Montag, 4. Februar 2013

Kosten für die Nutzungsentschädigung sind Unterkunftskosten gem. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II

So die Rechtsauffassung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen; Beschluss vom 18.01.2013 - L 6 AS 2124/11 B .

Aber der Leistungsbezieherkann kann die Übernahme dieser Kosten deshalb nicht verlangen, weil ein Anspruch auf die Finanzierung von zwei Wohnungen, von denen nur eine bewohnt wird, sich auf § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II grundsätzlich nicht stützen lässt.

Auch weitere Anspruchsgrundlagen für das Begehren  liegen nicht vor:

1. Sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird, können gem. § 22 Abs. 8 SGB II auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht.

Bei den geltend gemachten Kosten handelt es sich nicht um Mietschulden, sondern - wie dargelegt - um laufende Unterkunftskosten. Selbst wenn man eine für die Vergangenheit geschuldete Nutzungsentschädigung jedoch als Schulden i.S.d. § 22 Abs. 8 SGB II ansehen würde, wäre eine Kostenübernahme nicht geboten.

Der Kläger war durchgehend mit Wohnraum versorgt, für dessen Finanzierung der Beklagte angemessene Leistungen zur Verfügung gestellt hat. Eine Schuldenübernahme war zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer sonstigen Notlage damit nicht geboten.

2.Die doppelte Kostenbelastung kann auch nicht als Wohnungsbeschaffungs- und Umzugskosten geltend gemacht werden (zur Erstattungsfähigkeit von Doppelmieten im Rahmen des § 22 Abs. 6 SGB II vgl. nur Boerner, in: Löns/Herold-Tews, SGB II, 3. Aufl., § 22 Rdnr. 89).

Diese Kosten können gemäß § 22 Abs. 6 Satz 1 SGB II bei vorheriger Zusicherung als Bedarf anerkannt werden. Abgesehen davon, dass es an einer vor Entstehung der Kosten erteilten Zusicherung durch den Beklagten fehlt, scheidet eine Erstattung auch deshalb aus, weil es sich nicht um Kosten handelt, die notwendig mit der Anmietung der neuen Wohnung verbunden waren.

Anmerkung: Sozialgericht Potsdam, Urteil vom 26.06.2012 - S 40 AS 1680/09

Ist nach Auszug eines Mitgliedes aus der gemeinschaftlichen Wohnung der Bedarfsgemeinschaft durch die verbliebenen Mitglieder diesem die mietrechtliche Nutzungsentschädigung zu entrichten, steht diese den Kosten der Unterkunft gleich.


Hinweis: Gem. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind.

Aufwendungen für die Unterkunft sind die Leistungen, die der Berechtigte in der Bedarfszeit für die Nutzung/Gebrauchsüberlassung einer bestimmten Unterkunft Dritten kraft bürgerlichen oder öffentlichen Rechts zu erbringen hat (Berlit, in: LPK-SGB II, § 22 Rdnr. 21).

Nicht notwendig ist, dass es sich um Kosten handelt, die aufgrund eines Vertrages zu zahlen sind. Damit ist auch eine gem. § 546a Abs. 1 BGB für die Nichtrückgabe der Mietsache nach Beendigung des Mietverhältnisses zu zahlende Entschädigung den Unterkunftskosten zuzurechnen, wenn der Betroffene in der Wohnung trotz Beendigung des Mietverhältnisses weiter wohnt.


Der Beitrag wurde erstellt von Detlef Brock.


Sonntag, 3. Februar 2013

Jobcenter schützen Denunzianten - diese Praxis ist ein Skandal

Berlin (ots) - Die Jobcenter sind angehalten, anonyme Anzeigen gegen Hartz-IV-Bezieher vor den Betroffenen geheim zu halten.

Wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der LINKE-Vorsitzenden Katja Kipping hervorgeht, empfiehlt die Bundesagentur für Arbeit den Jobcentern, Anzeigen über eventuelle Regelverstöße von Langzeitarbeitslosen in deren Akten aufzunehmen, ihnen aber nicht zur Kenntnis zu geben.

