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SGB II aktuell: Gutachten des Landkreises Göttingen zu Mietobergrenzen für Hartz IV-Bezieher rechtswidrig



Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) hat mit Urteil vom 29. April 2014
entschieden, dass das vom Landkreis Göttingen für die Stadt Göttingen angewendete Gutachten
zur Ermittlung von angemessenen Unterkunftskosten für Bezieher von Grundsicherungsleistungen
nach dem SGB II („Hartz IV“) einer rechtlichen Überprüfung nicht standhält
und die dort festgelegten Mietobergrenzen zu niedrig sind. Das Gutachten könne daher nicht
als Grundlage für die Leistungsgewährung dienen.
In dem zugrundeliegenden Fall musste eine dreiköpfige Familie für eine 68 qm große Wohnung
in Göttingen monatlich 520,00 € Miete einschließlich Nebenkosten zahlen. Hiervon hat
die Stadt Göttingen nur 470,00 € monatlich übernommen. Grundlage dieser Kürzung war ein
vom Landkreis Göttingen in Auftrag gegebenes Gutachten. In dem Gutachten waren durch
Befragung ermittelte Bestandsmieten zusammengerechnet worden, wobei die Grenze bei
einem Quantil von 33 % angesetzt wurde. Der jeweilige Wohnungsstandard wurde nicht ermittelt.
Der 7. Senat des LSG hat den Grundsicherungsträger zur Nachzahlung der Differenz zu den
tatsächlichen Mietkosten in Höhe von 50,00 € verurteilt. Mangels valider Mietdatensätze seien
als Obergrenze die Tabellenwerte des Wohngeldgesetzes zuzüglich eines Aufschlages
von 10 % zu berücksichtigen, die im vorliegenden Fall noch höher liegen (568,70 €).
Nach Auffassung des 7. Senates kann das vorgelegte Gutachten über angemessene Unterkunftskosten
nicht zur Ermittlung der vom Grundsicherungsträger zu gewährenden Kosten
der Unterkunft herangezogen werden. Das Gutachten enthalte keine nachvollziehbare Definition
des Untersuchungsgegenstandes, z. B. welche Art von Wohnungen je nach deren
Ausstattung, Beschaffenheit und Lage berücksichtigt worden seien. Die Erfassung des gesamten
Wohnungsmarktes setze voraus, dass u. a. nach Wohnungsstandards differenziert
werden müsse. Nur darüber werde zuverlässig nachvollziehbar, ob auf einer repräsentativen

Basis Wohnungen des einfachen, mittleren und gehobenen Standards einbezogen worden seien. Dies habe der Landkreis Göttingen nicht umgesetzt. Es sei nicht ausreichend, den einfachen Wohnungsstandard allein anhand des Quadratmeterpreises zu definieren, weil der Quadratmeterpreis je nach Wohnlage einen unterschiedlichen Standard der Wohnung abde-cken könne.
Weiter hat der 7. Senat ausgeführt, dass die Kappungsgrenze von 33 % nicht nachvollzieh-bar sei. Eine plausible Begründung der so festgesetzten Mietobergrenze habe der Landkreis Göttingen nicht liefern können. Die zugrunde gelegte Annahme, dass mit einem 33 %-Quantil Wohnungen des einfachen Standards zutreffend abgebildet würden, setze zumindest voraus, dass tatsächlich der gesamte Wohnungsmarkt mit einer gleichmäßigen Durchmi-schung der Datensätze mit Wohnungen des einfachen, mittleren und gehobenen Standards erfasst worden wäre, was vorliegend jedoch nicht geschehen sei. Die Entscheidung über die Frage, bis zu welcher Mietobergrenze SGB II-Bezieher angemessene Wohnungen in An-spruch nehmen können, hänge nicht vom Preis ab, sondern von der Beschaffenheit der Wohnung, die auch oberhalb des Quantils von 33 % noch einfachen und grundlegenden Bedürfnissen entsprechen könne, falls in der Stadt Göttingen derartige Unterkünfte in einem größeren Umfang vorhanden seien. Dies habe der Landkreis Göttingen aber nicht zuverläs-sig klären können.
Schließlich hat der 7. Senat des LSG dargelegt, dass die strukturellen Schwächen des vor-gelegten Gutachtens keine Nachbesserung ermöglichen. Es fehle die vom 7. Senat für erfor-derlich gehaltene Datenbasis, diese könne für rückwirkende Zeiträume auch nicht mehr er-hoben werden. Eine belastbare Mietobergrenze könne nur durch eine Neuerhebung auf der Grundlage eines völlig neuen Konzeptes erfolgen. Der Landkreis Göttingen sei verpflichtet, die tatsächlichen Mietkosten bis zu den Werten aus der Tabelle des Wohngeldgesetzes plus 10 % Sicherungszuschlag zu übernehmen.
Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen: Urteil vom 29. April 2014 - L 7 AS 330/13 - veröffentlicht in www.sozialgerichtsbarkeit.de; die Revision wurde nicht zugelassen.
Pressemitteilung Celle, den 2. Juli 2014LSG Niedersachsen-Bremen

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