Der EuGH hatte zu entscheiden, wo entsandte Arbeitnehmer der Sozialversicherungspflicht unterliegen und inwieweit Sozialversicherungsbescheinigungen aus ihrem Heimatland bindend sind.
Die österreichische Gesellschaft Alpenrind betreibt in Salzburg einen Schlachthof. In den Jahren 2012 bis 2014 ließ sie dort das Fleisch von nach Österreich entsandten Arbeitnehmern der ungarischen Gesellschaft Martimpex zerlegen und verpacken. Vor und nach diesem Zeitraum wurden die Arbeiten von Arbeitnehmern einer anderen ungarischen Gesellschaft, Martin-Meat, ausgeführt. Für die etwa 250 von Martimpex vom 01.02.2012 bis zum 13.12.2013 entsandten Arbeitnehmer stellte der ungarische Sozialversicherungsträger – teilweise rückwirkend und teilweise in Fällen, in denen der österreichische Sozialversicherungsträger (die Salzburger Gebietskrankenkasse) bereits festgestellt hatte, dass die betreffenden Arbeitnehmer in Österreich pflichtversichert seien – A1-Bescheinigungen (vormals Bescheinigung E 101) über die Anwendung der ungarischen Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit aus. Der Bescheid des österreichischen Sozialversicherungsträgers über die Pflichtversicherung der Arbeitnehmer nach den österreichischen Rechtsvorschriften wurde vor den österreichischen Gerichten angefochten. In diesem Zusammenhang hat der Verwaltungsgerichtshof (Österreich), der von der Salzburger Gebietskrankenkasse und vom österreichischen Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz im Wege der Revision angerufen worden war, den EuGH um Erläuterungen zu den Unionsvorschriften über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in der durch die Verordnung (EU) Nr. 1244/2010 geänderten Fassung sowie Verordnung (EG) Nr. 987/2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung Nr. 883/2004 in der durch die Verordnung Nr. 1244/2010 geänderten Fassung) und insbesondere zur Bindungswirkung der A1-Bescheinigung ersucht.
Der EuGH hat entschieden, dass ein entsandter Arbeitnehmer, der einen anderen entsandten Arbeitnehmer ablöst, unter das System der sozialen Sicherheit am Arbeitsort fällt, auch wenn die beiden Arbeitnehmer nicht von demselben Arbeitgeber entsandt wurden.
Nach Auffassung des EuGH ist eine vom zuständigen Träger eines Mitgliedstaats (im vorliegenden Fall Ungarn) ausgestellte A1-Bescheinigung sowohl für die Träger der sozialen Sicherheit als auch für die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird (Österreich), verbindlich (außer im Fall von Betrug oder Rechtsmissbrauch, vgl. EuGH, Urt. v. 06.02.2018 - C-359/16), solange sie von dem Mitgliedstaat, in dem sie ausgestellt wurde (Ungarn), weder widerrufen noch für ungültig erklärt worden ist. Dies war vorliegend der Fall. Dies gelte auch dann, wenn die zuständigen Behörden der beiden Mitgliedstaaten, wie im vorliegenden Fall, die Verwaltungskommission für die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit angerufen haben und diese zu dem Ergebnis gelangt sei, dass die Bescheinigung zu Unrecht ausgestellt wurde und widerrufen werden sollte. Die Rolle der Verwaltungskommission beschränke sich in diesem Rahmen auf eine Annäherung der Standpunkte der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, die sie angerufen haben, und ihre Schlussfolgerungen haben den Stellenwert einer Stellungnahme.
Ferner könne eine A1-Bescheinigung Rückwirkung entfalten, auch wenn zum Zeitpunkt ihrer Ausstellung der zuständige Träger des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt werde (Österreich), bereits entschieden hatte, dass der betreffende Arbeitnehmer der Pflichtversicherung dieses Mitgliedstaats unterliege. Überdies könne ein von einem Arbeitgeber zur Ausführung einer Arbeit in einen anderen Mitgliedstaat entsandter Arbeitnehmer, der dort einen anderen, von einem anderen Arbeitgeber entsandten Arbeitnehmer ablöst, nicht weiterhin den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats unterliegen, in dem sein Arbeitgeber gewöhnlich tätig sei. In der Regel unterliege ein Arbeitnehmer nämlich dem System der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem er arbeite, um insbesondere die Gleichbehandlung aller im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erwerbstätigen Personen am besten zu gewährleisten. Nur unter bestimmten Umständen habe der Unionsgesetzgeber die Möglichkeit vorgesehen, dass ein entsandter Arbeitnehmer weiterhin dem System der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats unterliege, in dem sein Arbeitgeber gewöhnlich tätig sei. Ausgeschlossen habe der Verordnungsgeber diese Möglichkeit, wenn der entsandte Arbeitnehmer eine andere Person ablöse. Ein solcher Fall liege vor, wenn ein von einem Arbeitgeber zur Ausführung einer Arbeit in einen anderen Mitgliedstaat entsandter Arbeitnehmer dort einen anderen, von einem anderen Arbeitgeber entsandten Arbeitnehmer ablöse. Dabei spiele es keine Rolle, ob die Arbeitgeber der beiden betreffenden Arbeitnehmer ihren Sitz im selben Mitgliedstaat haben oder ob zwischen ihnen personelle oder organisatorische Verflechtungen bestehen.
