Das Gesetz über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung
I. Einleitung
Mit
der Verkündung im Bundesgesetzblatt (BGBl I Nr. 27 v. 26.06.2014, S.
787) ist das (zumindest bislang) wohl umstrittenste
Gesetzgebungsverfahren der 18. Wahlperiode zu Ende gegangen. Das relativ
kurze und dadurch auf den ersten Blick unspektakulär erscheinende
„RV-Leistungsverbesserungsgesetz“ vom 23.06.2014 ist im Wesentlichen am
01.07.2014 in Kraft getreten. In der vorangegangenen politischen Debatte
war häufig vom „Rentenpaket“ die Rede (auch der Internetauftritt des
BMAS zur Bürgerinformation über die Neuerungen findet sich unter
www.rentenpaket.de). Diese Bezeichnung erscheint auch aus juristischer
Sicht treffend, sind doch in das Gesetzesvorhaben gleich mehrere
(inhaltlich ganz unterschiedliche) Ansätze hineingepackt worden, um die
Ansprüche der in der gesetzlichen Rentenversicherung Versicherten
auszuweiten.
Das
Rentenpaket dient der Verwirklichung der wichtigsten sozialpolitischen
Ziele der Koalitionspartner, für die im Vorfeld der Bundestagswahl vom
22.09.2013 bei den Wählern um Zustimmung geworben worden war. Der
politische Kompromisscharakter zeigt sich also in diesem Fall vor allem
durch die Kumulierung der „Leistungsverbesserungen“. Schlagwortartig
zusammengefasst (und untechnisch bezeichnet) enthält das Paket im
Wesentlichen die folgenden vier Bestandteile:
- • Rente mit 63,
- • Mütterrente,
- • Anhebung der Erwerbsminderungsrenten,
- • Steigerung des Rehabilitations-Budgets.
II. Rente mit 63
Bei
der Möglichkeit, vom vollendeten 63. Lebensjahr an eine abschlagsfreie
Rente in Anspruch zu nehmen, handelt es sich um eine Sonderregelung mit
zeitlich begrenztem Anwendungsbereich. Sie gilt in vollem Umfang nur
noch für die Geburtsjahrgänge bis einschließlich 1952 (also Personen,
die bis Ende 2015 ihren 63. Geburtstag haben werden). Für Versicherte,
die in den Jahren 1953 bis 1963 geboren wurden, ist das frühestmögliche
Renteneintrittsalter gestaffelt worden. Es steigt sukzessive für jedes
Jahr der späteren Geburt um zwei Monate an. Die Einzelheiten lassen sich
der in § 236b Abs. 2 SGB VI enthaltenen Tabelle entnehmen. Vom
01.01.1964 an Geborene werden von der Absenkung der Altersgrenze durch
das RV-Leistungsverbesserungsgesetz nicht mehr begünstigt; für diesen
Personenkreis bleibt es bei dem Erfordernis der Vollendung des 65.
Lebensjahres, wie es sich bereits seit 2012 in § 38 SGB VI findet. Damit
wird den Betroffenen zumindest die abschlagsfreie Inanspruchnahme einer
Altersrente vor der für sie bereits geltenden Regelaltersgrenze von 67
Jahren ermöglicht. Für alle genannten Alterskohorten gilt
übereinstimmend die weitere Voraussetzung der Erfüllung der langen
Wartezeit von 45 Jahren. Die damit in aller Regel nachgewiesene
jahrzehntelange Beitragszahlung wird vom Gesetzgeber als Rechtfertigung
des früheren abschlagsfreien Rentenzugangs angesehen (vgl. BT-Drs. 18/909, S. 2 und passim).
Zum
Verständnis der mit dem RV-Leistungsverbesserungsgesetz herbeigeführten
Änderungen ist es wichtig, sich zu verdeutlichen, dass die „Rente mit
63“ keine eigenständige neue Rentenart darstellt. Sie ist vielmehr eine
besondere Ausprägung der bereits mit Wirkung zum 01.01.2012 eingeführten
Rente für besonders langjährig Versicherte gemäß § 38 SGB VI. Die durch
das RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554)
geschaffene Rechtslage ist lediglich modifiziert worden – wenn auch
hinsichtlich beider maßgebender Tatbestandsvoraussetzungen, dem
(frühestmöglichen) Renteneintrittsalter und der (Möglichkeiten zur
Erfüllung der) Wartezeit. Eine Evaluation dieser Neuerungen wird durch
eine diesbezügliche Berichtspflicht der Bundesregierung angestrebt (§
154 Abs. 4 Satz 3 SGB VI).
1. Altersgrenze
Während
bislang für die Inanspruchnahme einer Altersrente für besonders
langjährig Versicherte gemäß § 38 SGB VI eine einheitliche Altersgrenze
von 65 Jahren galt, ist nunmehr durch die Sonderregelung des § 236b SGB
VI deren vorübergehende Herabsetzung auf bis zu 63 Jahre angeordnet
worden. Dieses Minimum gilt indes lediglich für die bis zum 31.12.1952
Geborenen. Für die Jahrgänge von 1953 bis 1963 erhöht sich die
Altersgrenze um zwei Monate pro Geburtsjahr, also von 63 Jahren und zwei
Monaten (für die 1953 Geborenen) auf 64 Jahre und zehn Monate (für die
1963 Geborenen). Für die Jahrgänge ab 1964 bleibt es bei der
Anspruchsvoraussetzung der Vollendung des 65. Lebensjahres.
