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Einführung des Elterngeld Plus


I. Einleitung
„Das Elterngeld Plus kommt. Behalten Sie den Überblick!“ Diese Verlagswerbung für einen BEEG-Kommentar trifft die Sache. Ohne ausführliche Erläuterungen lässt sich kein Pfad durch das im Gewächshaus des Gesetzgebers herangezüchtete verästelte Dickicht von Basiselterngeld, Elterngeld Plus, Partnerschaftsbonusmonaten, Partnermonaten und einer Kombination all dieser Leistungsformen schlagen. Die gesetzliche Komplexität hat damit einen Grad erreicht, der eine Anwendung durch die Betroffenen selbst nahezu unmöglich macht (Richter, DStR 2015, 366, 368; vgl. auch Winkel, SozSich 2014, 410, 412). Die Bundesregierung schätzt gleichwohl, nur jeder fünfte Berechtigte werde zusätzlich zu beraten sein und dafür reichten pro Fall zehn Minuten (BT-Drs. 18/2583, S. 20 f.). Dabei werden betroffene Eltern bereits Mühe haben, das aktuell geltende Recht zu ermitteln. Das „Gesetz zur Einführung des Elterngeld Plus mit Partnerschaftsbonus und einer flexibleren Elternzeit im Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz“ vom 18.12.2014 (BGBl I 2014, 2325) ist zwar nach seinem Art. 5 am 01.01.2015 in Kraft getreten und wenig später in der seit diesem Datum „geltenden Fassung“ neu bekannt gemacht worden (BGBl I 2015, 33). Erst der Übergangsvorschrift in § 27 Abs. 1 Satz 2 BEEG aber lässt sich entnehmen, dass der einhellig gerühmte Fortschritt noch auf sich warten lässt. Bis zum 30.06.2015 bleibt – nahezu – alles beim Alten; Elterngeld Plus gibt es erst für nach diesem Tag geborene Kinder.
II. Motive und Zwecke
In der noch jungen Geschichte des BEEG ist von Beginn an und wiederholt das Thema „doppelter Anspruchsverbrauch bei parallelem Elterngeldbezug und Teilzeiterwerbstätigkeit“ diskutiert worden. Stets herrschte Einigkeit, Eltern, die beide Teilzeit arbeiten und zugleich Elterngeld beziehen, nicht länger einen doppelten, längstens siebenmonatigen Anspruchsverbrauch aufzuzwingen, sondern eine solche gesellschafts- und familienpolitisch außerordentlich erwünschte gemeinsame Kinderbetreuung durch Elterngeld für beide Partner über die volle Bezugszeit bis zu 14 Monaten zu unterstützen. Ein ausformulierter Gesetzesvorschlag zur kostenneutralen Lösung lag seit Jahren vor (vgl. BT-Ausschuss-Drs. 16(13)81e, S. 4; Fuchsloch/Scheiwe, Leitfaden Elterngeld, 2007, 119 Fn. 38; Dau, jurisPR-SozR 20/2012 Anm. 1). Zuletzt wurde eine Änderung trotz Übereinstimmung in der Sache dennoch mehrheitlich mit dem Argument abgelehnt, es gehe beim „Gesetz zur Vereinfachung des Elterngeldvollzugs“ um Verwaltungspraktikabilität und verfahrenstechnische Regelungen (BT-Drs. 17/9841, S. 15, 16). Was damals – erneut – hinausgeschoben wurde, wird jetzt realisiert: Elterngeld Plus mit einem Partnerschaftsbonus soll Teilzeiterwerbstätigkeit für Väter und Mütter im Elterngeldbezug als Individuen und als Paar lohnender machen und die Partnerschaftlichkeit stärken (BT-Drs. 18/2583, S. 1). Es braucht nicht länger ein Elternteil (voll-)erwerbstätig zu sein, während der andere auf Erwerbsarbeit verzichtet, um das Kind zu betreuen. Beide sollen neben Kinderbetreuung (teilzeit-)erwerbstätig sein und gleichzeitig Elterngeld beziehen können. Damit fördert das Gesetz abseits möglicher philanthropischer und emanzipatorischer Motive aber auch wirtschaftspolitische Ziele. So lässt sich das Arbeitskräftepotential besser ausschöpfen und durch nur kurze Unterbrechungen des Erwerbslebens berufliche Dequalifizierung vor allem von Müttern verhindern (vgl. Forst, DB 2015, 68, 70; Winkel, SozSich 2014, 410, 413). Das Elterngeld Plus setzt danach verstärkte finanzielle Anreize für Eltern, sich zu dem vom Gesetz privilegierten Familienmodell zu entscheiden. Inwieweit sich dies mit Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG verträgt, wird erneut diskutiert werden (vgl. Pernice-Warneke, FamRZ 2014, 1237, 1240).
