Freitag, 23. September 2011

Keine Leistungen zur Beschaffung eines Fernsehgerätes im Rahmen der Erstausstattung einer Wohnung.

Das BSG hat mit Urteil vom 09.06.2011, - B 8 SO 3/10 R- wie folgt geurteilt:

Nach § 31 Abs 1 Nr 1 SGB XII (idF, die die Norm durch das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022 - erhalten hat) iVm § 19 Abs 1 SGB XII und zusätzlich ab 1.11.2011 § 27 SGB XII werden Leistungen für Wohnungserstausstattungen einschließlich Haushaltsgeräten bei Bedürftigkeit gesondert erbracht.

Die Voraussetzungen des § 31 Abs 1 Nr 1 SGB XII sind vorliegend nicht erfüllt.

Insoweit schließt sich der Senat den zutreffenden Ausführungen des 14. Senats des BSG zur inhaltlich identischen Parallelvorschrift des § 23 Abs 3 Satz 1 Nr 1 SGB II aF (vgl seit 1.1.2011 § 24 Abs 3 SGB II) im Urteil vom 24.2.2011 (B 14 AS 75/10 R - RdNr 13 ff) an.

Im Urteil vom 24.2.2011 hat der 14. Senat zu Recht ausgeführt, dass kein Anspruch auf ein Fernsehgerät im Rahmen der Erstausstattung einer Wohnung besteht, weil der Fernseher weder ein Einrichtungsgegenstand noch ein Haushaltsgerät im Sinne der Vorschrift ist, sondern der Befriedigung von Unterhaltungs- und Informationsbedürfnissen dient (vgl BSG, aaO, RdNr 21), sodass ein Fernseher aus dem Regelsatz des SGB XII bzw der Regelleistung (bzw ab 1.1.2011 der Regelbedarfsleistung) nach dem SGB II zu finanzieren ist.

Anmerkung: BSG,  Urteil vom 24.02.2011, - B 14 AS 75/10 R - 

Hartz IV- Empfänger haben kein Recht auf einen Fernseher, denn ein Fernsehgerät gehört nicht zur Erstausstattung einer Wohnung.

http://sozialrechtsexperte.blogspot.com/2011/08/hartz-iv-empfanger-haben-kein-recht-auf.html

Der Beitrag wurde erstellt von Willi 2, Mitarbeiter des Sozialrechtsexperten RA Ludwig Zimmermann sowie Autor des wöchentlichen Rechtsprechungstickers von Tacheles unter der Führung des Sozialreferenten Harald Thome.

Hartz IV - Empfängerin sitzt seit dem 12. Mai 2011 im Dunkeln - Stromsperre - Keine Übernahme der Stromschulden

Nach Rechtsauffassung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg,  Beschluss vom 08.08.2011, - L 5 AS 1097/11 B ER -  hat hinsichtlich des Antrages auf vorläufigen Rechtsschutz die Antragstellerin, die laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bezieht und deren Stromversorgung wegen der bestehenden Stromschulden bereits seit dem 12. Mai 2011 gesperrt ist, einen Anordnungsanspruch mit der für die Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit nicht glaubhaft gemacht (§§ 86b Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG], 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung

Nach § 22 Abs. 8 SGB II können auch Schulden übernommen werden, sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird und soweit die Schuldenübernahme zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist.

Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Vermögen nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II ist vorrangig einzusetzen. Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden.

Die Regelung des § 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II, der bei Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen vorsieht, dass die Schuldenübernahme erfolgen "soll", also nur in atypischen Fällen versagt werden darf, ist im vorliegenden Verfahren nicht anwendbar.

Ein Fall der drohenden Wohnungslosigkeit im Sinne der genannten Vorschrift liegt nicht vor, da das Mietverhältnis durch die Unterbrechung der Stromversorgung nicht beeinträchtigt wird.

Vielmehr liegt darin eine mit der Sicherung der Unterkunft vergleichbare Notlage im Sinne des § 22 Abs. 8 Satz 1 SGB II (vgl. Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 27. Dezember 2010, L 3 AS 557/10 B ER; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. Juli 2009, L 34 AS 1090/09 B ER; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28.05.2009, L 7 AS 546/09 B ER, Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12.12.2008, L 7 B 384/08 AS).

Es kann offen bleiben, ob die begehrte Schuldenübernahme bereits daran scheitert, dass sie nicht gerechtfertigt ist.

Jedenfalls ist das durch § 22 Abs. 8 Satz 1 SGB II eröffnete Ermessen nicht dahingehend auf Null reduziert, dass eine Schuldenübernahme vorgenommen werden muss.