Die
damit verbundene Begünstigung der (heute schon rentennahen) Jahrgänge
bis einschließlich 1963 rechtfertigt der Gesetzgeber mit dem Gedanken,
dass diese von der fortschreitenden Verbesserung der Arbeitsbedingungen
weniger oder gar nicht profitiert hätten (BT-Drs. 18/909,
S. 13). Damit klingt – wie auch an anderen Stellen der
Gesetzesmaterialien – die Idee an, die betroffenen besonders langjährig
Versicherten, die naturgemäß bereits in jungen Jahren eine
Berufstätigkeit aufgenommen haben, seien am Ende ihrer Kräfte, so dass
ihnen die Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung bis zum
65. Geburtstag nicht zumutbar sei. Diese vergröbernde Sicht der Dinge
führt jedoch zu einem recht holzschnittartigen Bild der betreffenden
Rentenberechtigten, die die 45-jährige Wartezeit erfüllen. Tatsächlich
scheint diese Gruppe eher heterogen zusammengesetzt zu sein. Aus
rentenrechtlicher Sicht fällt zudem auf, dass diese Argumentation eher
zu einer Ausweitung der Erwerbsminderungs- als der Altersrente passen
würde.
Durch
die vorübergehende Herabsetzung der maßgebenden Altersgrenze erfährt
die – grundsätzlich in § 38 SGB VI geregelte – Rente für besonders
langjährig Versicherte in den nächsten Jahren eine deutliche Aufwertung.
Diese besondere Rentenart hat ihre Bedeutung an sich schon darin, dass
sie neben der Altersrente für schwerbehinderte Menschen nach § 37 SGB VI
der einzige Weg ist, eine Altersrente der gesetzlichen
Rentenversicherung vor Vollendung des 67. Lebensjahres ohne Abschläge zu
erhalten. Diese Regelaltersgrenze des § 35 SGB VI betrifft allerdings
auch erst die Geburtsjahrgänge ab 1964. Für ältere Versicherte enthält §
235 SGB VI eine Übergangsregelung. So gilt etwa für 1952 Geborene
ohnehin nur eine Altersgrenze von 65 Jahren und sechs Monaten (§ 235
Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Dadurch hatte die besondere Rentenart des § 38
SGB VI bislang (und in den nächsten Jahren) nur einen begrenzten
Anwendungsbereich und überschaubare Auswirkungen. Ihre Begünstigung
beschränkte sich auf die Ermöglichung eines um wenige Monate
vorgezogenen Renteneintritts – entsprechend gering wären gegenwärtig die
ersparten Abschläge. So gesehen stellt das nunmehr in § 236b SGB VI
normierte gestaffelte Renteneintrittsalter nur eine folgerichtige
Konsequenz zu der vergleichbaren Regelung des § 235 SGB VI dar. Der
Vorteil, den besonders langjährig Versicherte beim niedrigeren
Rentenzugangsalter genießen, bleibt dadurch in etwa konstant (ca. zwei
Jahre).
2. Wartezeit
a) Überblick
Während
also die Änderungen der Altersgrenzen für den abschlagsfreien Bezug
einer Rente für besonders langjährig Versicherte eher den Charakter
einer Übergangsregelung haben, sind die Modifikationen der 45-jährigen
Wartezeit von dauerhafter Geltung. Sie wirken sich nicht nur auf die
Fälle des § 236b SGB VI, sondern auf alle zukünftigen Altersrenten nach §
38 SGB VI aus. Dieser Aspekt der „Rente mit 63“ dürfte daher sogar von
größerer rechtlicher Bedeutung sein. Die diesbezüglichen
Änderungsvorschriften waren im Gesetzgebungsverfahren auch besonders
umstritten. Die in Kraft getretene Regelung beruht auf den Beratungen im
Ausschussverfahren. Der schließlich Gesetz gewordene politische
Kompromiss innerhalb der großen Koalition folgt auch hier dem
Günstigkeitsprinzip. Beide Seiten haben eine Erweiterung des Tatbestands
für bestimmte Zeiten durchgesetzt, so dass die Neuregelung nun
insgesamt sehr viel großzügiger ausgestaltet ist als das alte Recht. Zur
Erfüllung der 45-jährigen Wartezeit kommen heute alle Kalendermonate
mit folgenden Zeiten in Betracht, wenn sie nicht durch
Versorgungsausgleich oder Rentensplitting ermittelt werden:
- •
- Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit (wie bisher, allerdings nunmehr grundsätzlich unter Einschluss der in § 55 Abs. 2 SGB VI genannten Zeiten),
- •
- Berücksichtigungszeiten (wie bisher),
- •
- (neu seit dem 01.07.2014) Zeiten des Bezugs von
- a)
- Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung (außer solche in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn, es sei denn, der Bezug war durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt),
- b)
- Leistungen bei Krankheit und
- c)
- Übergangsgeld,
soweit sie Pflichtbeitragszeiten oder Anrechnungszeiten sind, - •
- (neu seit dem 01.07. 2014) freiwillige Beiträge, wenn mindestens 18 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vorhanden sind (außer solche in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn, wenn gleichzeitig Anrechnungszeiten wegen Arbeitslosigkeit vorliegen),
- •
- Ersatzzeiten nach den §§ 250 f. SGB VI (wie bisher).
b) Zeiten der Arbeitslosigkeit
Vor
allem die (zeitlich unbegrenzte) Berücksichtigung des Bezugs von
Arbeitslosengeld war politisch hochumstritten. Angesichts des ohnehin
hohen Begründungsaufwands zur Rechtfertigung der (vorübergehenden)
Ermöglichung einer abschlagsfreien Inanspruchnahme der Rente für
besonders langjährig Versicherte bereits ab dem 63. Geburtstag, erschien
den Kritikern die Gleichstellung jahrzehntelanger Erwerbstätigkeit mit
möglicherweise langjähriger Arbeitslosigkeit fragwürdig. Der Gesetzgeber
hat sich letztlich für einen Mittelweg entschieden. Zum einen hat er
die anrechenbaren Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung auf die
entsprechenden, zuvor erarbeiteten Versicherungsleistungen beschränkt.