III. Die wesentlichen Neuregelungen
1. Verlängerung der Bezugszeit
Die grundlegende Neuerung findet sich in § 4 Abs. 3 Satz 1 BEEG: Statt für einen Monat die herkömmliche, nunmehr als „Basiselterngeld“ bezeichnete Leistung zu beanspruchen, kann ein Berechtigter sich entscheiden, jeweils zwei Monate lang „Elterngeld Plus“ zu beziehen. Mit der Verdoppelung der Anspruchsdauer geht eine Halbierung der Leistung einher. Der monatliche Elterngeld Plus Betrag ist auf höchstens die Hälfte des Basiselterngeldes bei vollständigem Einkommenswegfall begrenzt; ebenso halbieren sich der Mindestbetrag von 300 Euro nach § 2 Abs. 4 BEEG, der Mindestgeschwisterbonus von 75 Euro nach § 2a Abs. 1 Satz 1 BEEG, der Mehrlingszuschlag von 300 Euro nach § 2a Abs. 4 BEEG, der von Anrechnung ausgenommene Betrag nach § 3 Abs. 2 BEEG und die Freibeträge in § 10 Abs. 3 und 5 BEEG. Nach den Materialien soll Elterngeld Plus die bisherige Verlängerungsoption des § 6 Sätze 2 und 3 BEEG a.F. „ersetzen“. Das trifft nicht ganz zu. Nach der weggefallenen Regelung verdoppelten halbierte Monatsbeträge den Auszahlungszeitraum auf maximal 28 Monate. Damit ließen sich steuerliche Vorteile erzielen (vgl. Fuchsloch/Scheiwe, Leitfaden Elterngeld, 123), ohne dass die Leistungsvoraussetzungen (z.B. keine volle Erwerbstätigkeit) in der zweiten Hälfte des Auszahlungszeitraums vorzuliegen brauchten. Anders beim Elterngeld Plus: Es handelt sich nicht um ratenweise gestreckte Auszahlung der Leistung, sondern um eine Verlängerung der Anspruchsdauer auf bis zu 28 Monate. Diese Spanne verkürzt sich allerdings um mindestens zwei Monate für Elternteile, denen Mutterschaftsgeld zusteht und ebenso um die Dauer eines Anspruches auf weitere in § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 BEEG genannte Leistungen. Denn nach § 4 Abs. 5 Satz 3 BEEG bleibt es für diese Lebensmonate des Kindes beim fiktiven Elterngeldbezug und zwar zwingend von Basiselterngeld. Mit dem Wechsel von bloß gestreckter Auszahlung zum verlängerten Bezug der Leistung bestehen auch keine Zweifel mehr, dass für diese Zeit die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung erhalten bleibt (vgl. Baierl in: jurisPK-SGB V, § 203 Rn. 27; vgl. auch § 192 Abs. 1 Nr. 2 und § 224 Abs. 1 SGB V).
2. Partnermonate
Wie bislang erhöht sich der gemeinsame Anspruch der Eltern auf zwölf Monatsbeträge (Basis-)Elterngeld um zwei weitere, jetzt ausdrücklich als „Partnermonate“ bezeichnete Anspruchsmonate, wenn Einkommen aus Erwerbstätigkeit für zwei Monate gemindert ist (§ 4 Abs. 4 Satz 2 BEEG). Auch Alleinerziehenden können Partnermonate zustehen. Für sie verlängert sich die individuelle Höchstbezugszeit um diese beiden Monate aber – wie bisher – nur unter zusätzlichen Voraussetzungen: entweder Unmöglichkeit der Betreuung durch den anderen Elternteil oder damit verbundene Gefährdung des Kindeswohls. Für die dritte Möglichkeit fordert das Gesetz nicht länger Alleinsorge- bzw. alleiniges Aufenthaltsbestimmungsrecht des alleinerziehenden Elternteils. Nach § 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 BEEG genügt es künftig, dass bei ihm die Voraussetzungen für den Entlastungsbetrag nach § 24 Abs. 2 und 3 EStG vorliegen und der andere Elternteil weder mit dem Alleinerziehenden noch mit dem Kind in einer Wohnung lebt. Damit hat der Gesetzgeber eine bereits vor langer Zeit erhobene Forderung erfüllt, die Vorschrift am Leitbild möglichst gemeinsamen Sorgerechts auch getrennt lebender oder nicht miteinander verheirateter Eltern auszurichten, statt Anreize in die Gegenrichtung zu setzen (Müller-Magdeburg, FuR 2008, 416; Dau, jurisPR-SozR 15/2013 Anm. 3).
