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Wenn Verwandte Hartz-IV-Empfängern zur Tilgung ihrer Girokontoschulden Geld schenken, führt dies zu einer Kürzung des Arbeitslosengeldes II

BSG, Urteil vom 20.12.2011, - B 4 AS 200/10 R -


Nach § 11 Abs 1 S 1 SGB II sind als Einkommen Einnahmen in Geld oder Geldeswert zu berücksichtigen, mit Ausnahme der Leistungen nach dem SGB II, der Grundrente nach dem BVG und den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen und Renten und Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schäden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit erbracht werden. Dabei ist Einkommen iS des § 11 Abs 1 SGB II nach der Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate grundsätzlich alles, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält (BSGE 101, 291 = SozR 4-4200 § 11 Nr 15, RdNr 18; BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 17 RdNr 23; BSGE 106, 185 = SozR 4-4200 § 11 Nr 30, RdNr 15).


Verbindlichkeiten sind - abgesehen von der hier nicht einschlägigen Ausnahme der Aufwendungen zur Erfüllung von titulierten Unterhaltspflichten - nicht vom Einkommen abzuziehen (BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 18 RdNr 25). Da es bei der Einordnung lediglich auf den Zuwachs beim Leistungsberechtigten ankommt, ist unerheblich, ob und in welchem Umfang sich aufgrund der Zahlungen ein positiver Kontostand auf dem Konto der Klägerin ergeben hat.


Eine Nichtberücksichtigung kann nicht unter dem Gesichtspunkt erfolgen, dass die Zuwendungen als Darlehen zu qualifizieren wären. Eine Berücksichtigung der fraglichen Zuwendungen kann also nicht unter dem Gesichtspunkt verneint werden, dass die Zahlungen aufgrund eines zivilrechtlich wirksam abgeschlossenen Darlehensvertrages getätigt wurden und mit einer Rückzahlungsverpflichtung verbunden worden sind (vgl BSGE 106, 185 = SozR 4-4200 § 11 Nr 30, RdNr 17 ff).

Schließlich kann eine Nichtberücksichtigung auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Zweckbestimmung der Zuwendungen erfolgen. Nach § 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB II sind nicht als Einkommen Einnahmen zu berücksichtigen, soweit sie als zweckbestimmte Einnahmen einem anderen Zweck als die Leistungen nach dem SGB II dienen und die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären.


§ 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB II will verhindern, dass die besondere Zweckbestimmung einer Leistung durch Berücksichtigung im Rahmen des SGB II verfehlt wird, sowie dass für einen identischen Zweck Doppelleistungen erbracht werden (zuletzt BSG Urteil vom 18.1.2011 - B 4 AS 90/10 R - RdNr 21). Das BSG hat in ständiger Rechtsprechung zu der bis 31.3.2011 geltenden Rechtslage entschieden, dass zweckbestimmte Einkünfte auch auf privatrechtlicher Grundlage begründet werden können (BSGE 102, 295 = SozR 4-4200 § 11 Nr 24; BSG Urteil vom 18.1.2011 - B 4 AS 90/10 R - RdNr 21). Eine auf privatrechtlicher Grundlage erbrachte Leistung ist dann zweckbestimmt iS des § 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB II, wenn ihr über die Tilgungsbestimmung hinaus erkennbar eine bestimmte Zweckrichtung beigemessen ist.


Der erkennende Senat versteht dies als eine Vereinbarung, aus der sich objektiv erkennbar ergibt, dass die Leistung für einen bestimmten Zweck verwendet werden soll (privatrechtlicher Verwendungszweck; BSGE 102, 295 = SozR 4-4200 § 11 Nr 24; BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 29; BSG Urteil vom 18.1.2011 - B 4 AS 90/10 R - RdNr 22).


Unabhängig davon handelt es sich bei der Motivation des Vaters, der Klägerin im Ergebnis einen über dem Existenzminimum liegenden Lebensstandard zu verschaffen, auch nicht um einen gegenüber dem mit der Gewährung von SGB II-Leistungen verfolgten Zielen qualitativ abweichenden Zweck.



https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=151234&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=


Kommentare

  1. Lösungsvorschlag: Der Verwandte erwirbt vom Gläubiger die Forderung. Ob er sie dann geltend macht, ist seine Sache.
    Die Nichtgeltendmachung einer Forderung gegenüber einem pfändungsfreien ALG II-Empfänger dürfte diesem keinen Einkommenszuwachs bescheren. Sonst wäre schon die bloße "Ausbuchung als uneinbringlich", die Gläbiger bei Unpfändbaren regelmäßig vornehmen, ein Einkommenszuwachs. Damit hätte es ein Gläubiger in der Hand, dem zahlungsunfähigen Schuldner das ALG II zu entziehen, was evident falsch wäre.

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  2. "Unabhängig davon handelt es sich bei der Motivation des Vaters, der Klägerin im Ergebnis einen über dem Existenzminimum liegenden Lebensstandard zu verschaffen, auch nicht um einen gegenüber dem mit der Gewährung von SGB II-Leistungen verfolgten Zielen qualitativ abweichenden Zweck."

    Hm, das heißt also konsequenterweise, daß die Höhe des Kontostandes (oder der Umfang des Vermögens) nichts darüber aussagt, wie es dem betreffenden Menschen geht oder ob er ein (qualitativ) besseres oder schlechteres Leben führt.
    Der gegenüber einem Hatz4-Empfänger geringfügig bessere Verdienst eines Richters am BSG wirkt sich also nur quantitativ (in der Menge) aus, qualitativ ergibt sich daraus keine Abweichung.

