Das BSG hat entschieden, dass die Zahlung von Kindergeld an
Kinder, die ohne Eltern schon lange in Deutschland leben, weil sie nicht
abgeschoben werden können und deshalb über einen entsprechenden
Aufenthaltstitel verfügen, nicht von einer Erwerbstätigkeit abhängig
gemacht werden kann.
Die klagende Stadt Bonn kam jahrelang als Trägerin der Kinder- und Jugendhilfe für die stationäre Heimunterbringung des 1992 in Kinshasa/Kongo geborenen Milambo B. auf. Dieser reiste im Alter von zwei Jahren (1994) mit seiner 1998 verstorbenen Mutter nach Deutschland ein und lebt seither hier. Sein Asylantrag wurde rechtskräftig abgelehnt, sein Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland aber seither geduldet. Der Aufenthalt des Vaters ist unbekannt. 2005 erhielt Milambo B. eine Aufenthaltserlaubnis ohne die Gestattung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit (§ 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz). Die Stadt Bonn beantragte bei der Bundesagentur für Arbeit – Familienkasse – Milambo B. Kindergeld zu bewilligen, um damit einen Teil der Kosten für die Heimunterbringung abzudecken.
Die Familienkasse lehnte ab, wurde aber auf Klage der Stadt Bonn verurteilt, dem beigeladenen Milambo B. Kindergeld zu bewilligen (von März 2005 bis November 2009). Das LSG Essen hat das erstinstanzliche Urteil dagegen aufgehoben und die Klage auf Kindergeld abgewiesen. Milambo B. erfülle die gesetzlichen Voraussetzungen nicht. Das Bundeskindergeldgesetz verlange auch in solchen Fällen einen Aufenthaltstitel mit einer Berechtigung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit sowie eine tatsächliche Erwerbstätigkeit beziehungsweise den Bezug von Arbeitslosengeld.
Das BSG hat der klagenden Stadt Bonn jetzt Recht gegeben und das erstinstanzliche Urteil wieder hergestellt.
Nach Auffassung des BSG hatte Milambo B. im streitigen Zeitraum Anspruch auf Kindergeld. Normalerweise werde das Kindergeld an Eltern für deren Kinder gezahlt. Dies sei im Fall des Beigeladenen aber nicht möglich gewesen, weil seine Mutter verstorben und der Aufenthalt seines Vaters unbekannt war. In solchen Fällen lasse das Gesetz bei Deutschen und EU-Angehörigen die Gewährung von Kindergeld an das Kind selbst zu, wenn es seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat.
Für nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer, also insbesondere Ausländer aus Nicht-EU-Staaten wie Milambo B., knüpfe das Gesetz den Kindergeldanspruch auch für sich selbst aber an zusätzliche Voraussetzungen. Hat ein solcher Ausländer nur einen Aufenthaltstitel wegen eines dauernden Abschiebungshindernisses, verlange das Gesetz für einen Kindergeldanspruch dreierlei: Der Ausländer müsse sich 1. seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhalten, 2. sein Aufenthaltstitel müsse zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigen und er müsse 3. im Bundesgebiet tatsächlich erwerbstätig sein, laufende Geldleistungen nach dem SGB III beziehen oder Elternzeit in Anspruch nehmen (nach § 25 Absatz 5 Aufenthaltsgesetz).
Milambo B. habe diese Voraussetzungen im streitigen Zeitraum schon deshalb nicht vollständig erfüllen können, weil er als Kind zunächst keiner Erwerbstätigkeit nachgehen durfte und später als Jugendlicher seinen Schulbesuch in Deutschland fortgesetzt hat.
Das BSG hat sich dafür entschieden, das Bundeskindergeldgesetz in Bezug auf das Erfordernis einer Erwerbstätigkeit verfassungskonform einzuschränken. Denn ein Gesetz dürfe nichts verlangen, was rechtlich oder tatsächlich unmöglich ist. Kinderarbeit sei in Deutschland im Grundsatz gesetzlich verboten. Elternlosen beziehungsweise unbegleiteten ausländischen Kindern dürfe deshalb Kindergeld für sich selbst nicht allein mit der Begründung versagt werden, sie seien im Anspruchszeitraum nicht erwerbstätig (gewesen). Ein solches Kind könne vielmehr Kindergeld für sich selbst verlangen, wenn es die geforderten drei Jahre Voraufenthalt in Deutschland sowie eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz aufweisen könne, solange es aufgrund seines geringen Alters ohnehin nicht erwerbstätig sein dürfte oder ihn danach sein Schulbesuch an einer Erwerbstätigkeit hindere.
Der Senat ist überzeugt, dass der Gesetzgeber diese besondere Konstellation elternloser beziehungsweise unbegleiteter ausländischer Kinder und Jugendlicher, die für lange Zeit nicht in ihr Heimatland zurückkehren können, übersehen und deshalb versehentlich nicht geregelt habe. Die Prognose eines voraussichtlichen Daueraufenthaltes in Deutschland könne jedenfalls bei ihnen nicht davon abhängig gemacht werden, dass sie als Kinder einer Erwerbstätigkeit nachgehen, Leistungen nach dem SGB III erzielen oder Elternzeit in Anspruch nehmen. Die Verwendung eines offensichtlich ungeeigneten und daher gleichheitswidrigen Ausschlusskriteriums für den Kindergeldanspruch könne dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden.