 Die Antragstellerin muss sich entgegenhalten lassen, dass sie ihre Lage zumin-dest mitverschuldet und nicht alle Selbsthilfemöglichkeiten ausgeschöpft hat (vgl. Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 2. Mai 2011, L 6 AS 241/10 B ER; Lan-dessozialgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 27. Dezember 2010, L 3 AS 557/10 B ER; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 4. September 2009, L 13 AS 252/09 B ER).

Soweit sich die Antragstellerin auch insoweit auf das bereits erwähnte Attest vom 7. Juli 2011 stützt, als daraus hervorgeht, dass wegen der fehlenden Stromversorgung eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu erwarten sei, führt auch das nicht zu einer Ermessenreduzierung auf Null.

Abgesehen davon, dass die Auswirkungen der möglichen Verschlechterung unklar sind, gehört es in Fällen wie dem vorliegenden, in denen gesundheitliche Auswirkungen einer Stromsperre behauptet werden, auch zur Selbsthilfepflicht, dass sich der Hilfesuchende bei dem Stromversorger unter Bezug-nahme auf § 19 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Elektrizität aus dem Niederspannungsnetz (Stromgrundversorgungsverordnung) vom 26. Oktober 2006 (BGBl. I S. 2391, 2395) um eine Aufhebung der Stromsperre bemüht, und zwar notfalls auch unter Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes bei dem zuständigen Zivilgericht (Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 2. Mai 2011, L 6 AS 241/10 B ER), was die Antragstellerin jedoch bisher unterlassen hat.


Anmerkung: Zum Anspruch auf Übernahme von Energieschulden nach § 34 Abs. 1 SGB XII a.F. und § 22 Abs. 5 SGB II a. F. jetzt § 22 Abs. 8 SGB II und § 36 SGB XII

Dirk Berendes*Der Verfasser ist Richter am Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen.
 Quelle: info also 4/2008, S. 151-154

Zivilrechtlicher Eilrechtsschutz

Hierzu wird vertreten, der Leistungsberechtigte habe alle rechtlichen Möglichkeiten zu ergreifen, um eine drohende oder verhängte Energiesperre zu vermeiden oder aufzuheben. Lägen die Voraussetzungen zur Verhängung einer Liefersperre nicht vor, könne sich der Leistungsberechtigte selbst (zivil)gerichtlich erfolgreich gegen eine solche Sperre wehren. Eine Übernahme von Energiekostenrückständen scheide dann wegen vorrangiger Selbsthilfemöglichkeiten aus.23

Soweit hiergegen vorgebracht wird, ein solches Vorgehen des Leistungsberechtigten gegen seinen Versorgungsträger sei deshalb nicht erforderlich, weil er ansonsten für einen unvertretbar langen Zeitraum auf die Energielieferung verzichten müsse,24 überzeugt dies wegen der Möglichkeit, zivilrechtlichen Eilrechtsschutz in Anspruch zu nehmen, nicht. Vielmehr sind als bereite Mittel zur Selbsthilfe im Sinne des § 2 Abs. 1 SGB XII auch solche Ansprüche berücksichtigungsfähig, deren gerichtliche Durchsetzung insbesondere im Wege der einstweiligen Verfügung im Zivilrechtsweg alsbald durchsetzbar, also zeitnah realisierbar ist.25

Grundsätzlich ist es damit denkbar, den Leistungsberechtigten vor der Übernahme von Energieschulden darauf zu verweisen, zivilrechtlich gegen die Energiesperre vorzugehen. Dies erscheint allerdings dem Leistungsberechtigten auch vor dem Hintergrund des in der Zivilgerichtsbarkeit bestehenden Kostenrisikos bei Unterliegen nur dann zumutbar, wenn er mit überwiegender Erfolgswahrscheinlichkeit vor dem Amtsgericht gegen die (drohende) Energiesperre vorgehen kann. Insoweit ist schon zweifelhaft, dass eine verhängte Energiesperre überhaupt in vielen Fällen rechtswidrig ist.26 Denn bereits die zivilgerichtliche Praxis zeigt, dass von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Obsiegens des säumigen Kunden in einem Prozess gegen seinen Energieversorger betreffend eine Energiesperre kaum auszugehen ist.27

Überdies dürfte es einem nach SGB XII oder SGB II Leistungsberechtigten angesichts der komplexen energierechtlichen Regelungen28 kaum möglich sein, die Erfolgsaussichten der Inanspruchnahme zivilrechtlichen Eilrechtsschutzes gegen eine Stromsperre abzuschätzen. Im Hinblick auf die deshalb jedenfalls aus Sicht des Leistungsberechtigten ungewisse Erfolgsaussicht zivilrechtlichen Rechtsschutzes ist ihm deshalb auch im Hinblick auf das damit verbundene Prozesskostenrisiko die vorrangige Inanspruchnahme derartigen Eilrechtsschutzes gegen die (angedrohte) Stromsperre nicht zumutbar.