Zu diesem Zweck schließt § 244 Abs. 3 Satz 1 SGB VI die Berücksichtigung
von Zeiten des Bezugs von Arbeitslosenhilfe und
Arbeitslosengeld II ausdrücklich aus. Zum anderen wirken sich
entsprechende Pflichtbeitrags- oder Anrechnungszeiten bei
Arbeitslosigkeit grundsätzlich nicht mehr auf die Erfüllung der
Wartezeit aus, soweit sie in den letzten zwei Jahren vor dem
beabsichtigten Rentenbeginn liegen. So wollte der Gesetzgeber
verhindern, dass aus der „Rente mit 63“ eine „Rente mit 61“ wird. Dies
droht, wenn ein bestehendes Arbeitsverhältnis entsprechend früher
aufgegeben wird, um die Zwischenzeit bis zur Altersrente mit dem Bezug
von Arbeitslosengeld zu überbrücken, wie es bei den
Frühverrentungsmodellen der 1990er Jahre üblich war. Dieser
Gesetzeszweck wird durch den in § 51 Abs. 3a Satz 1 SGB VI normierten
sog. „rollierenden Stichtag“ am besten erreicht, weil die Einschränkung
stets (nur) für die letzten beiden Jahre vor dem individuellen
Rentenbeginn gilt. Sie greift im selben zeitlichen Rahmen auch ein, wenn
während einer Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit freiwillige
Beiträge entrichtet werden. Wenn jedoch während des Bezugs von
Arbeitslosengeld (etwa wegen einer geringfügigen Nebenbeschäftigung)
Pflichtbeitragszeiten nach § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 1 SGB VI anfallen,
kann mit diesen die Wartezeit bis zum Renteneintritt erfüllt werden.
Dasselbe Ergebnis ist in der gesetzlichen Rückausnahme des § 51 Abs. 3a
Satz 1 Nr. 3 HS. 2 SGB VI für den Fall vorgesehen, dass „der Bezug von
Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung durch eine Insolvenz oder
vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt“ worden ist.
Damit hat der Gesetzgeber Anfang und Ende einer langen Kausalkette mit
vielen Zwischenschritten beschrieben. Ausreichen dürfte zumindest, wenn
die Beschäftigungslosigkeit auf einer betriebsbedingten Kündigung
beruht, die wegen Insolvenz oder vollständiger Geschäftsaufgabe des
Arbeitgebers ausgesprochen worden ist. Mit dieser Rückausnahme versucht
der Gesetzgeber, dem Gerechtigkeitsempfinden zu entsprechen, schafft
dabei aber neue Ungerechtigkeiten. Weitergehende Vorschläge, jeden
unfreiwilligen Verlust des Arbeitsplatzes zu privilegieren (und den
Ausschluss von der Anrechnung auf die 45-jährige Wartezeit etwa auf
Fälle zu beschränken, in denen eine Sperrzeit nach § 159 SGB III
eingetreten ist), haben sich im Gesetzgebungsverfahren nicht
durchgesetzt. So bleibt die Rechtfertigung der mit der Rückausnahme
verbundenen Selektion vor dem Hintergrund des allgemeinen
Gleichheitssatzes aus Art. 3 GG fragwürdig.
c) Zeiten der freiwilligen Versicherung
Die
Neuregelung des § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 4 SGB VI, wonach die lange
Wartezeit für die Altersrente für besonders langjährig Versicherte u.U.
auch durch freiwillige Beiträge erfüllt werden kann, führt zu einer
deutlichen Aufwertung dieser Option. Die freiwillige Versicherung steht
im SGB VI seit dem Rentenreformgesetz 1972 nahezu jedem offen, der nicht
pflichtversichert ist (vgl. § 7 SGB VI). Gleichwohl sind die
Versichertenzahlen überschaubar geblieben. Von den in der gesetzlichen
Rentenversicherung aktiv Versicherten sind weniger als 1% freiwillig
versichert. Deren Beitrag zur Stabilisierung des Systems würdigt der
Gesetzgeber nun mit der Möglichkeit, durch freiwillige Beitragszahlung
die 45-jährige Wartezeit (teilweise) zu erfüllen. Dabei knüpft die
gesetzliche Ausgestaltung in § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 4 SGB VI deutlich
an die Regelungen über die Versicherungspflicht für selbstständig tätige
Handwerker an. Diese sind gemäß § 2 Satz 1 Nr. 8 SGB VI grundsätzlich
versicherungspflichtig, können sich aber von der Versicherungspflicht
befreien lassen, wenn für sie mindestens 18 Jahre lang Pflichtbeiträge
gezahlt worden sind (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI). In diesem Fall
haben sie die Wahl zwischen einer freiwilligen Versicherung und einer
privaten Altersvorsorge. Die Entscheidung für die Zahlung freiwilliger
Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung wird nun dadurch honoriert,
dass auch diesem Personenkreis der Weg in die „Rente mit 63“
offensteht. Neben den freiwilligen Beiträgen müssen aber in jedem Fall
mindestens 18 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte
Beschäftigung oder Tätigkeit nachgewiesen sein.
