Donnerstag, 17. November 2011

Die Heiz- und Betriebskostennachforderung ist als Leistung nach § 35 SGB XII zu übernehmen , auch wenn sie von der Hilfebedürftigen bereits bezahlt wurde und verspätet beantragt wurde

So hat der 8. Senat des BSG am 10.11.2011 entschieden.

Die Vorschrift des § 44 Abs 1 Satz 2 SGB XII, die es nahelegen könnte, bei verspäteter Mitteilung einer Änderung der Verhältnisse die Leistungspflicht entfallen zu lassen, findet für einmalige Bedarfsänderungen - wie eine Heiz- und Nebenkostennachforderung - keine Anwendung .

BSG Urteil vom 10.11.2011, - B 8 SO 18/10 R -

http://juris.bundessozialgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bsg&Art=tm&Datum=2011&nr=12213


Anmerkung: Vorinstanz Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 20 SO 18/09 , Urteil vom 19.04.2010

Die Heiz- und Betriebskostennachforderung ist als Leistung nach § 29 SGB XII zu übernehmen , auch wenn sie von der Hilfebedürftigen bereits bezahlt wurde und verspätet beantragt wurde .

Das Gesetz sieht für die Geltendmachung des Nachforderungsbedarfs keine Ausschlussfrist vor. Eine solche ist i insbesondere nicht in § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB XII enthalten .

https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=130531&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=


Anmerkung: Betriebs- und Heizkostennachforderungen als Bedarf nach § 22 Abs. 1 SGB II im Monat der Fälligkeit

Anmerkung von Dr. Andy Groth, RiLSG zu: BSG, Urt. v. 06.04.2011 - B 4 AS 12/10 R -

Für die Leistungsberechtigten wirkt sich die Entscheidung eher positiv aus. Die bedarfserhöhende Wirkung der Nachforderungen bedeutet nicht nur, dass diese grundsätzlich als Zuschuss (und nicht wie bei Schulden nach § 22 Abs. 8 Satz 4 SGB II regelhaft als Darlehen) zu übernehmen sind.

Die Übernahme der Nachforderung muss auch nicht gesondert beantragt werden (§ 37 SGB II). Der Bedarf kann deshalb noch lange Zeit später, auch noch nach Unanfechtbarkeit des ursprünglichen Bewilligungsbescheids geltend gemacht werden.

Allerdings ist seit Inkrafttreten des Gesetzes vom 24.03.2011 (BGBl I 2011, 453) die Jahresfrist des § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II i.V.m. § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X zu beachten, die auch dann gilt, wenn sich die Sachlage bei Dauerverwaltungsakten nachträglich zugunsten der Betroffenen ändert (§ 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X).

http://www.juris.de/jportal/portal/t/1htp/page/homerl.psml?nid=jpr-NLSR000011511&cmsuri=%2Fjuris%2Fde%2Fnachrichten%2Fzeigenachricht.jsp

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Mittwoch, 16. November 2011

Der 4. Senat des Bundessozialgerichtes beschäftigt sich am 22. November 2011 erneut mit dem Begriff Klassenfahrt

BSG, Terminvorschau 22.11.2011

Der Sozialrechtsexperte, wie immer durch den schnellen und gründlichen Willi2 berichtete bereits im August (Übersicht August 2011) über die Entscheidungen des SG Dresden  und des LSG Baden-Württemberg. Beide Gerichte hatten eine mehrtätige Reise nicht als Klassenfahrt im Sinne des § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 SGB II a.F. bzw. § 28 Abs. 2 Nr. 2 SGB II angesehen, wenn nicht die Klasse bzw. ein der Klasse gleichgestellter Verband (Jahrgagnsgstufe?) insgesamt an der Veranstaltung teilnimmt. Im nunmehr vom BSG zu behandelnden Fall des LSG BW nahmen an einem Schüleraustausch (highschool Arizona) nur ausgewählte Schüler an der Fahrt teil. Die Auswahl erfolgter anhand der Kriterien allgemeine Leistungen in der Schule und Engagement im Rahmen des Schüleraustausches. Das LSG BW hatte keine "Verletzung der Teilhaberechte" gesehen. Diese läge nur vor, wenn an der Veranstaltung die ganze Klasse teilnehme und der Schüler der Unterhaltsleistungen nach dem SGB II beziehe ausgeschlossen sei. Der 4. Senat hat die revision auf eine erfolgreiche Nichtzulassungsbeschwerde zugelassen.

