 30 Wochenstunden im Monatsdurchschnitt erwerbstätig sind.
4. Bezugszeiten
Basiselterngeld
kann von einem Elternteil in bis zu zwölf Monatsbeträgen bezogen
werden; mit zwei Partnermonaten stehen den Eltern gemeinsam 14
Monatsbeträge Basiselterngeld zu (ebenso Alleinerziehenden unter den
Voraussetzungen des § 4 Abs. 6 Satz 1 BEEG). Die Beträge können vom Tag
der Geburt des Kindes nur bis zur Vollendung seines 14. Lebensmonats in
Anspruch genommen werden.
Statt
eines Monatsbetrages Basiselterngeld kann eine berechtigte Person zwei
Monate lang Elterngeld Plus beziehen, ein Elternteil mithin für 24
Monate; mit vier weiteren, aus zwei Partnermonaten Basiselterngeld
umgerechneten Elterngeld Plus-Monaten stehen den Eltern gemeinsam 28
Monate zur Verfügung (ebenso Alleinerziehenden unter den Voraussetzungen
des § 4 Abs. 6 Satz 1 BEEG). Zusätzlich hat jeder Elternteil Anspruch
auf Elterngeld Plus für die vier Monate, in denen beide die
Voraussetzungen des Partnerschaftsbonus erfüllen (ebenso
Alleinerziehende unter den Voraussetzungen des § 4 Abs. 6 Satz 2 BEEG).
Elterngeld Plus-Beträge können auch nach dem 14. Lebensmonat des Kindes
bezogen werden, und zwar von zumindest einen Elternteil ohne
Unterbrechung. Beziehen beide Eltern nach dem 14. Lebensmonat für einen
Monat kein Elterngeld, verfallen restliche Monate (§ 4 Abs. 1 Satz 2
BEEG).
IV. Weitere Änderungen, Unklares und Unterlassenes
1. Erweiterte Mitwirkungspflicht
Das
Gesetz beantwortet jetzt auch eine seit Einführung der
anspruchsausschließenden Einkommensgrenze für Reichensteuerpflichtige in
§ 1 Abs. 8 BEEG offene Frage: Wie können die Elterngeldstellen an
Informationen über das Einkommen eines auskunftsunwilligen Partners
(„andere Person“) kommen, der selbst die „Sozialleistung“ Elterngeld
weder beantragt hat noch erhält, dessen Einkommen zusammen mit dem des
Leistungsberechtigten 500.000 Euro aber nicht überschreiten darf (vgl.
Dau, SGb 2011, 198, 200 f.)? § 8 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 BEEG erstreckt die
Mitwirkungspflichten nach § 60 SGB I auf die andere Person i.S.d. § 1
Abs. 8 Satz 2 BEEG. Dasselbe gilt wegen Angaben zu den Voraussetzungen
des Partnerschaftsbonus nach § 4 Abs. 4 BEEG für den Elternteil, der den
Bonus nicht bezieht (§ 8 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 BEEG).
2. Ausschluss „sonstiger Bezüge“
Zum
Ausschluss „sonstiger Bezüge“ aus der Bemessungsgrundlage hat der
Gesetzgeber seinen Dialog mit dem BSG fortgeführt (vgl. zur Entwicklung
LSG Darmstadt, Urt. v. 27.02.2015 - L 5 EG 15/12 Rn. 21 ff.). Auch mit
der ausdrücklich auf Rechtsprechungskorrektur zielenden Formulierung „Im
Lohnsteuerabzugsverfahren als sonstige Bezüge behandelte Einnahmen
werden nicht berücksichtigt.“ im Haushaltsbegleitgesetz 2011 war es ihm
nicht gelungen, den Verwaltungsaufwand auf ein angestrebtes Minimum zu
reduzieren. Denn nach der Rechtsprechung hat sich seine Vorstellung,
damit die faktische Behandlung solcher Einnahmen durch den Arbeitgeber
im Einzelfall für maßgeblich zu erklären, nicht hinreichend im
Gesetzestext niedergeschlagen; hätte sie es, so verstieße eine solche
Regelung gegen Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG (BSG, Urt. v.