3. Partnerschaftsbonus
Jeder Elternteil kann für sich nach § 4 Abs. 3 Satz 2 BEEG Anspruch auf vier zusätzliche als „Partnerschaftsbonus“ bezeichnete Monate Elterngeld Plus erwerben. Dafür müssen beide Elternteile in diesen vier Lebensmonaten des Kindes fortlaufend und gleichzeitig in Teilzeit zwischen 25 und 30 Wochenstunden im Monatsdurchschnitt erwerbstätig sein. Außerdem müssen in dieser Zeit beide durchgehend die Voraussetzungen des § 1 BEEG erfüllen, vor allem also mit dem Kind in einem Haushalt leben. Elterngeld Plus wird für diese vier aufeinander folgenden Monate vorläufig gezahlt (§ 8 Abs. 3 Nr. 4 BEEG). Erfüllt auch nur ein Elternteil die besonderen Voraussetzungen des Partnerschaftsbonus im Laufe der vier Monate zeitweise nicht (etwa durch Über- oder Unterschreiten des Teilzeitkorridors), werden vorläufige Bewilligungsentscheidungen beider Elternteile aufgehoben und sämtliche bereits gezahlten Partnerschaftsbonus-Beträge zurückgefordert (vgl. BT-Drs. 18/2583, S. 30).
Für Arbeitnehmer könnte es schwierig werden, beim Arbeitgeber das Verlangen nach Teilzeit von genau nicht weniger als 25, aber nicht mehr als 30 Wochenstunden durchzusetzen (vgl. Winkel, SozSich 2014, 410, 412). Hier sind Selbstständige und besonders selbstständige Paare im Vorteil, weil sie jederzeit selbst bestimmen können, ob und in welchem Umfang sie erwerbstätig sind. Sie erklären der Verwaltung die (elterngeldunschädliche) Dauer ihrer Arbeitszeit selbst, haben das allerdings glaubhaft zu machen (vgl. BMFSFJ, Richtlinien zum BEEG, Nr. 1.6.1.3. und zu den damit eröffneten Missbrauchsmöglichkeiten LSG Essen, Urt. v. 12.04.2011 - L 13 EG 16/10 Rn. 34). Danach werden Selbstständige in der Praxis leichteren, weil von der Verwaltung nur schwer kontrollierbaren Zugang zum Partnerschaftsbonus haben.
Alleinerziehende werden nach § 4 Abs. 6 Satz 2 BEEG durch eine vergleichbare Bonusregelung begünstigt. Erfüllen sie die Voraussetzungen des Satzes 1 Nr. 1 bis 3 zum Erwerb (zweier) individueller Partnermonate, so stehen ihnen vier weitere Monatsbeträge Elterngeld Plus zu, wenn sie in vier aufeinander folgenden Lebensmonaten nicht weniger als 25 und nicht mehr als 30 Wochenstunden im Monatsdurchschnitt erwerbstätig sind.
4. Bezugszeiten
Basiselterngeld kann von einem Elternteil in bis zu zwölf Monatsbeträgen bezogen werden; mit zwei Partnermonaten stehen den Eltern gemeinsam 14 Monatsbeträge Basiselterngeld zu (ebenso Alleinerziehenden unter den Voraussetzungen des § 4 Abs. 6 Satz 1 BEEG). Die Beträge können vom Tag der Geburt des Kindes nur bis zur Vollendung seines 14. Lebensmonats in Anspruch genommen werden.