Wie wird das BSG entscheiden?

Mein Tipp: Der 14. Senat des BSG hat in seiner Klassenfahrt-Entscheidung vom13.11.2008 -B 14 AS 36/07 R hervorgehoben, dass der Begriff der Klassenfahrt sich nach den nicht revisiblen landesrechtlichen Vorschriften sich bestimmt (§ 162 SGG). Da weder Sachsen noch Baden-Württemberg in ihren Schulgesetzen bestimmen, was eine Klassenfahrt ist, ist der Begriff an dem Wortlaut und dem Zweck des § 28 Abs. 2 Nr.2 SGB II auszulegen. In seiner Entscheidung vom 13.11.2008 hatte der 14. Senat sich lediglich mit der Frage der Kostenreduzierung auf die Angemessenen Kosten befasst und eine solche Reduzierung verneint, weil sie im gesetz in anderen Fällen ausdrücklich vorgesehen sei (vgl. § 22 Abs.1 S.1 SGB II= Kosten der Unterkunft und Heizung). Meine Argumentation hierzu: Der Klassenverband ist in der gymnasialen Oberstufe weitgehend aufgelöst und Schulfahrten finden wohl in der Regel mit den (Leistungs-)Kursen statt. Hier wurde der Schüler aufgrund seiner Leistung und Eignung ausgewählt. Diese Auswahl schließt eine Beurteilung der Reise als Klassenfahrt nicht aus. Die von den Landessozialgerichten angeführte dikriminierende Wirkung tritt hier in gleicher Weise ein wie bei der Fahrt im Leistungsverband ein und kann sogar noch stärker sein, weil der Schüler sich zunächst für die Klassenfahr qualifizierren musste.
Gute Chance auf Erfolg aber nicht weil die Revision zugelassen wurde. Das LSG BW hätte die Revision zulassen müssen, weil die Frage der Abgrenzung des Begriffs Klassenfahrt grundsätzliche Bedeutung hat. Leider ist der Sozialrechtsexperte erst seit Juni 2011 "auf Sendung" und das Urteil des LSG BW datiert vom 22.06.2010, so dass der Senat des LSG sich noch keinen Überblick verschaffen konnte, dass der Begriff Klassenfahrt umstritten ist. 




Erhöhung der angemessenen Wohnfläche für Alleinerziehende ist bei der Feststellung der angemessenen Wohnkosten zu berücksichtigen

So geurteilt vom Sozialgericht Lüneburg mit Beschluss vom 29.06.2011, - S 45 AS 257/11 ER - .

Die berücksichtigungsfähige Wohnfläche ist in Niedersachsen nach den Richtlinien über die soziale Wohnraumförderung (Wohnraumförderungsbestimmung - WFB - 2003) in dem Runderlass vom 27. Juni 2003 zu ermitteln (Nds. MinBl 2003, 580, zuletzt geändert durch Runderlass vom 19. Oktober 2006, Nds. MinBl. 2006, 973).

Danach gilt für Miet-wohnungen bei einem 4-Personen-Haushalt, wie er hier seit Mitte September 2010 vor-liegt, grundsätzlich eine Wohnfläche bis 85 m² als angemessen.

Es ist zwischen den Beteiligten jedoch unstreitig, dass aufgrund der erst am 4. März 2011 ausgesprochenen Kostensenkungsaufforderung jedenfalls für die Regelfrist von sechs Monaten nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II die Mietfläche eines 5-Personen-Haushalts als angemessen betrachtet werden muss, d.h. eine Wohnfläche von 95 m².

Gemäß Ziffer 11.4 der WFB 2003 erhöht sich die angemessene Wohnfläche zudem für Alleinerziehende um jeweils weitere 10 m², so dass zur Ermittlung der angemessenen Wohnfläche auf den Wert von 105 m², d.h. im Ergebnis auf einen 6-Personen-Haushalt abzustellen ist.