Anmerkung: LSG NRW L 7 B 251/07 AS ER vom 02.04.2008 , Beschluß rechtskräftig

Der Auffassung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 02.04.2008 - L 7 B 251/07 AS ER, folgend, kann ein Bezieher von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende bei drohender Stromsperre nicht ausnahmslos vorrangig auf die Inanspruchnahme zivilrechtlichen Rechtsschutzes verwiesen werden. Im Mittelpunkt des Handels des Leistungsträgers müsse vielmehr die Abwendung des drohenden Verlustes der Energieversorgung stehen.

Eine Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitsuchenden entbindet den Grundsicherungsträger nicht von seiner durch § 17 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) begründeten prozeduralen Förderungspflicht. Denn gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB I hat ein Leistungsträger darauf hinzuwirken, dass jeder Berechtigte die ihm zustehenden Leistungen insbesondere umfassend und zügig erhält.

 Der Grundsicherungsträger darf den Arbeitsuchenden somit nicht pauschal darauf verweisen, er möge hinsichtlich rückständiger Energiekosten in eigener Verantwortung zivilgerichtlichen Eilrechtsschutz in Anspruch nehmen. Der Grundsicherungsträger muss vielmehr - durch flankierende Beratung o.ä. - dafür Sorge tragen, dass dem Arbeitsuchenden nur ein solches Maß an Mitwirkung abverlangt wird, das objektiv und subjektiv zumutbar ist. Dem entspricht es nicht, einen Arbeitsuchenden, dem es regelmäßig an Erfahrungen auf dem Gebiet des zivilgerichtlichen Eilrechtsschutz fehlt, pauschal und ohne das Angebot von (ggf. auch rechtsanwaltlicher) Beratung und Hilfestellung auf diese besondere Form des gerichtlichen Rechtsschutzes zu verweisen. Im Übrigen muss sichergestellt sein, dass der zivilgerichtliche Rechtsschutz auch aus zeitlicher Sicht geeignet ist, den drohenden Verlust der Energieversorgung in der eigenen Wohnung abzuwenden.


Der Beitrag wurde erstellt von Willi 2, Mitarbeiter des Sozialrechtsexperten RA Ludwig Zimmermann sowie Autor des wöchentlichen Rechtsprechungstickers von Tacheles unter der Führung des Sozialreferenten Harald Thome.

Nur wenn ein Härtefall vorliegt, können Leistungen als Darlehen für Regelbedarfe, Bedarfe für Unterkunft und Heizung und notwendige Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung erbracht werden

Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat mit Beschluss vom 05.09.2011, - L 5 AS 1156/11 B ER - festgestellt, dass sich ein Anordnungsanspruch auch nicht aus der Nachfolgeregelung zu § 7 Abs. 5 Satz 2 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), § 27 Abs. 4 Satz 1 (SGB II) ergibt.

Danach können Leistungen als Darlehen für Regelbedarfe, Bedarfe für Unterkunft und Heizung und notwendige Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung erbracht werden, sofern der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II eine besondere Härte bedeutet.

Ein besonderer Härtefall liegt vor, wenn außergewöhnliche, schwerwiegende, atypische und möglichst nicht selbstverschuldete Umstände einen zügigen Ausbildungsverlauf verhindert oder eine sonstige Notlage hervorgerufen haben (vgl. dazu ausführlich das Urteil des Bundessozialgerichts [BSG] vom 6. September 2007, B 14/7b AS 28/06 R, NJW 2008, S. 2285 ff, m.w.N.).

Solches ist hier weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Vielmehr ist die Tatsache, dass der Antragsteller keine Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) erhält, darauf zurückzuführen, dass er vor Aufnahme seines Studiums der Sportwissenschaften und der Biologie zum Wintersemester 2010 ein Studium der Betriebswirtschaftslehre nach sechs Semestern ohne unabweisbaren Grund abgebrochen hatte (§ 7 Abs. 3 BAföG).

Der Beitrag wurde erstellt von Willi 2, Mitarbeiter des Sozialrechtsexperten RA Ludwig Zimmermann sowie Autor des wöchentlichen Rechtsprechungstickers von Tacheles unter der Führung des Sozialreferenten Harald Thome.

