Das BSG hat entschieden, dass der typische männliche Verlust des
Kopfhaares weder eine Krankheit noch eine Behinderung i.S.v. § 33 Abs. 1
SGB V, der die Voraussetzung für die Versorgung mit Hilfsmitteln in der
gesetzlichen Krankenversicherung beschreibt.
Ein darüber hinausgehender Haarverlust, der unter anderem auch die Brauen, Wimpern und den Bartwuchs umfasst (Alopecia areata universalis), könne jedoch bei einem jungen Mann eine Krankheit darstellen, so das BSG.
Der 1938 geborene Kläger leidet seit 1983 an vollständiger Haarlosigkeit (Alopecia areata universalis). Hinzu kommt die Neigung zur Bildung von Weißflecken (Vitiligo) bei ohnehin hellem Hauttyp. Die beklagte Krankenkasse hat ihn in der Vergangenheit wiederholt, zuletzt im Dezember 2006, mit Perücken versorgt. Seinen Antrag auf Neuversorgung mit einer Kunsthaarperücke lehnte die Beklagte ab, weil Kahlköpfigkeit und Haarverlust bei Männern nicht als störende Auffälligkeit wahrgenommen werde und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben deshalb auch ohne Perücke uneingeschränkt möglich sei. Der Kläger hat sich die verordnete Kunsthaarperücke für 820 Euro auf eigene Kosten beschafft. Er macht geltend, der totale Haarverlust verursache bei ihm einen hohen psychischen Leidensdruck, so dass er verschiedentlich schon psychotherapeutische Hilfe benötigt habe. Ihm könne nicht zugemutet werden, sich in der Öffentlichkeit stets mit einer Kopfbedeckung zu bewegen, um sich vor den neugierigen Blicken der Mitmenschen zu schützen und der Gefahr von Sonnenbränden und der Entstehung von Hautkrebs vorzubeugen. Frauen in gleicher Lage würden von den Krankenkassen ohne Weiteres mit Perücken ausgestattet. Mit Blick auf das Verbot der Benachteiligung eines Menschen wegen seines Geschlechts (Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG) könne Männern daher die Versorgung mit einer Perücke bei krankheitsbedingtem Haarverlust nicht verwehrt werden.
Das Sozialgericht hatte die Klage abgewiesen und das Landessozialgericht die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Weder der Verlust des Kopfhaares noch die Weißfleckenkrankheit entfalte beim Kläger eine abstoßende Wirkung, so dass seiner Teilnahme am gesellschaftlichen Leben objektiv keine krankheitsbedingten Hindernisse entgegenstünden. Ein effektiver Schutz vor Sonnenbrand und Hautkrebs könne durch Kopfbedeckungen und Sonnenschutzcremes erlangt werden. Die psychischen Beeinträchtigungen begründeten ebenfalls keinen Anspruch auf Versorgung mit einer Perücke, sondern allenfalls einen Anspruch auf Behandlung dieser Störung mit den Mitteln der Psychiatrie oder Psychotherapie. Auf das geschlechtsspezifische Benachteiligungsverbot könne sich der Kläger nicht berufen, weil der Verlust der Kopfbehaarung bei Männern eine allgemein akzeptierte, natürliche Alltagserscheinung sei, während dies bei Frauen äußerst selten vorkomme und nur bei ihnen entstellend wirken und so zu einem ernsthaften Außenseiterproblem werden könne.
Die Revision des Klägers hatte vor dem BSG keinen Erfolg.
Nach Auffassung des BSG können Perücken ein Hilfsmittel sein. Insbesondere seien Vollperücken nicht als Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgenommen. Der alleinige Verlust des Kopfhaares bei einem Mann sei jedoch nicht als Krankheit zu werten, weil er weder die Körperfunktionen beeinträchtige noch entstellend wirke. Die überwiegende Zahl der Männer verliere im Laufe des Lebens ganz oder teilweise ihr Kopfhaar. Dadurch erregten Männer aber weder besondere Aufmerksamkeit im Sinne von Angestarrt-Werden noch würden sie stigmatisiert. Demgegenüber trete bei Frauen aus biologischen Gründen in der Regel im Laufe des Lebens kein entsprechender Haarverlust ein. Eine Frau ohne Kopfhaar falle daher besonders auf und ziehe die Blicke anderer auf sich. Dieser bei Frauen von der Norm deutlich abweichende Zustand sei, wenn er entstellend wirke, krankheitswertig, sodass die Versorgung mit einer Perücke bei Frauen Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung sein könne.
Männer seien allerdings nicht vollständig von der Versorgung mit Vollperücken zu Lasten der Krankenversicherung ausgeschlossen. Ein solcher Anspruch könne bestehen, wenn der Haarverlust nicht allein die Kopfbehaarung, sondern auch die übrige Behaarung des Kopfes wie Brauen, Wimpern und Bart erfasse. Ein solcher Haarverlust gehe über den typischen männlichen Haarverlust hinaus und könne insbesondere bei Jugendlichen oder jungen Erwachsenen Aufsehen erregen. Je nach Alter des Mannes und Aussehen des unbehaarten Kopfes könne in einem solchen Fall daher eine auffallende, entstellende Wirkung vorliegen, die Krankheitswert besitze. Eine entsprechende Wirkung habe der haarlose Kopf des zum Zeitpunkt der Beschaffung der Perücke deutlich über siebzigjährigen Klägers hingegen nicht. Nicht maßgeblich sei dabei, ob der Betroffene seine Haarlosigkeit subjektiv entstellend empfinde. Die beklagte Krankenkasse habe es daher zu Recht abgelehnt, den Kläger mit einer Perücke zu versorgen.