Statt eines Monatsbetrages Basiselterngeld kann eine berechtigte Person zwei Monate lang Elterngeld Plus beziehen, ein Elternteil mithin für 24 Monate; mit vier weiteren, aus zwei Partnermonaten Basiselterngeld umgerechneten Elterngeld Plus-Monaten stehen den Eltern gemeinsam 28 Monate zur Verfügung (ebenso Alleinerziehenden unter den Voraussetzungen des § 4 Abs. 6 Satz 1 BEEG). Zusätzlich hat jeder Elternteil Anspruch auf Elterngeld Plus für die vier Monate, in denen beide die Voraussetzungen des Partnerschaftsbonus erfüllen (ebenso Alleinerziehende unter den Voraussetzungen des § 4 Abs. 6 Satz 2 BEEG). Elterngeld Plus-Beträge können auch nach dem 14. Lebensmonat des Kindes bezogen werden, und zwar von zumindest einen Elternteil ohne Unterbrechung. Beziehen beide Eltern nach dem 14. Lebensmonat für einen Monat kein Elterngeld, verfallen restliche Monate (§ 4 Abs. 1 Satz 2 BEEG).
IV. Weitere Änderungen, Unklares und Unterlassenes
1. Erweiterte Mitwirkungspflicht
Das Gesetz beantwortet jetzt auch eine seit Einführung der anspruchsausschließenden Einkommensgrenze für Reichensteuerpflichtige in § 1 Abs. 8 BEEG offene Frage: Wie können die Elterngeldstellen an Informationen über das Einkommen eines auskunftsunwilligen Partners („andere Person“) kommen, der selbst die „Sozialleistung“ Elterngeld weder beantragt hat noch erhält, dessen Einkommen zusammen mit dem des Leistungsberechtigten 500.000 Euro aber nicht überschreiten darf (vgl. Dau, SGb 2011, 198, 200 f.)? § 8 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 BEEG erstreckt die Mitwirkungspflichten nach § 60 SGB I auf die andere Person i.S.d. § 1 Abs. 8 Satz 2 BEEG. Dasselbe gilt wegen Angaben zu den Voraussetzungen des Partnerschaftsbonus nach § 4 Abs. 4 BEEG für den Elternteil, der den Bonus nicht bezieht (§ 8 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 BEEG).
2. Ausschluss „sonstiger Bezüge“
Zum Ausschluss „sonstiger Bezüge“ aus der Bemessungsgrundlage hat der Gesetzgeber seinen Dialog mit dem BSG fortgeführt (vgl. zur Entwicklung LSG Darmstadt, Urt. v. 27.02.2015 - L 5 EG 15/12 Rn. 21 ff.). Auch mit der ausdrücklich auf Rechtsprechungskorrektur zielenden Formulierung „Im Lohnsteuerabzugsverfahren als sonstige Bezüge behandelte Einnahmen werden nicht berücksichtigt.“ im Haushaltsbegleitgesetz 2011 war es ihm nicht gelungen, den Verwaltungsaufwand auf ein angestrebtes Minimum zu reduzieren. Denn nach der Rechtsprechung hat sich seine Vorstellung, damit die faktische Behandlung solcher Einnahmen durch den Arbeitgeber im Einzelfall für maßgeblich zu erklären, nicht hinreichend im Gesetzestext niedergeschlagen; hätte sie es, so verstieße eine solche Regelung gegen Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG (BSG, Urt. v. 26.03.2014 - B 10 EG 14/13 R Rn. 28). Deshalb ordnet § 2c Abs. 1 Satz 2 BEEG nunmehr zwar zur „Klarstellung“ an, alle Lohn- und Gehaltsbestandteile, die richtigerweise nach lohnsteuerlichen Vorgaben als sonstige Bezüge zu behandeln sind, auch elterngeldrechtlich so zu qualifizieren (BT-Drs. 18/2583, S. 24). Unter „lohnsteuerliche Vorgaben“ fallen allerdings auch die Lohnsteuer-Richtlinien (LStR), denen bislang als lediglich norminterpretierenden Vorschriften für Elterngeldstellen und Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit keine unmittelbar bindende Wirkung zukam (BSG, Urt. v. 26.03.2014 - B 10 EG 14/13 R Rn. 26). Flankiert wird dieser Rückzug auf eine verfassungskonforme Position zudem von einer aus Nr. 2.2. der Richtlinien zum BEEG (03/2013) ins Gesetz aufgerückten Richtigkeits- und Vollständigkeitsvermutung für Angaben des Arbeitgebers in Lohn- und Gehaltsbescheinigungen (§ 2c Abs. 2 Satz 2 BEEG). Die Verwaltung darf deshalb aber auch künftig nicht nach dem Prinzip „Augen zu und durch“ verfahren. Den Sachverhalt hat sie trotz Vermutungsregelung aufzuklären (§ 26 Abs. 1 BEEG i.V.m. § 20 SGB X). Sie muss deshalb in Bescheinigungen des Arbeitgebers erkennbaren Fehlern und Unklarheiten ebenso nachgehen wie Hinweisen und Einwendungen Berechtigter.