    Da können wir ja beruhigt schlafen, wir Hartzer, denn es geht uns nicht nur wirklich gut, sondern auch gleich gut wie allen Anderen. Am besten schlafen wir aber ob der Gewissheit, daß man uns versteht, in Kassel.

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  3. @CBJ
    Das bedeutet, die Ziele des SGB II "Armut" sein sollen. Jeder Zuwachs der diese Armut mindert, ist als verwerflich, oder strafbar anzusehen. Das BSG wird "Armut" jedoch nach subjektiven Gesichtspunkten definieren, so, dass am Ende herauskommt, daß ein Existensminimum von 364.- Euro nicht dem Armutsbreich zuzuordnen wäre. Und das, wo eine Monatskarte mit dem Zug im Durchschnitt 150.- Euro kostet. Und wer nur 5.- Euro pro Tag an Lebensmitteln ausgibt, was eigentlich sehr unrealistisch sein dürfte, kommt im Monat auch auf 150.- Euro. Noch ärmer, kann niemand mehr unter reichen leben.

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  4. Der Tip von RA Splendor erscheint mir schon ganz folgerichtig, ist aber im täglichen Leben eher ungewöhnlich und setzt auch echte Verbindlichkeiten (Schulden) auf Seiten des Bedürftigen voraus.

    Im Sinne dieser als skandalös zu charakterisierende Gesetzgebung konstruiert also das Bundessozialgericht (BSG) folgendes: Ein privatrechtlicher Verwendungszweck einer Zuwendung kann ausreichen, sie nicht als Einkommen im Sinne des § 11 SGB II zu berücksichtigen. Prominentes Beispiel hierfür ist eine Schmerzensgeldzahlung, da hierdurch kein Vermögensschaden ausgeglichen wird.

    § 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB II will, so das BSG, verhindern, daß die besondere Zweckbestimmung einer Leistung durch Berücksichtigung im Rahmen des SGB II verfehlt wird, sowie, daß für einen identischen Zweck doppelte Leistungen erbracht werden. Das heißt also, soweit eine Leistung durch Dritte einen Zweck hat, wie ihn auch die Hatz4-Leistungen haben, liegt eine doppelte Leistung vor – sie wird angerechnet.

    Legt man das Prinzip der pauschalen Bedarfsdeckung zugrunde, sollen mit dem Hatz4-Regelsatz bereits alle Kosten der Abteilungen 1 bis 10 der EVS abgedeckt sein. Nur die Abteilungen 11 (Hotels und Gaststätten) und 12 (Andere Waren und Dienstleistungen) werden nicht berücksichtigt.

    Dies bedeutet also: Zuwendungen für Essen, Kleidung, Verkehr, Reparaturen, Wohnen, etc.: Anrechnung. Zuwendungen für Hotelübernachtungen und andere Waren und Dienstleistungen: keine Anrechnung. Demnach könnte man sich durch Dritte anrechnungsfrei so schöne Dinge finanzieren lassen wie einen Besuch bei einer Wahrsagerin, einen Personal Trainer oder eine Reise nach Indien zum Guru.

    Auch Geld für Alkoholika wäre eine Leistung mit anderer Zweckbestimmung als die Hatz4-Leistungen, und bliebe deswegen anrechnungsfrei. Alkoholische Getränke zählen nämlich nicht zur Abteilung 1 (Nahrungsmittel, alkoholfreie Getränke), sondern zur Abteilung 2 (Drogen), welche bei der Regelsatzbemessung vollständig nicht berücksichtigt worden ist. Somit können die bekannten Lieblingsbeschäftigungen und Grundbedürfnisse aller Hatz4-Empfänger, das Saufen und die Rauschgiftsucht, voll durch die Großzügigkeit ihrer Mitmenschen gesichert werden, ohne daß etwas von der monatlichen Zuwendung gekürzt werden dürfte.

    Sieht man vom Pauschalprinzip ab und schlüsselt die Abteilungen der EVS nach Einzelposten auf, könnten auch Zuwendungen für einen Pelzmantel als Unterfall der Abteilung 3 (Bekleidung und Schuhe) ebenso anrechnungsfrei bleiben wie Anschaffung und Betrieb eines Segelflugzeugs als Unterfall der Abteilung 9 (Freizeit, Unterhaltung, Kultur).

    Nun aber im Ernst: Was aber wären denkbare weitere Zwecke, für welche Zuwendungen nach dieser Lesart anrechnungsfrei wären?
    Anschaffungen? – Angeblich enthalten. Bildung? – Auch berücksichtigt. Kunst sammeln? – Müßte eventuell zu Geld gemacht werden. Teure Zigarren rauchen als Posten der Abteilung 2 (Drogen)?
    Oder was bleiben sonst noch für Möglichkeiten, bei denen man eine Anrechnungsfreiheit begründen könnte?? Besuch im Swingerklub? – Gib‘ mir bitte jemand Input!

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  5. t





    Leute, gebt doch Bedürftigen das Geld in Bar. Das merkt kein Schwein. Was soll diese blöde Überweiserei, da die ARGEN doch die Konten ausspionieren?

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  6. Hallo möchte Ihr etwas bares geben doch sie wohnt 250 km entfernt. Was nun?

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