d) Verfahrensrechtliches
Die
oben dargestellte materiell-rechtliche Differenzierung zwischen
rentenrechtlichen Zeiten, die auf dem Bezug von Arbeitslosengeld beruhen
und solchen, die auf dem Bezug von Arbeitslosenhilfe oder
Arbeitslosengeld II beruhen (vgl. § 244 Abs. 3 Satz 1 SGB VI), wirkt
sich auch auf das Verwaltungsverfahren (und ggf. den
Sozialgerichtsprozess) aus. Sie führt zu der Notwendigkeit, bei der
Prüfung der 45-jährigen Wartezeit zu ermitteln, welche Leistungen bei
Arbeitslosigkeit der Rentenantragsteller wann erhalten hat. Insoweit
besteht die besondere Problematik, dass sich aus den bei den
Rentenversicherungsträgern geführten Versicherungskonten zumindest für
die Jahre 1978 bis 2000 nicht entnehmen lässt, ob der Versicherte
Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe bezogen hat; für noch weiter
zurückliegende Zeiten fehlt es sogar an einem Nachweis für die Tatsache
des Leistungsbezugs. Dieser Umstand war für die DRV Bund Anlass zu
Kritik im Gesetzgebungsverfahren: Die geplante Neuregelung lasse sich
nicht durch eine vollmaschinelle Prüfung der Voraussetzungen umsetzen.
Stattdessen wird es nötig werden, bei Rentenantragstellern, die für die
Erfüllung der 45-jährigen Wartezeit auf die Berücksichtigung von Zeiten
der Inanspruchnahme von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung
angewiesen sind, einen Einzelnachweis zu führen. Dies wird dadurch
erschwert, dass auch die Bundesagentur für Arbeit – nach ihren Angaben
im Gesetzgebungsverfahren – hier nicht helfen kann. Entsprechende Akten
sind wegen Ablaufs der Aufbewahrfristen in der Regel längst vernichtet
worden, so dass die fehlenden Daten den Rentenversicherungsträgern nicht
mehr übermittelt werden können. Am ehesten könnten wohl die
Krankenkassen noch über entsprechende Daten verfügen. Für den Fall, dass
der Nachweis eines anwartschaftsbegründenden Leistungsbezugs nicht
(mehr) gelingt, lässt § 244 Abs. 3 Satz 2 SGB VI ausdrücklich die
Glaubhaftmachung genügen. Das hat zur Folge, dass nicht die volle
Überzeugung vom Vorliegen einer entscheidungserheblichen Tatsache nötig
ist, sondern deren überwiegende Wahrscheinlichkeit genügt (vgl. § 23
Abs. 1 Satz 2 SGB X). In § 244 Abs. 3 Satz 3 SGB VI werden die
Rentenversicherungsträger berechtigt, ihren Versicherten zur
Glaubhaftmachung eine Versicherung an Eides statt abzunehmen. Dabei
haben sie die Vorgaben des § 23 SGB X zu beachten. Auch einer
eidesstattlichen Versicherung darf allerdings nicht blind vertraut
werden. Eine gewisse Plausibilitätskontrolle wird man verlangen müssen,
um Missbrauch zu verhindern. Dies erfordert zumindest Grundkenntnisse
des AFG bzw. des SGB III über die maximalen Bezugszeiten des
Arbeitslosengeldes zur jeweiligen Zeit. Die damit für den Versicherten
verbundene Gefahr, einer falschen Versicherung an Eides statt überführt
zu werden, hat im Gesetzgebungsverfahren zu Kritik des DAV an dieser
Lösung geführt. Er hielt es für unangemessen, den Bürger der Gefahr der
Strafbarkeit auszusetzen (vgl. NZS 2014, 331).
III. Mütterrente
Die
zweite große Leistungsverbesserung, die der Gesetzgeber in das
Rentenpaket „gepackt“ hat, ist die sog. Mütterrente. Finanziell weist
sie mit Abstand das größte Volumen aller Änderungen auf; sie wird auf
absehbare Zeit zu Mehrkosten von über 6 Mrd. Euro jährlich führen. Auch
bei der sog. Mütterrente handelt es sich keineswegs um eine neue
Rentenart. Das RV-Leistungsverbesserungsgesetz führt lediglich zu einer
modifizierten Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten gemäß § 56 SGB
VI. Diese wirken sich rentensteigernd bzw. anwartschaftserhöhend aus,
weil es sich um rentenrechtliche Beitragszeiten handelt, die nach § 70
Abs. 2 SGB VI mit etwa einem Entgeltpunkt pro Jahr bewertet werden. Der
entsprechende Versicherungspflichttatbestand ist in § 3 Satz 1 Nr. 1 SGB
VI geregelt; die Beiträge werden nach Maßgabe von § 177 SGB VI in
pauschalierter Form vom Bund gezahlt. Versichert ist grundsätzlich die
Erziehung eines Kindes während der ersten drei Lebensjahre. Etwas
anderes gilt aufgrund der Sonderregel des § 249 Abs. 1 SGB VI für die
Erziehung von Kindern, die vor dem 01.01.1992 geboren wurden. Zugunsten
der hiervon betroffenen Eltern wurden bislang nur maximal zwölf Monate
als Kindererziehungszeit berücksichtigt. Durch das
RV-Leistungsverbesserungsgesetz ist dieser Wert auf 24 Kalendermonate
verdoppelt worden. Dadurch hat sich zugleich der Nachteil gegenüber der
Erziehung von nach dem Stichtag geborenen Kindern halbiert.