Unklar bleibt, wie künftig Provisionen zu behandeln sind (a.A. anscheinend Forst, DB 2015, 68, 70). Das BSG hatte dazu in dem zitierten und in zwei weiteren Urteilen vom 26.03.2014 (B 10 EG 12/13 R und B 10 EG 7/13 R) erkannt, lohnsteuerrechtliche Zwecke verlangten nicht zwingend, Provisionen im Lohnsteuerabzugsverfahren ausnahmslos als sonstige Bezüge zu behandeln; die LStR R 39b.2 Abs. 2 Satz 2 erwähne Provisionen im Gegensatz zu Gratifikationen und Tantiemen nicht als eigenständigen Begriff. Von der Elterngeldberechnung seien Provisionen nur soweit ausgeschlossen, wie die steuerrechtlich motivierte Differenzierung auch nach dem Zweck von Elterngeld sachlich gerechtfertigt sei. Der Gesetzgeber meint dagegen, mit dem neu gefassten § 2c Abs. 1 Satz 2 BEEG, dessen Inkrafttreten bereits am 01.01.2015 er in § 27 Abs. 1 Satz 3 BEEG eigens geregelt hat, deckten sich lohnsteuerrechtlicher und elterngeldrechtlicher Einkommensbegriff „insbesondere auch für Provisionen“, Abweichungen führten zu höherem Verwaltungsaufwand (BT-Drs. 18/2583, S. 25). Bundesrat und Bundesregierung scheinen aber nicht überzeugt, dass sich mit dieser Gesetzesänderung die Verwaltung vereinfachen lässt. Denn die Bundesregierung hat auf eine Bitte des Bundesrates, „die Elterngeldfähigkeit von Einmalleistungen im Gesetz weniger widerspruchsanfällig“ auszugestalten (BT-Drs. 18/2583, S. 44), geantwortet, sie werde das mit einem wegen der (Provisions-)Urteile des BSG vom 26.03.2015 überarbeiteten Rundschreiben zu den sonstigen Bezügen erreichen (BT-Drs. 18/2625, S. 1).
3. Ende des „Zwillingselterngeldes“
Bei Mehrlingsgeburten besteht zufolge dem in § 1 Abs. 1 BEEG eingefügten Satz 2 nur „ein“ Anspruch auf Elterngeld; für jeden weiteren Mehrling wird nach § 2a Abs. 4 BEEG ein Zuschlag von 300 Euro monatlich gezahlt. Damit regelt der Gesetzgeber „klarer“, was er von jeher beabsichtigt hatte (BT-Drs. 18/2583, S. 17, 23), das BSG dem bisherigen Gesetzestext aber nicht hatte entnehmen können (vgl. BSG, Urt. v. 27.06.2013 - B 10 EG 3/12, und BSG, Urt. v. 27.06.2013 - B 10 EG 8/12 R; abl. Anm. Dau, jM 2014, 71; Forst, DB 2015, 68, 69). Die Vorschrift tritt nicht, wie die Elterngeld Plus-Regelungen, am 01.07.2015 in Kraft, sie gilt bereits für Geburten ab dem 01.01.2015 (§ 27 Abs. 1 Satz 1 BEEG). Der Wegfall rechtsprechungsgenerierter Vielfachansprüche bei Mehrlingsgeburten entlastet, sobald er voll wirkt, den Elterngeldhaushalt des Bundes um 100 Mio. Euro jährlich (von Kalben, NDV-RD 2014, 55; BT-Drs. 18/148). Trotz Leistungsverbesserungen an anderer Stelle wird das im Elterngeldetat bis 2018 zu Minderausgaben führen (BT-Drs. 18/2583, S. 20).