Quelle: Pressemitteilung des BSG Nr. 13/15 v. 05.05.2015
Quelle: juris
Die klagende Stadt Bonn kam jahrelang als Trägerin der Kinder- und Jugendhilfe für die stationäre Heimunterbringung des 1992 in Kinshasa/Kongo geborenen Milambo B. auf. Dieser reiste im Alter von zwei Jahren (1994) mit seiner 1998 verstorbenen Mutter nach Deutschland ein und lebt seither hier. Sein Asylantrag wurde rechtskräftig abgelehnt, sein Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland aber seither geduldet. Der Aufenthalt des Vaters ist unbekannt. 2005 erhielt Milambo B. eine Aufenthaltserlaubnis ohne die Gestattung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit (§ 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz). Die Stadt Bonn beantragte bei der Bundesagentur für Arbeit – Familienkasse – Milambo B. Kindergeld zu bewilligen, um damit einen Teil der Kosten für die Heimunterbringung abzudecken.
Die Familienkasse lehnte ab, wurde aber auf Klage der Stadt Bonn verurteilt, dem beigeladenen Milambo B. Kindergeld zu bewilligen (von März 2005 bis November 2009). Das LSG Essen hat das erstinstanzliche Urteil dagegen aufgehoben und die Klage auf Kindergeld abgewiesen. Milambo B. erfülle die gesetzlichen Voraussetzungen nicht. Das Bundeskindergeldgesetz verlange auch in solchen Fällen einen Aufenthaltstitel mit einer Berechtigung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit sowie eine tatsächliche Erwerbstätigkeit beziehungsweise den Bezug von Arbeitslosengeld.
Das BSG hat der klagenden Stadt Bonn jetzt Recht gegeben und das erstinstanzliche Urteil wieder hergestellt.
Nach Auffassung des BSG hatte Milambo B. im streitigen Zeitraum Anspruch auf Kindergeld. Normalerweise werde das Kindergeld an Eltern für deren Kinder gezahlt. Dies sei im Fall des Beigeladenen aber nicht möglich gewesen, weil seine Mutter verstorben und der Aufenthalt seines Vaters unbekannt war. In solchen Fällen lasse das Gesetz bei Deutschen und EU-Angehörigen die Gewährung von Kindergeld an das Kind selbst zu, wenn es seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat.
Für nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer, also insbesondere Ausländer aus Nicht-EU-Staaten wie Milambo B., knüpfe das Gesetz den Kindergeldanspruch auch für sich selbst aber an zusätzliche Voraussetzungen. Hat ein solcher Ausländer nur einen Aufenthaltstitel wegen eines dauernden Abschiebungshindernisses, verlange das Gesetz für einen Kindergeldanspruch dreierlei: Der Ausländer müsse sich 1. seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhalten, 2. sein Aufenthaltstitel müsse zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigen und er müsse 3. im Bundesgebiet tatsächlich erwerbstätig sein, laufende Geldleistungen nach dem SGB III beziehen oder Elternzeit in Anspruch nehmen (nach § 25 Absatz 5 Aufenthaltsgesetz).
Milambo B. habe diese Voraussetzungen im streitigen Zeitraum schon deshalb nicht vollständig erfüllen können, weil er als Kind zunächst keiner Erwerbstätigkeit nachgehen durfte und später als Jugendlicher seinen Schulbesuch in Deutschland fortgesetzt hat.
Das BSG hat sich dafür entschieden, das Bundeskindergeldgesetz in Bezug auf das Erfordernis einer Erwerbstätigkeit verfassungskonform einzuschränken. Denn ein Gesetz dürfe nichts verlangen, was rechtlich oder tatsächlich unmöglich ist. Kinderarbeit sei in Deutschland im Grundsatz gesetzlich verboten. Elternlosen beziehungsweise unbegleiteten ausländischen Kindern dürfe deshalb Kindergeld für sich selbst nicht allein mit der Begründung versagt werden, sie seien im Anspruchszeitraum nicht erwerbstätig (gewesen). Ein solches Kind könne vielmehr Kindergeld für sich selbst verlangen, wenn es die geforderten drei Jahre Voraufenthalt in Deutschland sowie eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz aufweisen könne, solange es aufgrund seines geringen Alters ohnehin nicht erwerbstätig sein dürfte oder ihn danach sein Schulbesuch an einer Erwerbstätigkeit hindere.
Der Senat ist überzeugt, dass der Gesetzgeber diese besondere Konstellation elternloser beziehungsweise unbegleiteter ausländischer Kinder und Jugendlicher, die für lange Zeit nicht in ihr Heimatland zurückkehren können, übersehen und deshalb versehentlich nicht geregelt habe. Die Prognose eines voraussichtlichen Daueraufenthaltes in Deutschland könne jedenfalls bei ihnen nicht davon abhängig gemacht werden, dass sie als Kinder einer Erwerbstätigkeit nachgehen, Leistungen nach dem SGB III erzielen oder Elternzeit in Anspruch nehmen. Die Verwendung eines offensichtlich ungeeigneten und daher gleichheitswidrigen Ausschlusskriteriums für den Kindergeldanspruch könne dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden.
Quelle: Pressemitteilung des BSG Nr. 13/15 v. 05.05.2015
Gericht/Institution: | BSG |
Erscheinungsdatum: | 05.05.2015 |
Entscheidungsdatum: | 05.05.2015 |
Aktenzeichen: | B 10 KG 1/14 R |
Kommentare
Kommentar veröffentlichen