Im
Gesetzgebungsverfahren bestand von Anfang an der politische Wille, die
umfänglichere Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten nicht auf
künftige Renteneintritte zu beschränken, sondern sie auch Eltern
zugutekommen zu lassen, die bereits eine Rente beziehen. Auf der anderen
Seite sollte es wegen des damit verbundenen enormen Verwaltungsaufwands
vermieden werden, alle Bestandsrenten, in denen nach altem Recht zwölf
Monate als Kindererziehungszeit angerechnet worden waren, völlig neu zu
berechnen. So ist es zu der Sondervorschrift des § 307d SGB VI gekommen.
Danach erhalten Versicherte, die schon am 30.06.2014 Anspruch auf eine
Rente hatten, einen Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten (im
Regelfall genau einen pro Kind) für die Kindererziehung. Voraussetzung
dafür ist, dass bei der Rentenberechnung nach altem Recht auch der
zwölfte Kalendermonat nach der Geburt noch als Kindererziehungszeit
berücksichtigt worden ist. Zudem darf für dieses Kind kein Anspruch auf
Kindererziehungsleistung für vor dem 01.01.1921 bzw. 1927 geborene
Mütter aus den §§ 294 f. SGB VI (die im Übrigen in der Höhe ebenfalls
verdoppelt worden ist) bestehen. Die für (die zahlreichen) Altfälle mit
der Gewährung des Zuschlags verbundenen Abweichungen von der regelhaften
Rentenberechnung (eingehend zu den Auswirkungen Dünn/Stosberg, DRV
2014, 74, 77 ff.) dürften sich mit dem Charakter des § 307d SGB VI als
Übergangsvorschrift verfassungsrechtlich rechtfertigen lassen.
Anders
als in Bezug auf die Rente mit 63 gab es hinsichtlich der Mütterrente
einen breiten politischen und gesellschaftlichen Konsens. Die Halbierung
der Differenz zwischen den Kindererziehungszeiten für bis 1991 und ab
1992 geborene Kinder wird allgemein für gerecht gehalten. Bedenken
wurden im Gesetzgebungsverfahren allein wegen der mit der Neuregelung
verbundenen Kosten geäußert. Dabei ließ sich anführen, dass die frühere
Stichtagsregelung von BSG und BVerfG gebilligt worden war, so dass an
sich kein zwingender Handlungsbedarf für den Gesetzgeber bestand. Neben
die Ausgangsfrage der Finanzierbarkeit der enormen Ausgabensteigerungen
der Rentenversicherungsträger infolge der Mütterrente trat die
Folgefrage nach der Verantwortlichkeit für die Aufbringung der
erforderlichen Mittel. Angesichts der gegenwärtig günstigen
Finanzsituation der Rentenversicherungsträger hat sich der Gesetzgeber
dafür entschieden, hierfür zunächst keine zusätzlichen Zahlungen aus dem
allgemeinen Bundeshaushalt vorzusehen. Die Regelung des § 177 SGB VI
über die Berechnung des Betrags, den der Bund zur pauschalen Abgeltung
der Beitragszahlung für Kindererziehungszeiten leistet, ist durch das
RV-Leistungsverbesserungsgesetz nicht an deren Ausweitung angepasst
worden. Lediglich der allgemeine Bundeszuschuss zu den Ausgaben der
Rentenversicherung (§ 213 Abs. 2 SGB VI) soll in den Jahren 2019 bis
2022 jeweils um 400 Mio. Euro steigen. Dies hat eine heftige
rechtspolitische Diskussion über die Finanzierung der sog.
versicherungsfremden Leistungen hervorgerufen.
IV. Anhebung der Erwerbsminderungsrenten
Erstmalig
gewährte Renten bei (voller) Erwerbsminderung sind immer häufiger nicht
bedarfsdeckend im grundsicherungsrechtlichen Sinne. Die Betroffenen
sind darauf angewiesen, Unterhaltsansprüche geltend zu machen, ihr
Vermögen aufzuzehren oder Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB
XII in Anspruch zu nehmen (Letzteres trifft auf ca. 12% der EM-Rentner,
aber nur ca. 2% der Altersrentner zu). Man nimmt an, dass die
Dunkelziffer derjenigen, die unter dem staatlich gewährleisteten
Existenzminimum leben, steigt. Angesichts dieses Befunds waren sich alle
politisch Verantwortlichen über das „Ob“ der diesbezüglichen
Leistungsverbesserung einig. Streitig blieb nur das Ausmaß der Anhebung
der Erwerbsminderungsrenten. Unterschiedliche Vorstellungen gab es auch
darüber, auf welchem Weg das Ziel rentenrechtlich am besten zu erreichen
ist. Die große Koalition hat sich schließlich für die Kombination
zweier Mittel entschieden, die die Berechnung der
Erwerbsminderungsrenten modifizieren. Die Novellierung führt zu einer
deutlichen prozentualen Steigerung der Rentenhöhe (eingehend dazu die
Studie von Gasche/Härtl, DRV 2013, 245). Die Diskussion über weitere
Verbesserungen in diesem Bereich hält dessen ungeachtet an; im Gespräch
ist vor allem die Streichung der je nach Renteneintrittsalter
gestaffelten Abschläge nach § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI.
1. Zurechnungszeit
Durch
das RV-Leistungsverbesserungsgesetz ist zum einen die sog.
