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BSG: Neues zur Übernahme von Mietschulden bei Hartz IV : Darlehen muß nicht während des Leistungsbezug zurückgezahlt werden - keine Verzinsung bei nicht rechtzeitiger Tilgung


 Der Kläger und seine Lebenspartnerin mieteten im Januar zum 01.02.2006 für sich und zwei minderjährige Kinder – eines davon teilweise nicht im Leistungsbezug – eine Wohnung. Die Lebenspartnerin des Klägers und deren Tochter M gebaren beide im März 2006 ein Kind. Der Beklagte führte die M und deren Kind alsdann als eigene Bedarfsgemeinschaft. Nachdem der Beklagte die bewilligte Mietkaution zunächst nicht an den Vermieter überwiesen hatte, konnten der Kläger und seine Familie die Wohnung nach Auszahlung der Mietkaution erst im März 2006 beziehen. In der Folgezeit kam der Beklagte auch der beantragten Direktüberweisung der Miete an den Vermieter nicht nach. Später erfolgten Zahlungen in unterschiedlicher, die Mietforderungen nicht deckender Höhe. Teilweise wurden auch Leistungen für Unterkunft an die Bedarfsgemeinschaften erbracht. Den Antrag auf Übernahme von Mietschulden beschied der Beklagte zunächst nicht. Im April 2007 kündigte der Vermieter das Mietverhältnis fristlos. Schlussendlich übernahm der Beklagte Ende Juni 2007 die Mietschulden als auf die beiden Bedarfsgemeinschaften aufgeteiltes Darlehen, davon i.H.v. rund 1.500 Euro für den Kläger. Zugleich verfügte er, dass dieser Darlehensbetrag am 31.12.2007 insgesamt fällig und für den Fall des Tilgungsverzuges zu verzinsen sei.
Im Klageverfahren ist der Kläger ohne Erfolg geblieben. Auf seine Berufung hat das LSG Chemnitz das Urteil des SG Dresden geändert und den Bescheid aufgehoben, soweit die Darlehensbewilligung rund 500 Euro, also mehr als ein Drittel des dem Kläger bewilligten Betrags übersteigt. Im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Zwar bestehe kein Anspruch auf einen Zuschuss anstelle eines Darlehens. Allerdings sei der Kläger nur kopfteilig mit dem Darlehen zu belasten, also nur zu 1/3 des ihm bewilligten Gesamtbetrags. Der Beklagte hat die vom BSG zugelassene Revision eingelegt und erstrebt die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der Kläger hat Anschlussrevision eingelegt und verfolgt das Begehren der zuschussweisen Leistungsgewährung mit der Begründung weiter, der Beklagte habe erheblichen Anteil an der Entstehung der Mietschulden.

 Das BSG hat entschieden: B 4 AS 3/14 R


Die Sache wurde zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen. Ob der Kläger Anspruch auf eine zuschussweise Übernahme von Mietschulden hat, vermochte der Senat nicht abschließend zu entscheiden. Ein Zuschuss ist nach § 22 Abs. 5 Satz 4 SGB II in der Fassung aus dem Jahre 2006 (heute § 22 Abs. 8 SGB II) nur in atypischen Fällen zu leisten. Ein solcher atypischer Fall liegt dann vor, wenn die Fallgestaltung im Einzelfall signifikant vom (typischen) Regelfall abweicht. Dabei kann auch mitwirkendes Fehlverhalten auf Seiten der Verwaltung, das als eine atypische Behandlung des Falles im Sinne einer Abweichung von der grundsätzlich zu erwartenden ordnungsgemäßen Sachbearbeitung zu verstehen ist, eine Atypik des verwirklichten Tatbestandes begründen. Erforderlich ist insoweit ein "wesentlich mitwirkendes" Handeln. Das Landessozialgericht wird weitere Feststellungen zur Beurteilung dessen zu treffen haben.
Sollte im wiedereröffneten Berufungsverfahren das Vorliegen eines atypischen Falls verneint werden, wird das Landessozialgericht weiter zu beachten haben, dass der angefochtene Darlehensbescheid insoweit rechtswidrig ist, als dort die Fälligkeit des gesamten Darlehens am 31.12.2007, also noch während des Leistungsbezugs, und die Verzinsung des Darlehensbetrags für den Fall der nicht rechtzeitigen Tilgung verfügt worden ist. Es mangelt an einer Rechtsgrundlage hierfür. Auch trifft den Kläger keine Darlehensbelastung in vollständiger Höhe des bewilligten Darlehens. Sie ist zwar entgegen der Auffassung des Landessozialgerichts nicht kopfteilig zu bestimmen, darf jedoch unter Berücksichtigung der gemeinsamen mietvertraglichen Verpflichtung des Klägers und seiner Lebenspartnerin die Hälfte des Betrags der Gesamtmietschulden nicht überschreiten.



Gericht/Institution:BSG
Erscheinungsdatum:19.11.2014
Entscheidungsdatum:18.11.2014
Aktenzeichen:B 4 AS 4/14 R, B 4 AS 12/14 R, B 4 AS 2/14 R, B 4 AS 3/14 R, B 4 AS 9/14 R
 juris




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