Donnerstag, 22. September 2011

Höhe der Hartz-IV-Zuschüsse für Warmwasser reicht nicht sagen die Sozialrechtsexperten - Kinder brauchen doch nicht so viel Wasser sagt der Gesetzgeber

ein Beitrag von Von Thomas Öchsner

http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/hoehe-der-hartz-iv-zuschuesse-kinder-brauchen-doch-nicht-so-viel-wasser-1.1147185

Zitat: " Absurdes Deutschland: Wenn Hartz-IV-Empfänger in ihrem Badezimmer einen Boiler haben, bekommen sie einen Warmwasser-Zuschuss. Doch kurioserweise gibt es für Kinder weniger als für Erwachsene. Bei der Berechnung des Hartz-IV-Satzes führt das zu abenteuerlichen Konstellationen.

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) gehört zu den besten Kunden der Post. Jahr für Jahr verschickt die Behörde etwa 25 Millionen Hartz-IV-Bescheide. Künftig dürfte die Zahl dieser Schreiben um etliche hunderttausend zunehmen. Dies liegt an einem Paragraphen, der bei der Hartz-IV-Reform Anfang 2011 - weitgehend unbemerkt - ins Sozialgesetzbuch II wanderte. Dabei geht es um die unter Juristen durchaus ernsthaft diskutierte Frage, wie viele Euro einem Hartz-IV-Bezieher mit einem Boiler zusätzlich zustehen und ob Babys mehr oder weniger Warmwasser für die tägliche Hygiene benötigen als ältere Geschwister.

Bei der Hartz-IV-Reform einigten sich Bund und Länder darauf, die Kosten für Warmwasser in Höhe von früher 6,47 Euro für einen Erwachsenen aus der Berechnung des Regelsatzes von derzeit monatlich 364 Euro herauszunehmen. Der Anteil muss deshalb nicht wie in der Vergangenheit bei der Übernahme ihrer Ausgaben für die Miete und Mietnebenkosten wieder abgezogen werden. Dies funktioniert aber nur bei Hartz-IV-Empfängern mit Zentralheizung und einer entsprechenden Abrechnung.

Bei den anderen mit Boilern sind die Kosten für das Warmwasser versteckt in der Stromrechnung enthalten, die sie selbst zahlen müssen. Diesen Mehraufwand sollen die Jobcenter rückwirkend seit 2011 erstatten. Ein Alleinstehender erhält acht Euro im Monat für die warme Dusche. Bei 14- bis 17-Jährigen sind es vier, bei 6- bis 13-jährigen Kindern drei Euro. Dies entspricht immer einem bestimmten Prozentsatz ihres jeweiligen Regelsatzes. Kleinkindern bis zu fünf Jahren stehen zum Beispiel 215 Euro Hartz IV zu. Ihr Warmwasser-Mehrbedarf beläuft sich auf 0,8 Prozent, aufgerundet sind das zwei Euro.

Die Pauschalen, die auf Daten über den Energieverbrauch in Privathaushalten beruhen, dürften ausreichend Stoff für viele neue Hartz-IV-Verfahren vor den Sozialgerichten bieten: Brauchen Kinder mit Windeln nicht häufiger warmes Wasser als diejenigen, die die Toilette benutzen? Benötigt ein 17-Jähriger, der einen Kopf größer als sein Vater ist, nicht mehr warmes Wasser als sein Erzeuger und damit einen höheren Zuschlag?

Harald Thomé, Chef des Erwerbslosenvereins Tacheles in Wuppertal, ist überzeugt, dass "das Bemessungsverfahren für den Energie- und den Warmwasseranteil des Kinderregelsatzes jeglicher empirischen Grundlage entbehrt".

Er rechnet mit einer Klagewelle in Sachen Warmwasser. In den Jobcentern hat der Paragraph dazu geführt, dass die Mitarbeiter genau auf die Geburtstage der jungen Hartz-IV-Empfänger achten: Immer wenn ein Kind von der einen in die nächste Altersgruppe rutscht und sich die Warmwasser-Pauschale dadurch erhöht, ist ein neuer Hartz-IV-Bescheid nötig.

Anmerkung: Neuregelung der Warmwasserkosten: Pleiten, Pech und Pannen

Zwei gravierende Fehler bei der Bemessung der Warmwasserpauschale

So müsste der Mehrbedarf für Warmwasser berechnet werden

Auf der Grundlage der Daten der EVS 2008 und deren Auslegung durch die Regelsatzermittler der Bundesregierung müsste der Mehrbedarf für Warmwasser also höher ausfallen. Um den Fehler zu beheben, müssen zunächst die Verbrauchsausgaben der EVS für Haushaltsenergie hochgerechnet werden auf Haushaltsenergiekosten, die Warmwasserenergie enthalten. Im zweiten Schritt muss aus diesen Beträgen der 30%-Anteil für Warmwasserkosten berechnet werden. Das ergibt die folgenden Mehrbedarfszuschläge:
Tabelle: Kosten der Warmwasserbereitung bei berichtigter Datengrundlage*