Darüber berichtet die Tageszeitung "neues deutschland" (Montagausgabe).

Vor einer Akteneinsicht der Hartz-IV-Bezieher soll demzufolge die Anzeige aus der Akte entfernt werden.

Nur wenn es sich bei den Anzeigen nachweislich um Falschaussagen handelt, könnten die Betroffenen die Namen der Informanten in Erfahrung bringen, um juristisch gegen sie vorzugehen.

In der Regel jedoch erfahren die Langzeitarbeitslosen nichts über solche Informationen von Dritten, auf deren Grundlage die Jobcenter Entscheidungen fällen.

Nach Ansicht von Katja Kipping ist diese Praxis ein Skandal.

"Die Anzeigen beeinflussen den Fallmanager und der Betroffene weiß von nichts", so Kipping gegenüber "nd".


Quelle:

Anmerkung dazu vom Sozialberater Detlef Brock, Teammitglied des Sozialrechtsexperten RA L. Zimmermannn:

Hat der wegen Leistungsmissbrauch Angezeigte Anspruch auf Namensnennung des Anzeigenden?

Dazu erging am 08.12.2006 vom SG Aachen folgendes Urteil Az.: S 8 AS 48/06


Ein Leistungsempfänger (Arbeitslosengeld II) wurde von einer Kundin angezeigt, er betreibe ein Fotostudio für Portrait-, Mode- und Aktfotografie und werbe hierfür auch im Internet. Hieraus erziele er Einkommen.

Der Leistungsempfänger (Kläger) fürchtet, man werde ihm das Arbeitslosengeld II kürzen oder streichen. Er will den Namen des Informanten wissen, um sich zur Wehr setzen zu können.

Die beklagte Behörde (ARGE) will aber den Namen nicht herausgeben.

Die 8. Kammer des Sozialgerichts Aachen unter Vorsitz von Vizepräsident des Sozialgerichts Dr. Martin Kühl sah hierzu auch keine Verpflichtung der beklagten ARGE.


Es könne durchaus ein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse des Informanten bestehen, das die Verwaltung nur dann nicht zu beachten habe, wenn der Anzeigende wider besseres Wissen oder leichtfertig falsche Angaben gemacht habe.

Dafür habe es hier keine Anhaltspunkte gegeben, zumal der Internetauftritt des Klägers den Anzeigeinhalt teilweise bestätige.

Andererseits könne sich die beklagte ARGE bei den Kläger belastenden Entscheidungen auf den Anzeigeerstatter als Zeugen nur berufen, wenn sie dessen Namen offen lege.

Da die Beklagte aber nach einer Überprüfung der Angelegenheit keine für den Kläger nachteiligen Regelungen getroffen habe, gebe es derzeit ohnehin nichts, wogegen der Kläger sich verteidigen müsse.

SG Aachen, Urteil vom 08.12.2006 -  S 8 AS 48/06


Die Entscheidung über eine Preisgabe des Namens eines Behördeninformanten an den betreffenden Leistungsempfänger im Wege der Akteneinsicht oder Auskunftserteilung erfordert eine Güterabwägung zwischen den in § 25 Abs. 3 bzw. 83 Abs. 4 SGB X genannten Geheimhaltungsinteressen und dem Auskunftsinteresse des Betroffenen.

Das Geheimhaltungsinteresse eines Behördeninformanten überwiegt dann das Informationsinteresse des Leistungsempfängers, wenn keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Informant wider besseren Wissens oder leichtfertig falsche Behauptungen aufgestellt hat (BVerwG, Urteil vom 04.09.2003 - 5 c 48/02 - = NJW 2004, 1543).


Arbeitslose nach Sportkursen motivierter

Rückenschulen, Nordic-Walking-Kurse und andere Sportangebote für ältere Langzeitarbeitslose zeigen aus Sicht von Brandenburgs Arbeitsminister Günter Baaske (SPD) Wirkung.