Quelle: Pressemitteilung des EuGH Nr. 126/2018 v. 06.09.2018 juris
Die österreichische Gesellschaft Alpenrind betreibt in Salzburg einen Schlachthof. In den Jahren 2012 bis 2014 ließ sie dort das Fleisch von nach Österreich entsandten Arbeitnehmern der ungarischen Gesellschaft Martimpex zerlegen und verpacken. Vor und nach diesem Zeitraum wurden die Arbeiten von Arbeitnehmern einer anderen ungarischen Gesellschaft, Martin-Meat, ausgeführt. Für die etwa 250 von Martimpex vom 01.02.2012 bis zum 13.12.2013 entsandten Arbeitnehmer stellte der ungarische Sozialversicherungsträger – teilweise rückwirkend und teilweise in Fällen, in denen der österreichische Sozialversicherungsträger (die Salzburger Gebietskrankenkasse) bereits festgestellt hatte, dass die betreffenden Arbeitnehmer in Österreich pflichtversichert seien – A1-Bescheinigungen (vormals Bescheinigung E 101) über die Anwendung der ungarischen Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit aus. Der Bescheid des österreichischen Sozialversicherungsträgers über die Pflichtversicherung der Arbeitnehmer nach den österreichischen Rechtsvorschriften wurde vor den österreichischen Gerichten angefochten. In diesem Zusammenhang hat der Verwaltungsgerichtshof (Österreich), der von der Salzburger Gebietskrankenkasse und vom österreichischen Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz im Wege der Revision angerufen worden war, den EuGH um Erläuterungen zu den Unionsvorschriften über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in der durch die Verordnung (EU) Nr. 1244/2010 geänderten Fassung sowie Verordnung (EG) Nr. 987/2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung Nr. 883/2004 in der durch die Verordnung Nr. 1244/2010 geänderten Fassung) und insbesondere zur Bindungswirkung der A1-Bescheinigung ersucht.
Der EuGH hat entschieden, dass ein entsandter Arbeitnehmer, der einen anderen entsandten Arbeitnehmer ablöst, unter das System der sozialen Sicherheit am Arbeitsort fällt, auch wenn die beiden Arbeitnehmer nicht von demselben Arbeitgeber entsandt wurden.
Nach Auffassung des EuGH ist eine vom zuständigen Träger eines Mitgliedstaats (im vorliegenden Fall Ungarn) ausgestellte A1-Bescheinigung sowohl für die Träger der sozialen Sicherheit als auch für die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird (Österreich), verbindlich (außer im Fall von Betrug oder Rechtsmissbrauch, vgl. EuGH, Urt. v. 06.02.2018 - C-359/16), solange sie von dem Mitgliedstaat, in dem sie ausgestellt wurde (Ungarn), weder widerrufen noch für ungültig erklärt worden ist. Dies war vorliegend der Fall. Dies gelte auch dann, wenn die zuständigen Behörden der beiden Mitgliedstaaten, wie im vorliegenden Fall, die Verwaltungskommission für die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit angerufen haben und diese zu dem Ergebnis gelangt sei, dass die Bescheinigung zu Unrecht ausgestellt wurde und widerrufen werden sollte. Die Rolle der Verwaltungskommission beschränke sich in diesem Rahmen auf eine Annäherung der Standpunkte der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, die sie angerufen haben, und ihre Schlussfolgerungen haben den Stellenwert einer Stellungnahme.
Ferner könne eine A1-Bescheinigung Rückwirkung entfalten, auch wenn zum Zeitpunkt ihrer Ausstellung der zuständige Träger des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt werde (Österreich), bereits entschieden hatte, dass der betreffende Arbeitnehmer der Pflichtversicherung dieses Mitgliedstaats unterliege. Überdies könne ein von einem Arbeitgeber zur Ausführung einer Arbeit in einen anderen Mitgliedstaat entsandter Arbeitnehmer, der dort einen anderen, von einem anderen Arbeitgeber entsandten Arbeitnehmer ablöst, nicht weiterhin den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats unterliegen, in dem sein Arbeitgeber gewöhnlich tätig sei. In der Regel unterliege ein Arbeitnehmer nämlich dem System der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem er arbeite, um insbesondere die Gleichbehandlung aller im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erwerbstätigen Personen am besten zu gewährleisten. Nur unter bestimmten Umständen habe der Unionsgesetzgeber die Möglichkeit vorgesehen, dass ein entsandter Arbeitnehmer weiterhin dem System der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats unterliege, in dem sein Arbeitgeber gewöhnlich tätig sei. Ausgeschlossen habe der Verordnungsgeber diese Möglichkeit, wenn der entsandte Arbeitnehmer eine andere Person ablöse. Ein solcher Fall liege vor, wenn ein von einem Arbeitgeber zur Ausführung einer Arbeit in einen anderen Mitgliedstaat entsandter Arbeitnehmer dort einen anderen, von einem anderen Arbeitgeber entsandten Arbeitnehmer ablöse. Dabei spiele es keine Rolle, ob die Arbeitgeber der beiden betreffenden Arbeitnehmer ihren Sitz im selben Mitgliedstaat haben oder ob zwischen ihnen personelle oder organisatorische Verflechtungen bestehen.
Gericht/Institution: | EuGH |
Erscheinungsdatum: | 06.09.2018 |
Entscheidungsdatum: | 06.09.2018 |
Aktenzeichen: | C-527/16 |
Quelle: Pressemitteilung des EuGH Nr. 126/2018 v. 06.09.2018 juris
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