Quelle: Harald Thome - Tacheles

http://www.tacheles-sozialhilfe.de/aktuelles/2011/Warmwasser.aspx

Anmerkung vom Sozialrechtsexperten RA Ludwig Zimmermann und dem Sozialberater Willi 2 :

Hartz IV Regelsätze- Und sie sind doch verfassungswidrig

http://sozialrechtsexperte.blogspot.com/2011/09/hartz-iv-regelsatze-und-sie-sind-doch.html

Musterschriftsatz für eine Klage zum Regelsatz für Bedarfsgemeinschaften mit Kinder (und Alleinstehende)

Die Klage zielt darauf ab, ob die Hartz IV-Regelungen (REBG) mit der vom Bundesverfassungsgericht formulierten Menschenwürde Artikel 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatlichkeitsprizip Artikel 20 Abs. 1 GG vereinbar ist.

Da die Bundesregierung sich weiterhin für die Einkommens- und Verbraucherstichprobe (EVS) entschieden hat, ist die EVS auch Gegenstand der nachfolgenden verfassungsrechtlichen Fragen.


1. Die Verwendung der EVS gem. § 28 SGB XII, § 1 RBEG bezüglich langlebiger Gebrauchsgüter liefert keine verlässlichen Ergebnisse über den Bedarf solcher Güter für das menschenwürdige Existenzminimum. Ist die Verwendung der EVS für diesen Bereich mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG vereinbar?

2. Ist der Nichtausschluss von Referenzhaushalten, die unter der Existenzsicherungsschwelle lagen und der bereits zum Zeitpunkt des Gesetzgebungsverfahrens (näherungsweise) auf empirischer Grundlage möglich war, mit dem Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum nach Art. 1 Abs. 1 GG i.V. m. Art. 20 Abs. 1 GG vereinbar?

weiterlesn und download des Schriftsatzes:

http://www.elo-forum.org/alg-ii/79639-elo-musterklage-regelsaetze-bgs-kindern-alleinstehende.html

Der Beitrag wurde erstellt von Willi 2, Mitarbeiter des Sozialrechtsexperten RA Ludwig Zimmermann sowie Autor des wöchentlichen Rechtsprechungstickers von Tacheles unter der Führung des Sozialreferenten Harald Thome.

Keine wirksame Klage und kein wirksamer Widerspruch durch e-mail ohne qualifizierte elektronische Signatur

Bundesfinanzhof. 26.07.2011 - VII R 30/10  Klagen müssen nach den jeweiligen Verfahrensordnungen der ordentlichen oder der Fachgerichtsbarkeit Schriftlich oder zur Niederschrift des Gerichtes erhoben werden.

 Dass gleiche trifft auch für den Widerspruch in Vorverfahren z. B. in sozialrechtlichen Angelegenheiten zu (Vgl. LSG Berlin-Brandenburg, 28.09.2010 - L 18 AL 76/10).


Eine wirksame Erhebung der Klage oder des Widerspruches kann per e-mail nur erfolgen wenn diese nach den jeweiligen Landesgesetzen mittels qualifizierter elektronischer Signatur zugelassen ist (z. B. § 65a SGG).

Tritt ein Arbeitnehmer eines Tendenzbetriebes aufgrund der inneren Abkehr von der Kirche aus der Kirche aus, stellt dies kein versicherungswidriges Verhalten im Sinne des § 144 Abs. 1 SGB III dar.

So urteilte das Sozialgericht München mit  Urteil vom 26.05.211, - S 35 AL 203/08 -.

Gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 SGB III ruht der Anspruch (auf Arbeitslosengeld) für die Dauer einer Sperrzeit wenn der Arbeitnehmer sich versicherungswidrig verhalten hat, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben.

Gemäß § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III liegt versicherungswidriges Verhalten vor, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst oder durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und da-durch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat (Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe).

Nicht ein Verhalten der Klägerin hat Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben, sondern in der Person der Klägerin liegende Gründe.

Im Ergebnis führte eine (fehlende) Eigenschaft der Klägerin – der Glaube an die katholische Kirche – zur Kündigung. Die katholische Kirche hat ein Interesse daran, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihrer Einrichtungen an sie glauben.

In Artikel 4 der "Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse" (hier Grundordnung) sind die Loyalitätsobliegenheiten von katholischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern festgehalten. Gemäß Artikel 4 Absatz 1 Satz 1 der Grundordnung wird von ihnen erwartet, dass sie die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre anerkennen und beachten. Gemäß Artikel 4 Absatz 4 der Grundordnung haben sie kirchenfeindliches Verhalten zu unterlassen.