Die Teilnehmer am Bundesprogramm «Perspektive 50plus» hätten ein erheblich stärkeres Selbstbewusstsein und seien motivierter als vor dem Projekt, berichtete er in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage.

Inwieweit sich die gesundheitsfördernden Projekte auf den Erfolg bei der Arbeitssuche auswirkten, sei aber nicht messbar.

In Brandenburg bieten verschiedene Jobcenter mit Partnern aus der jeweiligen Region Gesundheitskurse an.


Quelle:

Sozialhilfe-Empfänger aus Eisenach tritt in Hungerstreik - Sozialrechtsexperte sagt- Geh wieder daheim

Die Freude von Norbert Ihlow aus Eisenach währte nur kurz. "Ich dachte, ich könnte mir jetzt mal warme Schuhe für den Winter leisten."

Nun kam die Keule vom Amt und Ihlow trat gestern vor dem Rathaus in den Hungerstreik, "bis das geklärt ist und ich mein Geld kriege".

Der 61-Jährige ist an Krebs erkrankt und lebt seit geraumer Zeit von Sozialhilfe. 691 Euro erhält er im Monat und muss davon aber natürlich auch seine Mietausgaben bestreiten. Das klappt auch, Ihlow kommt meist mit dem wenigen Geld aus.

Als nun die Betriebskostenabrechnung für 2012 kam, freute er sich: 276 Euro standen da als Rückzahlung auf der Abrechnung.


"Nach den vielen Kürzungen in den vergangenen Jahren dachte ich, jetzt wären mal warme Schuhe drin", stehen dem Mann die Tränen in den Augen. Die Antwort vom Amt kam nämlich prompt:

Die 276 Euro, die er als Rückzahlung verbucht hatte, werden mit den 691 Euro für den Monat Februar verrechnet.

"Das kann doch nicht sein. Da spart man und kriegt dann so die Beine weggehauen. Ich spare doch nicht fürs Amt, sondern für mich", findet Ihlow das ungerecht. Normalerweise hat er im Monat, nach allen Abzügen für Miete und anderes, magere 294 Euro zum Leben, nun blieben ihm für diesen Februar mal gerade noch 18 Euro.

Von nicht wenigen Passanten bekam Ihlow Zustimmung

Und das war zuviel für Ihlow. Gestern Mittag setzte er sich, in einen Schlafsack gehüllt und mit einem Schirm versehen, in den wärmsten Sachen, die er hat, auf einem Liegestuhl vor das Rathaus. "Ich mache hier einen Hungerstreik.

" Von nicht wenigen Passanten bekam Ihlow Zustimmung. Auch sie können es nicht verstehen, dass der 61-Jährige nun für seine doch eigentlich löbliche Sparsamkeit auch noch bestraft werden soll.


Auf Anfrage teilte das Sozialamt mit, dass der Bundesgesetzgeber da keinen Ermessensspielraum lasse. Die Rückzahlung der Betriebskosten sei in jedem Falle bei den "Kosten der Unterkunft" anzurechnen.


Anmerkung von Detlef Brock - Teammitglied des Sozialrechtsexperten RA L. Zimmermann:

Sehr geehrter Herr Ihlow, dass Sie Ihren Hungerstreik beendet haben, war die richtige Entscheidung, denn die 276 Euro aus Ihrem Betriebskostenguthaben sind unmittelbar auf die Unterkunftskosten anzurechnendes Einkommen, soweit die laufenden Abschläge aus Mitteln der Sozialhilfe übernommen worden waren.

Ein Guthaben aus einer Nebenkostenerstattung ist im Zuflussmonat in voller Höhe auf die Hilfe zum Lebensunterhalt bzw. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung anzurechnen, soweit dadurch die Hilfebedürftigkeit nicht vollständig entfällt.