 Diese erhöhte Wohnfläche ist auch bei der Ermittlung der angemessenen Unterkunftskos-ten zu berücksichtigen (so auch LSG Nds.-Bremen, Beschl. v. 27.07.2010 - L 9 AS 1049/09 B ER -; Beschl. v. 30.07.2007 - L 9 AS 155/07 ER -; SG Lüneburg, Urt. v. 01.02.2011 - S 44 AS 1891/09 -).

https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=144112&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=

Anmerkung : Sozialgericht Lüneburg Beschluss vom 26.07.2011, - S 45 AS 282/11 ER -

Umgangsrecht erhöht Wohnraumbedarf - In Niedersachsen beträgt die angemessene Wohnraumfläche für eine Alleinerziehende mit Kind und einer temporärer im Haushalt lebenden Person, welche sich in der überwiegenden Zeit in einem Internat aufhält, 80 m² .

§ 22a SGB II, § 22b Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 SGB II

http://sozialrechtsexperte.blogspot.com/2011/09/sgb-ii-umgangsrecht-erhot.html

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§ 21 Abs. 6 SGB II ist die einzige Rechtsgrundlage im Bereich des ALG II für die Übernahme der Kosten für Nachhilfeunterricht

In einem heute veröffentlichtem Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichs hat dieses festgestellt, dass als einzige Rechtsgrundlage im Bereich des ALG II für die Übernahme der Kosten für Nachhilfeunterricht § 21 Abs. 6 SGB II in Betracht kommt.

 Auch die Bezieher von Sozialgeld können einen Anspruch nach § 21 Abs. 6 SGB II geltend machen.Die Asthmaerkrankung des Antragstellers begründet keine atypische Lebenslage.

Das LSG führt dazu folgendes aus :

Für die Zeit ab Antragseingang kommt als Anspruchsgrundlage allein § 21 Abs. 6 SGB II in der zum 3. Juni 2010 in Kraft ge-tretenen Fassung des Gesetzes vom 27. Mai 2010 (BGBl. I S. 671) in Betracht. Die Vorschrift enthält in Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 9. Februar 2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09, NJW 2010, 505-518) eine Härtefallklausel, wonach erwerbsfähige Hilfebedürftige einen Mehrbedarf erhalten, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht.

Ein solcher Anspruch kann im Grundsatz auch dem Antragsteller zustehen, obwohl er kein erwerbsfähiger Hilfebedürftiger im Sinne der Vorschrift ist. Auch die Bezieher von Sozialgeld können nämlich einen Anspruch nach § 21 Abs. 6 SGB II geltend machen, wie sich aus dem Verweis in § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB II auf § 19 Satz 1 SGB II ergibt.

Der Senat vermag jedoch die Unabweisbarkeit des geltend ge-machten Bedarfs im Ergebnis nicht zu erkennen.

Eine Definition dieses Begriffs hat der Gesetzgeber nicht vorgenommen. Das BVerfG hat es in seiner Entscheidung vom 9. Februar 2010 (a.a.O.) als mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art 20 Abs. 1 GG unvereinbar angesehen, dass das SGB II keinen An-spruch auf Leistungen zur Sicherstellung eines zur Deckung des menschenwürdigen Existenzminimums unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarfs gewährt. Ein solcher Sonderbedarf bezieht sich somit auf die Deckung eines men-schenwürdigen Existenzminimums.

Dies ist auch Maßstab für die Auslegung von § 21 Abs. 6 SGB II und des Begriffs "unabweisbar" (so auch Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 3. August 2010, L 13 AS 3318/10 ER-B). Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 17/1465 S. 8 f.) soll der Anspruch unter den Aspekten des nicht erfassten atypischen Bedarfs sowie eines ausnahmsweise höheren, über-durchschnittlichen Bedarfs angesichts seiner engen und strikten Tatbestandsvoraussetzungen auf wenige Fälle begrenzt sein (vgl. auch BVerfG a.a.O.).

Unabweisbar ist ein (Sonder-)Bedarf nach Ansicht des Senats deshalb nicht schon, wenn er für denjenigen, der den Anspruch geltend macht, günstig ist. Erforderlich ist vielmehr, dass bei Verzicht auf die beanspruchte Leistung das menschenwürdige Existenzminimum nicht sichergestellt ist. Hiervon vermag der Senat vorliegend nicht auszugehen.