Sie dürfen in ihrer persönlichen Lebensführung und in ihrem dienstlichen Verhalten die Glaubwürdigkeit der Kirche und der Einrichtung, in der sie beschäftigt sind, nicht gefährden.

Dementsprechend sieht die Kirche gemäß Artikel 5 Absatz 2 der Grundordnung für eine Kündigung aus kirchenspezifischen Gründen insbesondere einen Kirchenaustritt als schwerwiegenden Loyalitätsverstoß an. Gemäß Artikel 5 Absatz 5 der Grundordnung können Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter, die aus der katholischen Kirche austreten, nicht weiterbeschäftigt werden.

Die innere Abkehr von der Kirche kann nicht als versicherungswidriges Verhalten im Sinne von § 144 Abs. 1 Satz 1 SGB III angesehen werden.

Andernfalls wäre es gesetzlich geboten die innere Abkehr von der Kirche zu unterlassen. Die Frage an wen bzw. was man glaubt ist kein steuerbares "Verhalten" im Sinne der Vorschrift. Verhalten ist willensgesteuert. Verhalten kann in einem Handeln oder Unterlassen bestehen. Die Frage des Glaubens ist weder willensgesteuert (wenn auch beeinflussbar) noch stellt sie ein Handeln oder Unterlassen dar.

Der offiziell erklärte Austritt aus der Kirche ist Ausdruck der inneren Abkehr von der Kirche. Der Ausdruck der inneren Abkehr von der Kirche nach außen – in Form des Kirchenaustritts – ist nicht als gesondert zu betrachtendes (versicherungswidriges) Verhalten im Sinne des SGB III zu bewerten, sondern stellt eine Einheit mit dem Glauben dar.

Andernfalls wäre es gesetzlich geboten trotz der inneren Abkehr von der Kirche dieser weiterhin offiziell anzugehören um einem kirchlichen Arbeitgeber zum Schutze der Versichertengemeinschaft den nicht vorhandenen Glauben an die Kirche zu signalisieren.

Vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlich geschützten negativen Religionsfreiheit ist § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III dementsprechend verfassungskonform auszulegen und in der Folge die innere Abkehr von der Kirche und der erklärte Austritt aus der Kirche als Einheit zu betrachten. Nach Überzeugung der Kammer wäre es verfassungswidrig wenn es einem Arbeitnehmer auferlegt würde, seine innere Überzeugung in Bezug auf die Religion nicht (durch einen Kirchenaustritt) nach außen kundzutun.

Er wäre gehalten einer Religionsgemeinschaft anzugehören an die er nicht glaubt (und diese zum Beispiel durch die Kirchensteuer auch finanziell zu unterstützen). Hier geht es nicht um ein Kundtun dieser Überzeugung am Arbeitsplatz. Die Frage des Kirchenaustritts betrifft nicht nur den Beruf, sondern den Menschen als Ganzes.

Anmerkung :

Die Beklagte stellt (unter Bezugnahme auf das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 30.3.2006, AZ: L 1 AL 162/05, ) darauf ab, dass es der Klägerin zuzumuten gewesen sei, weiterhin beim Caritasverband als Altenpflegerin zu arbeiten bis sie sich erfolgreich um einen anderen Arbeitsplatz bemüht habe. Der Klägerin obliege die Pflicht im Gemeinschaftsinteresse die Solidargemeinschaft zu entlasten. Diese Pflicht wiege schwerer als ihr Interesse an einer folgenlosen Verwirklichung ihrer negativen Religions- und Bekenntnisfreiheit auch im Berufsleben

Die Klägerin hat nicht gekündigt, sie ist gekündigt worden. Schon daher kann es nicht entscheidungserheblich sein, ob es ihr zuzumuten war weiterhin an ihrem früheren Arbeitsplatz zu arbeiten – dies war ihr nach der Arbeitgeberkündigung nicht mehr möglich. Es kann allein entscheidungserheblich sein, ob es ihr zuzumuten war trotz innerer Abkehr von der Kirche weiterhin Mitglied der katholischen Kirche zu bleiben. Bei der Frage des Kirchenaustritts geht es nicht um die Verwirklichung der negativen Religionsfreiheit "auch im Berufsleben", sondern um die Frage der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft als Person, also um die negative Religionsfreiheit an sich.

Der Beitrag wurde erstellt von Willi 2, Mitarbeiter des Sozialrechtsexperten RA Ludwig Zimmermann sowie Autor des wöchentlichen Rechtsprechungstickers von Tacheles unter der Führung des Sozialreferenten Harald Thome.

Hartz IV Rechtsprechung bereitet Rechtsanwälten Kopfschmerzen

Anhand eines Beispiels möchte ich darstellen, wie sehr unterschiedlich doch die Gerichtsentscheidungen zum SGB II sein können.