26.03.2014 - B 10 EG 14/13 R Rn. 28). Deshalb ordnet § 2c Abs. 1 Satz 2
BEEG nunmehr zwar zur „Klarstellung“ an, alle Lohn- und
Gehaltsbestandteile, die richtigerweise nach lohnsteuerlichen Vorgaben
als sonstige Bezüge zu behandeln sind, auch elterngeldrechtlich so zu
qualifizieren (BT-Drs. 18/2583,
S. 24). Unter „lohnsteuerliche Vorgaben“ fallen allerdings auch die
Lohnsteuer-Richtlinien (LStR), denen bislang als lediglich
norminterpretierenden Vorschriften für Elterngeldstellen und Gerichte
der Sozialgerichtsbarkeit keine unmittelbar bindende Wirkung zukam (BSG,
Urt. v. 26.03.2014 - B 10 EG 14/13 R Rn. 26). Flankiert wird dieser
Rückzug auf eine verfassungskonforme Position zudem von einer aus
Nr. 2.2. der Richtlinien zum BEEG (03/2013) ins Gesetz aufgerückten
Richtigkeits- und Vollständigkeitsvermutung für Angaben des Arbeitgebers
in Lohn- und Gehaltsbescheinigungen (§ 2c Abs. 2 Satz 2 BEEG). Die
Verwaltung darf deshalb aber auch künftig nicht nach dem Prinzip „Augen
zu und durch“ verfahren. Den Sachverhalt hat sie trotz
Vermutungsregelung aufzuklären (§ 26 Abs. 1 BEEG i.V.m. § 20 SGB X). Sie
muss deshalb in Bescheinigungen des Arbeitgebers erkennbaren Fehlern
und Unklarheiten ebenso nachgehen wie Hinweisen und Einwendungen
Berechtigter.
Unklar
bleibt, wie künftig Provisionen zu behandeln sind (a.A. anscheinend
Forst, DB 2015, 68, 70). Das BSG hatte dazu in dem zitierten und in zwei
weiteren Urteilen vom 26.03.2014 (B 10 EG 12/13 R und B 10 EG 7/13 R)
erkannt, lohnsteuerrechtliche Zwecke verlangten nicht zwingend,
Provisionen im Lohnsteuerabzugsverfahren ausnahmslos als sonstige Bezüge
zu behandeln; die LStR R 39b.2 Abs. 2 Satz 2 erwähne Provisionen im
Gegensatz zu Gratifikationen und Tantiemen nicht als eigenständigen
Begriff. Von der Elterngeldberechnung seien Provisionen nur soweit
ausgeschlossen, wie die steuerrechtlich motivierte Differenzierung auch
nach dem Zweck von Elterngeld sachlich gerechtfertigt sei. Der
Gesetzgeber meint dagegen, mit dem neu gefassten § 2c Abs. 1 Satz 2
BEEG, dessen Inkrafttreten bereits am 01.01.2015 er in § 27 Abs. 1 Satz 3
BEEG eigens geregelt hat, deckten sich lohnsteuerrechtlicher und
elterngeldrechtlicher Einkommensbegriff „insbesondere auch für
Provisionen“, Abweichungen führten zu höherem Verwaltungsaufwand (BT-Drs. 18/2583,
S. 25). Bundesrat und Bundesregierung scheinen aber nicht überzeugt,
dass sich mit dieser Gesetzesänderung die Verwaltung vereinfachen lässt.
Denn die Bundesregierung hat auf eine Bitte des Bundesrates, „die
Elterngeldfähigkeit von Einmalleistungen im Gesetz weniger
widerspruchsanfällig“ auszugestalten (BT-Drs. 18/2583,
S. 44), geantwortet, sie werde das mit einem wegen der
(Provisions-)Urteile des BSG vom 26.03.2015 überarbeiteten Rundschreiben
zu den sonstigen Bezügen erreichen (BT-Drs. 18/2625, S. 1).
3. Ende des „Zwillingselterngeldes“
Bei
Mehrlingsgeburten besteht zufolge dem in § 1 Abs. 1 BEEG eingefügten
Satz 2 nur „ein“ Anspruch auf Elterngeld; für jeden weiteren Mehrling
wird nach § 2a Abs. 4 BEEG ein Zuschlag von 300 Euro monatlich gezahlt.
Damit regelt der Gesetzgeber „klarer“, was er von jeher beabsichtigt
hatte (BT-Drs. 18/2583,
S. 17, 23), das BSG dem bisherigen Gesetzestext aber nicht hatte
entnehmen können (vgl. BSG, Urt. v. 27.06.2013 - B 10 EG 3/12, und BSG,
Urt. v. 27.06.2013 - B 10 EG 8/12 R; abl. Anm. Dau, jM 2014, 71; Forst,
DB 2015, 68, 69). Die Vorschrift tritt nicht, wie die Elterngeld
Plus-Regelungen, am 01.07.2015 in Kraft, sie gilt bereits für Geburten
ab dem 01.01.2015 (§ 27 Abs. 1 Satz 1 BEEG). Der Wegfall
rechtsprechungsgenerierter Vielfachansprüche bei Mehrlingsgeburten
entlastet, sobald er voll wirkt, den Elterngeldhaushalt des Bundes um
100 Mio. Euro jährlich (von Kalben, NDV-RD 2014, 55; BT-Drs. 18/148). Trotz Leistungsverbesserungen an anderer Stelle wird das im Elterngeldetat bis 2018 zu Minderausgaben führen (BT-Drs. 18/2583, S. 20).
