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EuGH: Urlaubsgeld darf bei Kurzarbeit nicht pauschal gekürzt werden


 
Der EuGH hat entschieden, dass Arbeitnehmer während ihres rechtlich garantierten Jahresurlaubs ungeachtet vorheriger Kurzarbeitszeiten Anspruch auf normale Vergütung haben.
Allerdings hänge die Dauer des gewährten Jahresurlaubs von der tatsächlichen Arbeitszeit ab. Damit könne Kurzarbeit dazu führen, dass auch der Jahresurlaub gekürzt werde, so der EuGH.
Herr Torsten H. ist beim deutschen Unternehmen Holzkamm als Betonbauer beschäftigt. Im Jahr 2015 befand er sich 26 Wochen, d.h. die Hälfte des Jahres, in Kurzarbeit und erbrachte in dieser Zeit keine tatsächliche Arbeitsleistung. In Kurzarbeitszeiten wie im Fall von Herrn H. besteht das Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer fort, aber der Arbeitnehmer erbringt keine tatsächliche Arbeitsleistung für die Belange seines Arbeitgebers. Nach dem BRTV-Bau (Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe vom 04.07.2002 in seiner auf den vorliegenden Fall anwendbaren Fassung) haben die Arbeitnehmer jedoch unabhängig von Kurzarbeitszeiten, in denen sie keine tatsächliche Arbeitsleistung erbracht haben, Anspruch auf einen jährlichen Erholungsurlaub von 30 Tagen. Dementsprechend nahm Herr H. im Laufe der Jahre 2015 und 2016 die 30 Urlaubstage, auf die er im Jahr 2015 Anspruch erworben hatte. Allerdings werden die Kurzarbeitszeiten nach dem BRTV-Bau bei der Berechnung des für den Jahresurlaub gezahlten Entgelts, der sog. "Urlaubsvergütung", berücksichtigt. Holzkamm berechnete daher den an Herrn H. zu zahlenden Betrag auf der Grundlage eines Bruttostundenlohns, der unter dem normalen Stundenlohn lag, was zu einer deutlichen Verringerung seines Entgelts führte. Da Herr H. der Ansicht ist, dass die in den Referenzzeitraum fallende Kurzarbeit nicht zu einer Kürzung der ihm zustehenden Urlaubsvergütung führen dürfe, rief er das ArbG Verden an. Das Arbeitsgericht möchte vom EuGH wissen, ob eine nationale Regelung (Mindesturlaubsgesetz für Arbeitnehmer vom 08.01.1963, BGBl. I 1963, 2 in seiner auf den vorliegenden Fall anwendbaren Fassung.), nach der in Tarifverträgen bestimmt werden kann, dass etwaige Verdienstausfälle infolge von Kurzarbeit im Referenzzeitraum berücksichtigt werden können, was zu einer Kürzung der Urlaubsvergütung führt, mit dem Unionsrecht (Richtlinie 2003/88/EG, ABl. 2003, L 299, 9 sowie Art. 31 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union) im Einklang steht.
Der EuGH hat entschieden, dass ein Arbeitnehmer während seines unionsrechtlich garantierten Mindestjahresurlaubs ungeachtet früherer Kurzarbeitszeiten Anspruch auf sein normales Arbeitsentgelt hat. Allerdings hänge die Dauer dieses Mindestjahresurlaubs von der tatsächlichen Arbeitsleistung ab, die im Referenzzeitraum erbracht wurde, so dass Kurzarbeitszeiten dazu führen könnten, dass der Mindesturlaub weniger als vier Wochen betrage.
Der EuGH hat ausgeführt, dass jeder Arbeitnehmer nach dem Unionsrecht Anspruch auf einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen hat. Dieser einheitliche Anspruch bestehe aus zwei Aspekten, nämlich dem Anspruch auf Jahresurlaub und dem auf Zahlung eines Urlaubsentgelts.
Was die Dauer des Mindestjahresurlaubs von vier Wochen angeht, sei darauf hinzuweisen, dass sie auf der Prämisse beruhe, dass der Arbeitnehmer im Laufe des Referenzzeitraums tatsächlich gearbeitet habe (vgl. EuGH, Urt. v. 04.10.2018 - C-12/17 "Dicu"). Daher seien die Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub grundsätzlich anhand der Zeiträume der auf der Grundlage des Arbeitsvertrags tatsächlich geleisteten Arbeit zu berechnen. Da Herr H. im Jahr 2015 26 Wochen lang nicht tatsächlich gearbeitet habe, dürften ihm also nach dem Unionsrecht nur zwei Urlaubswochen zustehen, wobei die exakte Dauer dieser Urlaubszeit aber vom ArbG Verden zu bestimmen sei. Allerdings regele das Unionsrecht nur die Dauer des Mindestjahresurlaubs und stehe dem nicht entgegen, dass Arbeitnehmern in nationalen Rechtsvorschriften oder in einem Tarifvertrag ein Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub von längerer Dauer unabhängig davon gewährt werde, ob die Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufgrund von Kurzarbeit verkürzt war.