Denn der Antragsteller erhält eine umfängliche schulische Förderung, die insbesondere seinem anerkannten Förderbedarf im Bereich Lernen Rechnung trägt. Zwar hat er in letzter Zeit, wie sich aus dem Bericht der Grundschule ergibt, trotz der Betreuung durch die Lehrkraft des Förderzentrums nur geringe Fortschritte im Bereich der Rechtschreibung gemacht; andererseits sind indessen nach dem Bericht Verbesserungen der Lesefertigkeit sowie im Bereich der Mathematik unverkennbar.

 Der Senat hat zur Kenntnis genommen, dass der Leiter der Grundschule W zusammenfassend ausgeführt hat, dass bei einem lernwilligen und motivierten Schüler wie dem Antragsteller zusätzliche Förderung durch spezielle Nachhilfe einen deutlichen Lernzuwachs erwarten lasse.

Damit ist jedoch die Unabweisbarkeit des in Rede stehenden Bedarfs nicht dargetan. Insoweit fehlt es auch - wie der Antragsgegner zu Recht einwendet - an einer für die Leistungsgewährung erforderlichen atypischen Lebenslage des Antragstellers. Eine solche Atypik lässt sich allein mit bestimmten Lern- bzw. Leistungsdefiziten im schulischen Alltag nicht begründen.

Erforderlich sind vielmehr besondere Einzelfallumstände wie zum Beispiel eine längerfristige Erkrankung des Schülers, die die Ursache für die aufgetretenen Defizite gesetzt haben.

Die Asthmaerkrankung begründet eine atypische Lebenslage in diesem Sinne nicht, zumal die dem Senat vorliegenden Gutachten und sonstigen Unterlagen darauf hindeuten, dass diese Erkrankung die schulischen Leistungen und Teilnahmemöglichkeiten des Antragstellers nicht wesentlich beeinträchtigt.

Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht Beschluss vom 26.10.2010, - L 3 AS 181/10 B -

https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=146751&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=

Anmerkung: Anträge für die Übernahme der Kosten zum Nachhilfeunterricht sind jetzt nach § 28 Abs. 5 SGB II zu stellen. Bei Schülerinnen und Schülern wird eine schulische Angebote ergänzende angemessene Lernförderung berücksichtigt, soweit diese geeignet und zusätzlich erforderlich ist, um die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele zu erreichen.


Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Beschluss vom 13.05.2011, - L 5 AS 498/10 B ER -


Zu den Voraussetzungen für die Übernahme von Kosten für Nachhilfeunterricht


http://sozialrechtsexperte.blogspot.com/2011/06/zu-den-voraussetzungen-fur-die.html


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Dienstag, 15. November 2011

Ohne Schwerbehindertenausweis mit Merkzeichen „G“ erhalten Sozialhilfeberechtigte keinen zusätzlichen Pauschalbetrag


BSG, 10.11.2011 –  B 8 SO 12/10 R Terminbericht BSG vom 10.11.2011

Sozialhilfeempfänger, Empfänger von Leistungen der Grundsicherung und nicht erwerbsfähige Hartz-IV-Empfänger haben, wenn sie schwerbehindert (Grad der Behinderung von 50 und mehr) sind, einen Anspruch auf einen pauschalen Mehrbedarf in Höhe von 17% des für sie massgeblichen Regelbedarfs (§ 30 Abs. 1 SGB XII, § 23 Nr.4 SGB II), d.h. wenn Sie 364 Euro erhalten zusätzlich 62 Euro, bei 328 Euro 56 Euro und bei 291 Euro 50 Euro.

Wenn Sie den Bescheid über den GbD von 50 und das Merkzeichen G haben, erfolgt keine Prüfung eines konkreten Mehrbedarfes, z.B. für Schuhe oder Taxikosten. Liegen die Voraussetzungen vor, ist die Schwerbehinderteneigenschaft jedoch noch nicht festgestellt, kann ein Mehrbedarf nach der Rechtssprechung des 8. Senates geleichwohl bestehen, wenn er konkret nachgewiesen wird.

Wegen des schwierigen Nachweises empfiehlt es sich, die Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderung zeitig zu stellen. Für die Feststellung sind die Versorgungsämter zuständig.