Der Neufestsetzung der Grundsicherungsleistungen steht auch die Regelung des § 44 Abs. 1 Satz 4 SGB XII nicht entgegen, derzufolge bei einer Änderung, die nicht zu einer Begünstigung des Berechtigten führt, der neue Bewilligungszeitraum am Ersten des Folgemonats beginnt.

Denn diese Bestimmung, die nach ihrem Wortlaut ausdrücklich auf eine den Bewilligungszeitraum betreffende Änderung abstellt, ist nach ihrem Sinn und Zweck nicht auf einen - wie hier - einmaligen Einkommenszuwachs in nur einen Monat innerhalb des Bewilligungszeitraums anwendbar (vgl. BSG SozR 4-3500 § 44 Nr. 2, Rdnr. 19).

Vielmehr ist dieser Einkommenszuwachs im Zuflussmonat zu berücksichtigen (vgl. für den umgekehrten Fall eines zusätzlichen Einmalbedarfs, z.B. einer Heiz- oder Nebenkostennachforderung, als Bedarf im Fälligkeitsmonat: BSG SozR 4-4200 § 22 Nrn. 23, 38 und 47 sowie BSG SozR 4-3500 § 44 Nr. 2).



Tipp: Sie sollten vielleicht den Mehrbedarfszuschlag nach § 30 Abs. 5 SGB XII beim Sozialhilfeträger schriftlich beantragen.

Denn ein finanzieller Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung kann nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins von 2008 nicht ausgeschlossen werden für Erkrankungen der Colitis ulcerosa, einer Krebserkrankung und einer Morphintherapie bei Schmerzsyndrom.

Colitis ulcerosa und Krebs können zu den so genannten verzehrenden (konsumierenden) Erkrankungen gehören, bei denen gemäß Nummer II.2. 4.2 der Empfehlungen des Deutschen Vereins im Einzelfall ein erhöhter Ernährungsbedarf vorliegen kann.

Im Falle von Untergewicht oder eines schnellen krankheitsbedingten Gewichtsverlusts von 5 % in drei Monaten kann bei den sogenannten verzehrenden Erkrankungen nach Nr. II.2 4.2 der Empfehlungen des Deutschen Vereins regelmäßig von einem erhöhten Ernährungsbedarf ausgegangen werden .

Ansprüche auf Krankenkostzulagen bedürfen zur ihrer Begründung der Vorlage eines ärztlichen Attestes, in der Regel des behandelnden Arztes, der unter genauer Bezeichnung des Gesundheitsschadens die Notwendigkeit einer Krankenkost darlegen muss (6.0 der neuen Empfehlungen).

Samstag, 2. Februar 2013

Die aufgrund des Urteils des BVerfG vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) durch den Gesetzgeber mit Wirkung ab 01.01.2011 vorgenommene Neuregelung der existenzsichernden Sozialhilfeleistungen nach dem SGB XII – hier: der GSi bei Erwerbsminderung – ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

So die Rechtsauffassung des Sozialgericht Aachen, Urteil vom 29.01.2013 - S 20 SO 130/12 


Es besteht  kein Anlass für eine Vorlage der Rechtssache gemäß Artikel 100 GG an das Bundesverfassungsgericht.


Anmerkung: S.a. Die seit dem 1.1.2011 geltende Regelung zur Regelbedarfsstufe 3 ist verfassungsgemäß. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht kommt nicht in Betracht

So die Rechtsauffassung des Sozialgericht Berlin, Urteil vom 04.12.2012 - S 51 SO 2013/11 , Berufung wird zugelassen

1. Die Bemessung und Ermittlung des Bedarfes, der der Regelbedarfsstufe 3 zu Grunde gelegt worden ist, genügt den Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 9. Februar 2010 (AZ. 1 BvL 1/09 ua) aufgestellt hat.

