Direkt zum Hauptbereich

Behörde muss bei Existenzgründung ausdrücklich auf die Möglichkeit der Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung und die Antragsfrist hinweisen - Sozialer Herstellungsanspruch hilft bei Versagen der Behörde

Die Revision der Beklagten war erfolglos. Das Landessozialgericht hat mit seinem Urteilsausspruch zutreffend entschieden, dass für die Klägerin seit 12.02.2007 ein Antragspflichtversicherungsverhältnis in der Arbeitslosenversicherung besteht. Die Voraussetzungen einer Weiterversicherung für Selbstständige nach § 28a SGB III lagen vor. Entgegen der Ansicht der Beklagten hinderte die Versäumung der einmonatigen Antragsfrist (Antragstellung erst am 17.04.2007) den Eintritt der Versicherungspflicht nicht, weil zugunsten der Klägerin die Grundsätze über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch eingreifen.
Nach der Rechtsprechung des BSG kann dieses Rechtsinstitut neben den Wiedereinsetzungsregelungen des § 27 SGB X – auf die das Landessozialgericht abgestellt hat – zur Anwendung kommen, wenn ein Sozialleistungsträger die ihm in einem Sozialrechtsverhältnis gegenüber einem Leistungsberechtigten obliegenden Hinweis- und Beratungspflichten verletzt (BSG, Urt. v. 02.02.2006 - B 10 EG 9/05 R - BSGE 96, 44 = SozR 4-1300 § 27 Nr 2). Das ist hier anzunehmen. Das BSG brauchte daher nicht zu entscheiden, ob § 27 SGB X auch für die für die Weiterversicherung geltende Antragsfrist gilt (oder die Wiedereinsetzung insoweit nach § 27 Abs. 5 SGB X unzulässig ist), inwieweit ein Mitverschulden der Klägerin zu berücksichtigen ist und ob die Antragstellung rechtzeitig nachgeholt wurde. Die Beklagte hat es ausgehend von den Feststellungen des Landessozialgerichts jedenfalls pflichtwidrig unterlassen, die Klägerin im Zusammenhang mit ihrer Existenzgründung auf die Möglichkeit der Weiterversicherung und die dabei einzuhaltende Antragsfrist hinzuweisen. Zwar hat die Klägerin insoweit nicht explizit um Beratung nachgesucht, jedoch besteht eine spontane Beratungspflicht des Sozialleistungsträgers, wenn anlässlich einer konkreten Sachbearbeitung dem jeweiligen Mitarbeiter eine naheliegende rechtliche Gestaltungsmöglichkeit erkennbar wird und klar zutage liegt, dass ein verständiger Versicherter diese mutmaßlich wahrgenommen hätte, wenn sie ihm bekannt gewesen wäre (vgl. z.B. BSG, Urt. v. 18.01.2011 - B 4 AS 29/10 R - SozR 4-1200 § 14 Nr 15).
Nachdem die Beklagte schon im September 2006 von der im Raum stehenden Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit erfahren hatte, bestand eine Beratungsnotwendigkeit spätestens am 12.02.2007, als die Klägerin neben dem formellen Antrag auf einen Gründungszuschuss auch eine Gewerbeanmeldung persönlich vorlegte. Die Aushändigung des Merkblatts "Gründungszuschuss" und die darin enthaltenen allgemeinen Hinweise auf die Weiterversicherung genügten den Beratungs- und Betreuungspflichten in diesem Stadium nicht mehr. Es bestanden vielmehr gesteigerte Hinweispflichten der Beklagten als demjenigen Leistungsträger, der hier mit dem Komplex der Gewährung von Sozialleistungen des Arbeitsförderungsrechts bei Existenzgründung ganz konkret befasst war. Das Landessozialgericht ist nach den Umständen auf der Grundlage der Rechtsprechung des BSG (z.B. BSG, Urt. v. 14.11.2002 - B 13 RJ 39/01 R - SozR 3-2600 § 115 Nr 9) zu Recht von einer naheliegenden Gestaltungsmöglichkeit ausgegangen. Eine Überspannung von behördlicher Betreuungspflichten ist ihm außerdem nicht anzulasten. Von der Beklagten gerügte Verfahrensmängel greifen nicht durch, insbesondere hat das Landessozialgericht die Grenzen freier richterlicher Beweiswürdigung nicht überschritten.

