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Vorläufige Leistungen nach § 43 Abs. 1 SGB I können auch dann zu erbringen sein, wenn die Arbeitsfähigkeit der Betroffenen nicht geklärt und daher unklar ist, ob ihr ein Anspruch auf Krankengeld oder auf Arbeitslosengeld zusteht

Dies kann zu einer vorläufigen Verpflichtung der notwendig beizuladenden Krankenkasse im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutz führen.

Dabei sind die Folgewirkungen der Gewährung von vorläufigen Leistungen für die weitere Absicherung in anderen Zweigen des Systems der sozialen Sicherung zu berücksichtigen.

So die Rechtsauffassung des
Sozialgericht Darmstadt, Beschluss vom 20.11.2012 - S 1 AL 358/12 ER

Begründung:

Nach § 43 Abs. 1 SGB I kann, wenn ein Anspruch auf Sozialleistungen besteht und zwischen mehreren Leistungsträgern streitig ist, wer zur Leistung verpflichtet ist, der unter ihnen zuerst angegangene Leistungsträger vorläufig Leistungen erbringen, deren Umfang er nach pflichtgemäßen Ermessen bestimmt.

Er hat Leistungen zu erbringen, wenn die Berechtigte es beantragt; die vorläufigen Leistungen beginnen spätestens nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des Antrags.


§ 43 SGB I ist nicht (nur) anzuwenden, wenn unklar ist, welcher von mehreren möglichen Leistungsträgern für eine ganz bestimmte Leistung zuständig ist, sondern auch auf Fallkonstellationen wie die hiesige, die dadurch gekennzeichnet sind, dass die Antragstellerin in jedem Fall Anspruch auf eine (Entgeltersatz )Leistung hat, aber auf Grund des noch nicht abschließend geklärten Sachverhalts noch nicht feststeht, welche das ist (vgl. so auch Timme, in: LPK-SGB I, 2. Aufl. 2008, § 43 Rn. 8; Rolfs, in: Hauck/Noftz, § 43 Rn. 7).

Die im Rahmen von § 43 SGB I zu formulierende Voraussetzung, der Anspruch, zu dem vorläufige Leistungen verlangt werden, müsse dem Grunde nach feststehen, ist unter diesen Umständen dahin zu modifizieren, dass sicher feststehen muss, dass einer der alternativ in Betracht kommenden Ansprüche gegeben ist (vgl. Rolfs, in: Hauck/Noftz, SGB I, § 43 Rn. 7).

Entscheidend ist insofern, dass sich die Vorschrift ihrem Zweck nach als Reaktion auf die mit dem gegliederten System der sozialen Sicherung verbundenen Schwierigkeiten darstellt (so auch Mrozynski, SGB I, 4. Aufl. 2010, Rn. 3).


Dies begründet die Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage dafür, vorläufige Leistungen in einer Situation der Unsicherheit erbringen zu können, in gleicher Weise, wenn nur die sachliche oder örtliche Zuständigkeit zur Erbringung einer einheitlich bezeichneten Leistung in Frage steht, wie dann, wenn – wie hier – unterschiedlich benannte, aber im Wesentlichen identische Leistungen in Rede stehen (so Lilge, SGB I, 2. Aufl. 2009, § 43 Rn. 15, vgl. auch Rn. 23 ff.).


Das ist im Verhältnis von Kranken- und Arbeitslosengeld der Fall:

Bei beiden handelt es sich um Entgeltersatzleistungen, die der Sicherung des Lebensunterhalts in Situationen dienen, in denen die Betroffene (unfreiwillig) nicht arbeiten kann; beide sind dabei – mit Unterschieden im Detail – an dem vorangegangenen Verdienst orientiert.

Beide schließlich – und dieser Gesichtspunkt ist im vorliegenden Fall von besonderer Bedeutung – sichern die weitere Zugehörigkeit zum System der versicherungsförmigen Absicherung sozialer Risiken, wenn diese über die Beschäftigung nicht mehr sichergestellt ist.

Diese Vergleichbarkeit verlangt, da im gegliederten System der sozialen Sicherung der Bundesrepublik nicht eine identische Entgeltersatzleistung für alle Fälle ungewollter Beschäftigungsunterbrechung vorgesehen ist, nach einer Regelung für Konfliktfälle, wenn zwar feststeht, dass eine derartige Leistung zu gewähren ist, nicht aber welche.

Eine dementsprechende Vorschrift steht mit § 43 SGB I zur Verfügung; sie ist daher entgegen der Auffassung der Beigeladenen auch im hiesigen Zusammenhang anwendbar.

Auch wird § 43 SGB I nicht durch § 328 SGB III verdrängt; insofern besteht vielmehr Einigkeit, dass der auf Zuständigkeitskonflikte zugeschnittenen Spezialregelung in § 43 SGB I Vorrang zukommt (vgl. Eicher, in: Schlegel/Eicher, SGB III, § 328 Rn. 84 und Hengelhaupt, in: Hauck/Noftz, SGB III, § 328 Rn. 76).

Anmerkung: Bayerische Landessozialgericht hat Krankengeld vorläufig zugesprochen in einem Fall, in dem ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache für einen Bezieher von Leistungen nach dem SGB II nicht zumutbar war.

Bayer. Landessozialgericht Beschluss vom 11. August 2011 - L 5 KR 271/11 B ER


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Der Beitrag wurde erstellt von Detlef Brock- Taemmitglied des Sozialrechtsexperten RA L. Zimmermann.

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