Anmerkung vom Sozialberater Willi 2: Anderer Auffassung war kürzlich noch das LSG Hessen, die Rechtsansicht des LSG Hessen dürfte sich damit erübrigt haben.


Hessisches Landessozialgericht Urteil vom 24.03.2011, - L 1 AS 15/10 - , Revision zugelassen

Erhöhen sich die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Rahmen des Anspruchs auf Sozialgeld bei nichterwerbsfähigen Personen, die Inhaber eines Schwerbehindertenausweises mit dem Merkzeichen G sind, ab dem Gültigkeitsdatum oder dem Ausstellungsdatum des Ausweises um einen Mehrbedarf von 17 v. H. ?

Beginn des Mehrbedarfsanspruchs gem. § 28 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 SGB II (Merkzeichen G) für Nichterwerbsfähige ist das Gültigkeitsdatum des Schwerbehindertenausweises(zustimmend Knickrehm in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 28 Rn. 33; Nebe SGb 2011, 193 (194 ff.) m.w.N. in Anm. 27 f. und nicht erst der Besitz des entsprechenden Schwerbehindertenausweises.

Nicht geteilt wird die Auffassung der Landessozialgerichte Baden-Württemberg (Urteil vom 20.11.2008 – L 7 SO 3246/08) und Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 25.02.2010 – L 8 SO 219/07). In der Literatur schließen sich dieser Auffassung an Linhart/Adolph, Sozialgesetzbuch II/Sozialgesetzbuch XII, Stand: Juli 2009, § 30 Rn. 4 a. E.

http://sozialrechtsexperte.blogspot.com/2011/07/erhohen-sich-die-leistungen-zur.html


Das aktuelle Urteil des 8. Senats des BSG folgt somit nicht der Rechtsauffassung des LSG Hessen, sondern der Vorinstanz dem LSG  Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 25.02.2010 – L 8 SO 219/07).

Zu den Kosten der Unterkunft und Heizung gehören - Stromkosten - , die durch den Betrieb von Nachtspeicheröfen entstehen.

In einem aktuellen veröffentlichtem Beschluss des SG Hildesheim  AZ: S 54 AS 1404/11 ER  stellt das Gericht fest , dass in der Rechtsprechung des erkennenden Gerichtes bereits entschieden ist, dass zu den Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) insbesondere Stromkosten zählen, die durch den Betrieb von sog. Nachtspeicheröfen verursacht werden.

Auf derartige Kosten können zur Prüfung, ob extrem unwirtschaftliches Heizverhalten i.S.d. Rechtsprechung des BSG vorliegt (vgl. Urteil vom 2. Juli 2009 - B 14 AS 36/08 R -, BSGE 104, S. 41 ff.), die Werte des Bundesweiten Heizspiegels nicht herangezogen werden, da dieser nur Richtwerte für den Heizungsbetrieb mit Heizöl, Erdgas oder Fernwärme vorgibt (vgl. Urteil der 23. Kammer des erkennenden Gerichtes vom 16. Juni 2010 - S 23 AS 742/09 -, n.v.).

Durch das e.g. Urteil des BSG vom 2. Juli 2009 (a.a.O., juris Rn. 16) ist auch geklärt, dass in Fällen wie dem vorliegenden, in denen es nach Abrechnung der tatsächlich verbrauchten Wärme zu Nachzahlungsverlangen des Vermieters oder - wie hier - des Energieversorgers kommt, solche einmalig geschuldeten Zahlungen zum aktuellen Bedarf im Fälligkeitsmonat gehören. In diesem Monat standen die Antragsteller im laufenden Leistungsbezug beim Antragsgegner; Zweifel an ihrer Hilfebedürftigkeit bestehen nicht.

Von dem Jahresverbrauch der Antragsteller i.H.v. 11.542 kWh zieht die Kammer im Wege richterlicher Überzeugungsbildung gemäß § 202 SGG i.V.m. § 287 Abs. 2 ZPO (zur Anwendbarkeit bei Schätzung des Betriebsstromverbrauchs von Heizungsanlagen vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25. März 2011 - L 12 AS 2404/08 -,  Rn. 22; vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. November 2010 - L 10 AS 2064/10 B PKH -, info also 2011, S. 30 (31)) einen Wert von 2.700 kWh für Haushaltsenergie ab, die die Antragsteller aus der vom Antragsgegner gewährten Regelleistung zu bestreiten haben.

