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BSG: minderjähriger SGB II Empfänger haftet nur bis zur Höhe des Vermögens, was er hatte, als er volljährig wurde



Der Kläger wendet sich gegen eine von dem beklagten SGB II-Träger kurz nach Eintritt seiner Volljährigkeit verfügte Aufhebung einer Leistungsbewilligung und Erstattungsforderung. Der im Februar 1989 geborene Kläger lebte 2006 in einer Bedarfsgemeinschaft mit seiner Mutter, seiner Halbschwester und seinem Stiefvater. Dieser hatte bei der erstmaligen Antragstellung im August 2004 angegeben, der Kläger sei Schüler und in den Folgeanträgen insoweit jeweils Änderungen verneint. Bei den anteiligen monatlichen SGB II-Leistungen berücksichtigte der Beklagte daher nur das Kindergeld als Einkommen. Ab September 2006 nahm der Kläger an einer von der Bundesagentur für Arbeit bis in das Folgejahr hinein geförderten berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme teil, wegen der ihm mit einem an seinen Stiefvater gerichteten Bescheid der Bundesagentur für Arbeit eine Berufsausbildungsbeihilfe i.H.v. monatlich 211 Euro bewilligt wurde. Im Juli 2007 und damit nach Eintritt der Volljährigkeit des Klägers erfuhr der Beklagte durch einen Datenabgleich von der Zahlung der Berufsausbildungsbeihilfe. Er hob die Leistungsbewilligungen rückwirkend von September bis Dezember 2006 teilweise auf und verlangte von dem Kläger die Erstattung von SGB II-Leistungen i.H.v. 531,13 Euro, weil die Berufsausbildungsbeihilfe als Einkommen anzurechnen sei. Auf die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des SG Halle hat das LSG Halle u.a. die Aufhebung der SGB II-Leistungen bestätigt, die Erstattungsverfügung für den Zeitraum von September bis Dezember 2006 aber aufgehoben, soweit diese 27,29 Euro überstieg. Die Haftung des Klägers sei analog § 1629a BGB auf dasjenige Vermögen beschränkt, das er bei Eintritt seiner Volljährigkeit besessen habe. Mit der vom LSG zugelassenen Revision trägt der Beklagte vor, mit dem Zufluss der Berufsausbildungshilfe sei während der Minderjährigkeit des Klägers keine Erstattungsforderung begründet worden. Vielmehr sei diese erst durch den nach der Volljährigkeit des Klägers erlassenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid entstanden, so dass § 1629a BGB nicht angewandt werden könne. Es fehle auch an einer Handlung i.S.d. § 1629a BGB, weil die Bewilligungsentscheidung bei Einkommenserzielung stets rückwirkend korrigiert werden müsse.

Das BSG  hat entschieden: 2. B 4 AS 12/14 R
Die Revision des Beklagten hat keinen Erfolg. Der Kläger muss die erhaltenen Leistungen nur bis zur Höhe seines Vermögens erstatten, das er hatte, als er volljährig wurde. Dies ergibt sich aus § 1629a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BGB. Entscheidend ist insoweit, dass die Erstattungsforderung während der Minderjährigkeit erbrachte Leistungen betrifft und durch eine Handlung des gesetzlichen Vertreters begründet wurde. Beide Voraussetzungen sind hier erfüllt. Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des Landessozialgerichts hat die Mutter trotz entsprechender Information durch den Kläger versäumt, das Jobcenter über die Zahlung zu informieren. Hierzu wäre sie als gesetzliche Vertreterin des Klägers verpflichtet gewesen. Hätte sie das Jobcenter informiert, hätte dieses die Leistungen umgehend anpassen können, so dass es nicht zu einer Überzahlung gekommen wäre.
Unerheblich ist dagegen, dass das Jobcenter den Erstattungsbescheid erst nach dem Eintritt der Volljährigkeit des Klägers erließ. Andernfalls könnte das Jobcenter – ggf auch durch gezieltes Abwarten – erreichen, dass ein junger Volljähriger die von ihm während seiner Minderjährigkeit bezogenen Leistungen entgegen § 1629a BGB erstatten muss. Die Anwendung des § 1629a BGB begünstigt auch keine unberechtigte Inanspruchnahme von Sozialleistungen, weil das Jobcenter den handelnden Vertreter zumindest seit dem 01.04.2011 über § 34a SGB II nF auf Erstattung in Anspruch nehmen kann.

Gericht/Institution:BSG
Erscheinungsdatum:19.11.2014
Entscheidungsdatum:18.11.2014
Aktenzeichen:B 4 AS 4/14 R, B 4 AS 12/14 R, B 4 AS 2/14 R, B 4 AS 3/14 R, B 4 AS 9/14 R
 Quelle: juris

Kommentare

  1. Gibt es dann ein Schonvermögen, dass dem Leistungsempfänger bleiben muss?

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