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Zur Übernahme von Mietkosten bei Inhaftierung - Mietschulden - soziale Schwierigkeiten , die der Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft entgegenstehen(§ 1 Abs. 3 VO).

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg,Beschluss vom 09.05.2012,- L 23 SO 9/12 B PKH -

Keine Übernahme von Kosten der Unterkunft,wenn die Bedarfslage in der Vergangenheit liegt. Grundsätzlich gilt nach dem vom Bundessozialgericht entwickelten sog. Aktualitätsgrundsatz, dass Bedarfe, die nicht mehr vorhanden sind, auch nachträglich nicht mehr zu decken sind (vgl. BSG, Urteile v. 17.06.2008 - B 8/9b AY 1/07 R - BSGE 101, 49 und - B 8/9b AY 5/07 R - FEVS 60, 248-252 und v. 26.08.2008 - B 8 SO 26/07 R - FEVS 60, 350-356).

Ein Anspruch auf (nachträgliche) Übernahme der Kosten der Unterkunft kann der Inhaftierte dann haben, wenn er zum Zeitpunkt der Geltendmachung des Bedarfs alle materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Hilfegewährung erfüllt hätte (vgl. BSG, Urteil vom 8. Februar 2007, B 9b SO 5/06 R,  sowie zuvor zum Bundessozialhilfegesetz schon BVerwGE 90, 154).

Ein Anspruch auf bedarfsdeckende Leistungen für Unterkunft und Heizung im Rahmen eines Anspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem § 35 SGB XII n.F.scheitert bereits daran, dass der Unterkunftsbedarf des Klägers während seiner Inhaftierung in der Haftanstalt gedeckt war.

Allein ein Anspruch nach §§ 67, 68 SGB XII konnte bestehen, deren Voraussetzungen jedoch ebenfalls nicht vorlagen.

Nach § 67 SGB XII haben Personen, bei denen besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind, einen Anspruch auf Leistungen zur Überwindung dieser Schwierigkeiten, wenn sie aus eigener Kraft hierzu nicht fähig sind.

Nach § 68 Abs. 1 SGB XII umfassen die Leistungen alle Maßnahmen, die notwendig sind, um die Schwierigkeiten abzuwenden, zu beseitigen, zu mildern und ihre Verschlimmerung zu verhüten, insbesondere Beratung und persönliche Betreuung, aber auch Hilfen und Maßnahmen bei der Erhaltung und Beschaffung einer Wohnung. Zu diesen Leistungen gehören hauptsächlich Hilfen in Form von Beratung und persönlicher Betreuung eines Hilfebedürftigen. Bestandteil der Hilfen können jedoch auch Geld- und Sachleistungen sein, soweit die vorrangigen Hilfen diesen Bedarf nicht abdecken (§ 67 Satz 2 SGB XII).

Der unbestimmte Rechtsbegriff der besonderen Lebensverhältnisse wird in § 1 Abs. 2 der Verordnung zu § 69 SGB XII - Verordnung zur Durchführung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten - (VO) anhand der dort genannten Beispiele konkretisiert. Danach bestehen besondere Lebensverhältnisse bei Personen, die aus einer geschlossenen Einrichtung entlassen werden.

Dies betrifft auch die Entlassung aus der Haft. Dem Inhaftierten kann Obdachlosigkeit drohen, wenn er nicht in seine Wohnung zurückkehren kann. Insoweit ist die Hilfe zur Erhaltung der Wohnung (§ 4 VO) auch präventiv, weil sie im Hinblick auf eine bevorstehende, konkret abzusehende Entlassung erforderlich ist (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss v. 17.09.2009 - L 18 SO 111/09 B ER -).

Nach § 1 Abs. 3 VO liegen soziale Schwierigkeiten dann vor, wenn ein Leben in der Gemeinschaft durch ausgrenzendes Verhalten des Hilfesuchenden oder eines Dritten wesentlich eingeschränkt ist, u.a. im Zusammenhang mit Straffälligkeit. Soziale Schwierigkeiten allein und damit Lebensschwierigkeiten allgemeiner Art reichen nicht aus.

Die sozialen Schwierigkeiten müssen vielmehr von einer solchen Intensität sein, dass dem Betroffenen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft nicht nur vorübergehend entweder nicht oder nur erheblich eingeschränkt möglich ist (Schoenfeld in Grube/Wahrendorf, SGB XII, Komm., 3. Aufl. § 67 Rn. 14 m.w.N.; Beschluss des Senats vom 04.05.2010, L 23 SO 46/10 B ER).

Eine Entwicklung solcher Schwierigkeiten war während der Haft auch nicht absehbar.

Die Schwierigkeiten, bei bestehenden Mietschulden neuen Wohnraum anzumieten, sind Lebensschwierigkeiten allgemeiner Art, denen der Kläger mithilfe des für ihn zuständigen Jobcenters (etwa durch Mietübernahmeerklärungen gegenüber einem neuen Vermieter) begegnen kann (Beschluss des Senats v. 04.05.2010, L 23 SO 46/10 B ER,Rn. 15).

Ein Anspruch auf Übernahme der Mietschulden nach § 36 Abs. 1 SGB XII n.F. ist hier allein deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger dem Grunde nach Leistungsberechtigter nach dem SGB II und auch hilfebedürftig nach § 9 SGB II ist (§ 21 Abs. 1 Satz 1, 2 SGB II).


Anmerkung vom Sozialberater Willi 2,freier Mitarbeiter des RA Ludwig Zimmermann:

Aus dem in § 5 Abs. 1, § 18 SGB XII normierten Gegenwärtigkeitsprinzip ergibt sich, dass die Sozialhilfe (erst) dann einzusetzen hat, wenn es um die Abwendung einer gegenwärtigen Notlage geht. Die Bewilligung von Sozialhilfe ist grundsätzlich von einem aktuellen Hilfebedarf abhängig (vgl. BSG, Urteil vom 29. 9. 2009, B 8 SO 16/08 R, Rn.13).

Erforderlich ist also für den geltend gemachten Hilfeanspruch, dass soziale Schwierigkeiten schon vorliegen oder aber deren Eintritt unmittelbar droht. Dem entsprechend setzt ein Leistungsanspruch nach § 67 SGB XII einen Hilfebedarf zum Zeitpunkt der Antragstellung voraus. Aktuell muss sich aus dem Zusammenwirken von sozialer Lage und individueller Schwierigkeit ein konkreter Hilfebedarf ergeben

Zwar kann nach der Rechtsprechung ausnahmsweise eine Hilfe nach § 67 SGB XII nicht nur nachgehend, sondern auch präventiv gewährt werden, wenn sie schon während der Haftzeit erforderlich wird. Dies betrifft jedoch Fälle einer kurzfristigen Haftstrafe, wenn die Übernahme der Miete zum Erhalt der bislang bewohnten Unterkunft erforderlich ist (vgl. LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19. 5. 2005, L 9 B 9/05 SO ER; Beschluss vom 30. 6. 2005, L 20 B 2/05 SO ER).


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