Die Position "Grundpreis" ist dagegen als KdU nicht übernahmefähig; es handelt sich um die Grundgebühr für einen einfachen Stromzähler, die auch von Leistungsberechtigten ohne Wohnung mit Nachtspeicheröfen aus der Regelleistung zu bestreiten ist.


Sozialgericht Hildesheim Beschluss vom 08.09.2011, - S 54 AS 1404/11 ER -

https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=146215&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=


Anmerkung: BSG, Urteil vom 7.7.2011, B 14 AS 51/10 R

Arbeitslosengeld II - Angemessenheit der Unterkunfts- und Heizkosten - selbst genutztes Hausgrundstück - Betriebskosten - Stromkosten für Heizungspumpe, Außenbeleuchtung und Gartenpflege - Schätzungsermessen - Gebäudehaftpflichtversicherung

http://sozialrechtsexperte.blogspot.com/2011/10/mehr-geld-fur-hartz-iv-empfager.html


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Montag, 14. November 2011

Keine Anwendung des -Bundesweiten Heizspiegels-, wenn die bewohnte Doppelhaushälfte der Antragsteller bei zwei Geschossen lediglich über eine Wohnfläche von 130 m² verfügt- Neuer Beschluss schränkt Heizspiegel-Nutzung ein

In einem heutigem veröffentlichtem Beschluss des SG Lüneburg AZ: S 45 AS 257/11 ER hat das Sozialgericht Lüneburg  entschieden, dass entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin der "Bundesweite Heizspiegel", auf den das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 2. Juli 2009 (Az. B 14 AS 36/08 ER) Bezug genommen hat, vorliegend nicht zur Ermittlung angemessener Heizkosten herangezogen werden kann.

Denn dieser bezieht sich ausdrücklich nur auf Wohngebäude mit einer Gebäudefläche von mindestens 100 m².

Hierunter fällt die von den Antragsstellern bewohnte Doppelhaushälfte nicht, da sie bei zwei Geschossen lediglich über eine Wohnfläche von 130 m² verfügt. Insofern kommt es auch nicht darauf an, wie groß beide Doppelhaushälften zusammen sind, da Doppelhaushälften regelmäßig technisch getrennt sind und über zwei Heizungsanlagen verfügen (vgl. SG Lüneburg, Beschl. v. 16.02.2010 - S 45 AS 34/10 ER -).

Zudem gilt es, das individuelle Heizverhalten zu ermitteln und zu bewerten, das bei den Bewohnern zweier Doppelhaushälften völlig un-terschiedlich sein kann.

Das BSG hat in seinem Urteil vom 2. Juli 2009 (Az. B 14 AS 36/08 R) klargestellt, dass die Angemessenheit der Heizkosten im SGB II unabhängig von der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft zu beurteilen ist und der Anspruch auf Heizkosten in Höhe der konkret-individuell geltend gemachten Aufwendungen be-steht.

Eine Pauschalierung ist unzulässig. Eine Begrenzung der Übernahme der Aufwendungen ist nur dann möglich, wenn ersichtlich wird, dass der erwerbsfähige Hilfebedürftige eklatant kostspieliges oder un-wirtschaftliches Heizen an den Tag legt.


Dem Leistungsträger obliegt jedoch die Darlegungs- und Beweislast in Form von konkreten und ausführlichen Ermittlungen zur Ange-messenheit des Heizverhaltens des erwerbsfähigen Hilfeempfängers.

Selbst wenn der Leistungsträger - anders als hier - die Unangemessenheit der Heizkosten in zulässiger Weise anhand des Überschreitens der maßgebenden Prüfwerte der Heizspiegel fest-stellt, hat er den erwerbsfähigen Hilfeempfänger auf die Unangemessenheit entspre-chend § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II unter Setzung einer Übergangsfrist hinzuweisen und ihm Gelegenheit zu geben, konkret vorzutragen und glaubhaft zu machen, aus welchen Gründen seine überhöhten Heizkosten im Einzelfall dennoch angemessen sind.