Zurechnungszeit verlängert worden, indem das in § 59 Abs. 2 Satz 2 SGB
VI normierte Zielalter von 60 auf 62 Jahre angehoben worden ist.
Zugleich ist damit der Anwendungsbereich auf alle Versicherten erweitert
worden, die beim Eintritt der Erwerbsminderung das 62. Lebensjahr noch
nicht vollendet haben (§ 59 Abs. 1 SGB VI). Durch die Zurechnungszeit
wird der erwerbsgeminderte Versicherte so gestellt, als wenn er bis zu
diesem Alter weiterhin sein zuvor durchschnittlich erarbeitetes
Erwerbseinkommen erzielt hätte. Dies ist vor allem bei einem Eintritt
des Leistungsfalls in jungen Jahren von erheblicher Bedeutung für die
Absicherung dieses Lebensrisikos. Die mit der Zurechnungszeit verbundene
Rentensteigerung auf ein Niveau, das der Versicherte mutmaßlich während
eines üblich langen, ununterbrochenen Erwerbslebens erreicht hätte,
wird durch die Rechtsänderung zum 01.07.2014 letztlich auch an das im
Durchschnitt seit Jahren steigende Rentenzugangsalter angepasst.
2. Feststellung der Entgeltpunkte
Im
Zusammenhang mit dieser die Berechnung einer Erwerbsminderungsrente
prägenden Besonderheit steht auch die zweite Neuerung. Sie betrifft die
Ermittlung der Entgeltpunkte für die Zurechnungszeit (und andere
beitragsfreie Zeiten). Die dafür entscheidende Gesamtleistungsbewertung
nach § 71 SGB VI ist für die Höhe einer Erwerbsminderungsrente von
besonderer Bedeutung. Die Gesetzesnovelle knüpft an den Umstand an, dass
sich zurückliegende Versicherungszeiten mit unterdurchschnittlichen
Einkünften im Ergebnis sogar rentenmindernd auswirken können. Dies soll
künftig für Zeiten in den letzten vier Jahren vor dem Versicherungsfall
durch eine (von Amts wegen in jedem Antragsverfahren durchzuführende)
Günstigerprüfung verhindert werden. Dahinter steht der Gedanke, dass
Krankheiten und Behinderungen i.S.v. § 43 SGB VI, die zu einer
quantitativen Herabsetzung des Leistungsvermögens führen, nicht von
heute auf morgen entstehen. Deshalb wird es häufig so sein, dass der
Versicherte schon in den letzten Jahren vor Eintritt der
Erwerbsminderung nicht mehr sein ungeschmälertes Leistungsvermögen
abrufen konnte. Das mag auch bereits zu Einkommenseinbußen geführt
haben. Dass sich die dadurch verursachten niedrigeren Beiträge zur
gesetzlichen Rentenversicherung nicht zulasten des Versicherten
auswirken, wird durch den neuen zweiten Halbsatz des § 73 Satz 1 SGB VI
erreicht. Dieser modifiziert die Vergleichsbewertung, die als Korrektiv
der Grundbewertung des § 72 SGB VI dazu dient, zu verhindern, dass die
in § 73 Satz 1 Nr. 1 bis 3 SGB VI aufgeführten Zeiten zu einem
niedrigeren Durchschnittswert an Entgeltpunkten führen. Nunmehr bleiben
bei der Gesamtleistungsbewertung für Erwerbsminderungsrenten auch die
während der letzten vier Jahre vor dem Versicherungsfall erworbenen
Entgeltpunkte außer Betracht, wenn die Vergleichsbewertung dadurch zu
einem höheren Ergebnis führt. Die maßgebende Dauer von vier Jahren für
diese Günstigerprüfung ist eine gegriffene Größe; sie steht aber fest
und ist nicht variabel. Andernfalls hätte der Gesetzgeber einen Zeitraum
von „bis zu vier Jahren“ von der Berücksichtigung ausnehmen müssen.
Dies hätte aber zu einer monatsweisen Vergleichsberechnung geführt und
wäre mit einem erheblich höheren Verwaltungsaufwand verbunden gewesen.
V. Erhöhung des Rehabilitations-Budgets
Der
vierte größere Posten im Rentenpaket ist die neue Berechnungsweise des
Rehabilitations-Budgets. Damit sollen die Rentenversicherungsträger in
die Lage versetzt werden, den Umfang ihrer Leistungen zur medizinischen
und beruflichen Rehabilitation an die Bevölkerungsentwicklung
anzupassen. Die durch das RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz forcierte
höhere Beteiligung älterer Arbeitnehmer am Erwerbsleben einerseits und
die demographische Entwicklung innerhalb der Arbeitnehmerschaft
andererseits werden in den kommenden Jahren zu einem steigenden Bedarf
an Teilhabeleistungen führen. Darauf hat der Gesetzgeber nun reagiert.
Er beabsichtigt indes keine Leistungsausdehnung im Einzelfall, so dass
die in den §§ 9 ff. SGB VI geregelten Voraussetzungen der Leistungen zur
Teilhabe unverändert geblieben sind. Die Änderung durch das
RV-Leistungsverbesserungsgesetz bezieht sich vielmehr auf die
Finanzierung dieser Leistungen und führt (in den nächsten Jahren) zu
einer Steigerung der insoweit zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel.