4. Anrechnung auf Sozialleistungen
Im Gesetzgebungsverfahren haben verschiedene dort gehörte Sachverständige gefordert, die Anrechnungsfreiheit von Elterngeld insbesondere auf Leistungen nach dem SGB II wieder einzuführen (vgl. BT-Ausschuss-Drs. 18(13)19b, S. 6; BT-Ausschuss-Drs. 18(13)19e, S. 5 und BT-Ausschuss-Drs. 18(13)19f, S. 9). In der Ausschussberatung hat sich dafür allein noch die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingesetzt (BT-Drs. 18/3086, S. 10) und mit einem Entschließungsantrag DIE LINKE (BT-Drs. 18/3090, S. 2). Das Thema wurde offenbar nicht weiter erörtert. Damit hat der Gesetzgeber versäumt, das nachzuholen, was er schon bei Ablösung des Erziehungsgeldes durch Elterngeld und noch entschiedener bei Abschaffung von dessen Anrechnungsfreiheit auf Leistungen nach dem SGB II, dem SGB XII und nach § 6a BKGG unterlassen hatte: eine gründliche Diskussion der Folgen abseits reiner Einsparungsziele.
Das ergänzend zu anderen Sozialleistungen gewährte und auf diese nicht angerechnete Erziehungsgeld sollte schwangeren Frauen, die sich aus wirtschaftlichen Gründen in einer Konfliktsituation befinden, das Ja zum Kind erleichtern (BT-Drs. 10/3792, S. 13, 18). Das BVerfG hatte deshalb „insbesondere das Erziehungsgeld“ als Maßnahme präventiven Schutzes für das ungeborene Leben eingeordnet und dem Gesetzgeber aufgegeben, diese Bedeutung in Rechnung zu stellen, wenn es erforderlich wird, staatliche Leistungen im Hinblick auf knappe Mittel zu überprüfen (BVerfG, Urt. v. 28.05.1993 - 2 BvF 2/90, 2 BvF 4/92 und 2 BvF 5/92 - BVerfGE 88, 203 Rn. 183). Diese „prozedurale Anforderung“ (vgl. dazu BVerfG, Urt. v. 14.02.2012 - 2 BvL 4/10 Rn. 164 f.) hat der Gesetzgeber nicht erfüllt. Es ist nicht ersichtlich, wo und wie er seiner „Obliegenheit“ (LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 27.02.2002 - L 2 EG 1/01 Rn. 20) nachgekommen wäre, die Bedeutung eines auf Sozialleistungen anrechnungsfreien Erziehungsgeldes für den Schutz ungeborenen Lebens zu würdigen und gegen andere Ziele abzuwägen. Weder 2007 bei Ablösung des Erziehungsgeldes (von 300 Euro monatlich für zwei Jahre) durch Elterngeld (im Mindestbetrag von 300 Euro für nur ein Jahr) noch 2011 bei – weitgehender – Abschaffung der Anrechnungsfreiheit mit dem Ergebnis, dass der Bezug von Elterngeld die wirtschaftliche Lage bedürftiger Schwangerer, die Sozialleistungen beziehen, „unter dem Strich“ (Buchner/Becker, Mutterschutz und Bundeserziehungsgeldgesetz, 7. Aufl. 2003, § 8 BErzGG Rn. 2) nicht länger verbessert. Die Sozialgerichte scheinen dieses Unterlassen bisher nicht bemerkt zu haben, oder sie sehen die kommentarlose Aufgabe eines Teils des grundgesetzlich gebotenen Schutzkonzepts für das ungeborene Leben – unausgesprochen – als unproblematisch an. Jedenfalls halten sie die Anrechnung von Elterngeld auf ausgewählte einkommensabhängige Sozialleistungen einhellig verfassungsrechtlich für unbedenklich und deshalb rechtsgrundsätzlich nicht für bedeutsam. Anders offenbar das BSG: auf Beschwerde hat es inzwischen die Revision gegen eine solche Entscheidung zugelassen (anhängig unter dem Aktenzeichen B 4 KG 2/14 R). Dessen ungeachtet hält das LSG Berlin-Brandenburg die Rechtsfrage für geklärt, billigt einschlägigen Klagen weiterhin keine hinreichende Erfolgsaussicht zu und hat deshalb eine erstinstanzliche Ablehnung von Prozesskostenhilfe bestätigt (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 26.01.2015 - L 25 AS 3137/14 B PKH).

Autor:Dirk Dau, RiBSG a.D.
Erscheinungsdatum:11.06.2015

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