Erst wenn der erwerbsfähige Hilfeempfänger hierauf nicht reagiert, sind weitere behördliche Ermittlungen nicht angezeigt und die Erstattung der Aufwendungen für Heizmaterial auf den anhand des maßgeblichen Grenzwertes zu errechnenden Betrag zu beschränken.

Vorliegend haben aber die Antragsteller konkret vorgetragen, aus welchen auf den ersten Blick nachvollziehbaren und plausiblen Erwägungen sich die extrem hohen Heizkosten ergeben. Es sind daher zunächst weitere behördliche Ermittlungen - ggf. in Form eines Heizgutachtens - anzustellen, bevor den Antragstellern der Vorwurf eines unangemesse-nen Heizverhaltens gemacht werden kann.

Der erforderliche Anordnungsgrund ergibt sich bereits aus der Erwägung, dass den Antragstellern die ihnen zustehenden existenzsichernden Leistungen nicht länger, d.h. bis zum Abschluss eines Hauptsacheverfahrens, vorenthalten werden können.

Das gilt auch mit Blick auf die Kosten der Unterkunft. Der Zweck des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II liegt darin, die existenziell notwendigen Bedarfe der Unterkunft und Heizung sicherzustellen.

Den Antragstellern kann nicht zugemutet werden, zunächst das Hauptsacheverfahren abzuwarten, in der Zwischenzeit zu geringe Heizkostenabschläge zu leisten, damit erneut massive Rückstände aufzubauen und sogleich eine weitere Versorgungssperre zu riskieren.

Da es um die Gewährleistung des grundrechtlich verbürgten Existenzminimums geht, kann dessen Verletzung nicht durch eine nachträgliche Leis-tungsgewährung im Falle eines Obsiegens im Hauptsacheverfahren beseitigt werden.

Anmerkung: Weiter im aktuellem Beschluss zur Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruch hinsichtlich der Gewährung eines Darlehens nach den §§ 22 Abs. 8 und  § 24 SGB II .

Der Anordnungsgrund ergibt sich hinsichtlich der Energiekostenrückstände aus einer drohenden Sperrung der Energiezufuhr, die den Antragstellern nicht zuzumuten ist und die durch ein Verfahren in der Hauptsache nicht abzuwenden wäre.

Zur Sicherstellung hat die Kammer die Auszahlung an den Energieversorger gemäß § 22 Abs. 7 Satz 3 Nr. 2 SGB II angeordnet. Damit ist den berechtigten Interessen der An-tragsgegnerin, nicht kurzfristig weitere Darlehn übernehmen zu müssen, ausreichend Rechnung zu tragen.

Bei der Festlegung der Ratenzahlung hat sich die Kammer an § 42 a Abs. 2 SGB II orientiert.


Sozialgericht Lüneburg Beschluss vom 29.06.2011, - S 45 AS 257/11 ER -

https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=144112&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=



Anmerkung: Neuer Beschluss schränkt Heizspiegel-Nutzung ein


Die im Heizspiegel angegebenen Werte beziehen sich nur auf Gebäudeflächen von mehr als 100 Quadratmetern. Mit dem Beschluss AZ: S 45 AS 34/10 ER hat das Sozialgericht Lüneburg nun entschieden, dass der Heizspiegel nicht länger für Wohneinheiten bzw. Wohnungen, deren Fläche 100 Quadratmeter unterschreiten und die gleichzeitig über eigene Heizungsanlagen verfügen, herangezogen werden kann. Als Folge dieses Beschlusses ist damit zu rechnen, dass Leistungsempfänger gegen als zu hoch eingestufte Heizkosten einen Widerspruch einlegen werden.

http://www.heizspiegel.de/news/article/1139/heizkosten-hartziv-heizspiegel-eingeschraenkt-nutzbar/index.html

Der Beitrag wurde erstellt von Willi 2, Mitarbeiter des Sozialrechtsexperten RA Ludwig Zimmermann sowie Autor des wöchentlichen Rechtsprechungstickers von Tacheles .

Kostenübernahme von Medizinal-Cannabis nur bei "Mindestevidenz"

Das SG Nürnberg hat entschieden, dass ein Patient nicht allein deswegen einen Anspruch auf Versorgung mit Medizinal-Cannabis ha...