Diese werden grundsätzlich durch die Vorgaben des § 220 SGB VI begrenzt,
der ebenfalls unverändert fortgilt. Dessen Berechnungsgrundlagen werden
allerdings durch § 287b SGB VI modifiziert, dem nun rückwirkend zum
01.01.2014 ein neuer Absatz 3 angefügt worden ist. Durch diese
Vorschrift wird die Berechnung um eine Demographiekomponente ergänzt.
Dieser für jedes Kalenderjahr bis 2050 bereits in der Tabelle im
Gesetzestext festgeschriebene Faktor führt in den ersten vier Jahren zu
einer überproportionalen Steigerung des Rehabilitations-Budgets. Nach
Angaben des BMAS stehen dadurch 2014 rund 100 Mio. Euro zusätzlich zur
Verfügung, 2017 werden es 233 Mio. Euro sein. Danach fällt der Faktor
gemäß § 287b Abs. 1 SGB VI unter den Rechenwert 1, so dass die
grundsätzlich maßgebende Entwicklung der Bruttolöhne und -gehälter nicht
mehr vollständig auf das Rehabilitations-Budget durchschlägt. Für die
Jahre ab 2041 ist dann wieder eine stärkere Steigerung vorgesehen, als
sie das alte Recht ermöglichen würde. Damit wollte der Gesetzgeber die
Bevölkerungsentwicklung im „rehabilitationsintensiven Alter (45 bis 67
Jahre)“ nachzeichnen. Die auf vier Nachkommastellen genaue Ausgestaltung
der Demographiekomponente wirft allerdings Fragen nach der
Verlässlichkeit der Bevölkerungsprognose für diese Zeit auf.
VI. Weitere Regelungen
1. Flexi-Rente
Um
das von der „Rente mit 63“ ausgehende Signal zum früheren Eintritt in
den Ruhestand etwas abzuschwächen, enthält das
RV-Leistungsverbesserungsgesetz eine arbeitsrechtliche Regelung, die
eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über die Regelaltersgrenze
hinaus ermöglichen soll. Vor dem Hintergrund der schon bislang in § 41
Sätze 1, 2 SGB VI normierten Beschränkungen für eine Beendigung des
Arbeitsverhältnisses wegen Erreichens der Regelaltersgrenze der
gesetzlichen Rentenversicherung ist es in der arbeitsrechtlichen Praxis
üblich, eine diesbezügliche Abrede zu treffen. Um es den
Arbeitsvertragsparteien in einem solchen Fall zu ermöglichen, den
Beendigungszeitpunkt zu verschieben, ohne dabei dem TzBfG zu
unterliegen, enthält § 41 Satz 3 SGB VI seit dem 01.07.2014 eine
entsprechende Ermächtigung. Dies ist nur ein erster Schritt auf dem Weg
zu einem flexibleren Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand, dem
weitere folgen sollen. Insoweit hat der Deutsche Bundestag bereits einen
Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen verabschiedet, der
relativ kurzfristig zu weiteren (auch rentenrechtlichen) Vorschlägen der
Bundesregierung führen soll (vgl. BT-Drs. 18/1507).
2. Abgrenzung von Kindererziehungszeiten
Im
Zuge der Beratungen über die Mütterrente ist auch die Regelung des § 56
Abs. 4 SGB VI ins Blickfeld geraten, die für verschiedene Fälle den
Ausschluss von der Anrechnung einer Kindererziehungszeit im System der
gesetzlichen Rentenversicherung anordnet. Der Gesetzgeber hat hier in
erster Linie die Abgrenzung von vergleichbaren Anwartschaften in anderen
Versorgungssystemen in den Blick genommen, die für
präzisierungsbedürftig gehalten worden ist. Mit der auf das
Ausschussverfahren zurückgehenden Neufassung des § 56 Abs. 4 Nr. 3 SGB
VI soll erreicht werden, dass es nicht zu einer Doppelberücksichtigung
einer Erziehungszeit kommen kann. Zukünftig genügt der Erwerb einer
systembezogen annähernd gleichwertigen Anwartschaft zur Erfüllung des
Ausschlussgrunds.
3. Hinzuverdienst von Ehrenbeamten
Die
Übergangsregelung des § 302 Abs. 7 SGB VI, nach der eine
Aufwandsentschädigung bei der Altersrente nicht als Hinzuverdienst gilt,
soweit kein konkreter Verdienstausfall ersetzt wird, wurde durch das
RV-Leistungsverbesserungsgesetz um zwei Jahre (bis zum 30.09.2017)
verlängert. Dies soll dem Vertrauensschutz der Betroffenen nach einer
diesbezüglichen Rechtsprechungsänderung dienen. Begünstigt sind
kommunale Ehrenbeamte, ehrenamtlich in kommunalen
Vertretungskörperschaften Tätige sowie Mitglieder der
Selbstverwaltungsorgane, Versichertenälteste und Vertrauenspersonen der
Sozialversicherungsträger.
4. Alterssicherung der Landwirte
Durch
Art. 2 RV-Leistungsverbesserungsgesetz werden die wesentlichen Inhalte
des Rentenpakets auch auf das Sondersystem der landwirtschaftlichen
Alterssicherung übertragen.
5. Betriebsrenten
Zur
Entlastung des Systems der betrieblichen Altersversorgung hat sich der
Gesetzgeber dagegen entschieden, auch dort die „Rente mit 63“
einzuführen. Bei der Berechnung der Höhe der unverfallbaren Anwartschaft
nach § 2 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG kam es bislang auf den tatsächlichen
Zeitpunkt des Ausscheidens an, wenn ein Arbeitnehmer eine Altersrente
für besonders langjährig Versicherte in Anspruch genommen hat. Dies ist
zum 01.07.2014 geändert worden; in einem solchen Fall ist nun
einheitlich auf den Zeitpunkt der Vollendung des 65. Lebensjahres
abzustellen.