BSG - B 12 AL 2/12 R - 05.09.2013  Pressemitteilung
Quelle: juris

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Zu: SG Nürnberg - Sind die Einladungen der Jobcenter nichtig? Folgeeinladungen der Jobcenter wegen einem Meldeversäumnis sind nichtig und unwirksam

sozialrechtsexperte: Nürnberg: Sind die Einladungen der Jobcenter nichtig? Hier der Ausgang, wie er nicht anders zu erwarten war: Ausgang des Verfahrens S 10 AS 679/10 wegen Nichtigkeit von Meldeaufforderungen « Kritische Standpunkte Dazu Anmerkungen von Detlef Brock, Teammitglied des Sozialrechtsexperten: SG Nürnberg v. 14.03.2013 - S 10 AS 679/10 Eigener Leitsatz 1. Folgeeinladungen des Jobcenters wegen einem Meldeversäumnis sind - nichtig und unwirksam, weil  § 309 SGB III keine Rechtsgrundlage dafür ist, Hilfeempfänger die Pflicht zum Erscheinen zu einer Anhörung zu Tatbeständen einer beabsichtigen Sanktion aufzuerlegen. 2. Eine Folgeeinladung ist zu unbestimmt, weil der genannte Inhalt der Meldeaufforderung nicht als gesetzlicher Meldezweck im Sinne des Katalogs des § 309 Abs. 2 SGB III ausgelegt werden kann.

Kann ein Leistungsbezieher nach dem SGB II für seinen unangemessenen Stromverbrauch keine Gründe benennen, muss das Jobcenter seine Stromschulden nicht übernehmen.

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 22 Abs. 8 des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch (SGB II). Danach können Schulden übernommen werden, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden und soweit die Schuldübernahme zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertig und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Vermögen nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II ist vorrangig einzusetzen. Geldleistungen sollen als Darlehen gewährt werden.  Die Rechtfertigung der Schuldenübernahme ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, in den auch Billigkeitserwägungen einfließen (Beschluss des erkennenden Senats vom 2. Juni 2009 – L 14 AS 618/09 B ER). Mit rechtskräftigem Beschluss vom 23.09.2011 hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg , - L 14 AS 1533/11 B ER - geurteilt, dass Gründe für einen "unangemessenen" Stromverbrauch in einem einstwe

Die Versicherungspauschale von 30 EUR nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-VO kann von einem einzelnen Einkommen einer Bedarfsgemeinschaft nur einmal abgezogen werden.

§ 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-VO Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil vom 06.06.2011, - L 1 AS 4393/10 - Die Versicherungspauschale von 30 EUR nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-VO kann von einem einzelnen Einkommen einer Bedarfsgemeinschaft nur einmal abgezogen werden(BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 51/09 R-; Rdnr. 4). Eine erneute Berücksichtigung scheidet auch dann aus, wenn eine sog. gemischte Bedarfsgemeinschaft vorliegt und Einkommen eines nichtbedürftigen Mitglieds einem bedürftigen Mitglied der Bedarfsgemeinschaft zugerechnet wird. https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=144213&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive = Anmerkung: 1. Vom Einkommen volljähriger Hilfebedürftiger ist ein Betrag in Höhe von 30 Euro monatlich für die Beiträge zu privaten Versicherungen, die nach Grund und Höhe angemessen sind, gemäß § 11 Abs 2 Nr 3 SGB II als Pauschbetrag abzusetzen (§ 6 Abs 1 Nr 1 Alg II-V ). Diese Pauschale in Höhe von 30 Euro ist