Wer sich als RA mit dem SGB II beschäftigt, weiß, dass dieses Gesetzbuch einem RA schon mal leicht graue Haare wachsen lässt, denn zu bestimmten Sachverhalten im SGB II gibt es bis zum heutigem Tage keine höchst richterliche Klärung.

Wie aber nun dem Mandantem helfen - man muß versuchen, dass best mögliche für den Antragsteller zu erzielen dh., die Gerichtsentscheidung, welche dem Mandantem zum Sieg verhelfen könnte, muss gewählt werden, dies ist aber nicht immer einfach, so dass bei äußerst schwierigen Fragen - zumindestens - im Rahmen einer Folgenabwägung zu Gunsten des Antragstellers entschieden werden sollte.

Beispiel: Zum  Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II

Die Vereinbarkeit der Vorschrift mit Gemeinschaftsrecht der EU ist in Rechtsprechung, Kommentierung und inzwischen reichhaltiger Judikatur umstritten (exemplarisch aus jüngerer Zeit: Beschlüsse des LSG Berlin-Brandenburg vom 09.09.2010 - L 10 AS 1023/10 B ER, vom 29.11.2010 - L 34 AS 1001/10 B ER, Beschlüsse des LSG NRW vom 04.10.2010 - L 19 AS 942/10 B, vom 17.05.2011 - L 6 AS 356/11 B ER, jeweils m. w. N.).

Der Streit besteht im Wesentlichen vor dem Hintergrund der höchstrichterlich bislang nicht entschiedenen Frage, ob der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II entsprechend den Vorstellungen des Gesetzgebers durch den Vorbehalt des Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG gedeckt ist, weil es sich bei den Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II um Sozialhilfeleistungen handelt, oder ob es sich um Leistungen der sozialen Sicherheit bzw. zur Eingliederung in Arbeit handelt, die freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern unter Verstoß gegen das Verbot der Differenzierung nach Staatsangehörigkeit und/oder das allgemeine Differenzierungsverbot vorenthalten würden.

Sowohl der EuGH als auch das BSG haben die Frage in jüngeren Entscheidungen offen gelassen (Urteil des EuGH vom 04.06.2009 - C-22/08 und C-23/08 - Vatsouras/Koupatantze; Urteil des BSG vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R).

Mit Beschluss vom 30.05.2011, -   L 19 AS 388/11 B ER -  und Folgebeschlus vom 28.06.2011, - L 19 AS 317/11 B ER  - hatte das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen festgestellt, dass Rumänen und Bulgaren keinen Anspruch haben auf soziale Unterstützung in Nordrhein-Westfalen .

Darauf erwiderte der Sozialrechtsexperte,  - Auf nach Niedersachsen oder Hessen sagt Willi 2 -

http://sozialrechtsexperte.blogspot.com/2011/09/rumanen-und-bulgaren-haben-keinen.html?utm_source=feedburner&utm_medium=feed&utm_campaign=Feed%3A+Sozialrechtsexperte+%28sozialrechtsexperte%29

Mit Beschluss vom 14.09.2011, - S 10 AS 3036/11 ER - hat das Sozialgericht Düsseldorf festgestellt, dass eine gebürtige Litauin im Rahmen einer Folgenabwägung Anspruch auf ALG 2 hat.

Der Leistungsausschluss in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist also dann europarechtskonform, wenn es sich beim Arbeitslosengeld II um "Sozialhilfe" im Sinne des Art. 24 Abs. 2 UBRL handelt und diese Vorschrift ihrerseits mit dem höherrangigen Primärrecht der EU in Einklang steht.

In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob die Regelung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II, die einen Leistungsausschluss ohne entsprechende Öffnungsklausel insbesondere für Alt-Unionsbürger normiert, mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. (vgl. u. a. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.07.2008 - L 7 AS 3031/08 ER-B; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 08.06.2009 - B 34 AS 790/09 B ER; SG Reutlingen, Urteil vom 29.04.2008 - S 2 AS 295 2/07; LSG NRW, Beschluss vom 16.07.2008 - L 19 B 111/08 AS ER; Brühl/Schoch in LPK, § 7 Rn. 20 ff.; Schreiber info also 2008, 3 ff. und 2009,, 195 ff.; Kunkel/Frey, ZFSH 07/2008, 387 ff.; Husmann, NZS 2009, 547 ff., 652 ff.; Hailbronner, ZFSH 2009, 195 ff.; Dr. Piepenstock, jurisPR-SozR, 23/09 Anm. 1).

