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inforadio Donnerstag 17.05.2018 | 09:45 | Nahaufnahme "Gefangen in Hartz IV"



Die Mitarbeiterin des Sozialrechtsexperten, Rechtsanwältin Vera Munz, im Interview bei inforadio:


"Die deutsche Wirtschaft brummt, überall werden Arbeitskräfte gesucht - von der Aushilfe bis zur Fachkraft. Und trotzdem gibt es 800.000 Langzeitarbeitslose. Welche Probleme haben diejenigen, die erst einmal in der Hartz IV – Spirale stecken? Für den zweiten Teil ihrer Reportage hat Inforadio-Reporterin Sylvia Tiegs in Berlin und Potsdam nach Antworten gesucht.
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"In der Regel nicht ohne Grund langzeitarbeitslos"

Wenn Vera Munz von Lebensläufen wie diesem hört, fühlt sie sich ein Stück weit bestätigt. Munz hat in einer ruhigen Seitenstraße von Potsdam eine Praxis als  Rechtsanwältin, Fachgebiet: Sozialrecht. Seit mehr als 13 Jahren vertritt sie Hartz IV-Empfänger vor Gericht. Zur fünffach-Mutter Nicole sagt sie: "Man kann argumentieren: Wer Kinder in die Welt setzt, trägt dafür Verantwortung. Die Realität sieht eben so aus: Der Hartz IV – Empfänger ist nicht der Durchschnittsbürger aus Bielefeld. Sondern das ist in der Regel jemand, der nicht ohne Grund in die Langzeitarbeitslosigkeit gekommen ist."
Vera Munz meint das nicht böse, sie spricht aus Erfahrung. Sie kennt die Lebensläufe ihrer vielen Mandanten, und die ähneln sich: Viele sind schlecht oder gar nicht ausgebildet. Oder leben in schwierigen Verhältnissen. Manche sind abhängig von Alkohol, Tabletten oder Drogen. Die Langzeitarbeitslosigkeit ziehe viele dann noch mal zusätzlich runter: "Weil die Menschen oft durch den langen Zeitraum der Ausgeschlossenheit vom Arbeitsmarkt von allem ausgeschlossen fühlen. Das führt dazu, dass die Leistungsfähigkeit zurückgeht und auch die Leistungswilligkeit leider oft. Das ist ein zermürbender Prozess."
Rechtsanwältin Vera Munz
Rechtsanwältin Vera MunzBild: rbb/Tiegs

"Mehr Fördern, weniger Fordern"

Und einer, in dem die Leute Hilfe bräuchten, meint die Rechtsanwältin. Nach ihrem Eindruck aber bekommen sie die im Hartz-IV-System nicht: "Eigentlich ist vorgesehen, dass es 'Fördern & Fordern' sein soll, so steht es auch im Gesetz als Programmsatz. Das zeigt eigentlich, dass das 'Fördern' Priorität haben sollte, im Vordergrund steht. Die Praxis sieht aber anders aus. Gefordert wird von den Leistungsempfängern, alles offenzulegen, pünktlichst da zu sein, man soll mitmachen, es gibt kaum eine Pause, man muss sich sogar für den Urlaub abmelden. Das sind Dinge, die gehen an die Substanz des menschlichen Selbstverständnisses."
Vera Munz erzählt Beispiele aus ihrer Praxis. Von Mandanten, die sie seit Jahren vor Gericht vertritt - weil die jeweiligen Jobcenter ihnen Knüppel zwischen die Beine werfen. Sanktionen verhängen, obwohl die Betroffenen sich bemühten. So wie bei diesem Mandanten, dessen Akte sie durchblättert: "Schauen Sie, so sieht das aus. Da bekommt der Leistungsempfänger eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben Postzustellungsurkunden, in denen sich Bescheide des Jobcenters finden, die dann irgendwelche Änderungen oder so etwas darstellt. Stundenlange Verhandlungen. Und es geht um Kleinigkeiten oft. Gefangen im Hartz VI."

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