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Jobcenter hat Mahnungen an Kinder verschickt - Schuldeneintreibung - Aber Hallo - Muss das Taem des Sozialrechtsexperten erst nach Lübeck kommen?


Jobcenter hat Mahnungen an Kinder verschickt

Lübeck - Grüne kritisieren die Hartz-IV-Behörde. Diese spricht von Einzelfällen und einer technischen Panne. Das Bundessozialgericht hat Haftungsausschluss für Kinder verfügt.

Schwere Vorwürfe erhebt der Sozialpolitiker der Grünen, Rolf Klinkel, gegen das Jobcenter Lübeck.

Die Hartz-IV-Behörde würde Schulden bei Kindern eintreiben, erklärt Klinkel und benennt zwei konkrete Fälle. Der achtjährige Julian sei in dem Mahnschreiben aufgefordert worden, innerhalb einer Woche 2163 Euro an das Jobcenter zu zahlen. Am 1. November habe die Behörde 75 Euro von der Unterstützungsleistung des Schülers einbehalten. Die Kürzungen sollten ein halbes Jahr anhalten.

„Mit einem solchen Schreiben jagt die Behörde einem achtjährigen Jungen und dessen Mutter Angst und Schrecken ein“, sagt Klinkel, der Hartz-IV-Empfänger berät.

Mittlerweile habe das Jobcenter die Forderung ausgesetzt.

Wir haben über diesen Vorfall bereits berichtet: Jobcenter treibt für Schuldentilgung bei minderjährigen Kindern Geld ein - Schutz von Kindern vor Behördenwillkür  

„Das ist nicht die Spitze eines Eisberges, sondern das sind Einzelfälle“, sagt Monika Borso, Geschäftsführerin des Jobcenters.

Im Fall des achtjährigen Julian sei durch eine technische Panne ein Mahnschreiben herausgegangen. Borso: „Unsere Finanzsoftware erkennt üblicherweise, ob es sich um eine Mahnung an ein Kind handelt. Dann wird automatisch eine Mahnsperre gesetzt.“

Diese Sperre sei im weiteren Verfahren gelöscht worden – warum weiß die Geschäftsführerin nicht. Das Jobcenter dürfe zwar Kinder nicht mahnen, gleichwohl aber Leistungen herabsetzen. „Von der Mutter werden zu viel gezahlte Leistungen zurückgefordert“, erklärt Borso.

Bis zu 30 Prozent der Regelleistung dürfe das Jobcenter bei allen in der Bedarfsgemeinschaft wohnenden Personen kürzen. Beim zehnjährigen Mädchen, das zehn Euro monatlich abstottert, habe das Gericht auf einen Vergleich gedrängt.

Klinkel bleibt bei seiner Kritik. „Das Jobcenter darf nicht an die Leistungen der Kinder heran“, sagt der Sozialpolitiker.

Das Büro der Bürgerbeauftragten gibt ihm Recht.

Im Juli 2011 erklärte das Bundessozialgericht, dass wegen eines Haftungsausschlusses bei Kindern nichts geholt werden darf (AZ B14 AS 153/10 R).

Die Bürgerbeauftragte Birgit Wille: „Das Jobcenter sollte von Rückforderungen Abstand nehmen. Kinder können nichts dafür, wenn ihre Eltern falsche Angaben machen und es zu Überzahlungen kommt.“

Das sieht der Fachanwalt für Sozialrecht, Hans-Jürgen Wolter, genauso:

„Erstattungsbescheide können gegen minderjährige Kinder nicht vollstreckt werden."

Wenn die Kinder volljährig werden und inzwischen kein Vermögen angesammelt haben, müssten die Bescheide aufgehoben werden.

Anmerkung vom Taem des Sozialrechtsexperten:

Schon im 1. Beitrag gaben wir den Hinweis, das um dies zu verhindern, das der Minderjährige mit Schulden in die Volljährigkeit geht, per Gesetz die Einrede nach §1629a BGB möglich sei.

Damit beschränkt sich die Haftung des Minderjährigen auf das Vermögen, dass er mit Eintritt in die Volljährigkeit hat.

Für die finanziellen Folgen, die Minderjährigen über die Vertretungsregelung für Bedarfsgemeinschaften im SGB 2 aufgebürdet werden, gilt die Vorschrift im BGB über die Beschränkung der Minderjährigenhaftung entsprechend (vgl. BSG, Urteil vom 7.7.2011 - B 14 AS 153/10 R).

§ 1629a BGB ist auch im Rahmen der Rückforderung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II entsprechend anwendbar , und zwar bereits im Erstattungs- und nicht erst im Vollstreckungsverfahren. Dem steht auch § 1629a Abs 2 Alt 2 BGB nicht entgegen.

Hier nun noch ein 2. Hinweis:

Widerspruch gegen Rückforderungsbescheid nach § 50 SGB X und die Erklärung der Aufrechnung mit den laufenden Bezügen in Form eines Verwaltungsaktes nach § 43 Abs. 1, 2 und 4 SGB II i.d.F. ab dem 01.04 2011 haben aufschiebende Wirkung nach § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 20.09.2011, - L 19 AS 1509/11 B ER und - L 19 AS 1510/11),  da die Bestimmung des § 39 SGB II über die sofortige Vollziehbarkeit eines Verwaltungsakts nicht eingreift (vgl. zur Nichtanwendbarkeit des § 39 SGB II auf einen Erstattungsbescheid nach § 50 SGB X: LSG NRW Beschluss vom 30.09.2009 - L 19 B 247/09 AS).

Der Regelungsgehalt des § 39 Nr. 1 SGB II erstreckt sich nicht auf die Erklärung einer Aufrechnung in Form eines Verwaltungsaktes nach § 43 Abs. 4 SGB II, da ein solcher Verwaltungsakt keine Leistung der Grundsicherung aufhebt (§ 48 SGB X), zurücknimmt (§ 45 SGB X) oder widerruft (§§ 46, 47 SGB X), sondern nur die Vollziehung des sich aus einer Entscheidung nach §§ 45 - 47 SGB X ergebenden Erstattungsanspruchs nach § 50 SGB X in Form der Aufrechnung regelt.

Das Jobcenter muss die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Rückforderungsbescheid beachten, d.h., die Rückforderung wird erst mal ruhend gestellt und das Jobcenter darf ab diesem Augenblick nicht mehr mit den laufenden Leistungen aufrechnen.

Fazit: Alle Betroffenen sollten schleunigst schriftlich Widerspruch gegen den Rückforderungs - und Aufrechnungsbescheid einlegen.

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