Quelle: Pressemitteilung des BSG Nr. 8/15 v. 22.04.2015
juris
Ein darüber hinausgehender Haarverlust, der unter anderem auch die Brauen, Wimpern und den Bartwuchs umfasst (Alopecia areata universalis), könne jedoch bei einem jungen Mann eine Krankheit darstellen, so das BSG.
Der 1938 geborene Kläger leidet seit 1983 an vollständiger Haarlosigkeit (Alopecia areata universalis). Hinzu kommt die Neigung zur Bildung von Weißflecken (Vitiligo) bei ohnehin hellem Hauttyp. Die beklagte Krankenkasse hat ihn in der Vergangenheit wiederholt, zuletzt im Dezember 2006, mit Perücken versorgt. Seinen Antrag auf Neuversorgung mit einer Kunsthaarperücke lehnte die Beklagte ab, weil Kahlköpfigkeit und Haarverlust bei Männern nicht als störende Auffälligkeit wahrgenommen werde und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben deshalb auch ohne Perücke uneingeschränkt möglich sei. Der Kläger hat sich die verordnete Kunsthaarperücke für 820 Euro auf eigene Kosten beschafft. Er macht geltend, der totale Haarverlust verursache bei ihm einen hohen psychischen Leidensdruck, so dass er verschiedentlich schon psychotherapeutische Hilfe benötigt habe. Ihm könne nicht zugemutet werden, sich in der Öffentlichkeit stets mit einer Kopfbedeckung zu bewegen, um sich vor den neugierigen Blicken der Mitmenschen zu schützen und der Gefahr von Sonnenbränden und der Entstehung von Hautkrebs vorzubeugen. Frauen in gleicher Lage würden von den Krankenkassen ohne Weiteres mit Perücken ausgestattet. Mit Blick auf das Verbot der Benachteiligung eines Menschen wegen seines Geschlechts (Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG) könne Männern daher die Versorgung mit einer Perücke bei krankheitsbedingtem Haarverlust nicht verwehrt werden.
Das Sozialgericht hatte die Klage abgewiesen und das Landessozialgericht die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Weder der Verlust des Kopfhaares noch die Weißfleckenkrankheit entfalte beim Kläger eine abstoßende Wirkung, so dass seiner Teilnahme am gesellschaftlichen Leben objektiv keine krankheitsbedingten Hindernisse entgegenstünden. Ein effektiver Schutz vor Sonnenbrand und Hautkrebs könne durch Kopfbedeckungen und Sonnenschutzcremes erlangt werden. Die psychischen Beeinträchtigungen begründeten ebenfalls keinen Anspruch auf Versorgung mit einer Perücke, sondern allenfalls einen Anspruch auf Behandlung dieser Störung mit den Mitteln der Psychiatrie oder Psychotherapie. Auf das geschlechtsspezifische Benachteiligungsverbot könne sich der Kläger nicht berufen, weil der Verlust der Kopfbehaarung bei Männern eine allgemein akzeptierte, natürliche Alltagserscheinung sei, während dies bei Frauen äußerst selten vorkomme und nur bei ihnen entstellend wirken und so zu einem ernsthaften Außenseiterproblem werden könne.
Die Revision des Klägers hatte vor dem BSG keinen Erfolg.
Nach Auffassung des BSG können Perücken ein Hilfsmittel sein. Insbesondere seien Vollperücken nicht als Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgenommen. Der alleinige Verlust des Kopfhaares bei einem Mann sei jedoch nicht als Krankheit zu werten, weil er weder die Körperfunktionen beeinträchtige noch entstellend wirke. Die überwiegende Zahl der Männer verliere im Laufe des Lebens ganz oder teilweise ihr Kopfhaar. Dadurch erregten Männer aber weder besondere Aufmerksamkeit im Sinne von Angestarrt-Werden noch würden sie stigmatisiert. Demgegenüber trete bei Frauen aus biologischen Gründen in der Regel im Laufe des Lebens kein entsprechender Haarverlust ein. Eine Frau ohne Kopfhaar falle daher besonders auf und ziehe die Blicke anderer auf sich. Dieser bei Frauen von der Norm deutlich abweichende Zustand sei, wenn er entstellend wirke, krankheitswertig, sodass die Versorgung mit einer Perücke bei Frauen Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung sein könne.
Männer seien allerdings nicht vollständig von der Versorgung mit Vollperücken zu Lasten der Krankenversicherung ausgeschlossen. Ein solcher Anspruch könne bestehen, wenn der Haarverlust nicht allein die Kopfbehaarung, sondern auch die übrige Behaarung des Kopfes wie Brauen, Wimpern und Bart erfasse. Ein solcher Haarverlust gehe über den typischen männlichen Haarverlust hinaus und könne insbesondere bei Jugendlichen oder jungen Erwachsenen Aufsehen erregen. Je nach Alter des Mannes und Aussehen des unbehaarten Kopfes könne in einem solchen Fall daher eine auffallende, entstellende Wirkung vorliegen, die Krankheitswert besitze. Eine entsprechende Wirkung habe der haarlose Kopf des zum Zeitpunkt der Beschaffung der Perücke deutlich über siebzigjährigen Klägers hingegen nicht. Nicht maßgeblich sei dabei, ob der Betroffene seine Haarlosigkeit subjektiv entstellend empfinde. Die beklagte Krankenkasse habe es daher zu Recht abgelehnt, den Kläger mit einer Perücke zu versorgen.
Quelle: Pressemitteilung des BSG Nr. 8/15 v. 22.04.2015
Gericht/Institution: | BSG |
Erscheinungsdatum: | 22.04.2015 |
Entscheidungsdatum: | 22.04.2015 |
Aktenzeichen: | B 3 KR 3/14 R |
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