Diese Frage lässt sich im Eilverfahren nicht abschließend klären. Eine Vorlagepflicht der deutschen Gerichte an den Europäischen Gerichtshof, der für die Auslegung der hier in Betracht kommenden Art. 39 und 12 EGV zuständig ist, besteht indes nur für das Hauptsacheverfahren, nach h. M. aber nicht für das einstweilige Rechtsschutzverfahren.

 Unter Berücksichtigung der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung und des existenzsichernden Charakters der Leistungen nach dem SGB II ist nach der oben dargestellten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts deshalb eine Folgenabwägung vorzunehmen.

Nach Meinung des Hessisches Landessozialgerichts, Beschluss vom 06.09.2011, - L 7 AS 334/11 B ER - hat

 Ein Ausländer, dessen Aufenthalt im Inland auf der Grundlage von § 81 Abs. 3 S. 1 AufenthG als rechtmäßig gilt,  keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II, wenn in der zu seinen Gunsten ausgestellten Fiktionsbescheinigung eine Nebenbestimmung enthalten ist, die die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ausdrücklich nicht gestattet. Er ist dann nicht erwerbsfähig im Sinne von § 8 Abs. 2 SGB II, auch wenn ihm ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, die eine Erwerbstätigkeit erlauben würde, zustehen sollte, solange diese noch nicht erteilt ist.

Lebt der Ausländer allerdings in Bedarfsgemeinschaft mit seiner Partnerin, die einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II hat, kann ihm ein Anspruch auf Sozialgeld zustehen. Eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 3 S. 1 oder Abs. 4 AufenthG ist weder mit einer Duldung nach § 60a AufenthG noch mit einem der in § 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG genannten Aufenthaltstitel vergleichbar. Der Leistungsausschluss in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB II für Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG greift daher nicht.

Anmerkung des Sozialberaters Willi 2:

Bedenklich erscheint der zeitlich unbeschränkte völlige Ausschluss von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II, der durch den gleich formulierten Ausschluss von Sozialhilfe in § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII (dort eingefügt mit Wirkung vom 07.12.2006) flankiert wird, im Hinblick auf das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, das vom Bundesverfassungsgericht aus Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG abgeleitet wird (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 Az. 1 BvL 1/09, NJW 2010, 505, Rdnr. 133 bei juris m.w.N.).

Da es sich bei Art. 1 Abs. 1 GG um kein Grundrecht nur für Deutsche, sondern um ein Menschenrecht handelt, gilt es auch für Ausländer, die sich in Deutschland aufhalten, vor allem wenn dieser Aufenthalt  rechtmäßig ist.

Zwar gesteht das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber bei der Bestimmung der zur Gewährleistung dieses Existenzminimums zu erbringenden Leistungen einen Gestaltungsspielraum zu. Es fragt sich aber, ob nicht der zeitlich unbegrenzte Ausschluss jeglicher Leistungen für Ausländer, die sich rechtmäßig zur Arbeitssuche in Deutschland aufhalten, in den von Art. 19 Abs. 2 GG für unantastbar erklärten Wesensgehalt dieses Grundrechts eingreift.

Ob der zeitlich unbefristete Ausschluss von Leistungen an arbeitsuchende Unionsbürger mit der Begründung gerechtfertigt werden kann, dass diese auf die Inanspruchnahme entsprechender Leistungen in ihrem Heimatland verwiesen werden könnten (so LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 26.02.2010, Az. L 15 AS 30/10 B ER Rdnr. 30), dürfte zumindest zweifelhaft sein (vgl. LSG Bayern, Beschluss vom 22.12.2010, Az.: L 16 AS 767/10 B ER).

7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist als Ausnahmeregelung nicht erweiternd dahingehend auszulegen, dass der Leistungsausschluss bereits dann greift, wenn einer von mehreren Aufenthaltsgründen der des § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU ist (vgl. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 11. März 2011 - L 13 AS 52/11 B ER - ).

Ferner ist im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) zweifelhaft, ob eine durch sachliche Gründe zu rechtfertigende Ungleichbehandlung darin liegt, dass Ausländer, die vollziehbar ausreisepflichtig sind, wenigstens das "reduzierte" Existenzminimum nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) erhalten (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG), dagegen Ausländer, die die Unionsbürgerschaft besitzen und sich legal in Deutschland aufhalten, gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II und § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII ohne zeitliche Begrenzung von jeglichen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeschlossen sind.

Info: Georg Classen Juni 2011 - ALG II und Sozialhilfe für Ausländer

http://www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/pdf/SGB-II-XII-Leitfaden.pdf

Der Beitrag wurde erstellt von Willi 2, Mitarbeiter des Sozialrechtsexperten RA Ludwig Zimmermann sowie Autor des wöchentlichen Rechtsprechungstickers von Tacheles unter der Führung des Sozialreferenten Harald Thome.

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