2. Es bestehen Systemunterschiede zwischen SGB 2 und SGB 12, die die tatsächliche Lebenssituation von Leistungsempfängern nach dem SGB 2 und dem SGB 12 in einer Weise beeinflussen, dass die Regelungen zur Regelbedarfsstufe 3 (Anlage zu § 28 SGB 12) auch vor dem Hintergrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes des Art 3 GG nicht als verfassungswidrig anzusehen sind.

3. Der Gesetzgeber hat die unterschiedliche Bedarfshöhe von Personen der Regelbedarfsstufe 2 und Personen der Regelbedarfsstufe 3 schlüssig und nachvollziehbar begründet und erläutert, weshalb für Konstellationen wie der hier vorliegenden, in denen ein dauerhaft voll erwerbsgemindertes Kind im Haushalt der Eltern lebt, lediglich ein Bedarf in Höhe von 80% der Regelbedarfsstufe 1 besteht (ebenso im Ergebnis LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 10.06.2011, L 12 AS 1077/11 ; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 24.10.2011, L 8 SO 275/11 B ER).



Ein schönes, sonniges Wochenende wünscht allen Lesern das Team des Sozialrechtsexperten RA L. Zimmermann.

Freitag, 1. Februar 2013

Der absolute Nullpunkt - Die Jobcenter verhängen immer häufiger Sanktionen. Auch eine Kürzung der Hartz-IV-Leistungen um 100 Prozent ist möglich

»Die Minderung erfolgt für die Dauer von drei Monaten und beträgt 100 Prozent des Arbeitslosengeld II«, teilte die Sachbearbeiterin des Jobcenters der Stadt Forst dem erwerbslosen Bert Neumann* mit.

Als wäre diese Mitteilung nicht schon aussagekräftig genug, heißt es im nächsten Absatz des Schreibens: »Ihr Arbeitslosengeld II fällt in diesem Zeitraum komplett weg.

« Als Grund gab das Jobcenter an, Neumann sei einem Computergrundkurs des Bildungswerks »Futura GmbH« unentschuldigt ferngeblieben.

 »Ich wurde zum dritten Mal in den gleichen Computerkurs geschickt, der aber immer von unterschiedlichen Trägern veranstaltet wurde«, sagt der Erwerbslose der Jungle World.

Dort seien den Kursteilnehmern für die Jobsuche die Grundlagen der Internetnutzung beigebracht worden. Da Neumann seit Jahren mit Computern arbeitet, langweilte er sich in dem Kurs schon beim ersten Mal. Dass ihn die Sachbearbeiter des Jobcenters gleich dreimal zum Kursbesuch aufforderten, interpretiert er ebenso als Schikane wie den Totalentzug des ALG II.

Für den Kauf dringend benötigter Lebensmittel wurde ihm vom Amt ein Gutschein im Wert von 176 Euro ausgehändigt. Genussmittel dürfen damit nicht erworben werden. Wenn nicht der gesamte Betrag bei einem Einkauf ausgeben wird, verfällt der Restbetrag, weil kein Wechselgeld ausgezahlt werden darf.

Nach dem Ende der Sperre wird der Wert der Gutscheine monatlich mit zehn Prozent von seinen Hartz IV-Leistungen abgezogen, bis der Betrag beglichen ist.

Seit der Streichung des ALG II kann Neumann auch seine Miete nicht zahlen, er fürchtet die Kündigung.

Mittlerweile hat sein Anwalt Klage gegen den Totalentzug von Hartz IV eingereicht.

Seine Erfolgsaussichten sind nicht schlecht.

Eine 100-Prozent-Sanktion sei prinzipiell rechtmäßig, im Detail aber an sehr vielen Punkten angreifbar, sagt Harald Thomé, Referent für Arbeitslosen- und Sozialrecht beim Verein Tacheles, der Jungle World.

Erfolge gebe es regelmäßig.

 »Ich würde behaupten, dass in der juristischen Prüfung etwa 75 Prozent der Sanktionsbescheide kassiert werden.