Was das Entgelt anbelange, das dem Arbeitnehmer für die unionsrechtlich garantierte Mindesturlaubsdauer zu zahlen sei, sei darauf hinzuweisen, dass das Arbeitsentgelt für diese Dauer weiterzugewähren sei. Mit anderen Worten müsse der Arbeitnehmer für diese Ruhezeit das gewöhnliche Arbeitsentgelt erhalten (vgl. EuGH, Urt. v. 16.03.2006 - C-131/04 und C-257/04 "Robinson-Steele u.a." sowie EuGH, Urt. v. 15.09.2011 - C-155/10 "Williams u.a."). Durch das Erfordernis der Zahlung dieses Urlaubsentgelts soll der Arbeitnehmer nämlich während des Jahresurlaubs in eine Lage versetzt werden, die in Bezug auf das Entgelt mit den Zeiten geleisteter Arbeit vergleichbar sei. Erhielte der Arbeitnehmer nicht das gewöhnliche Arbeitsentgelt, könnte er veranlasst sein, seinen bezahlten Jahresurlaub nicht zu nehmen, zumindest nicht in Zeiträumen tatsächlicher Arbeitsleistung, da dies dann zu einer Verringerung seines Entgelts führen würde. Es widerspreche daher dem Unionsrecht, wenn ein Arbeitnehmer, der sich in einer Situation wie der von Herrn H. befinde, für seine unionsrechtlich garantierten Jahresurlaubstage ein Entgelt erhalte, das nicht dem gewöhnlichen Entgelt entspreche, das er in Zeiträumen tatsächlicher Arbeitsleistung erhalte. Allerdings verlange das Unionsrecht nicht, dass das gewöhnliche Arbeitsentgelt für die gesamte Dauer des Jahresurlaubs gezahlt werde, die dem Arbeitnehmer nach nationalem Recht zustehe. Der Arbeitnehmer müsse dieses Entgelt nur für die Dauer des unionsrechtlich vorgesehenen Mindestjahresurlaubs zahlen, wobei der Arbeitnehmer den Anspruch auf diesen Urlaub nur für Zeiträume tatsächlicher Arbeitsleistung erwerbe.
In einem Rechtsstreit wie dem hier vorliegenden, in dem sich Privatpersonen gegenüberstehen, sei das nationale Gericht verpflichtet, das nationale Recht unionsrechtskonform auszulegen (Eine Richtlinie kann nämlich nicht selbst Verpflichtungen für einen Einzelnen wie Holzkamm begründen, so dass ihm gegenüber eine Berufung auf die Richtlinie als solche nicht möglich ist.). Eine solche Auslegung sollte dazu führen, dass die den Arbeitnehmern für den unionsrechtlich vorgesehenen Mindesturlaub gezahlte Urlaubsvergütung nicht geringer ausfalle als der Durchschnitt des gewöhnlichen Arbeitsentgelts, das die Arbeitnehmer in Zeiträumen tatsächlicher Arbeitsleistung erhalten. Hingegen verpflichte das Unionsrecht weder dazu, die nationale Regelung dahin auszulegen, dass sie einen Anspruch auf eine tarifvertragliche Zusatzleistung begründe, die zu diesem Durchschnitt des gewöhnlichen Arbeitsentgelts hinzukomme, noch dazu, dass die Überstundenvergütung berücksichtigt werde, es sei denn, der Arbeitnehmer sei arbeitsvertraglich verpflichtet, Überstunden zu leisten, die weitgehend vorhersehbar und gewöhnlich seien und deren Vergütung einen wesentlichen Teil seines gesamten Arbeitsentgelts ausmache.
Zu den zeitlichen Wirkungen hat der EuGH darauf hingewiesen, dass die von ihm vorgenommene Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts erläutert und verdeutlicht, in welchem Sinne und mit welcher Tragweite diese Vorschrift seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre. Daraus folge, dass die nationalen Gerichte die unionsrechtlichen Vorschriften über den Jahresurlaub, so wie sie im heutigen Urteil ausgelegt werden, auch auf Rechtsverhältnisse, die vordem heutigen Tag entstanden sind, anwenden könnten und müssten, wenn die Voraussetzungen für ihre Anrufung in einem die Anwendung dieser Vorschriften betreffenden Streit vorliegen. Die Wirkungen des heutigen Urteils seien nicht zeitlich zu beschränken, da die Voraussetzung der schwerwiegenden wirtschaftlichen Auswirkungen nicht erfüllt sei.
Überdies hindere das Unionsrecht die nationalen Gerichte daran, auf der Grundlage des nationalen Rechts das berechtigte Vertrauen der Arbeitgeber auf den Fortbestand der nationalen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu schützen, die die Rechtmäßigkeit der Regelungen des BRTV-Bau über den bezahlten Urlaub bestätigt habe.
Quelle:juris-Redaktion
Quelle: Pressemitteilung des EuGH Nr. 201/2018 v. 13.12.201
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