6. Altersteilzeit
Infolge
der Beratungen des Ausschusses für Arbeit und Soziales ist mit dem
RV-Leistungsverbesserungsgesetz schließlich noch eine Änderung des
Altersteilzeitgesetzes erfolgt. Dort ist in § 15h AltTZG eine
Übergangsregelung eingeführt worden, die das Erlöschen des gegen die
Bundesagentur für Arbeit gerichteten Leistungsanspruchs eines
Arbeitgebers aus § 4 AltTZG verhindert. Diese Folge tritt grundsätzlich
nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AltTZG ein, wenn der betreffende Arbeitnehmer eine
abschlagsfreie Altersrente in Anspruch nehmen kann. Das soll nun aber
für die „Rente mit 63“ nicht gelten. Dadurch soll der Arbeitnehmer nicht
in die Altersrente für besonders langjährig Versicherte gedrängt
werden. Vielmehr sollen die Arbeitsvertragsparteien in die Lage versetzt
werden, die Altersteilzeit so wie geplant umzusetzen. Dazu hat der
Gesetzgeber allerdings nur das sozialrechtliche Problem der Förderung
des Arbeitgebers gelöst. Arbeitsrechtlich bleibt dagegen problematisch,
dass in den Verträgen über die Altersteilzeit häufig auch ein § 5 Abs. 1
Nr. 2 AltTZG entsprechender Beendigungsgrund formuliert ist. Insoweit
enthalten die Gesetzesmaterialien nur einen Appell an die
Arbeitsvertragsparteien, das Vertrauen auf die vereinbarte Laufzeit zu
schützen. Dies erscheint zweifelhaft, weil das Vertrauen von vornherein
durch eine eventuelle Beendigungsklausel begrenzt war. Ob die
Voraussetzungen für die Annahme einer Störung der Geschäftsgrundlage
nach § 313 BGB erfüllt sind, ist ebenfalls fraglich. So wird wohl häufig
nur die Möglichkeit einer einvernehmlichen Vertragsanpassung bleiben.
VII. Ausblick
Zusammen
mit der turnusmäßigen Rentenanpassung zum 01.07.2014 führt das
Rentenpaket für die Rentenversicherungsträger zu einer deutlichen
Ausgabensteigerung im zweiten Halbjahr. Der aktuelle Rentenwert ist in
diesem Jahr in Westdeutschland um 1,67% (auf 28,61 Euro) und in
Ostdeutschland um 2,53% (auf 26,39 Euro) gestiegen. Allein die durch das
RV-Leistungsverbesserungsgesetz verursachten Mehrkosten werden in den
kommenden Jahren jeweils etwa 9 Mrd. Euro betragen. Ungeachtet der daran
im Gesetzgebungsverfahren geäußerten Kritik werden alle anstehenden
Ausgaben aus der „Rentenkasse“, d.h. aus gegenwärtig bestehenden
Rücklagen und aus künftigen Einnahmen gedeckt werden müssen. Das wird
mittel- bis langfristig zu höheren Beitragssätzen und damit wiederum zu
niedrigeren Rentensteigerungen führen. Auf diese Weise wird das
Rentenpaket in einem erheblichen Umfang von den (jetzigen und künftigen)
Rentnern selbst finanziert. Insoweit kann man von einem Akt der
Umverteilung innerhalb der Rentnerschaft sprechen. Die vieldiskutierte
Problematik der Gegenfinanzierung des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes
(die Kritik präzise zusammenfassend: Kröger, BetrAV 2014, 207) wirkt
sich indes auf die praktische Rechtsanwendung der von ihm geänderten
Regelungen zunächst nicht aus. Insoweit sind weder bei der
administrativen Umsetzung durch die Rentenversicherungsträger noch bei
der sozialgerichtlichen Kontrolle solcher Verwaltungsentscheidungen
größere Probleme zu erwarten. Die Frage der sachgerechten Finanzierung
versicherungsfremder Leistungen stellt sich vielmehr in Verfahren, die
die Legitimität der Versicherungs- und Beitragspflicht der gesetzlichen
Rentenversicherung zum Gegenstand haben.
Was
die im Übrigen vereinzelt geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken
gegen bestimmte Details der Gesetzesnovelle angeht, bleibt letztlich
eine Klärung durch das BVerfG abzuwarten. Am problematischsten dürfte
dabei die Rechtfertigung der Begünstigung derjenigen sein, die die
Voraussetzungen der „Rente mit 63“ erfüllen. Die abschlagsfreie
Inanspruchnahme einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte
führt zu einer höheren Rentenerwartung als sie Versicherten mit einer
vergleichbaren Vorleistung (ausgedrückt durch die erworbenen
Entgeltpunkte) zusteht, denen dies nicht möglich ist. Dieser Einwand
betrifft indes nicht nur die neue Regelung des § 236b SGB VI, sondern
ebenso die allgemeine Vorschrift des § 38 SGB VI (dazu Beck, SozSich
2007, 356; Rust/Westermann, SGb 2008, 272; vgl. aber auch BVerfG,
Beschl. v. 11.11.2008 - 1 BvL 3/05 - BVerfGE 122, 151).
Autor: | Dr. Benjamin Schmidt, RiSG, z.Z. Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim BSG |
Erscheinungsdatum: | 04.09.2014 |
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