« Eine Sanktion, die einen Wohnungsverlust zur Folge hat, sei verfassungswidrig, interpretiert Thomé anhand zweier Urteile des Bundesverfassungsgerichts zur Höhe von Hartz IV und zum Asylbewerberleistungsgesetz vom Februar 2009 und Juli 2012.

Allerdings ist der Weg durch die juristischen Instanzen zeitaufwendig. Ein Mensch, der befürchten muss, die Wohnung zu verlieren, hat diese Zeit oft nicht.


Quelle:


Anmerkung Team Sozialrechtsexperte:

Der Meinung von Herrn Harald Thomé ist nichts hinzuzufügen, wir schließen uns dieser Meinung an und untermauern dies mit aktueller Rechtsprechung zu Sanktionen im SGB II.

1. Die Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums umfasst auch Unterkunft und Heizung und wird in Bezug auf diese durch § 22 SGB II umgesetzt (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010, 1 BvL 1/09, Absätze 135, 136, 147, 148).


2. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen , Beschluss vom 21.12.2012 - L 12 AS 2232/12 B


In den Vorschriften des § 31 a Abs. 2 Satz 1, 31 SGB II kann weder ein Verstoß gegen Artikel 3 GG noch eine Altersdiskriminierung gesehen werden


§ 31 a Abs. 2 SGB II ist nicht verfassungswidrig(vgl. hierzu auch Herold Tews in Löns/Herold Tews, SGB II, 3. Auflage 2011, § 31a Rdz 13; Berlit in Münder, SGB II, 4. Auflage 2011, § 31 a Rdz 31).



3. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. September 2012 - L 19 AS 1334/12 B

Im Falle des § 31a Abs 3 S 2 SGB 2 führt eine fehlende Entscheidung über ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen zur Rechtswidrigkeit und Aufhebung des Sanktionsbescheides insgesamt.


4. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22.03.2012 -  L 6 AS 1589/10 , anhängig beim BSG unter dem Az.: B 4 AS 67/12 R

Sippenhaftung im Falle einer Sanktion bei den Kosten der Unterkunft ist dem Sozialrecht fremd.


Der Beitrag wurde erstellt von Detlef Brock.


Fehlerquote gesenkt- Jobcenter hat Erfolg mit „Bescheid-Erklärern“


Seit Juli 2012 gibt es ein neues Verfahren, bei dem Mitarbeiter Hartz-IV-Empfängern das Behördendeutsch erklären und Widersprüche gegen Bescheide erneut prüfen.

Dafür werden sogenannte „Bescheid-Erklärer“ eingesetzt (MAZ berichtete). Gestern zog das Amt eine positive Bilanz des ersten halben Jahres. „40 Prozent der Leute nehmen die Gelegenheit wahr“, sagte Konrad Bretschneider, Leiter der Rechtsbehelfsstelle des Jobcenters.

Im vergangenen Jahr hätten 115 Hartz-IV-Empfänger, die bei Bescheiden Widerspruch einlegten, bei einer Vorprüfung Recht bekommen. 42 von ihnen erhielten immerhin zum Teil eine positive Antwort. Dadurch landeten nur noch 802 Einwände bei der Rechtsbehelfsstelle.

Einen Widerspruch prüft immer der Jobcenter-Mitarbeiter erneut, der ihn auch ausgestellt hat. So kann eine Fehlentscheidung gleich zu Beginn korrigiert werden.

„Das führt zu einer größeren Zufriedenheit, weil wir schneller Fehler entdecken“, sagte Uta Kitzmann, Bereichsleiterin beim Jobcenter.

Wir haben festgestellt, dass die Zahl der Widersprüche viel zu hoch ist“, räumte Frank Thomann, Geschäftsführer des Jobcenters, ein. Mit dem neuen Verfahren erhofft er sich geringere Verwaltungsausgaben.

Kostenübernahme von Medizinal-Cannabis nur bei "Mindestevidenz"

Das SG Nürnberg hat entschieden, dass ein Patient nicht allein deswegen einen Anspruch auf Versorgung mit Medizinal-Cannabis ha...