4. Anrechnung auf Sozialleistungen
Im
Gesetzgebungsverfahren haben verschiedene dort gehörte Sachverständige
gefordert, die Anrechnungsfreiheit von Elterngeld insbesondere auf
Leistungen nach dem SGB II wieder einzuführen (vgl. BT-Ausschuss-Drs.
18(13)19b, S. 6; BT-Ausschuss-Drs. 18(13)19e, S. 5 und BT-Ausschuss-Drs.
18(13)19f, S. 9). In der Ausschussberatung hat sich dafür allein noch
die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingesetzt (BT-Drs. 18/3086, S. 10) und mit einem Entschließungsantrag DIE LINKE (BT-Drs. 18/3090,
S. 2). Das Thema wurde offenbar nicht weiter erörtert. Damit hat der
Gesetzgeber versäumt, das nachzuholen, was er schon bei Ablösung des
Erziehungsgeldes durch Elterngeld und noch entschiedener bei Abschaffung
von dessen Anrechnungsfreiheit auf Leistungen nach dem SGB II, dem SGB
XII und nach § 6a BKGG unterlassen hatte: eine gründliche Diskussion der
Folgen abseits reiner Einsparungsziele.
Das
ergänzend zu anderen Sozialleistungen gewährte und auf diese nicht
angerechnete Erziehungsgeld sollte schwangeren Frauen, die sich aus
wirtschaftlichen Gründen in einer Konfliktsituation befinden, das Ja zum
Kind erleichtern (BT-Drs. 10/3792,
S. 13, 18). Das BVerfG hatte deshalb „insbesondere das Erziehungsgeld“
als Maßnahme präventiven Schutzes für das ungeborene Leben eingeordnet
und dem Gesetzgeber aufgegeben, diese Bedeutung in Rechnung zu stellen,
wenn es erforderlich wird, staatliche Leistungen im Hinblick auf knappe
Mittel zu überprüfen (BVerfG, Urt. v. 28.05.1993 - 2 BvF 2/90, 2 BvF
4/92 und 2 BvF 5/92 - BVerfGE 88, 203 Rn. 183). Diese „prozedurale
Anforderung“ (vgl. dazu BVerfG, Urt. v. 14.02.2012 - 2 BvL 4/10 Rn. 164
f.) hat der Gesetzgeber nicht erfüllt. Es ist nicht ersichtlich, wo und
wie er seiner „Obliegenheit“ (LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v.
27.02.2002 - L 2 EG 1/01 Rn. 20) nachgekommen wäre, die Bedeutung eines
auf Sozialleistungen anrechnungsfreien Erziehungsgeldes für den Schutz
ungeborenen Lebens zu würdigen und gegen andere Ziele abzuwägen. Weder
2007 bei Ablösung des Erziehungsgeldes (von 300 Euro monatlich für zwei
Jahre) durch Elterngeld (im Mindestbetrag von 300 Euro für nur ein Jahr)
noch 2011 bei – weitgehender – Abschaffung der Anrechnungsfreiheit mit
dem Ergebnis, dass der Bezug von Elterngeld die wirtschaftliche Lage
bedürftiger Schwangerer, die Sozialleistungen beziehen, „unter dem
Strich“ (Buchner/Becker, Mutterschutz und Bundeserziehungsgeldgesetz, 7.
Aufl. 2003, § 8 BErzGG Rn. 2) nicht länger verbessert. Die
Sozialgerichte scheinen dieses Unterlassen bisher nicht bemerkt zu
haben, oder sie sehen die kommentarlose Aufgabe eines Teils des
grundgesetzlich gebotenen Schutzkonzepts für das ungeborene Leben –
unausgesprochen – als unproblematisch an. Jedenfalls halten sie die
Anrechnung von Elterngeld auf ausgewählte einkommensabhängige
Sozialleistungen einhellig verfassungsrechtlich für unbedenklich und
deshalb rechtsgrundsätzlich nicht für bedeutsam. Anders offenbar das
BSG: auf Beschwerde hat es inzwischen die Revision gegen eine solche
Entscheidung zugelassen (anhängig unter dem Aktenzeichen B 4 KG 2/14 R).
Dessen ungeachtet hält das LSG Berlin-Brandenburg die Rechtsfrage für
geklärt, billigt einschlägigen Klagen weiterhin keine hinreichende
Erfolgsaussicht zu und hat deshalb eine erstinstanzliche Ablehnung von
Prozesskostenhilfe bestätigt (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v.
26.01.2015 - L 25 AS 3137/14 B PKH).
Autor: | Dirk Dau, RiBSG a.D. |
Erscheinungsdatum: | 11.06.2015 |
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